Polyneuropathie, eine Erkrankung, die mehrere periphere Nerven betrifft, kann verschiedene Ursachen haben und sich durch ein breites Spektrum an Symptomen äußern. Die Behandlung zielt darauf ab, die Grunderkrankung zu behandeln und die Symptome zu lindern. Neben systemischen Medikamenten spielt die topische Therapie, also die lokale Behandlung, eine wichtige Rolle bei der Linderung von Schmerzen und anderen Beschwerden. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die topischen Therapieoptionen bei Polyneuropathie, einschließlich ihrer Anwendungsbereiche, Wirkmechanismen und Evidenzlage.
Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN)
Chemotherapie und moderne Krebsmedikamente können in einigen Fällen Nervenschäden verursachen, die als "chemotherapieinduzierte Polyneuropathie" (CIPN) bezeichnet werden. Studien zufolge sind je nach Therapie bereits nach einem Monat bis zu 60 % der Patienten betroffen. Selbst sechs Monate nach Abschluss der Therapie gaben 30 % der Patienten, die eine potenziell neurotoxische Therapie erhalten hatten, an, eine CIPN entwickelt zu haben. Zytostatika, die am häufigsten eine CIPN verursachen, sind Platinderivate (z. B. Oxaliplatin, Carboplatin, Cisplatin), Vinca-Alkaloide (z. B. Vincristin), Taxane (z. B. Docetaxel, Paclitaxel), Proteasominhibitoren (z. B. Bortezomib, Carfilzomib) oder auch immunmodulatorische Arzneimittel (z. B. Thalidomid, Revlimid).
Der genaue Schädigungsmechanismus ist trotz zahlreicher Studien noch nicht vollständig geklärt, aber es wird davon ausgegangen, dass je nach Medikament unterschiedliche Mechanismen zum Tragen kommen (z. B. Beeinträchtigung intraepidermaler Nervenfasern, oxidativer Stress, anormale spontane Entladung/Ionenkanalaktivierungen, entzündungsfördernde Botenstoffe oder auch die Aktivierung des sogenannten Neuro-Immunsystems).
So vielfältig wie die diskutierten Schädigungsmechanismen sind die Beschwerden, mit denen Patienten bei einer CIPN allein oder in Kombination konfrontiert sein können. Am häufigsten sind sensible Neuropathien, die sich durch Empfindungsstörungen äußern (z. B. abgeschwächtes Empfinden = Hypästhesie; Kribbeln/Ameisenlaufen = Parästhesie; schmerzhaftes Überempfinden von Reizen = Hyperästhesie). Manche Patienten beschreiben auch ein verändertes Vibrationsempfinden, eine Störung des Lagesinns oder eine veränderte Tiefensensibilität. Bei Mitbeteiligung des motorischen Nervensystems kann es zu Paresen (Teilausfällen von Muskeln), Krämpfen oder auch zu einer Verschlechterung von Koordination, Gleichgewicht und Muskelkraft mit z. B. Gangunsicherheit und abgeschwächten Muskeleigenreflexen kommen.
Dies bedeutet für betroffene Patienten eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und führt darüber hinaus nicht selten zu Behandlungsverzögerungen, einer Dosisreduktion und letztlich sogar zu einem toxizitätsbedingten Abbruch der Therapie.
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Allgemeine Empfehlungen zur Vorbeugung von CIPN
Auch wenn es noch sehr wenige Studien zur Vorbeugung von CIPN gibt, macht es Sinn, bereits mit Beginn einer potenziell nervenschädigenden Therapie die Empfehlungen zur Bewegung und zum regelmäßigen Funktionstraining (s. u.) zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn zusätzliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer CIPN vorliegen. Zu den individuellen Risikofaktoren, die das Auftreten und die Ausprägung einer CIPN begünstigen können, zählen unter anderem Diabetes mellitus, Alkoholkonsum, Niereninsuffizienz, Schilddrüsenunterfunktion, Kollagenosen/Vaskulitiden oder eine Mangelernährung. Auch bei Patienten in der Altersgruppe > 75 Jahre geht man von einer erhöhten Empfindlichkeit des peripheren Nervensystems aus.
