Fibromyalgie-Behandlung in der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Würzburg: Neue Erkenntnisse und Therapieansätze

Das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) spielt eine führende Rolle in der Erforschung und Behandlung des Fibromyalgie-Syndroms (FMS). Die Neurologische Klinik unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia Sommer und Prof. Dr. Nurcan Üçeyler hat bedeutende Fortschritte erzielt, die das Verständnis der Erkrankung verbessern und neue Therapieansätze eröffnen.

Was ist Fibromyalgie?

Das Fibromyalgie-Syndrom (FMS) ist eine chronische Erkrankung, die durch weit verbreitete Schmerzen in mehreren Körperregionen, Schlafstörungen, Erschöpfung und häufig psychische Begleitsymptome wie Depressionen und Angststörungen gekennzeichnet ist. Etwa jeder 25. Mensch ist von FMS betroffen. Die Ursachen des FMS sind komplex und noch nicht vollständig geklärt, was die Diagnose und Behandlung erschwert. FMS ist von außen nicht sichtbar, was oft zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führt.

Frühere und aktuelle Forschung am UKW

Früher wurde FMS als eine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises betrachtet. Später setzte sich die Auffassung durch, dass die Beschwerden durch eine veränderte Schmerzverarbeitung im Zentralnervensystem entstehen. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Claudia Sommer von der Neurologischen Klinik und Poliklinik hat seit 2013 wiederholt zu neuem Wissen über das Syndrom beigetragen.

Beteiligung des Immunsystems

Die neuesten Ergebnisse der Würzburger Gruppe zeigen eine eindeutige Beteiligung des Immunsystems bei einer Untergruppe der FMS-Patienten und Patientinnen. Medizindoktorandin Anastasia Barcic fand heraus, dass bei über 35 Prozent der von Fibromyalgie Betroffenen Autoantikörper vorliegen, die sich gegen Strukturen des peripheren Nervensystems richten.

Sabine Seefried, naturwissenschaftliche Doktorandin, vertiefte die Untersuchungen, indem sie durch Immunmarkierungen mit verschiedenen Antikörpern genau bestimmte, an welche Strukturen des peripheren Nervensystems die Autoantikörper der Patientinnen und Patienten binden. Dabei entdeckte sie unterschiedliche Muster, die bestimmte Untergruppen der Betroffenen charakterisierten. Interessanterweise gab es einen Zusammenhang zwischen den betroffenen Strukturen und den Symptomen: In der Patientengruppe, bei der die Autoantikörper an Satellitenzellen banden, also an Zellen, die die Nervenzellen im Spinalganglion umgeben, war die Schmerzintensität höher. Das nächste Ziel der Arbeitsgruppe ist es, herauszufinden, gegen welche Zielstrukturen sich die Antikörper genau richten. Für einzelne Fälle konnte dies bereits gezeigt werden. So wurden zum Beispiel Antigene identifiziert, die auch bei der rheumatoiden Arthritis eine Rolle spielen oder im Serotoninsystem, einem wichtigen Neurotransmittersystem. Die genaue Identifizierung der Zielstrukturen würde es ermöglichen, mehr über die Funktion der Autoantikörper und ihre mögliche Rolle in der Pathophysiologie der Erkrankung zu erfahren.

Lesen Sie auch: Expertise in Neurologie: Universitätsklinik Heidelberg

Small Fibers und Geschlechterunterschiede

Die Arbeitsgruppe um Üçeyler wies bereits vor elf Jahren nach, dass bei Frauen mit FMS die kleinkalibrigen schmerzleitenden Nervenfasern, die so genannten Small Fibers, geschädigt sind. Nun erweiterte die AG mit ihrer rein männlichen Kohorte das Verständnis der Pathophysiologie des Schmerzes bei FMS, indem sie bei Männern den Schmerz charakterisierten und die Nervenfasern auf morphologischer und funktioneller Ebene bewerteten. Im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen war bei Männern mit FMS die Nervenversorgung sowohl in der Haut als auch in der Hornhaut des Auges reduziert, was auf eine neurologische Beteiligung bei FMS hinweist. Auch die Funktion der kleinen Nervenfasern war im Vergleich zu gesunden Männern beeinträchtigt. Männer mit FMS benötigten stärkere Reize, um Wärme oder Kälte wahrzunehmen, und einen stärkeren Druck, um Schmerzen auszulösen.

