Einführung
Virale Gehirnentzündungen stellen eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit von Mensch und Tier dar. Sie können zu gravierenden neurologischen Langzeitfolgen führen. Die Forschung konzentriert sich zunehmend auf die Rolle des Immunsystems bei der Entstehung dieser Entzündungen und den daraus resultierenden Schäden. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Mechanismen, die bei viral bedingten Gehirnentzündungen ablaufen, und diskutiert potenzielle neue Therapieansätze zur Verhinderung von Langzeitfolgen.
Immunologische Vorgänge bei viral bedingten Gehirnentzündungen
Wissenschaftler verschiedener Forschungsinstitutionen haben gemeinsam die Rolle immunologischer Prozesse bei viral bedingten Gehirnentzündungen untersucht. Im Fokus stand die Frage, wie das Immunsystem zur Zerstörung von Nervenzellen beiträgt. Dazu wurden verschiedene Mäusestämme nach einer Infektion mit dem Theiler's Murine Encephalomyelitis-Virus (TMEV) untersucht. TMEV dient als Modell für virale Hirn- und Rückenmarksentzündungen.
Die Ergebnisse zeigten, dass Mäuse mit beeinträchtigter systemischer oder ortsständiger Immunabwehr keine Nervenzellverluste in den untersuchten Hirnregionen aufwiesen. Im Gegensatz dazu erlitten Mäuse mit intaktem Immunsystem deutliche Schäden. Diese Erkenntnis deutet darauf hin, dass die Immunantwort selbst eine wesentliche Rolle bei der Zerstörung von Nervenzellen spielt. Dies könnte neue Wege zur Verhinderung von Langzeitfolgen nach Gehirnentzündungen eröffnen.
Die Rolle der Blut-Hirn-Schranke
Die Blut-Hirn-Schranke schützt das Gehirn normalerweise vor dem Eindringen von Entzündungszellen aus dem Blut. Bei entzündlichen Veränderungen kann diese Schranke jedoch gestört sein, wodurch Entzündungszellen wie Monozyten ins Hirngewebe eindringen können. Dort tragen sie zu entzündlichen Veränderungen bei. Mikrogliazellen, die im Gehirngewebe lokalisiert sind, fungieren ebenfalls als ortsständige Entzündungszellen.
Unterschiedliche Gewebeveränderungen, gleiche Symptome
Die Forscher untersuchten den Verlauf der akuten TMEV-Infektion und die resultierenden Gewebeveränderungen bei genetisch veränderten Mäusen. Dabei wurden zwei Mäusestämme untersucht, die entweder ihre Monozyten oder ihre Mikrogliazellen während einer Infektion nicht aktivieren konnten. Eine Inaktivierung der Mikrogliazellen schützte die Nervenzellen im Hippocampus ebenso gut vor Schäden wie die Inaktivierung der Monozyten.
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Die Untersuchungen belegen eine schädigende Funktion von Monozyten und Mikrogliazellen bei einer viral bedingten Gehirnentzündung. Interessanterweise schien der von ihnen ausgelöste Verlust von Nervenzellen nicht die Ursache für die Krampfanfälle in der akuten Phase der Infektion zu sein. Die Tiere mit eingeschränktem Immunsystem zeigten genauso häufig Krampfanfälle wie die Tiere mit intaktem Immunsystem.
Neurologische Symptome und SARS-CoV-2-Infektion
Eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin liefert Belege dafür, dass neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Gedächtnisprobleme oder Fatigue eher eine Folge der Entzündung im Rest des Körpers als einer direkten Infektion des Gehirns durch SARS-CoV-2 sind. Obwohl das Erbgut des Coronavirus in einigen Fällen im Gehirn nachgewiesen werden konnte, wurden keine SARS-CoV-2-infizierten Nervenzellen gefunden.
Die Forschenden beobachteten jedoch, dass bei den COVID-19-Betroffenen die molekularen Vorgänge in manchen Zellen des Gehirns auffällig verändert waren. Die Zellen fuhren beispielsweise den Interferon-Signalweg hoch, der typischerweise im Zuge einer viralen Infektion aktiviert wird. Die Nervenzellen reagierten dabei nur vorübergehend auf die Entzündung. Eine Chronifizierung der Entzündung könnte bei manchen Menschen für die oft beobachteten neurologischen Symptome bei Long COVID verantwortlich sein.
Die Rolle des Vagusnervs
Die reaktiven Nervenzellen fanden sich hauptsächlich in den sogenannten Kernen des Vagusnervs. Der Vagusnerv sitzt im Hirnstamm und dessen Fortsätze reichen bis in Organe wie Lunge, Darm und Herz. Der Vagusnerv "spürt" die Entzündungsreaktion in unterschiedlichen Organen des Körpers und reagiert darauf im Hirnstamm - ganz ohne eine echte Infektion von Hirngewebe.
Zerebelläre Ataxie und Autoantikörper
Ein Forschungsteam hat eine neue Art der zerebellären Ataxie entdeckt, bei der Autoantikörper namens Anti-DAGLA sich gegen Kleinhirnzellen richten und so zu einer schweren Entzündung führen. Nach einer Behandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten und einer Immuntherapie besserte sich der Gesundheitszustand bei drei der vier Betroffenen nachhaltig.