Achten Sie auf geeignetes Schuhwerk und untersuchen Sie Ihre Füße täglich auf Verletzungen und Druckstellen. Achten Sie auf eine konsequente Hautpflege. Je nach geplanter Therapie können bestimmte Verhaltensregeln beachtet werden: Bekommen Sie eine Therapie mit Oxaliplatin, sollten Sie Kälteexpositionen vermeiden. Tragen Sie z. B. Handschuhe bei kalten Außentemperaturen oder auch beim Hantieren im Kühl- oder Gefrierschrank. Für Taxan-haltige Therapien wurde hingegen ein potenziell schützender Effekt durch das Tragen von Kühlelementen begleitend zur Chemotherapie in Studien berichtet. Fragen Sie Ihren Onkologen, ob diese Form der Therapie ggf. angeboten werden kann. Erste Ergebnisse, dass evtl. auch eine Kompressionstherapie mit einem doppelten Paar chirurgischer Handschuhe hilfreich sein könnte, haben sich hingegen in neueren Studien nicht bestätigt.
Damit Ihr Onkologe richtig reagieren kann, ist es wichtig, zu jeder Therapiefortführung Verschlechterungen und Symptome zu berichten. Für einige Medikamente wurden speziell im Hinblick auf eine CIPN in Studien Dosisanpassungs-Algorithmen validiert, die sowohl höhergradige Neuropathien als auch einen Wirkverlust durch Therapiepausen oder vorzeitiges Absetzen verhindern sollen (bislang für Bortezomib und Thalidomid untersucht).
Einreibungen und äußere Anwendungen bei CIPN
Erfahrungsheilkundlich hat sich der Einsatz einiger Externa sehr bewährt. Hierzu zählen z. B.:
- Aconitöl (WALA®) bei schmerzender CIPN.
- Kupfersalbe rot (WALA®) bzw. WELEDA (Cuprum metallicum praeparatum 0,4% Salbe) bei kalten Füßen.
- Eukalyptus-Balsam 0,1 g/g bei heißen Füßen.
Topische Therapieoptionen
Capsaicin
Capsaicin ist ein Wirkstoff, der aus Chilischoten gewonnen wird und seit langem in der Naturheilkunde zur Schmerzlinderung eingesetzt wird. Es wirkt, indem es an Schmerzrezeptoren in der Haut bindet und eine "Defunktionalisierung" von schmerzleitenden Fasern bewirkt, die über mehrere Wochen anhält.
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Wirkmechanismus: Capsaicin bindet selektiv an TRPV1-Rezeptoren (Transient Receptor Potential Vanilloid 1) auf nozizeptiven Endigungen. Dies führt initial zu einer Übererregbarkeit der Nervenfasern mit Brennen, Hyperalgesie, Allodynie und Rötung durch Freisetzung vasoaktiver Substanzen. Langfristig führt die wiederholte Aktivierung der TRPV1-Rezeptoren zu einer Desensibilisierung der Nervenfasern und einer Reduktion der Schmerzempfindung.
Anwendung: In der S3-Leitlinie supportive Therapien bei onkologischen PatientInnen hat die topische Therapie der CIPN in Form einer 8%igen Pflastertherapie mit Capsaicin (z.B. Qutenza®, verschreibungspflichtig, Wiederholung nach 90 Tagen möglich) aus Chilischoten oder auch 5% Lidocain eine „kann“ Empfehlung erhalten und kann als Salvageoption erwogen werden. Niedrigere Konzentrationen <1% werden inzwischen nicht mehr empfohlen.
Evidenz: Der Effekt von hochdosiertem Capsaicin-Pflaster ist bei guter Verträglichkeit vergleichbar mit dem konventionell eingesetzter oraler Wirkstoffe. Eine Auswertung des Praxisregisters Schmerz zeigt, dass die Wirkung bei einer wiederholten Anwendung weiter ansteigen kann. Allgemein werden Capsaicinpflaster hinsichtlich ihres schmerzlindernden Effekts in verschiedenen Übersichtsarbeiten als vergleichbar zu anderen Therapieansätzen bewertet. Die S2k-Leitlinie „Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen“ empfiehlt das Hochdosispflaster als zweite Wahl zur Therapie neuropathischer Schmerzen, bei lokalisierten Schmerzen auch als Primärtherapie. Generell sollte die Therapie so früh wie möglich im Krankheitsverlauf begonnen werden.
