Das Hören ist ein komplexer Prozess, bei dem Schallwellen in elektrische Signale umgewandelt und vom Gehirn interpretiert werden. Dieser Artikel beleuchtet die einzelnen Schritte der Signalübertragung vom Ohr zum Gehirn und erklärt, wie das Gehirn die vielfältigen Informationen aus Schall extrahiert.
Die Reise des Schalls: Vom Außenohr zum Trommelfell
Alles beginnt mit Schallwellen, die durch Geräusche, Musik oder Sprache erzeugt werden. Diese Schallwellen werden vom Außenohr, genauer gesagt von der Ohrmuschel, aufgenommen und durch den äußeren Gehörgang zum Trommelfell geleitet. Die Ohrmuschel dient als Trichter, um den Schall in den Gehörgang zu leiten. Der äußere Gehörgang ist etwa 3 bis 3,5 Zentimeter lang. In der Haut des knorpeligen Teils befinden sich Talgdrüsen, die Ohrenschmalzdrüsen und Haarfollikel, aus denen kleine Haare wachsen. Ohrenschmalz schützt den Gehörgang vor dem Eindringen von Wasser, Staub und Schmutz. Am Ende des Gehörgangs trifft der Schall auf das Trommelfell, eine straffe, dünne Haut, die das Außenohr vom Mittelohr abgrenzt.
Das Mittelohr: Verstärkung und Weiterleitung
Wenn die Schallwellen das Trommelfell erreichen, bringen sie es zum Vibrieren. Diese Vibrationen werden an die Gehörknöchelchen im Mittelohr weitergeleitet. Das Mittelohr besteht aus der Paukenhöhle und den drei winzigen Gehörknöchelchen: Hammer, Amboss und Steigbügel. Diese sind die kleinsten Knochen im menschlichen Körper. Der Hammer ist mit dem Trommelfell verwachsen und leitet dessen Schwingungen an Amboss und Steigbügel weiter. Die Gehörknöchelchen verstärken die Schwingungen des Trommelfells um etwa das Zwanzigfache und leiten sie an das Innenohr weiter.
Eine weitere wichtige Struktur im Mittelohr ist die Ohrtrompete (Eustachische Röhre), eine Verbindung zwischen Mittelohr und Nasenrachenraum. Sie sorgt für den Druckausgleich im Mittelohr, was besonders beim Fliegen oder Tauchen wichtig ist. Funktioniert das nicht richtig, kommt es zu Ohrendruck.
Das Innenohr: Umwandlung in Nervenimpulse
Das Innenohr, geschützt vom Felsenbein, ist mit einer Flüssigkeit, der Perilymphe, gefüllt. Hier befinden sich die Hörschnecke (Cochlea) und das Gleichgewichtsorgan. Die Hörschnecke ist ein knöcherner Gang, der in drei Räume unterteilt ist: Vorhoftreppe, Schneckengang und Paukentreppe. Vorhof- und Paukentreppe sind wie der Rest des Innenohrs mit Perilymphe gefüllt, der mittige Schneckengang aber mit einer anderen Flüssigkeit, der Endolymphe. Die unterschiedlichen Elektrolytgehalte der Lymphen sind wichtig für den Prozess des Hörens.
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Im Inneren der Hörschnecke befindet sich die Basilarmembran, auf der das Corti-Organ liegt. Das Corti-Organ ist mit über 25.000 Flimmerhärchen (Haarzellen) ausgekleidet. Wenn die vom Mittelohr verstärkten Schwingungen die Hörschnecke erreichen, versetzen sie die Flüssigkeit darin in Bewegung. Diese Bewegung führt dazu, dass sich die Haarzellen biegen. Die Haarzellen wandeln die mechanischen Schwingungen in elektrische Nervenimpulse um.
