Die neurologische topische Diagnostik nach Bähr ist ein entscheidender Ansatz zur Lokalisation von Läsionen im Nervensystem anhand klinischer Symptome. Sie ermöglicht es, die betroffenen Hirnareale oder Nervenbahnen zu identifizieren und somit die Ursache neurologischer Ausfallerscheinungen einzugrenzen.
Einführung
Die neurologische topische Diagnostik ist von großer Bedeutung bei der Beurteilung neurologischer Erkrankungen, insbesondere bei plötzlich auftretenden Ereignissen wie Schlaganfällen. Ein Schlaganfall ist ein Ereignis, das plötzlich und ohne Vorwarnung auftritt und zu fokal-neurologischen Defiziten führt, d. h. zu klinisch fassbaren Symptomen. Das Auftreten im Schlaf ist möglich, und die Symptome können sehr unterschiedlich sein.
Epidemiologie des Schlaganfalls
Schlaganfälle stellen in den westlichen Industrienationen ein erhebliches Gesundheitsproblem dar. In Deutschland sind sie die dritthäufigste Todesursache. Jährlich ereignen sich etwa 200.000 Schlaganfälle und 66.000 wiederholte Schlaganfälle (Stand 2008). Die Betreuung von Schlaganfallpatienten stellt eine erhebliche Belastung für die Patienten und ihre Angehörigen dar. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Bedeutung von Schlaganfällen in den kommenden Jahren stark zunehmen (Heuschmann et al. 2010).
Ursachen von Schlaganfällen
Die Ursachen eines Schlaganfalls sind heterogen. Die häufigste Ursache ist mit ca. 80 % ein Hirninfarkt, der durch eine Mangeldurchblutung des Gehirns verursacht wird. Seltener sind Hirnblutungen (ca. 15 %) die Ursache. In seltenen Fällen können auch andere Ursachen, wie z. B. Sinusvenenthrombosen (Inzidenz: 6-12/100.000/Jahr) oder Subarachnoidalblutungen (ca. 5 %; Inzidenz 1/100.000/Jahr) (Hufschmidt et al. 1992), einen Schlaganfall auslösen.
Ischämische Insulte
- Infarkte durch Atherosklerose der extrakraniellen Hirnarterien (ca. 20 %)
- Kardioembolische Infarkte, die aus dem Herzen stammen, z. B. Embolie
- Andere gesicherte Insult-Ursachen, z. B. Dissektionen
- Kryptogener Insult (ca. 30 %)
- Seltene Ursachen und konkurrierenden Ursachen, machen ca. 5 % aus.
Hämorrhagische Insulte
- Tiefe Stammganglienblutungen
- Lobärblutungen
Risikofaktoren für Schlaganfälle
Eine Vielzahl von Risikofaktoren beeinflusst das Auftreten von Schlaganfällen. Einige Risikofaktoren sind nicht beeinflussbar, wie z. B. das Alter. Ab dem 55. Lebensjahr verdoppelt sich das Schlaganfallrisiko alle zehn Jahre. Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle. Haben beispielsweise Eltern oder Geschwister bereits einen Insult erlitten, so ist das Insultrisiko ebenfalls verdoppelt.
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Andere Risikofaktoren sind jedoch beeinflussbar und sollten optimal eingestellt sein, um einem Schlaganfall vorzubeugen. Zu den wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren zählen:
- Arterielle Hypertonie: Ein erhöhter Blutdruck ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für Schlaganfälle. Ein schlecht eingestellter Blutdruck kann das Schlaganfallrisiko bis zu sechsfach erhöhen. Daher sollte der Blutdruck optimalerweise unter 135/85 mmHg liegen. Es sollten jedoch individuelle Zielwerte angestrebt werden, wenn dies vom Patienten toleriert wird. Es ist wichtig zu beachten, dass Ausdauersport den Blutdruck nicht adäquat senken kann.
- Hypercholesterinämie: Eine Erhöhung der Blutfettwerte (Hypercholesterinämie) kann das Insultrisiko verdoppeln. Besonders wichtig ist der Wert des LDL-Cholesterins. Dieser sollte bei Hochrisikopatienten unter 70 mg/dl liegen (DGN 2008).
- Diabetes mellitus: Ein Diabetes mellitus erhöht das Schlaganfallrisiko insbesondere, wenn noch andere Risikofaktoren vorliegen.
- Nikotinabusus: Rauchen erhöht das Schlaganfallrisiko nicht additiv, sondern potenzierend. Studien haben gezeigt, dass Raucher ein um 79 % erhöhtes Schlaganfallrisiko haben (Wolf et al. 1991).
- Vorhofflimmern: Vorhofflimmern ist eine Herzrhythmusstörung, die das Schlaganfallrisiko erhöht und konsequent zu behandeln ist.