RNA-Profile als Biomarker

Die Arbeitsgruppe von Professorin Nurcan Üçeyler hat objektiv messbare Marker identifiziert, die in Zukunft helfen könnten, FMS schneller und besser zu diagnostizieren und damit unter anderem die Stigmatisierung abzubauen. Auf der Suche nach messbaren Veränderungen haben die Forschenden kleine, nicht-kodierende Ribonukleinsäuren (RNAs) aus dem Blut und den Hautzellen von FMS-Patientinnen gewonnen. Konkret wurden RNA-Moleküle wie microRNAs und tRNA-Fragmente untersucht, die bei der Steuerung der Zellaktivität und der Genexpression eine Rolle spielen. Es wurde gezeigt, dass einige kleine RNAs wie hsa-miR-182-5p und hsa-miR-576-5p bei FMS-Patientinnen vermehrt im Blut vorkommen. Die Möglichkeit, unterschiedlich regulierte kleine RNAs im Blut oder in der Haut zu bestimmen, stellt somit eine minimalinvasive Perspektive zur Verbesserung der Diagnose dar. Mehrere kleine RNAs wurden auch mit dem Schweregrad der Symptome in Verbindung gebracht, beispielsweise mit der Ausdehnung des Schmerzes im Körper und der empfundenen Schmerzstärke, was zur Verlaufskontrolle der Krankheit oder zur Einteilung der Patientinnen und Patienten in diagnostische und eventuell auch therapeutische Subgruppen genutzt werden kann.

Diagnostik am UKW

Zur Diagnostik bei neurologisch bedingten Schmerzen kommen neben einem ausführlichen ärztlichen Gespräch und einer neurologischen Untersuchung weitere Diagnoseverfahren zum Einsatz. Dazu gehören:

  • Elektrophysiologische Untersuchungen
  • Blutuntersuchungen
  • Quantitative sensorische Testung (QST)
  • Nerven- und Muskelultraschall
  • Analyse der Nervenfasern in einer Hautbiopsie
  • Ableitung Schmerz-evozierter Potenziale bei speziellen Fragestellungen

Therapieansätze am UKW

Die Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Würzburg bietet eine Vielzahl von Therapieansätzen für Patienten mit Fibromyalgie an. Da die Ursachen des FMS noch nicht vollständig geklärt sind, zielen die meisten Behandlungen darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Multimodale Therapie

Die multimodale Therapie ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von FMS. Sie kombiniert verschiedene Therapieansätze, um die unterschiedlichen Aspekte der Erkrankung zu adressieren. Dazu gehören:

Lesen Sie auch: Uniklinik Erlangen: Ihr Anlaufpunkt bei neurologischen Notfällen

  • Medikamentöse Therapie: Schmerzmittel, Antidepressiva und andere Medikamente können helfen, Schmerzen zu lindern, die Stimmung zu verbessern und Schlafstörungen zu behandeln.
  • Physiotherapie: Übungen und andere physikalische Therapien können helfen, die Muskelkraft und Flexibilität zu verbessern, Schmerzen zu lindern und dieFunktionsfähigkeit zu erhöhen.
  • Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und andere psychotherapeutische Ansätze können helfen, mit Schmerzen umzugehen, Stress abzubauen und die Stimmung zu verbessern.
  • Entspannungstechniken: Progressive Muskelentspannung, autogenes Training und andere Entspannungstechniken können helfen, Stress abzubauen und Schmerzen zu lindern.
  • Ergotherapie: Ergotherapeutische Maßnahmen können Patienten helfen, ihren Alltag besser zu bewältigen und ihreFunktionsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern.

