Tinnitus trotz Taubheit: Ursachen, Auswirkungen und Behandlungsmöglichkeiten

Tinnitus, oft als Ohrensausen oder Ohrenklingeln beschrieben, ist das Wahrnehmen von Geräuschen im Ohr ohne externe Schallquelle. Die Betroffenen hören ein Sausen, Brummen, Klicken, Klingeln oder Pfeifen. Der Ton kann pulsierend oder knackend sein, die Intensität von Person zu Person und von einem Augenblick zum nächsten variieren und auf einem oder beiden Ohren wahrgenommen werden. Die Symptome können mit einer Hörminderung einhergehen. Manche Betroffene sind durch den Tinnitus in ihrem Alltagsleben extrem beeinträchtigt. Akuter Tinnitus hält weniger als 3 Monate an, ab 3 Monaten spricht man von chronischem Tinnitus. Etwa 10-25 % der Bevölkerung leiden an Tinnitus, wobei Menschen zwischen 60 und 69 Jahren am stärksten betroffen sind. 1-7 % der Betroffenen geben an, dass ihre Lebensqualität durch das Ohrensausen reduziert ist. Personen mit einer Hörminderung leiden überdurchschnittlich häufig auch an einem chronischen Tinnitus.

Es ist ein weit verbreitetes Phänomen, das viele Menschen betrifft. Interessanterweise kann Tinnitus auch bei Personen auftreten, die von Taubheit betroffen sind. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen für Tinnitus trotz Taubheit, die möglichen Auswirkungen auf die Betroffenen und die verschiedenen Behandlungsansätze.

Was ist Tinnitus?

Tinnitus ist ein Symptom, bei dem Betroffene Geräusche wahrnehmen, die nicht von einer äußeren Quelle stammen. Diese Geräusche können sich als Klingeln, Pfeifen, Summen, Rauschen oder in anderer Form manifestieren. Tinnitus kann vorübergehend oder chronisch sein und in seiner Intensität variieren. Etwa jeder vierte Erwachsene in Deutschland hat schon einmal darunter gelitten. Den Ohrgeräuschen liegt fast nie eine ernsthafte Erkrankung zugrunde. Meist verschwinden sie auch wieder von allein. Dauert das Ohrgeräusch nicht länger als drei Monate, wird es als akuter Tinnitus bezeichnet. Bleibt der Tinnitus aber über mehr als drei Monate bestehen, spricht man von chronischem Tinnitus. Die Schweregrade und der Verlauf eines Tinnitus können sehr unterschiedlich sein. Meist wird dieser als wenig störend empfunden oder kann gut durch Hörhilfen (Hörgeräte) ausgeglichen werden. Manche der Betroffenen leiden aber sehr unter dem Tinnitus, weil er sie dauerhaft privat und beruflich belastet.

Tinnitus trotz Taubheit: Ein Paradoxon?

Auf den ersten Blick mag es widersprüchlich erscheinen, dass Tinnitus auch bei Taubheit auftreten kann. Taubheit bedeutet definitionsgemäß den vollständigen oder nahezu vollständigen Verlust des Hörvermögens. Wie können Menschen, die nichts hören, dennoch Ohrgeräusche wahrnehmen?

Die Erklärung liegt in der komplexen Funktionsweise des Hörsystems. Tinnitus entsteht nicht zwangsläufig durch äußere Schallreize, sondern kann auch durch Fehlfunktionen im Gehirn oder in den Nervenbahnen des Hörsystems verursacht werden. Selbst wenn das Innenohr oder der Hörnerv stark geschädigt sind, können noch immer neuronale Aktivitäten im Gehirn stattfinden, die als Tinnitus wahrgenommen werden.