Bildgebung bei Schlaganfällen
Die Bildgebung spielt eine entscheidende Rolle bei der Diagnostik von Schlaganfällen. Mithilfe der Computertomografie (CT) oder der Magnetresonanztomografie (MRT) können ischämische Infarkte und Hirnblutungen nicht unterschieden werden. Eine CT-Angiographie kann durchgeführt werden, um Gefäßverschlüsse zu identifizieren.
Eine Hirnblutung kann zu einem erhöhten Hirndruck und damit zur Bewusstseinsstörung führen. Auch raumfordernde Infarkte können entstehen und so zur Bewusstseinsstörung führen. Daher ist eine schnelle Bildgebung erforderlich. Die Bildgebung hat auch eine große Bedeutung in der Entstehung und Zuordnung der Symptomatik.
Topische Diagnostik der Hirnarterien
Die Hirnversorgung erfolgt über zwei Hauptstromkreise: den vorderen und den hinteren Stromkreislauf. Der vordere Stromkreislauf wird durch die Aa. carotides internae gespeist, die sich in die A. cerebri media und A. cerebri anterior teilen, die ca. 2/3 des Großhirns versorgen. Der hintere Stromkreislauf wird durch die Aa. vertebrales gebildet. Die zwei Aa. vertebrales vereinigen sich zur A. basilaris, die sich in die zwei Aa. cerebri posteriores teilt. Die vorderen und hinteren Stromkreise kommunizieren über die A. communicans posterior und die A. communicans anterior und speisen sich gegenseitig ([Abb. 1]).
A. cerebri media (ACM)
Am häufigsten ist das Stromgebiet der A. cerebri media (ACM) von ischämischen Insulten betroffen. Die ACM versorgt einen großen Teil des Großhirns. Ca. 50 % aller ischämischen Schlaganfälle treten in diesem Stromgebiet auf.
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Klinische Symptomatik:
- Plötzlich auftretende sensomotorische brachiofazial betonte Hemiparese (halbseitige Lähmung, wobei Arm und Gesicht stärker betroffen sind als das Bein)
- Sensibilitätsstörungen (halbseitig betroffen)
- Aphasie (Sprachstörung), wenn die dominante Hemisphäre betroffen ist
- Apraxie (Verlust der Fähigkeit, zielgerichtete Handlungen auszuführen; Handlungsabläufe, die nicht mehr sinnvoll aufeinander folgen)
- Neglect (Vernachlässigung einer Körperhälfte; Störung des Körperschemas, die Krankheit wird nicht wahrgenommen)
Ein ausgedehnter Infarkt im Stromgebiet der A. cerebri media kann infolge einer Hirnschwellung zu einer Einklemmung des Gehirns führen.
A. cerebri anterior (ACA)
Im Falle eines Infarkts im Versorgungsgebiet der A. cerebri anterior (ACA) sind vor allem die unteren Extremitäten betroffen.
A. cerebri posterior (ACP)
Ein Infarkt im Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior (ACP) oder einem ihrer Äste kann zu verschiedenen Symptomen führen.
Klinische Symptomatik:
- Homonyme Hemianopsie (Ausfall des Gesichtsfeldes zur gleichen Seite beider Augen; Störung des Sehens)
- Sehstörung bzw. Gesichtsfeldausfälle, da die ACP den visuellen Kortex versorgt. Eine homonyme Anopsie ist die Folge.
- Hirnstammsymptome
- Schwindel
- Gleichgewichtsstörungen
- Neuropsychologische Defizite möglich.
A. basilaris
Ein Verschluss der A. basilaris kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, da sie den Hirnstamm und das Kleinhirn versorgt.
Klinische Symptomatik:
- Dysarthrie (Sprechstörung)
- Schluckstörung
- Bewusstseinsstörung
- Kognitive Defizite
- Locked-in-Syndrom (vollständige Lähmung bei erhaltenem Bewusstsein)
Die Symptome können unterschiedlich ausfallen.
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Stammganglienblutung
Eine Stammganglienblutung tritt im Bereich des Versorgungsgebietes der A. lenticulostriata auf. Klinisch können ähnliche Symptome wie beim oben beschriebenen Media-Syndrom auftreten.
Weitere Ursachen für neurologische Ausfälle
Neben ischämischen Infarkten und Hirnblutungen können auch andere Ursachen zu neurologischen Ausfällen führen, wie z. B. eine Subarachnoidalblutung oder eine Hirnvenenthrombose (Bamford et al. 1991, Hufschmidt et al. 1992).
Therapie
Das Ziel der Therapie bei Schlaganfällen ist es, die Durchblutung des Gehirns so schnell wie möglich wiederherzustellen und das Ausmaß der neurologischen Ausfallerscheinungen möglichst gering zu halten.
Schlussfolgerung
Die neurologische topische Diagnostik ist ein unverzichtbares Werkzeug für Neurologen, um die Ursache neurologischer Symptome zu ermitteln und die bestmögliche Behandlung einzuleiten. Die Kenntnis der typischen Symptomkonstellationen bei Läsionen der verschiedenen Hirnareale und Nervenbahnen ermöglicht eine schnelle und gezielte Diagnosestellung.
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