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Die Neurologen stellten eine sehr hohe Anzahl von Abwehrzellen im Nervenwasser fest, was eigentlich auf eine bakterielle oder virale Infektion hindeutet. Schließlich wurden im Rahmen der gemeinsamen Forschungsarbeit die Anti-DAGLA entdeckt, die für die Zerstörung der Nervenzellen im Kleinhirn verantwortlich waren.
Auswirkungen von Viren auf das Nervensystem
Die iranische Nachwuchswissenschaftlerin Dr. Shirin Hosseini erforscht die Auswirkungen von Influenza- und Coronaviren auf das Nervensystem. Sie konzentriert sich derzeit auf die Frage, wie Influenzaviren über die Aktivierung von Immunzellen des Gehirns die neuronale Funktion und die synaptische Plastizität stören.
Bei Covid-19 leiden die Patient*innen häufig unter Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel oder einem verminderten Geruchs- und Geschmackssinn. Es kamen aber auch schon viele Schlaganfälle, Hirnblutungen und demenzähnliche Syndrome vor, was darauf hindeutet, dass SARS-CoV-2 tatsächlich das zentrale Nervensystem schädigen kann.
SARS-CoV-2 und das Gehirn: Erkenntnisse aus der Neuropathologie
Professor Frank Heppner, Direktor des Instituts für Neuropathologie in der Berliner Charité, hat die Fähigkeit des Coronavirus SARS-CoV-2, ins Gehirn einzudringen, untersucht. Er und sein Team haben herausgefunden, dass das Virus über die Hirnnerven, insbesondere über den Riechnerv, eintreten kann.
In der Riechschleimhaut finden sich in sehr vielen Fällen sehr viel Virus. Je weiter es nach oben geht auf der Route ins Gehirn, desto weniger Virus kann nachgewiesen werden, aber es kann immer noch dezidiert nachgewiesen werden. Das Virus kann auch über das Blutgefäßsystem ins Gehirn gelangen.
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Die Rolle des Immunsystems im Gehirn
Das Immunsystem spielt eine wichtige Rolle bei der Reaktion auf das Virus im Gehirn. Es kommt zu einer starken Entzündung, die sich in allen Bereichen, sei es im Gewebe im Gehirn oder auch im Liquor, im flüssigen Bereich widerspiegelt. Die Intensität der Aktivierung des Immunsystems ist im COVID-19-Kontext deutlich ausgeprägter als zum Beispiel als Referenz bei einer HIV-Enzephalitis oder einer Sepsis, die sich im Gehirn niederschlägt.
Langzeitfolgen von Virusinfektionen und das Risiko neurodegenerativer Erkrankungen
Eine Auswertung von Biodatenbanken zeigt, dass nach einer Infektion mit verschiedenen Virenarten das Risiko für Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose etwas erhöht ist. Die engste Verbindung gibt es zwischen Alzheimer und vorhergehenden viralen Hirnhautentzündungen. In diesem Fall schädigen die Viren ja bereits direkt das Gehirn, von daher ist das plausibel.
Es ist denkbar, dass durch Viren angestoßene Entzündungen im Gehirn einen schon laufenden Krankheitsprozess beschleunigen. Der Neurologe Harald Prüß verweist darauf, dass es nach Virusinfektionen zur Bildung von Autoantikörpern kommen kann, die sozusagen versehentlich auch die eigenen Nerven angreifen.
Enzephalitis: Ursachen, Symptome und Diagnose
Eine Enzephalitis ist eine Entzündung im Bereich des zentralen Nervensystems. Sie wird in den meisten Fällen von Viren ausgelöst. Personen mit einem geschwächten Immunsystem sind tendenziell anfälliger für eine Infektion mit Bakterien, Pilzen und auch Viren.
Die Beschwerden bei einer Enzephalitis hängen von den Ursachen und dem Schweregrad der Erkrankung, von der betroffenen Gehirnregion sowie von der allgemeinen gesundheitlichen Verfassung ab. Die Symptome können Kopfschmerzen, Fieber, Verwirrtheit, epileptische Anfälle, Bewusstseinsstörungen, neurologische Symptome wie Lähmungen oder Sprachstörungen, Denkstörungen, Veränderungen des Verhaltens und Halluzinationen umfassen.
Zur Diagnose werden verschiedene Tests und Untersuchungen durchgeführt, darunter eine Computertomografie (CT), eine Magnetresonanztomografie (MRT), eine Lumbalpunktion, eine Blutprobe und ein EEG.
SARS-CoV-2 und die Schädigung der Blutgefäße im Hirn
Eine im Fachmagazin Nature Neuroscience publizierte Studie erklärt, wie das Coronavirus die kleinen Blutgefäße im Hirn schädigt. Das Coronavirus kann über den von einigen Endothelzellen gebildeten ACE2-Rezeptor in die Zelle eintreten und eine charakteristische Pathologie auslösen. In den Endothelzellen zerstört das Virusenzym Mpro das körpereigene Protein NEMO und löst so ein Zelltod-Programm aus.
Die Wissenschaftler entdeckten einen Mechanismus, wie Sars-CoV-2 die Mikrogefäße im Hirn direkt schädigt. Interessanterweise fanden die Forscher eine Möglichkeit, den Zelltod-Mechanismus zu blockieren, indem sie RIPK1 im Tierversuch blockierten. RIPK1-blockierende Substanzen befinden sich bereits am Anfang der klinischen Testung.