Neuartige Therapieansätze

Die Neurologische Klinik des UKW hält stets ein Auge auf der Entwicklung von neuartigen und potentiell vielversprechenden Therapieverfahren. Zu nennen wäre hier beispielsweise die Behandlung mit Ketamin-Infusionen (Off-Label-Use). Auch werden therapieresistente Beschwerden im Rahmen eines Post-Covid-Syndromes neueren, noch nicht evidenzbasierten Behandlungen unterzogen.

Spezialsprechstunden

Die Neurologische Klinik bietet verschiedene Spezialsprechstunden an, die auf die Bedürfnisse von Patienten mit FMS zugeschnitten sind. Dazu gehören:

  • Schmerzsprechstunde: Hier erfolgt eine diagnostische Einordnung der Schmerzen und es werden passende Behandlungsvorschläge erstellt. Zudem werden Patienten hinsichtlich aktueller medikamentöser und nicht-medikamentöser Therapiealternativen beraten.
  • Spezialsprechstunde für ungeklärte Ursachen und Beschwerden: Hier werden unklare, schwer lokalisierbare sowie therapieresistente Beschwerden und Krankheitsbilder, wie z.B. Ganzkörperschmerzen, behandelt.

Biopsychosoziales Modell

Bei der Behandlung von chronischen Schmerzen wird am UKW das biopsychosoziale Modell berücksichtigt. Anhaltende Schmerzreize führen zu nachweisbaren Veränderungen in verschiedenen Nervenzellen der Schmerzbahn, die den Schmerz an das Gehirn weiterleitet. Dadurch werden selbst schwache Schmerzreize verstärkt wahrgenommen. Gleichzeitig erschöpfen sich die körpereigenen Quellen der Schmerzhemmbahnen. In Folge sinkt die Schmerzschwelle. Zusätzlich haben chronische Schmerzen auch großen Einfluss auf Psyche und Sozialleben. Für die Seele sind Schmerzen oft mit Depressionen und Ängsten verbunden. Auch Familie, Freunde oder die Arbeit werden durch chronische Schmerzen mit belastet.

Bedeutung der Forschung für die Zukunft

Die Forschung am Universitätsklinikum Würzburg trägt dazu bei, das Verständnis von Fibromyalgie zu verbessern und neue Therapieansätze zu entwickeln. Die Identifizierung von Autoantikörpern und RNA-Profilen als mögliche Biomarker für FMS ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer schnelleren und sichereren Diagnose. Die Entwicklung neuer Therapien, die auf die spezifischen Ursachen von FMS abzielen, könnte in Zukunft eine Heilung der Erkrankung ermöglichen.

Ansprechpartner und Kontakt

Patienten, die an einer Behandlung von Fibromyalgie am Universitätsklinikum Würzburg interessiert sind, können sich an die Neurologische Klinik wenden.

Lesen Sie auch: Erfahrungen und Einblicke in die Neurologische Klinik Heidelberg

Neurologische Klinik und PoliklinikUniversitätsklinikum Würzburg

Josef-Schneider-Straße 1197080 Würzburg

Privatsprechstunde

  • Prof. Dr. Claudia Sommer: Neuromuskuläre Erkrankungen, Neuropathische Schmerzen, Kopfschmerz und Antikörper-assoziierte Erkrankungen (Ambulanztage: Montag und Donnerstag)
  • Prof. Dr. Nurcan Üçeyler: Leitende Oberärztin in der Neurologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW)

Spezialsprechstunden

  • Schmerzsprechstunde: Donnerstag ab 13:00 Uhr
  • Spezialambulanz für Bewegungsstörungen: Dienstag und Mittwoch ab 8:30 Uhr, Freitag ab 10 Uhr
  • Sprechstunde für neuromuskuläre Erkrankungen: Montag ab 8:30 Uhr, Dienstag ab 8:45 Uhr
  • Polyneuropathie-Sprechstunde: Dienstag bis Freitag ab 8 Uhr

tags: #uniklinik #würzburg #neurologie #fibromyalgie #behandlung