Gehirnentwicklung nach der Geburt: Eine umfassende Betrachtung

Die Entwicklung des menschlichen Gehirns ist ein komplexer und dynamischer Prozess, der bereits in der frühen Embryonalentwicklung beginnt und sich weit über die Geburt hinaus fortsetzt. Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Aspekte der Gehirnentwicklung nach der Geburt, von den strukturellen Veränderungen bis hin zu den Faktoren, die diesen Prozess beeinflussen.

Frühe Entwicklung des Gehirns im Mutterleib

Die Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems beginnt bereits beim Embryo in der 3. Schwangerschaftswoche. In der 5. Schwangerschaftswoche beginnen sich die ersten Nervenzellen zu teilen und sich in Neuronen und Gliazellen zu differenzieren. Ebenfalls um die 5. Woche faltet sich die Neuralplatte in sich selbst und bildet das sogenannte Neuralrohr, welches sich bis etwa zur 6. SSW schließt und zum Gehirn und Rückenmark wird. Um die 10. Woche besitzt das Gehirn bereits eine kleine, glatte Struktur. Ab der 8. Woche beginnt die elektrische Aktivität im Gehirn. Bis zum Ende der 8. Schwangerschaftswoche sind Gehirn und Rückenmark fast vollständig angelegt.

Schon im Mutterleib nimmt das Gehirn des Ungeborenen Informationen auf, so dass durch das Wahrnehmen der Sprache der Eltern das Erlernen der Muttersprache schon vor der Geburt geprägt wird.

Wachstum und Veränderungen in den ersten Lebensmonaten

Die Entwicklung des menschlichen Gehirns ist bei der Geburt noch lange nicht abgeschlossen. Bei der Geburt misst das Gehirn eines Knaben 347 cm3 und das eines Mädchens 335 cm3. Bis zum 90. Lebenstag vergrößert es sich beim Knaben um 66 Prozent und den Mädchen um 63 Prozent. Das Wachstum ist in den ersten Tagen nach der Geburt am stärksten, wobei sich das Kleinhirn, das für die Bewegungskoordination zuständig ist, am schnellsten entwickelt. Das stärkste Wachstum zeigte das Kleinhirn, das später die Software für die Bewegungsabläufe für das Krabbeln, Laufen und andere automatische Bewegungsabläufe speichert. Sein Volumen verdoppelt sich in den ersten drei Monaten (plus 108 Prozent). Die beiden Hippocampi, die später für die Gedächtniskonsolidierung zuständig sind, vergrößerten sich dagegen nur um 47 Prozent.

Regelmäßige Aufnahmen mit der Computertomographie verbieten sich aufgrund der Strahlenbelastung.Die Kernspintomographie (MRT) gilt dagegen als unbedenklich. Ein Team um Dominic Holland von der Universität von Kalifornien in San Diego School hat jetzt 87 gesunde Säuglinge in den ersten drei Monaten mehrfach mittels MRT gescannt. Um Bewegungs­artefakte zu vermeiden, musste das Team jeweils warten, bis die Säuglinge einge­schlafen waren. Eine Sedation verbot sich aus ethischen Gründen. Doch mit Geduld gelang es den Forschern zwischen Oktober 2007 und Juni 2013 insgesamt 211 Aufnahmen anzufertigen, aus denen sich die Trajektorien der kindlichen Hirnentwicklung ablesen lassen.

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Das Wachstum der einzelnen Zentren ist asymmetrisch. So ist der linke Ventrikel zunächst größer als der rechte, beim Hippocampus und einigen anderen Hirnzentren ist es andersherum. Ob dies, wie Holland vermutet, der Grund für die Rechtshändigkeit ist oder die Sprachentwicklung vorbereitet, muss dahingestellt bleiben. Das Größen­wachstum dürfte mit Migrationsbewegungen der Nervenzellen in Verbindung stehen, die vom Rand der Ventrikel aus in den ersten drei Lebensmonaten in Richtung Cortex wandern.