Die Basilarmembran ist an einem Ende schmal und steif, am anderen breit und weich. Hohe Töne lösen nahe dem schmalen, steifen Ende resonante Schwingungen aus und stimulieren die dort befindlichen Haarzellen. Tiefe Töne dagegen führen am anderen Ende zur größten Auslenkung, sodass ganz andere Nervenzellen Impulse empfangen. Und bei einem Frequenzgemisch werden die Zellen an mehreren Stellen gleichzeitig aktiv. Diese Art der Frequenzkodierung wird als Tonotopie bezeichnet und findet sich auch in anderen Teilen der Hörbahn.
Der Hörnerv: Weiterleitung zum Gehirn
Die elektrischen Nervenimpulse, die von den Haarzellen erzeugt werden, werden über den Hörnerv zum Gehirn geleitet. Der Hörnerv verbindet die Cochlea mit jenen Bereichen im Gehirn, die für das Hören zuständig sind. Erst wenn Impulse über den Hörnerv zum Gehirn gelangen, können sie als Klänge wahrgenommen werden.
Die Hörbahn: Verarbeitung im Gehirn
Im Gehirn durchlaufen die akustischen Signale eine komplexe Verarbeitung in verschiedenen Hörzentren. Die Hörbahn besteht aus mehreren Schaltstellen:
- Cochleariskerne: Erste Station im Hirnstamm, wo die Signale vom Hörnerv empfangen werden.
- Obere Olive: Eine weitere Station im Hirnstamm, die eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Richtungsinformationen spielt.
- Untere Hügelchen (Colliculus inferior): Eine Struktur im Mittelhirn, die an der Integration auditorischer und sensorischer Informationen beteiligt ist.
- Corpus geniculatum mediale (CGM): Ein Kerngebiet des Thalamus, das als zentrale Umschaltstelle der Hörbahn dient und die Impulse an den auditorischen Cortex weiterleitet.
- Auditorischer Cortex: Der Bereich der Großhirnrinde, in dem die eigentliche Hörverarbeitung stattfindet.
Auf dem Weg durch diese Stationen werden die Signale immer weiter verarbeitet und analysiert. Neuronen mit unterschiedlichen Spezialisierungen sind beteiligt: Manche feuern, solange ein Ton bestimmter Frequenz erklingt, andere nur, wenn er anfängt und/oder aufhört. Manche Neuronen vergleichen die Signale beider Ohren, andere reagieren selektiv bei bestimmten Intensitäten, wieder andere durchkämmen alles Gehörte auf spezifische Lautmuster.
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Schallarten und ihre Verarbeitung
Schall erreicht uns in Form von schnellen Luftdruckschwankungen. Je nach zeitlichem Verlauf unterscheidet man verschiedene Schallarten:
- Ton: Eine reine Schwingung einer einzelnen Frequenz mit der Wellenform einer Sinuskurve.
- Klang: Besteht aus Ton plus Oberschwingungen, enthält also neben dem Grundton (oder den Grundtönen) auch Anteile mit der doppelten, dreifachen, vielfachen Frequenz. Die Wellenform ist damit komplexer als beim Ton, aber weiterhin regelmäßig: Sie wiederholt sich periodisch. Je nach Verhältnis, in dem die Obertöne zusammengesetzt sind, klingt ein Klang nach Flöte, Geige, Klavierakkord etc.
- Geräusch: Eine nicht-periodische, unregelmäßige Wellenform. Dazu zählt jede Form von Rauschen, aber auch der Schall, der beim Sprechen den Mund verlässt.
Das Gehör ist in der Lage, dem Schall vielerlei Information zu entnehmen - und das allein auf Basis der Luftdruckschwankungen, die das Ohr erreichen.
Lautstärke und Tonhöhe: Die Codierung im Ohr
Schallwellen lassen sich allein durch Frequenz und Amplitude beschreiben. Die Frequenz gibt dabei an, wie häufig sich die Schwingung innerhalb einer Sekunde wiederholt und spiegelt die Tonhöhe wider. Die Amplitude drückt aus, mit welcher Auslenkung die Welle um die Ruhelage schwingt. Sie ist ein Maß für den Schalldruck und damit für die Lautstärke.
