Vagusnerv-Übungen: Entspannung und Resilienz im Alltag

In unserer schnelllebigen und herausfordernden Welt ist es von entscheidender Bedeutung, Strategien zur Entspannung und Stressbewältigung zu entwickeln. Der Vagusnerv, ein zentraler Bestandteil unseres Nervensystems, spielt hierbei eine Schlüsselrolle, indem er Körper und Geist miteinander verbindet. Durch gezielte Übungen zur Stimulation des Vagusnervs können wir unser Stressniveau reduzieren, innere Ruhe fördern und unsere körperliche und geistige Gesundheit verbessern.

Was ist der Vagusnerv?

Der Vagusnerv (Nervus vagus) ist der zehnte von zwölf Hirnnerven und gilt als der wichtigste, da er das Gehirn mit fast allen Organen verbindet und einen direkten Einfluss auf unser Wohlbefinden hat. Er entspringt im Hirnstamm und zieht sich durch Hals und Brust bis in den Bauchraum, wobei er sich zu verschiedenen Organen wie Herz, Lunge, Leber, Milz und dem gesamten Verdauungstrakt verzweigt. Der Name "Vagus" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "umherziehend", was seine weitreichende Präsenz im Körper widerspiegelt.

Als Teil des parasympathischen Nervensystems ist der Vagusnerv für die Regeneration und Entspannung zuständig, im Gegensatz zum Sympathikus, der den Körper bei Stress zu Höchstleistungen anregt. Er beeinflusst maßgeblich Herzfrequenz, Atmung und Verdauung. Darüber hinaus umfasst der Nervus vagus somatosensible (für die Wahrnehmung bewusster Körperempfindungen wie Schmerzen) und viszerosensible Nervenfasern (für die Wahrnehmung unbewusster Körperempfindungen, wie Lungenspannung oder Geschmack am Zungengrund), die kontinuierlich Informationen zwischen Gehirn und ihren Endpunkten austauschen.

Auswirkungen auf die Gesundheit

Der Vagusnerv beeinflusst zahlreiche Körperfunktionen, von der Steuerung der Herzfrequenz und Verdauung bis hin zur Regulation von Entzündungsreaktionen. Eine aktive Kommunikation zwischen diesem Nerv und dem Gehirn kann die Stimmungsregulation verbessern und Angstzustände reduzieren. Umgekehrt kann ein schwacher Vagusnerv die Anfälligkeit für Erkrankungen wie Verdauungsbeschwerden, Übelkeit, Schluckstörungen, Herz-Kreislauf-Probleme bis hin zu Schlaganfällen sowie psychische Belastungen, Konzentrationsprobleme, Depressionen und Angstzustände erhöhen.

Die Beschäftigung mit der Emotion Angst ist zentral für eine starke Resilienz. Psychologisch betrachtet, signalisiert uns Angst, dass ein Gefühl der Unsicherheit besteht. Angst wird dysfunktional, wenn sie uns beherrscht und den Zugriff auf unsere Fähigkeiten blockiert. Aus medizinischer Sicht spielt der Vagusnerv eine zentrale Rolle bei unserem Angstempfinden, und einfache Übungen zur Stimulation des Nervs können Angst reduzieren.

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Übungen zur Stimulation des Vagusnervs

Hier sind drei einfache Übungen, mit denen Sie Ihren Vagusnerv stimulieren können:

1. Tiefe Atmung

Die Atmung ist ein zentraler Schlüssel für mehr Wohlbefinden. Wir haben sie immer dabei und können durch gezielte Atemtechniken, unabhängig von äußeren Bedingungen, unseren Vagusnerv stimulieren. Atmen Sie tief in den Bauch ein, sodass sich das Zwerchfell senkt und der Bauch sich leicht nach außen wölbt. Zählen Sie dabei bis vier, halten Sie den Atem kurz an und atmen Sie langsam aus, während Sie bis sechs zählen. Wiederholen Sie dies mehrmals. Diese Atemtechnik kann die Herzratenvariabilität erhöhen, was ein Zeichen für eine aktive Vagusnerv-Funktion ist. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Atemübungen - probieren Sie aus, welche gut zu Ihnen passt. Wichtig für die Stimulation des Vagusnervs ist, dass die Ausatmung lang und langsam ist.

Box-Atmung (Vier-Quadrat-Atmung)

Eine weitere Atemübung ist die Box-Atmung, auch bekannt als Vier-Quadrat-Atmung. Hierbei wird in vier Schritten geatmet, wobei jeder Schritt vier Sekunden dauert:

  • Einatmen (4 Sekunden)
  • Luft anhalten (4 Sekunden)
  • Ausatmen (4 Sekunden)
  • Luft anhalten (4 Sekunden)

Diese Übung, die von Mark Divine während seiner Ausbildung zum Navy SEAL entwickelt wurde, soll helfen, Stresssituationen auch in Kampfsituationen zu meistern. Bewusstes tiefes Ein- und Ausatmen, vor allem in den Bauchraum, senkt die Herzfrequenz und das Stresslevel. Die vertieften Atemzüge erhöhen die Empfindlichkeit von sogenannten Barorezeptoren, Drucksinneszellen in den Gefäßwänden.