Hirnforscher schätzen, dass die Zahl der Neuronen in den ersten drei Monaten um 23 bis 30 Prozent ansteigt.

Synaptogenese und neuronale Vernetzung

Mit der Geburt ist die Entwicklung von Gehirn und Nervensystem noch lange nicht abgeschlossen. Zwar sind zu diesem Zeitpunkt bereits die große Mehrheit der Neuronen, etwa 100 Milliarden, im Gehirn vorhanden, sein Gewicht beträgt dennoch nur etwa ein Viertel von dem eines Erwachsenen. Die Gewichts- und Größenzunahme des Gehirns im Laufe der Zeit beruht auf der enormen Zunahme der Verbindungen zwischen den Nervenzellen und darauf, dass die Dicke eines Teils der Nervenfasern zunimmt. Das Dickenwachstum ist auf eine Ummantelung der Fasern zurückzuführen. Dadurch erhalten sie die Fähigkeit, Nervensignale mit hoher Geschwindigkeit fortzuleiten.

Im Gehirn nimmt die Anzahl der Verbindungen zwischen den Nervenzellen, die Synapsen, in den ersten 3 Lebensjahren rasant zu. In dieser Zeit entsteht das hochkomplexe neuronale Netz, in dem jede Nervenzelle mit Tausenden anderer Neurone verbunden ist. Mit 2 Jahren haben Kleinkinder so viele Synapsen wie Erwachsene und mit 3 Jahren sogar doppelt so viele. Diese Zahl bleibt dann etwa bis zum zehnten Lebensjahr konstant. In den darauffolgenden Jahren verringert sich die Zahl der Synapsen wieder um die Hälfte. Ab dem Jugendalter treten bei der Zahl der Synapsen keine größeren Veränderungen mehr auf. Die große Zahl der Synapsen bei 2 bis 10-Jährigen ist ein Zeichen für die enorme Anpassungs- und Lernfähigkeit der Kinder in diesem Alter. Art und Anzahl der sich formenden und bestehen bleibenden Synapsen hängen mit speziellen erlernten Fertigkeiten zusammen. Bei der weiteren Entwicklung des Gehirns treten dann andere Dinge in den Vordergrund. Die wenig benutzten und offenbar nicht benötigten Verbindungsstellen werden abgebaut, die anderen Nervenfasern zwischen den Neuronen dagegen intensiver genutzt. Das ist der Grund für den Abbau der Synapsen ab dem 10. Lebensjahr um die Hälfte.

Rolle der Reflexe und sensomotorischen Entwicklung

Beim Säugling stehen zunächst Reflexe im Vordergrund. Dabei werden körpereigene Signale und Umweltreize bereits auf der Ebene des Rückenmarks und des Nachhirns in Äußerungen und Reaktionen umgesetzt. In dieser Phase dient der ganze Körper des Säuglings dazu, grundlegende Bedürfnisse und Empfindungen wie Hunger, Angst und Unwohlsein zum Ausdruck zu bringen. Nach 6 Monaten hat sich das Gehirn soweit entwickelt, dass Babys lernen Oberkörper und Gliedmaßen zu kontrollieren. Im Alter von 2 Jahren haben die meisten Nervenfasern von Rückenmark, Nachhirn und Kleinhirn ihre endgültige Dicke erreicht und damit ihre Ummantelung abgeschlossen. Sie können nun Nervensignale mit hoher Geschwindigkeit hin und her schicken.