Lesen Sie auch: Tinnitus und Gehirnaktivität: Ein detaillierter Einblick

Mögliche Ursachen für Tinnitus trotz Taubheit

Es gibt verschiedene Faktoren, die zur Entstehung von Tinnitus trotz Taubheit beitragen können:

  1. Fehlregulation im Gehirn: Bei Taubheit versucht das Gehirn, den Verlust des sensorischen Inputs auszugleichen. Dies kann zu einer Überaktivität in den Hörzentren des Gehirns führen, was sich als Tinnitus äußern kann.
  2. Beschädigung des Hörnervs: Auch wenn das Innenohr nicht mehr funktioniert, kann der Hörnerv dennoch gereizt oder beschädigt sein. Diese Schädigung kann zu fehlerhaften Signalen führen, die vom Gehirn als Tinnitus interpretiert werden.
  3. Phantomwahrnehmung: Ähnlich wie bei Phantomschmerzen nach einer Amputation kann Tinnitus bei Taubheit eine Form der Phantomwahrnehmung sein. Das Gehirn erzeugt Geräusche, obwohl keine entsprechenden akustischen Reize vorhanden sind.
  4. Psychische Faktoren: Stress, Depressionen oder Angstzustände können Tinnitus verstärken oder sogar auslösen, unabhängig vom Hörvermögen.

Auswirkungen auf die Betroffenen

Tinnitus kann erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen haben, unabhängig davon, ob sie taub sind oder nicht. Zu den möglichen Auswirkungen gehören:

  • Schlafstörungen: Die ständigen Ohrgeräusche können das Einschlafen und Durchschlafen erschweren.
  • Konzentrationsprobleme: Tinnitus kann die Konzentration beeinträchtigen und die Aufmerksamkeit ablenken.
  • Emotionale Belastung: Tinnitus kann zu Angst, Reizbarkeit, Frustration und Depressionen führen.
  • Soziale Isolation: Manche Betroffene ziehen sich aufgrund ihres Tinnitus zurück und vermeiden soziale Kontakte.
  • Einschränkungen im Alltag: In schweren Fällen kann Tinnitus die Fähigkeit beeinträchtigen, alltäglichen Aktivitäten nachzugehen.

Diagnose und Behandlung

Die Diagnose von Tinnitus umfasst in der Regel eine gründliche Anamnese, eine körperliche Untersuchung und verschiedene Hörtests. Bei Tinnitus trotz Taubheit können bildgebende Verfahren wie MRT eingesetzt werden, um mögliche Ursachen im Gehirn oder im Hörnerv zu identifizieren.

Die Behandlung von Tinnitus zielt in erster Linie darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Da es sich meist um eine komplexe Problematik handelt, gibt es keine allgemeingültige Lösung. Die Behandlung kann verschiedene Ansätze umfassen:

  1. Hörgeräte: Wenn der Tinnitus mit einem Hörverlust einhergeht, können Hörgeräte helfen, die Hörfähigkeit zu verbessern und den Tinnitus zu maskieren. Das kann insofern Ihren Tinnitus lindern, indem Sie wieder vermehrt Außengeräusche wahrnehmen, die den Tinnitus überdecken.
  2. Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT): TRT ist eineForm der Verhaltenstherapie, die darauf abzielt, die Wahrnehmung des Tinnitus zu verändern und die Gewöhnung an die Ohrgeräusche zu fördern.
  3. Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): KVT hilft den Betroffenen, negative Gedanken und Verhaltensmuster im Zusammenhang mit dem Tinnitus zu erkennen und zu verändern. Bei einer schwerwiegenden Belastung durch den Tinnitus, insbesondere, wenn diese zu Depressionen oder Angststörungen führt, kann eine kognitive Verhaltenstherapie sinnvoll sein. Dabei erlernen Sie Strategien, um mit dem Tinnitus gut leben können.
  4. Entspannungstechniken: Methoden wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training, Yoga oder Meditation können helfen, Stress abzubauen und die Entspannung zu fördern.
  5. Medikamentöse Behandlung: In einigen Fällen können Medikamente wie Antidepressiva oder Antikonvulsiva eingesetzt werden, um die Symptome von Tinnitus zu lindern. Es gibt bestimmte Medikamente zur Behandlung von Tinnitus. Tinnitus-Experten sprechen sich allerdings dagegen aus, da es keine ausreichenden Belege zur Wirksamkeit gibt10.
  6. Tinnitus-Counseling: Beim Tinnitus-Counseling können Betroffene im ärztlichen Gespräch ihre Beschwerden und Krankheitsängste ausführlich schildern. Die Patient*innen sollen den Tinnitus als Krankheit besser verstehen und erhalten Tipps zur Schallanreicherung (Vermeidung von Stille) oder ggf. für ein Hörgerät. Das Ziel ist es, den Tinnitus zu „vergessen“ anstatt zu „beseitigen“.
  7. Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann ebenfalls guttun. Hier können Sie zudem vom Wissen und den Erfahrungen der anderen profitieren. Kontakte zu Selbsthilfegruppen und Informationen rund um das Thema Ohrgeräusche finden Sie bei der Deutschen Tinnitus-Liga.