Nebenwirkungen: Unter der Therapie können lokale Hautreaktionen wie Rötung, Brennen und Juckreiz auftreten.
Lidocain
Lidocain ist ein Lokalanästhetikum, das in Form von Pflastern zur topischen Behandlung von neuropathischen Schmerzen eingesetzt wird.
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Wirkmechanismus: Lidocain blockiert spannungsabhängige Natriumkanäle auf Nozizeptorafferenzen. Zudem bildet das Pflaster eine mechanische Barriere gegenüber äußeren Reizen mit Schutz vor Allodynie und Hyperalgesie.
Anwendung: Laut Leitlinie können Lidocainpflaster in der Therapie lokalisierter neuropathischer Schmerzen als zweite Wahl eingesetzt werden (bei postherpetischer Neuralgie gegebenenfalls als erste Wahl), bei allen anderen Neuropathien „off label“.
Evidenz: In mehreren offenen klinischen Studien konnte eine positive Wirkung von Lidocainpflastern bei DPN gezeigt werden, sodass der Einsatz grundsätzlich empfohlen wird.
Nebenwirkungen: Da nur etwa 3 % des Lidocains systemisch absorbiert werden, sind systemische Nebenwirkungen selten.
Menthol
Menthol ist ein Inhaltsstoff, der in vielen topischen Cremes und Salben enthalten ist und für seine kühlenden und schmerzlindernden Eigenschaften bekannt ist.
Anwendung: Mentholsalbe zweimal täglich auf die betroffenen Stellen (1%ig: 1,0 g Menthol in 100 g Basiscreme DAC).
Botulinumtoxin (BTX)
Botulinumtoxin ist ein Neurotoxin, das in niedriger Dosis zur Behandlung verschiedener Erkrankungen eingesetzt wird, darunter auch neuropathische Schmerzen.
Wirkmechanismus: Der schmerzlindernde Effekt intrakutaner Botulinumtoxin(BTX)-Injektionen entsteht durch verminderte Freisetzung proinflammatorischer Substanzen, Deaktivierung von Natriumkanälen und verminderten axonalen Transport mit Verhinderung einer peripheren und zentralen Sensibilisierung.
Evidenz: In einer Metaanalyse zweier Studien zur Behandlung der DPN wurde eine signifikante Schmerzreduktion gezeigt. Insgesamt wurde aufgrund der unzureichenden Datenlage eine Level-B-Empfehlung für BTX bei DPN ausgesprochen.
Weitere unterstützende Maßnahmen
Bewegung und Funktionstraining
Gemäß der aktuellen Leitlinie „soll“ onkologischen Patienten körperliche Aktivität unter und nach Abschluss der Krebstherapie empfohlen werden. Körperliche Inaktivität soll vermieden und wenn möglich auf das Ziel „mindestens 150 Minuten moderate Aktivität pro Woche“ (alternativ „mindestens 75 Minuten anstrengende Aktivität pro Woche“) hingearbeitet werden.
Wahrnehmung und Gleichgewicht schulen mit Hilfe von Entspannungsverfahren
Der Einsatz von Entspannungsverfahren zur Unterstützung bei Nebenwirkungen der onkologischen Therapie oder Begleiterscheinungen der Erkrankung ist zunehmend gut untersucht. In der S-3 Leitlinie supportive Therapien bei onkologischen PatientInnen wird im Rahmen der Empfehlungen zu Bewegung und Funktionstraining in der Prophylaxe und Therapie der CIPN auch der positive Effekt durch Tai-Chi im Training von Balance bei Älteren aufgeführt. Auch wenn es bislang noch keine Studien zu dieser Fragestellung gibt, macht es auf Grund der positiven Erfahrungen für Koordinationstraining und Balancetraining unserer Einschätzung nach auch Sinn alternative Formen der konzentrativen Bewegung zu nutzen (z.B. Yoga oder auch Achtsamkeitsbasierte Körperwahrnehmungsübungen). Darüber hinaus kann mit Hilfe von Entspannungsverfahren auch das vegetative Nervensystem geschult und ausgerichtet werden.