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Gedächtnisentwicklung und kognitive Fähigkeiten

Bereits Babys besitzen die Fähigkeit sich zu erinnern. Allerdings bleiben Erlebnisse bei 6 Monate alten Säuglingen lediglich 24 Stunden im Gedächtnis. Sind sie 9 Monate alt, steigt das Erinnerungsvermögen auf 1 Monat an. In den nächsten Monaten und Jahren nehmen diese Erinnerungszeiträume weiter zu. Die Entwicklung eines Langzeitgedächtnisses, das uns erlaubt, Erlebnisse und Erfahrungen, die Jahre zurückliegen, zu erinnern, dauert aber noch einige Zeit. Deshalb gibt es an die ersten drei bis vier Lebensjahre keine Erinnerung und meist nur wenige an das 5. und 6. Lebensjahr.

Mit etwa 6 Jahren setzen weitere wichtige Prozesse ein. Im vorderen Bereich der Großhirnrinde entwickelt sich zunehmend die Fähigkeit zu logischem Denken, Rechnen und „vernünftigem“ bzw. sozialem Verhalten, das sich an Erfahrungen orientiert. Auch die sprachlichen Fähigkeiten und das räumliche Vorstellungsvermögen, für die der hintere Bereich der Großhirnrinde zuständig ist, werden besser. Ab dem 10. Lebensjahr wird das Gehirn dann optimiert. Nur die Nervenverbindungen bleiben erhalten, die häufig gebraucht werden, die übrigen verschwinden.

Neuroplastizität und Anpassungsfähigkeit

Im weiteren Verlauf des Lebens kann die komplexe Struktur des fertig entwickelten Gehirns in gewissen Grenzen umgebaut und umfunktioniert werden. Sterben Nervenzellen durch Alterungsprozesse, Erkrankungen oder andere Einflüsse ab oder sind sie in ihrer Funktion gestört, können häufig andere Bereiche des Gehirns ihre Aufgabe zumindest teilweise übernehmen.

Ernährung und Gehirnentwicklung

Wie die Immunabwehr und Energiestoffwechselprozesse gehört auch das Gehirn zu den wichtigen Organsystemen. Die Gehirnentwicklung kann ebenfalls über eine gesunde Ernährung im ersten Lebensjahr positiv beeinflusst werden. Das Gehirn spielt eine zentrale Rolle bei allen körperlichen, kognitiven und emotionalen Prozessen eines Menschen. Dieses rasante Wachstum des Hirns, die unzähligen, täglichen Eindrücke, die dein Baby verarbeiten muss, die nahezu pausenlose Bildung von Synapsen - all das erfordert eine hohe Dosis spezifischer Nährstoffe und viel Energie. In optimaler Zusammensetzung erhalten Babys diese über die Muttermilch. Langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren (LCP) sowie Eisen und Cholin spielen bei der Entwicklung des Hirns eine wichtige Rolle.

Nicht nur in der Schwangerschaft, sondern auch in der Stillzeit kann der Genuss von fettreichem Meeresfisch wie zum Beispiel Lachs, Hering oder Makrele die Gehirnentwicklung Ihres Kindes positiv beeinflussen. Denn in diesen Lebensmitteln ist viel DHA (Docosahexaensäure) enthalten, ein wichtiger Baustein für die optimale Entwicklung von Gehirn und Sehvermögen.

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Elterliche Veränderungen im Gehirn nach der Geburt

Nicht nur Mütter erleben rund um die Geburt eines Kindes tiefgreifende Veränderungen - auch Väter zeigen messbare Anpassungen in Hirnstruktur und Hormonhaushalt. Ergebnisse aus Gehirnscans zeigen: Auch bei Vätern verändert sich der Kortex, also der Teil des Gehirns, der für höhere kognitive Funktionen zuständig ist. Die Veränderungen seien subtiler als bei Müttern, aber dennoch nachweisbar - und sie scheinen die Fähigkeit der Väter zur Fürsorge zu fördern.

Der Testosteronspiegel vieler Väter sinkt nach der Geburt. Das sei mit einer höheren Motivation verbunden, sich ums Baby zu kümmern. Das heißt: Weniger Testosteron könne mehr Nähe zum Kind bedeuten, außerdem eine bessere Beziehungsqualität rund um den Übergang zur Elternschaft. Gleichzeitig zeige sich: Partnerinnen von Vätern mit niedrigerem Testosteron berichteten seltener von depressiven Symptomen - sofern die Beziehung gut war.