Was Sie selbst gegen Ihren Tinnitus tun können:

Wichtig ist es, dem Tinnitus wenig Bedeutung im eigenen Leben zu geben. Entspannung kann dabei helfen, zum Beispiel durch Yoga oder andere Entspannungsübungen. Sich auf den Tinnitus zu konzentrieren, kann ihn verschlimmern.

Lesen Sie auch: Ursachenforschung bei Tinnitus durch neurologische Tests

Komplementärmedizinische Ansätze

Die Komplementärmedizin bietet gerade in diesem Bereich Möglichkeiten. Sehr gut eignen sich Verfahren, die mit körperlicher Wahrnehmung, Übung und Entspannung zu tun haben. Vor einiger Zeit haben wir z.B. Qigong-Übungen evaluiert. Im Ergebnis zeigte sich: Patient*innen, die Qigong praktizierten, hatten deutlich bessere Therapieerfolge. Aber nicht jeder ist dafür geeignet. Andere mögen lieber Yoga oder Feldenkrais. Typische Manager entscheiden sich vielleicht für Leistungs- oder Ausdauersport. Mit Ausdauersport erreicht man eine hervorragende Stressreduktion. Aber: Ausdauersport in Maßen. Es geht nicht um Leistung, sondern um das Wohlergehen. E-Bikes sind dafür eine tolle Möglichkeit. Weil man sich dabei nicht stresst, wenn man den Berg rauf oder gegen den Wind fahren muss. Man kann die Ausdauerbewegung sehr gut dosieren. Und sie ist eine ausgezeichnete Quelle für Coping, Akzeptanz und eine bessere Lebensqualität.

Tipps für den Umgang mit Tinnitus

Zusätzlich zu den oben genannten Behandlungsansätzen gibt es einige praktische Tipps, die Betroffenen helfen können, mit ihrem Tinnitus besser umzugehen:

  • Vermeiden Sie Lärm: Schützen Sie Ihr Gehör vor lauten Geräuschen, indem Sie bei Bedarf Gehörschutz tragen.
  • Reduzieren Sie Stress: Finden Sie gesunde Wege, um Stress abzubauen, wie z.B. Sport, Entspannungsübungen oder Hobbys.
  • Schaffen Sie eine ruhige Schlafumgebung: Sorgen Sie für ein dunkles, ruhiges und kühles Schlafzimmer.
  • Vermeiden Sie Koffein und Alkohol: Diese Substanzen können Tinnitus verstärken.
  • Lenken Sie sich ab: Beschäftigen Sie sich mit Aktivitäten, die Ihnen Freude bereiten und Ihre Aufmerksamkeit vom Tinnitus ablenken.
  • Suchen Sie professionelle Hilfe: Sprechen Sie mit einem Arzt oder Therapeuten, wenn Sie unter Ihrem Tinnitus leiden.

Die Rolle von Stress bei Tinnitus

Es wird diskutiert, ob Tinnitus durch Stress ausgelöst werden kann. Der Zusammenhang ist jedoch unklar. Entspannungsmaßnahmen haben zumindest bisher keinen direkten Einfluss auf die Ohrgeräusche gezeigt. Stress kann jedoch eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Tinnitus spielen. Chronischer Stress kann das Nervensystem überlasten und die Wahrnehmung von Tinnitus verstärken. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Tinnitus häufiger unter Stress, Angstzuständen und Depressionen leiden.