Der Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln in der Prävention und Therapie einer CIPN ist weiterhin unklar
Patienten nutzen häufig B-Vitamine zur Vorbeugung oder Behandlung einer Polyneuropathie. Auch wenn es erste Hinweise und theoretisch schlüssige Überlegungen zum potenziellen Nutzen von B-Vitaminen bei CIPN gibt, ist die wissenschaftliche Datenlage hierzu nicht ausreichend gut vorhanden. In der S3-Leitlinie Komplementärmedizin konnte daher keine Empfehlung für oder gegen die kombinierte Gabe von Vitamin B1 und B6 oder die isolierte Gabe von Vitamin B 12 zur Verzögerung des Auftretens oder zur Reduktion der Schwere von Neuropathien ausgesprochen werden. Gleichzeitig gehen die Experten davon aus, dass die zeitlich begrenzte Anwendung zumindest als unbedenklich eingestuft werden kann.
Patienten, die Vitamin B 12 auf Grund einer anderen Indikation (z.B. nach Magenentfernung) einnehmen müssen, sollten ebenso wie Patienten mit nachweislichen Mangelzuständen, die mittels Blutuntersuchung festgestellt wurden, nach Beratung mit ihrem Arzt behandelt werden (Empfehlung der S-3 Leitlinie: „[…] Eine Bestimmung des Serumspiegels sollte bei den folgenden Bestandteilen von Supplementen und Substituten vorgenommen werden: Vitamin B12, D, Selen. Ferner sollte eine Serumspiegel-Bestimmung erfolgen, sofern im Rahmen der Supplementation die empfohlene Dosis der DGE gezielt überschritten wird oder eine langfristige Einnahme vorgesehen ist“).
Umso mehr erachten wir es als sinnvoll auf eine ausgewogene Ernährung zu achten, um Mangelzuständen vorzubeugen. Die wasserlöslichen Vitamine der B 12 Gruppe (Cobalamine) kommen in tierischen Produkten wie z.B. in Hering, Eiern oder auch Milch an Eiweiß gebunden vor und spielen eine wichtige Rolle bei verschiedenen Stoffwechselvorgängen oder auch der Blutbildung. Vitamin B6 istz.B. in Vollkorngetreide, Haselnüssen oder auch Walnüssen enthalten. Vitamin B1 ist ebenfalls reichlich in Vollkornprodukten vorhanden. Auch Haferflocken, Saaten und Hülsenfrüchte sind gute Quellen für eine ausreichende Versorgung.
Auch L-Carnitin taucht immer wieder in Empfehlungen für onkologische Patienten auf. L-Carnitin kann vom gesunden Körper selbst gebildet werden und ist in der Regel ausreichend vorhanden. Es dient als Energiespeicher in den Zellen und wichtiger Schutzfaktor gegen oxidativen Stress durch freie Radikale. Auf Grund dieser Tatsache und auf Grund der Beobachtung, dass es während einer Chemotherapie zu Abnahmen des Carnitinspiegels kommen kann, steht L-Carnitin schon längere Zeit im Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Neben den Themen Erschöpfung, Müdigkeit und Gewichtsverlust, wurde auch die Wirkung auf periphere Neuropathien untersucht. Bislang ist die Studienlage nicht ausreichend, um im Hinblick auf die Anwendung bei Neuropathien eine Empfehlung auszusprechen, insbesondere auf Grund der Tatsache, dass es auch erste Hinweise auf eine mögliche negative Wirkung von L-Carnitin gibt. Die Leitlinie empfiehlt daher: „Carnitin soll nicht zur Verbesserung der perihpheren taxaninduzierten Neuropathie bei onkologischen Patienten empfohlen werden.“
Auch für Vitamin E wurde eine Negativempfehlung zur Vorbeugung und Therapie von CIPN ausgesprochen:“ Vitamin E soll nicht bei diesen Patienten zur Vorbeugung und Therapie von Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie empfohlen werden.“