Die Lautstärke wird durch die Feuerrate der Neuronen und die Anzahl der beteiligten Neuronen codiert: Je heftiger die Schwingung, in umso schnellerer Folge generieren die für die jeweilige Frequenz zuständigen Nervenzellen Aktionspotenziale. Zudem gibt es Neuronen, die leise Töne sozusagen „überhören“ und erst bei höheren Lautstärken anfangen zu feuern. Und: Sehr laute Töne versetzen mit großen Amplituden im Corti-Organ auch benachbarte Haarzellen in Schwingung, die wiederum nachgeschaltete Neuronen aktivieren.
Richtungshören: Die Kunst der Lokalisation
Um die Richtung einer Schallquelle zu bestimmen, nutzt das auditorische System drei Mechanismen:
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- Intensitätsunterschied: Der Kopf wirft - vor allem bei Schallwellen mit hoher Frequenz - eine Art akustischen Schatten: Befindet sich die Schallquelle rechts, hören wir das Geräusch auf der linken Seite etwas leiser als auf der rechten.
- Laufzeitunterschied: Aufgrund der Schallgeschwindigkeit in Luft trifft eine von seitlich rechts kommende Schallwelle am rechten Ohr um etwa 0,0006 Sekunden früher ein als am linken. Auch diesen kleinen Zeitverzug nutzen die Neuronen, die Signale von beiden Ohren empfangen, zur Lokalisation der Geräuschquelle.
- Veränderungen im Klangbild: Die Form des Kopfes und vor allem der Ohrmuscheln sorgt für ein komplexes Muster von Schallschatten und Schallschatten-Reflexionen, das sich je nach Frequenz und Richtung des ankommenden Schalls unterscheidet. Beispielsweise dämpft die Ohrmuschel bei von hinten kommenden Geräuschen hohe Frequenzen stärker als tiefe.
Die Rolle von Botenstoffen: Glutamat und die Signalübertragung
Auch beim Prozess des Hörens spielen Botenstoffe bei der Übertragung der Schallinformation eine grundlegende Rolle. Wissenschaftler haben die Synapsen zwischen den Haarsinneszellen im Innenohr und den Nervenzellen des Hörnervs untersucht. Hier wird die eintreffende Schallinformation in ein Nervensignal umgewandelt, das den Schalleindruck präzise an das Gehirn übermittelt.
Ein wichtiger Botenstoff ist Glutamat, eine Aminosäure, die an der Reizweiterleitung zwischen Sinnes- und Nervenzellen beteiligt ist. Innerhalb der Sinneszellen wird das Glutamat in Vesikeln zur Synapse transportiert. Der eintreffende Schall aktiviert Kalzium-Kanäle an den Synapsen, durch die Kalzium-Ionen in die Zelle gelangen und die Freisetzung von Glutamat an den Synapsen der Haarsinneszellen sorgen. Die Ergebnisse zeigen, wie die Glutamat-Freisetzung dabei mit der Stärke des Reizes zunimmt, wie also ein „Schallsignal“ in ein „Glutamatsignal“ umgewandelt wird.
Die Bedeutung des Hörens für unsere Wahrnehmung
Das Gehör ist ein hochkomplexes System, das nur funktioniert, wenn alle Teile reibungslos zusammenarbeiten. Wird ein Bereich gestört - etwa durch altersbedingten Hörverlust oder Lärmschäden - kann das Hören von Geräuschen und Sprache erschwert werden.
Die Hörverarbeitung im Gehirn ermöglicht es uns, akustische Informationen zu analysieren, Geräusche zu identifizieren, Sprache zu verstehen und uns räumlich zu orientieren. Sie beeinflusst unsere Emotionen, unser Verhalten und unsere gesamte mentale Verfassung.
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