Von der digitalen Demenz zum Smartphone: Eine kritische Betrachtung

Die Frage, ob digitale Medien wie Smartphones zu einer Verflachung der Gesellschaft beitragen und welche negativen Begleiterscheinungen mit ihrer Nutzung verbunden sind, steht im Mittelpunkt aktueller Diskussionen. Der renommierte Hirnforscher Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer hat mit seinem Buch „Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ ein breites Medienecho erfahren und eine Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere geistigen Fähigkeiten angestoßen.

Die These der digitalen Demenz

Spitzers Buch, das 2012 erschien, basiert auf der Grundannahme, dass die Nutzung von Navigationsgeräten, Computern und Smartphones nicht zwangsläufig zur Weiterentwicklung der Gesellschaft beiträgt. Er wendet sich vehement gegen Initiativen, die darauf abzielen, allen Schülern ein Notebook zur Verfügung zu stellen und Computerspiele in den Schulunterricht zu integrieren. Solche Initiativen zeugten entweder von blankem Unwissen oder skrupellosen kommerziellen Interessen, da zahlreiche wissenschaftliche Studien den digitalen Medien als Lernmittel ein miserables Zeugnis ausstellten.

Ein Beispiel: Menschen, die stets mithilfe eines Navigationsgerätes Autofahren, verlernen die elementare Fähigkeit, sich zurechtzufinden. Soziale Netzwerke versprechen zwar virtuelle Freundschaften, doch in Wirklichkeit wirke sich deren Nutzung negativ auf das Sozialverhalten eines Menschen aus und erhöhe die Wahrscheinlichkeit, depressiv zu werden.

Mentale Stärke und digitale Demenz

Mentale Stärke, die sich durch die Fähigkeit auszeichnet, Emotionen gut im Griff zu haben, reflexartige Handlungen zu vermeiden und Flexibilität im eigenen Handeln zu zeigen, ist neben dem Intelligenzquotienten und dem angeeigneten Wissen die dritte Säule geistiger Leistungsfähigkeit. Sie ist enorm wichtig, damit sich Menschen in der Gesellschaft zurechtfinden können. Die digitale Demenz, die durch eine übermäßige und unreflektierte Nutzung von neuen Medien entstehen kann, hat negative Auswirkungen auf die individuelle mentale Stärke.

Kritik an Spitzers Thesen

Spitzers Ausführungen haben ein breites Medienecho erfahren, wurden aber auch kritisiert. Bemängelt wurde, dass sein Buch einseitig in der Argumentation, zu kulturpessimistisch ausgerichtet und zu populistisch im Stil sei.

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Die Stärken von Spitzers Ansatz

Spitzer ist in der Lage, ein eher trockenes Thema anschaulich, interessant und verständlich aufzubereiten. Dies gilt freilich ebenso für seine Vorträge, während denen der Gastprofessor der renommierten Harvard University (USA) mit seiner unnachahmlichen Art seine Zuhörer mitzureißen versteht.

Digitale Medien und das alternde Gehirn: Eine neue Perspektive

Eine aktuelle Studie widerlegt die sogenannte „Digitale Demenz“-Hypothese, wonach ein Leben mit digitalen Technologien kognitive Fähigkeiten verschlechtert. Eher scheine der Umgang mit ihnen Verhaltensweisen zu fördern, die kognitive Leistung erhalten. So senke die Nutzung digitaler Technologien das Risiko geistiger Beeinträchtigungen um 58 Prozent. Selbst als die Forscher sozioökonomischen Status, Bildung, Alter, Geschlecht, kognitive Grundfähigkeiten, soziale Unterstützung, allgemeine Gesundheit und die Teilnahme an geistigen Aktivitäten wie Lesen als Faktoren ausschlossen, kamen sie zum gleichen Ergebnis.

Die Neurowissenschaftler der Baylor University und der University of Texas stellten fest, dass Menschen, die digitale Medien nutzen, sogar besser kognitiv altern könnten. Die in der Fachzeitschrift „Nature Human Behavior“ veröffentlichte Metaanalyse verglich mehr als 136 Studien, die Nutzung digitaler Technologien, kognitive Fähigkeiten und Demenz erfassten. Die Forscher fokussierten sich dabei auf über 50 Jahre alte Menschen, deren Generation als erste mit digitalen Technologien wie Computern in Kontakt kam.

Brainrot und Braindrain: Schadet das Internet wirklich unseren Gehirnen?