Häufig fragen uns Patienten, ob alpha-Liponsäure zur Linderung oder auch zum Schutz vor CIPN eingesetzt werden sollte. Alpha-Liponsäure kommt auch in natürlichen Quellen vor (z.B. in Innereien, Spinat oder auch Brokkoli), allerdings nur in geringen Mengen bei einer sehr eingeschränkten Bioverfügbarkeit. Bereits in den 80ger Jahren hat man die alpha-Liponsäure als ein Antioxidans mit entzündungshemmenden Eigenschaften begonnen zu erforschen. In der aktuellen S-3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen wird alpha-Liponsäure nicht besprochen. Auf Grund der Tatsache, dass hohe Dosen an alpha-Liponsäure aufgrund der antioxidativen Wirkung zu einer Abschwächung der Effektivität von Chemo- und Strahlentherapie führen könnten, sollte von einer therapiebegleitenden Einnahme abgesehen werden. Aus diesen Gründen wurde in der aktuellen S3-Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen“ folgende Empfehlung formuliert: „Eine Prophylaxe der Chemotherapie induzierten Polyneuropathie mit Alpha-Liponsäure soll nicht erfolgen.“
Die Rolle der Alpha-Liponsäure bei diabetischer Polyneuropathie
Von den Therapiewegen, die pathogenetisch ansetzen, sprich gezielt einem Entstehungsmechanismus der diabetischen PNP entgegenwirken, kommt evidenzbasiert im klinischen Alltag bislang lediglich die Alpha-Liponsäure in Betracht. Für die Alpha-Liponsäure wurde eine Meta-Analyse von 4 Studien publiziert, die zeigt, dass die Infusionstherapie über 3 Wochen mit 600 mg/Tag (15 Infusionen) zu einem signifikanten Rückgang der neuropathischen Symptome wie Schmerzen, Parästhesien und Taubheitsgefühl führt. Die Responder-Raten lagen bei 52,7 % für Alpha-Liponsäure und 36,9 % für Placebo. Die SYDNEY 2-Studie zeigt, dass eine orale Therapie mit 600-1800 mg über 6 Wochen ebenfalls effektiv ist (unpublizierte Daten). Alpha-Liponsäure ist jedoch als rezeptfreie Substanz derzeit nicht erstattungsfähig.
Es gibt erste Studienergebnisse, die nahelegen, dass alpha-Liponsäure bei Polyneuropathie im Rahmen eines Diabetes mellitus hilfreich sein könnte. Langzeitdaten im Hinblick auf Wirksamkeit, Sicherheit und Unbedenklichkeit existieren nicht. Die häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Unterzucker. Die Forschungslage zur CIPN ist noch dürftiger, auch wenn es erste Hinweise aus kleinen Studien gibt, das evtl. Patienten unter einer Platin-haltigen Therapie im Gegensatz zu taxan-haltigen Therapien profitieren könnten, zeigten andere Studien keinen positiven Effekt.
Medikamentöse Therapie bei diabetischer Polyneuropathie
Bei neuropathischen Schmerzen stehen vor allem Antidepressiva, Antiepileptika, schwache und - als Ultima ratio - starke Opioide sowie physikalische Maßnahmen im Vordergrund. Das Therapiearsenal wurde zuletzt durch das Antidepressivum Duloxetin und durch das Antiepileptikum Pregabalin, einen spezifischen Blocker der Kalziumkanäle, bereichert.
Die Therapie der schmerzhaften diabetischen Neuropathie kann sich schwierig gestalten, da das direkte Ansprechen auf eine Einzelsubstanz häufig nicht zu erwarten ist. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass multiple Mechanismen beim Entstehen neuropathischer Schmerzen beteiligt sind. Die therapeutische Palette wurde in den vergangenen Jahren durch die Einführung neuer effektiver Substanzen signifikant vergrößert, so dass zunehmend spezifische differentialtherapeutische Kenntnisse bezüglich der Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Substanzen erforderlich sind. Die derzeit relevanten Optionen der Pharmakotherapie zeigt Tabelle 1. Die Wirkungslosigkeit des Medikamentes sollte erst nach mindestens 2 - 4 Wochen Therapie bei ausreichender Dosierung beurteilt werden.