2. Kalte Gesichtsdusche

Wenn kaltes Wasser auf das Gesicht trifft, wird eine Reaktion ausgelöst, die als Tauchreflex bekannt ist. Dieser Reflex ist ein uralter Mechanismus, der den Körper auf das Tauchen in kaltem Wasser vorbereitet. Der Herzschlag verlangsamt sich, die Blutgefäße in den Extremitäten verengen sich, und der Körper konzentriert sich darauf, lebenswichtige Organe mit Blut zu versorgen. Diese Reaktion wird durch den Vagusnerv vermittelt und führt zu einer erhöhten parasympathischen Aktivität, die uns hilft, uns zu entspannen und zu beruhigen.

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Es braucht also nicht direkt das „Eisbaden“ (Wim-Hof-Methode), sondern es hilft bereits Folgendes: Füllen Sie eine Schüssel mit kaltem Wasser. Wenn Sie möchten, können Sie dem Wasser Eiswürfel hinzufügen, um die Temperatur weiter zu senken. Halten Sie Ihren Atem an und tauchen Sie Ihr Gesicht für einige Sekunden in das kalte Wasser. Wenn dies zu intensiv ist, beginnen Sie mit kürzeren Zeiträumen und steigern Sie diese allmählich. Wiederholen Sie den Vorgang mehrmals, um die stimulierende Wirkung auf den Vagusnerv zu maximieren. Integrieren Sie diese Praxis in Ihre tägliche Routine, idealerweise am Morgen, um einen erfrischten Start in den Tag zu ermöglichen, oder abends, um den Stress des Tages abzubauen und sich auf eine ruhige Nacht vorzubereiten.

3. Singen, Summen, Gurgeln

Durch Tätigkeiten wie Gesang, Summen oder Gurgeln werden unsere Stimmbänder aktiviert und die Muskeln des hinteren Teils des Kehlkopfs, wo der Vagusnerv verläuft. Das Schöne dabei ist: Sie sind nicht nur einfach durchzuführen, sondern können, auch gemeinsam, besonders viel Spaß machen! Ein Argument mehr, um häufiger in Schulen und auch Seminaren im Rahmen der Erwachsenenbildung zu singen! :-) Dadurch wird letztlich die Konzentration und Aufnahmefähigkeit im Gehirn gesteigert, Stress reduziert und durch gemeinschaftliche Aktivitäten angenehme Emotionen,wie Freude und Verbundenheit, gestärkt!

Singen Sie Ihre Lieblingslieder, vor allem solche mit vielen Vokalen wie A, O und U. Meditierende Mönche nutzen seit Jahrhunderten das "Ooommmm". Weihnachtslieder wie "O du fröhliche" oder Wiegenlieder wie "Der Mond ist aufgegangen" können einen ähnlichen Effekt haben. Die beiden Äste des Vagusnervs verlaufen auf beiden Seiten des Halses entlang von Kehlkopf und Luftröhre.

Weitere Möglichkeiten zur Stimulation des Vagusnervs im Alltag

Neben den genannten Übungen gibt es weitere Möglichkeiten, den Vagusnerv im Alltag zu aktivieren:

  • Kaltes Duschen: Mäßige Kälte aktiviert den Vagusnerv. Regelmäßiges Duschen mit kaltem Wasser erhöht daher die Entspannungsfähigkeit des Körpers, führt zu einer verbesserten Stimmung und einer gesteigerten Stressresistenz. Gewöhnen Sie sich langsam an kühlere Temperaturen und duschen Sie sich anfangs beispielsweise nur kurz kalt ab.
  • Kühles Wasser trinken: Auch das Trinken von kühlem Wasser kann den Vagusnerv aktivieren. Der Körper reagiert auf die Kälte und aktiviert das parasympathische Nervensystem, was zu einer schnelleren Beruhigung führt. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist ohnehin wichtig für eine gute Gesundheit, warum also den Wasserhahn nicht etwas kühler stellen oder ein, zwei Eiswürfel ins Wasser geben.
  • Akupressurmatte nutzen: Die ersten Male auf einer Akupressurmatte können unangenehm sein, da die mit kleinen Spitzen ausgestattete Matte auf verschiedene Akupressurpunkte auf der Haut drückt - einschließlich solcher, die mit dem Vagusnerv verbunden sind. Sich anfangs mit einem T-Shirt auf die Matte zu legen, hilft, um sich an den Druck zu gewöhnen. Es wird aber nicht lange dauern, bis die Entspannung auch auf nackter Haut zu spüren und zu genießen ist.
  • Selbstmassage: Legen Sie beide Handflächen seitlich außen an den Hals und streichen Sie mit sanften, kreisenden Bewegungen zwischen Ohr und Schulterübergang über die Haut. Der Vagusnerv verläuft seitlich am Hals entlang, was dies zu einer idealen Stelle macht, um ihn von außen durch leichten Druck anzuregen.
  • Kopf drehen: Drehen Sie den Kopf einmal langsam nach links und fixieren Sie mit den Augen etwas in nächster Nähe. Drehen Sie dann den Kopf langsam nach rechts und stellen Sie ebenfalls kurz einen Gegenstand mit den Augen scharf.
  • Augenbrauen heben: Wer mit den Ohren wackeln kann, findet hier vielleicht seine Lieblingsübung. Heben Sie die Augenbrauen und bewegen Sie dabei die Ohren. Der Schläfenmuskel aktiviert den siebten Hirnnerv (N. facialis), der mit dem Vagusnerv verbunden ist.
  • Akkommodieren: Akkommodation beschreibt die Fähigkeit des Auges, Gegenstände in unterschiedlichen Entfernungen scharf zu sehen. Mit dieser Übung trainieren Sie Ihre Augenmuskeln und regen gleichzeitig den Vagusnerv an. Strecken Sie jeweils einen Finger der rechten und einen Finger der linken Hand unterschiedlich weit von sich weg und versuchen Sie, diese mit den Augen abwechselnd scharf zu stellen. Wenn das gut funktioniert, dann können Sie auch mit den Augen „Achten“ um die beiden Finger beschreiben. Das verstärkt den Trainingseffekt. Zum Scharfstellen der Linse sind beim Sehen drei Muskeln sehr wichtig: die haarfeinen, ringförmig an der Augenlinse ansetzenden Ziliarmuskeln, der Pupillenschließmuskel und die äußeren Augenmuskeln. Alle drei kommunizieren mit dem Vagusnerv.
  • Akupressur: Für eine Selbst-Akupressur den Punkt in der Ohrmuschel, der mit dem Vagusnerv in Verbindung steht, 30 Sekunden drücken und wieder loslassen. Mehrmals wiederholen. In der Vorstellung der Traditionellen Chinesischen Medizin kann der Druck auf bestimmte Punkte am Körper Blockaden lösen, die den Energiefluss im Körper stören.
  • Ausgleich mit Lavendel: Ätherisches Lavendelöl hilft in stressigen Zeiten, abzuschalten. In Apotheken gibt es Lavendelöl in Kapseln zum Einnehmen oder als ölige Lösung zum Einreiben. Tragen Sie einige Tropfen auf die Handgelenke oder auf die Brust auf und atmen Sie ein.

Wozu lohnt es sich, den Vagusnerv zu aktivieren?

Die regelmäßige Durchführung dieser Übungen kann zu einer Reihe von positiven Gesundheitseffekten führen, darunter:

Lesen Sie auch: Den Vagusnerv aktivieren

  • Verringerung von Stress und Angst
  • Verbesserung der Stimmung und des emotionalen Wohlbefindens
  • Stärkung des Immunsystems
  • Verbesserung der Herzgesundheit
  • Förderung der Verdauung

Indem wir unseren Vagusnerv stärken, investieren wir in unsere Gesundheit und individuelle Resilienz. Diese einfachen Übungen können einen großen Unterschied in unserem täglichen Leben machen, indem sie uns helfen, gelassener zu bleiben, besser mit Herausforderungen umzugehen und unser allgemeines Wohlbefinden zu steigern.

Vagusnervstimulation in der Forschung

Die Vagusnervstimulation wird auch in der medizinischen Forschung untersucht und bereits gezielt eingesetzt, beispielsweise bei Depressionen. Dabei wird der Nerv mithilfe von Elektroden durch Strom gereizt. In Zukunft könnten eventuell auch bestimmte Formen der Epilepsie, Migräne oder chronische Schmerzen so behandelt werden.

Am Uniklinikum Tübingen wird die Vagusnervstimulation in Studien erforscht und dafür eine elektronische Stimulation über das Ohr genutzt. Über die Elektrode läuft ein spezielles Programm ab, das eine gewisse Abfolge an Impulsen vorgibt. In einigen Studien wird die Stimulation auch mit einem funktionellen MRT kombiniert, das die Aktivität des Gehirns in Echtzeit sichtbar macht. So kann überprüft werden, ob die Stimulation das Gehirn wie gewünscht über den Hirnstamm beeinflusst und tatsächlich der Vagusnerv stimuliert wird. Derzeit geht man aufgrund der Studienlage davon aus, dass diese professionelle Vagusnervstimulation Personen helfen kann, die unter Antriebslosigkeit, Depressionen, Epilepsie oder auch Störungen im Stoffwechsel oder der Verdauung leiden. Zudem könnte die Stimulation bei Trägheit oder Fatigue helfen. Bei diesen Erkrankungen kann es sinnvoll sein, die Informationsweiterleitung im Körper wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

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