Der Co-Autor Michael K. Scullin erklärt den Ausgangspunkt der Studie: „Fast täglich kann man in den Nachrichten lesen, wie Technologien uns schaden. Menschen nutzen häufig Begriffe wie ‚Braindrain‘ und ‚Brainrot‘, und jetzt ist auch die Formulierung ‚digitale Demenz‘ im Kommen. Als Forscher wollten wir wissen, ob das stimmt.“

Bei den Ergebnissen müsse allerdings berücksichtig werden, dass ältere Menschen digitale Technologien oft anders nutzen. So kamen die meisten der untersuchten Altersgruppe erst im Erwachsenenalter mit dem Computer, dem Internet oder dem Handy in Berührung. Sie mussten die Technologien unter hohen Anstrengungen „erlernen“ und gleichzeitig mit dem Wandel Schritt halten. Software-Updates, einen Netzwerkfehler beheben oder die Funktionen eines neuen Handys lernen, halten das Gehirn beschäftigt.

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Scullin zitiert: „Eines der ersten Dinge, die Erwachsene mittleren und höheren Alters sagten, war: ‚Ich bin so frustriert von diesem Computer. Das ist schwer zu lernen.‘ Das spiegelt eigentlich die kognitive Herausforderung wider, die für das Gehirn von Vorteil sein kann, auch wenn es sich im Moment nicht so gut anfühlt.“

Smartphone kann bei Demenz Alltag erleichtern

Scullin weiter: „Wenn Sie das jahrelang tun und sich wirklich darauf einlassen, auch wenn Sie dabei Frustration verspüren, kann das ein Zeichen dafür sein, dass Sie Ihr Gehirn trainieren.“ Auch würden die Technologien bisher nie gekannte Möglichkeiten eröffnen, etwa sich mit Freunden und Familie zu vernetzen. Viele Studien bescheinigen Menschen mit guten sozialen Beziehungen ein deutlich niedrigeres Demenz-Risiko.

Auch weisen die Studienautoren in der Untersuchung auf einen anderen Vorteil digitaler Technologien hin: Wer bereits an Demenz leide, könne sein Leben dank digitaler Helferlein weit besser bestreiten. Karten-Apps, digitale Erinnerungen oder Online-Banking könnten Menschen mit Demenz, beziehungsweise Alzheimer erheblich den Alltag erleichtern.

Empfehlungen für den Umgang mit digitalen Medien im Alter

Scullin empfiehlt deshalb, Großeltern oder Eltern, die keine digitalen Medien nutzen, zum Lernen neuer Technologien zu ermutigen. „Könnten sie lernen, Foto-, Messaging- oder Kalender-Apps auf einem Smartphone oder Tablet zu verwenden? Fangen Sie einfach an und seien Sie sehr geduldig, während sie lernen“, sagte er.

Die dunkle Seite der digitalen Welt: Exzessive Nutzung bei Jugendlichen

Jugendliche verbringen laut einer Studie der Postbank etwa zehn Stunden pro Tag im Internet. Der Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer machte bei einem Vortrag in Stralsund die dramatische Situation klar. Kurz noch mal den Stundenplan online checken, eine PowerPoint-Präsentation erstellen, ein Spiel auf Roblox zocken, ein Selfie mit frisch gemachten Nägeln auf Instagram hochladen und vor dem Einschlafen mit Freunden chatten.

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Spitzer ist überzeugt: "Wenn Jugendliche viel Zeit mit Ballern und mit Unfug am Bildschirm verbringen, dann kann das nicht gut für ihre Bildung sein". Und er sagte am Rande seines Vortrags in Stralsund auch: "Wer mehr digitale Medien konsumiert, lernt nicht mehr. Es fehlen Wiederholungen, Kontext und Relevanz". Es drohe eine digitale Demenz. Darüber gebe es mittlerweile auch Studien.

Spitzer verweist auf Schweden, das jahrelang als Vorreiter im Einsatz von digitalen Medien galt und jetzt die Grundschulen wieder mit Büchern ausstattet. Denn vor zwei Jahren haben Forschende am Karolinska-Institut in Stockholm herausgefunden, dass der Einsatz digitaler Medien im Unterricht nicht dazu führt, dass die Schülerinnen und Schüler besser lernen. Auch begrüßt der sechsfache Vater Spitzer das Handyverbot an hessischen Schulen ab August.