Das Therapiearsenal zur Linderung des neuropathischen Schmerzes wurde zuletzt durch das Antidepressivum Duloxetin ( einen sogenannten selektiven Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor - SSNRI) und durch das Antikonvulsivum Pregabalin, einen spezifischen Blocker der betimmten Untereinheit der Kalziumkanäle deutlich bereichert. Im Gegensatz zu vielen anderen Substanzen zeichnen sich die beiden Letztgenannten unter evidenzbasierten Gesichtspunkten durch eine gut abgesicherte Datenlage zur Wirksamkeit und Verträglichkeit aus.
Duloxetin ist ein selektiver SSNRI, der seit Juli 2005 zur Therapie der schmerzhaften diabetischen Neuropathie zugelassen ist. Die Substanz wirkt, indem sie bestimmte hemmende absteigende Nervenbahnen aktiviert. Die Wirksamkeit und Sicherheit dieses Antidepressivums wurde in drei kontrollierten Studien in einer Dosierung von 60 und 120 mg/Tag über 12 Wochen evaluiert. In allen drei Studien ließ sich der über 24 Stunden gemittelte Schmerz signifikant mit beiden Dosierungen im Vergleich zu Placebo reduzieren, wobei der Unterschied zwischen Duloxetin und Placebo bereits nach 1 Woche signifikant deutlich wurde. Die Responder-Raten (= Patienten, die auf die Behandlung ansprachen) definiert als Schmerzreduktion > 50 % lagen bei 48,2 % (120 mg), 47,2 % (60 mg) und 27,9 % (Placebo). Somit zeigt die Substanz bereits nach 1 Woche in der Dosis von 60 mg/Tag einen Effekt. Eine Dosissteigerung auf 120 mg/Tag bewirkt im Mittel eine nur marginal stärkere Schmerzreduktion, sollte aber bei nicht ausreichender Wirkung bei guter Verträglichkeit individuell versucht werden. Die häufigsten Nebenwirkungen von Duloxetin (60/120 mg/Tag) sind Übelkeit (16,7/27,4 %), Schläfrigkeit (20,2/28,3 %), Schwindel (9,6/23 %), Verstopfung 14,9/10,6 %), Mundtrockenheit (7,1/15 %), reduzierter Appetit (2,6/12,4 %). Diese Nebenwirkungen sind in der Regel mild bis mäßig ausgeprägt und vorübergehend. Im Gegensatz zu Antidepressiva aus der Klasse der trizyklischen Antidepressiva und einigen Antiepileptika führt Duloxetin nicht zu einer Gewichtszunahme. Obgleich in den o.g. Studien keine langsame Dosisanpassung auf 60 mg/Tag vorgenommen wurde, empfiehlt sich eine Startdosis von 30 mg mit weiterem Steigern auf 60 mg nach 4 - 5 Tagen, um initiale Nebenwirkungen zu minimieren.
Die bislang eingesetzten trizyklischen Antidepressiva (TCA) sind aufgrund hoher Nebenwirkungsraten (Dämpfung und Müdigkeit, Gewichtszunahme, Mundtrockenheit, Beschwerden beim Wasserlassen, Kardiotoxizität) bei vielen Patienten, insbesondere bei mehrfachen Krankheiten problematisch. Amitriptylin zeigt möglicherweise die stärkste Wirkung, die mediane Dosis liegt bei 75 mg und es besteht eine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung. Der Effekt ist bei Patienten mit und ohne Depression vergleichbar und tritt unabhängig von einer gleichzeitigen Stimmungsaufhellung auf.
Für Pregabalin wurde die therapeutische Wirksamkeit und Sicherheit kürzlich in einer gepoolten Analyse von 6 Studien über 5 - 11 Wochen bei 1.346 Diabetikern mit schmerzhafter Neuropathie untersucht. Die Responder-Raten mit Schmerzreduktion > 50% lagen bei 46 % (600 mg), 39 % (300 mg), 27 % (150 mg) und 22 % (Placebo). Die häufigsten Nebenwirkungen unter 150 - 600 mg/Tag sind Schwindel (22,0 %), Schläfrigkeit (12,1 %), periphere Wassereinlagerung (10,0 %), Kopfschmerzen (7,2 %) und Gewichtszunahme (5,4 %). Da die Studienlage für Pregabalin bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie im Vergleich zu dem Wirkstoff Gabapentin deutlich solider ist und die Anpassung der Dosis erheblich vereinfacht ist, sollte Pregabalin der Vorzug gegeben werden. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Gabapentin in der Praxis mit 300 - 900 mg/Tag häufig unterdosiert wird.