Chronischer Stress als Einflussgröße bei Tinnituspatienten

Chronischer Stress als Einflussgröße bei Tinnituspatienten. Personen mit einem Tinnitus leiden häufiger an Angststörungen, Schlafstörungen oder Depressionen als Personen ohne Tinnitus. Diese Krankheiten können bereits bestehen, bevor der Tinnitus beginnt, infolge des Tinnitus entstehen und/oder diesen noch verstärken.

Stress bei der Tinnitusentstehung und -verarbeitung

Stress bei der Tinnitusentstehung und -verarbeitung. Tinnitus kann ein Anzeichen dafür sein, dass die Betroffenen überarbeitet, gestresst oder depressiv sind. Personen mit Tinnitus leiden häufig an Depressionen, Angststörungen oder anderen psychischen Krankheiten. Tinnitus und diese Begleiterkrankungen können sich hier auch gegenseitig verstärken, ohne dass zu klären ist, welches die eigentliche Ursache ist.

Lesen Sie auch: Schlaganfall und Tinnitus: Ein Überblick

Psychosomatische Belastungsfaktoren bei kompensiertem und dekompensiertem Tinnitus

Psychosomatische Belastungsfaktoren bei kompensiertem und dekompensiertem Tinnitus. Das Fibromyalgiesyndrom ist ein Symptomenkomplex aus Schmerzen und Erschöpfung ohne klare organische Ursache, das ebenfalls mit einem Tinnitus einhergehen kann.

Tinnitus und Hörminderung

Tinnitus und Hörminderung stehen in enger Verbindung. In über 90 Prozent der Fälle tritt ein Tinnitus in Verbindung mit Schwerhörigkeit auf. Häufig wird der Hörverlust von den Betroffenen jedoch gar nicht so empfunden, weil die Einschränkung durch den Tinnitus im Vordergrund steht. Vorübergehend kann auch eine Lärmbelastung einen Tinnitus auslösen. Menschen, die in einer lauten Umgebung arbeiten, zum Beispiel Arbeitskräfte in Fabriken, auf Baustellen oder Musikschaffende, können im Laufe der Zeit einen Tinnitus entwickeln, wenn die ständige Lärmbelastung winzige sensorische Haarzellen im Innenohr beschädigt. Daher ist es an Arbeitsplätzen mit Lärmbelastung vorgeschrieben, einen Gehörschutz zu tragen.

Schlechter hören wegen Tinnitus: Einfluss auf das Hörvermögen

Die Folgen von Tinnitus auf das Hören können von Person zu Person unterschiedlich sein. Zudem hängen sie von der Schwere der Erkrankung und individuellen Faktoren ab. Folgende Auswirkungen sind möglich9:

  • Überlagerung von Geräuschen: Die lauten Ohrgeräusche können andere Geräusche übertönen und die Wahrnehmung von Umgebungsgeräuschen erschweren.
  • Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme: Ein störender Tinnitus beeinträchtigt die Konzentration und erschwert es, sich auf Gespräche oder andere akustische Signale zu fokussieren.
  • Hörstörungen: Einige Menschen mit Tinnitus berichten von Schwierigkeiten, gewisse Frequenzen oder Töne zu hören. Dies führt unter Umständen dazu, dass sie bestimmte Worte oder Klänge nur undeutlich verstehen.
  • Hyperakusis: Bei manchen Tinnitus-Patienten tritt eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen auf.

Was tun bei Hörminderung mit gleichzeitigem Tinnitus?

Wenn es durch Tinnitus zu einem Hörverlust kommt, ist es wichtig, dass Du einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO-Arzt) kontaktierst, um eine genaue Diagnose zu erhalten und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Neben verschiedenen Therapien, Operationen oder Implantaten gibt es weitere Ansätze zur Behandlung von Tinnitus und Hörverlust. Die Vorgehensweise richtet sich nach der Ursache sowie dem Schweregrad der Symptome.

tags: #tinnitus #trotz #taubheit #ursachen