Gesundheitliche Risiken der Handynutzung

Manfred Spitzer sieht Haltungsschäden, Kursichtigkeit oder Bluthochdruck als Auswirkungen von ausschweifender Handy- und Tabletnutzung. Es leiden zudem die kongnitive und die emotionale Intelligenz und auch die sprachliche Entwicklung. Vor allem das Nahsehen führe zu Kurzsichtigkeit, der stärkste Risikofaktor für Erblindung. Das wisse man aus der chinesischen Stadt Wuhan. Dort habe man bei 125.000 Kindern zwischen 6 und 13 Jahren vor und nach dem Lockdown die Länge des Augapfels gemessen. Auffallend sei gewesen, dass der Augapfel unter Lockdownbedingungen drei Mal schneller gewachsen ist. "Mehr Mediennutzung, mehr Augapfelwachstum", sagt Professor Spitzer.

Die Notwendigkeit einer Technikfolgenabschätzung

Neurowissenschaftler Spitzer kritisiert, dass es bisher keine Technikfolgenabschätzung für digitale Medien gab. "Eine Technikfolgenabschätzung gab es nie. Das liegt an einer sehr starken digitalen Lobby", sagt er.

Smartphones: Segen oder Fluch?

Das Smartphone hat das Leben von mittlerweile fünf Milliarden Menschen auf dieser Erde in den letzten Jahren massiv verändert. Viele sehen nur die positiven Seiten, wenige machen sich Gedanken um die negativen Auswirkungen für unser Denken, Fühlen und Handeln. Smartphones schaden der Gesundheit, der Bildung und der Gesellschaft insgesamt! Es wird höchste Zeit, dem Hype durch Fakten zu begegnen.

In den letzten zehn Jahren hat das Smartphone die Welt mit enormer Geschwindigkeit erobert und den Alltag für seine vier Milliarden Nutzer verändert wie keine technische Neuerung zuvor. Von morgens bis abends, bei der Arbeit und im Privatleben: ohne Smartphone scheint einfach nichts mehr zu gehen. Über die gesundheitlichen Folgen machen sich mittlerweile sogar Investoren und Unternehmer Gedanken. Der Chef von Apple empfiehlt, Smartphones nicht in Schulen zu verwenden, der französische Präsident verbietet sie dort ganz und Süd-Korea hat seit Jahren Gesetze zum Schutz der Jugend vor den schlimmsten Folgen der Handynutzung.

Gedächtnisleistung und digitale Medien

Emrah Düzel vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) findet den Ausdruck ‚digitale Demenz’ unpassend. „Der Umgang mit digitalen Medien kann keinerlei Form von Demenz hervorrufen“, sagt der Gedächtnisforscher Düzel. „Es ist vielmehr so, dass wir dadurch, dass wir heutzutage Informationen schnell und unkompliziert abrufen können, schlicht weniger motiviert sind und keine Notwendigkeit sehen, uns diese selbst einzuprägen.“

Laut einer Studie zweier amerikanischen Forscher verschlechtert sich unser Gedächtnis durch die Nutzung digitaler Medien aber nicht - im Gegenteil: Die Wissenschaftler Ben Storm und Sean Stone von der University of California fanden heraus, dass das digitale Abspeichern von Informationen das Lernen neuer Informationen erleichtert.

Simon Hanslmayr, Psychologe und Gedächtnisforscher der University of Birmingham, sagt: „Es ist durchaus vorteilhaft, wenn wir gewisse Dinge digitalen Speichern überlassen und damit Ressourcen in unserem Kopf freimachen.“ Er erklärt: „Im Prinzip kann man sich unser Gedächtnis vorstellen wie eine mentale Tafel, auf die ständig etwas draufgeschrieben wird. Können oder wollen wir Informationen vergessen, weil sie irrelevant sind, oder wir sie woanders gespeichert haben, beispielsweise auf einem Computer, können wir Teile von der Tafel wegwischen und schaffen Platz für Neues.“

Die Herausforderungen der Digitalisierung

Mit der Digitalisierung treten jedoch andere Herausforderungen für unser Gehirn auf. Durch die große Datenflut des Internets haben wir es mit immer mehr Informationen zu tun. Diese als wichtig oder unwichtig einzustufen, kann mitunter überfordern.

Emrah Düzel sagt: „Neue Informationen sind per se erst einmal gut für das Gehirn. Auch der schnelle Wechsel zwischen Inhalten kann bestimmte kognitive Bereiche sogar fördern: man wird flexibler, lernt in kurzer Zeit viele Informationen aufzunehmen und sich intensiv mit einem Thema zu beschäftigen.“

Simon Hanslmayr meint: „Die Menge an digitalen Tools stellen immer größere Anforderungen an unsere Aufmerksamkeit. Hier benötigen wir neuronale Mechanismen der Hemmung, um der Versuchung zu widerstehen nicht doch aufs Handy zu schielen. Das muss man trainieren.“

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