Carbamazepin kann aufgrund einer unzureichenden Studienlage nicht empfohlen werden. Die Nachfolgesubstanz Oxcarbazepin ist strukturell ähnlich, wird jedoch unterschiedlich verstoffwechselt und zeigt bei Patienten mit Epilepsie ein verbessertes Sicherheitsprofil. In einer kürzlich publizierten Studie über 16 Wochen wurde Oxcarbazepin ausgehend von einer Initialdosis von 300 mg/Tag bis zur Maximaldosis von 1800 mg/Tag titriert. Die Responder-Raten lagen bei 35,2 % (Oxcarbazepin) und 18,4 % (Placebo). Die häufigsten Nebenwirkungen in der 4-wöchigen Titrationsphase bzw. Zieldosisphase waren Schwindel (44,9/12,7 %), Kopfschmerzen (24,6/9,0 %), Übelkeit (23,2/3,6 %), Somnolenz (11,6/9,0 %), Müdigkeit 11,6/5,5 %), Erbrechen (8,7/3,6 %), Durchfälle (8,7/1,8 %) und Sehstörungen (8,7/1,8 %). Weitere Studien werden zeigen, ob diese Substanz zugelassen werden kann.
Das schwache Opioid Tramadol kann auch in der Akutbehandlung von neuropathischen Schmerzen eingesetzt werden. Stärkste neuropathische Schmerzen erfordern den Einsatz von starken Opioiden wie Oxycodon. Obwohl keine Daten zur Kombinationstherapie vorliegen, sind in der Praxis häufig Kombinationen verschiedener Substanzklassen bei therapieresistenten Schmerzen unumgänglich. Eine kürzlich publizierte Studie untersuchte die maximal tolerable Dosis einer Kombinationsbehandlung von Gabapentin und Morphin im Vergleich zur Monotherapie. Die maximal tolerable Dosis war in der Kombination bei besserer Wirksamkeit signifikant niedriger als in der Monotherapie. Dies lässt auf eine additive Interaktion dieser Substanzen schließen.
Nicht-pharmakologische Therapieoptionen wie die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) sollten stets mitberücksichtigt werden, da sie praktisch frei von Nebenwirkungen sind und von Patienten vielfach bevorzugt werden. Wir konnten kürzlich einen günstigen Effekt einer hochfrequenten Muskelstimulation im Vergleich mit TENS auf die neuropathischen Symptome nach 3 Behandlungstagen nachweisen. Unter einer Frequenz-modulierten elektromagnetischen Nervenstimulation (FREMS) mit 10 Behandlungen über maximal 3 Wochen ließen sich die neuropathischen Schmerzen im Vergleich zur Placebo-Stimulation signifikant reduzieren. Für Akupunktur liegen bislang keine kontrollierten Studien bei neuropathischen Schmerzen vor.
Abschließend sei nochmals betont, dass die Kunst einer effektiven Schmerztherapie in einer möglichst guten Schmerzlinderung bei gleichzeitig minimalen Nebenwirkungen besteht.
Neuere Therapieansätze
Verschiedene neue Therapieansätze durchlaufen zur Zeit Phase-2- und Phase-3-Studien und geben Hoffnung auf neue Behandlungsoptionen innerhalb der kommenden fünf bis zehn Jahre. Die Gentherapie mit Engensis (VM202), die sich positiv auf die Nervenregeneration und die Durchblutung auswirken und deren analgetischer Effekt bis zu acht Monate nach der Injektion anhalten soll. Dem Gabapentinoid Mirogabalin wird - bei gleichem Nebenwirkungsprofil - eine bessere Reduktion des Schmerzniveaus und eine höhere Potenz als Pregabalin zugeschrieben. Andere Behandlungsstrategien setzen auf das Modulieren nozizeptiver Signalwege (z. B. durch LX9211 oder das Small Molecule NRD.E1) oder topische Anticholinergika (z. B. Pirenzepin, Oxybutinin), die im Tiermodell Schmerzen lindern und möglicherweise die Nervenfaserdichte erhöhen.
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