Die Forschung legt nahe, dass Vaterschaft ein echtes "Entwicklungsfenster" fürs Gehirn ist - vergleichbar mit Jugend oder Kindheit. Wer zunächst das Gefühl hat, sich nicht wie früher konzentrieren zu können, muss sich nicht sofort Sorgen machen. Denn Kinder fördern die Gedächtnisleistung der Eltern: Sie schärfen ihre kognitiven Fähigkeiten, Eltern können "sich besser an Dinge erinnern und diese abrufen, die für Ihr Kind spezifisch sind".

Auch Väter, die Elternzeit nehmen, profitieren - aber noch mehr profitieren die Mütter. Sie schlafen besser, sind weniger gestresst und zeigen seltener depressive Symptome.

Veränderungen im mütterlichen Gehirn

Eine Studie aus dem Jahr 2023 fand heraus, dass die Spuren der Schwangerschaft im Gehirn noch zwei Jahre nach der Entbindung deutlich zu erkennen waren. Besonders vom Schwangerschaftsschwund betroffen zu sein schien ein Netzwerk, das für Selbstreflexion, soziale Kognition und Empathie zuständig ist. Wichtig zu wissen ist: Ein schrumpfendes Gehirn oder eine dünnere Großhirnrinde bedeuten mitnichten, dass die geistigen Fähigkeiten nachlassen. Weniger Graue Substanz macht nicht dümmer. Im Gegenteil: Die gezielte Ausdünnung kann die Effizienz unseres Gehirns steigern und den Fokus auf Funktionen legen, die für den kommenden Lebensabschnitt besonders wichtig sind. Etwa die Signale des Babys stets im Blick zu haben, richtig zu deuten und umgehend darauf zu reagieren.

Im Januar 2024 schob ein Forschungsteam erstmals Frauen hochschwanger und kurz nach der Geburt in den Hirnscanner. Die Forschenden aus Spanien zeigten, dass sich der Kortex dynamisch verändert: Vor der Entbindung war sein Volumen vergleichsweise gering, nach der Entbindung nahm es zaghaft wieder zu.

Eine Schwangerschaft ist ein faszinierender wie ungeheuerlicher Prozess, der noch immer nicht bis ins Letzte verstanden ist. Das Volumen des gesamten Gehirns nahm ab der neunten Schwangerschaftswoche kontinuierlich ab, insgesamt um rund 20 Kubikzentimeter. 80 Prozent der 400 analysierten Hirnregionen bauten Graue Substanz ab, nicht nur im Kortex, sondern auch in darunter liegenden Bereichen. Vorangegangene Studien hatten bereits gezeigt, dass allein der Kortex rund fünf Prozent an Volumen verliert. Die Menge an Hirnwasser nahm hingegen zu, genau wie die Weiße Substanz. Sie liegt tiefer im Hirn und ermöglicht den Informationsaustausch der Hirnregionen untereinander. Doch der Gewinn an Weißer Substanz hielt nicht lange vor. Nach der Geburt war schnell wieder alles beim Alten.

Ganz ähnliche Veränderungen, sowohl im Hormonhaushalt als auch im Gehirn, sind Forschenden bereits aus einer anderen Zeit der Umbrüche bekannt: aus der Pubertät. "Der beträchtliche Anstieg der Steroidhormon-Produktion scheint das Gehirn umzugestalten und eine Reihe von Verhaltensweisen zu fördern, die für die folgende Lebensphase von Vorteil sind", schreiben die Forschenden in der Fachzeitschrift "Nature Neuroscience".

Hauptursache für die Schusseligkeit und Vergesslichkeit, die viele Frauen während der Schwangerschaft und Stillzeit beklagen, ist die Umorganisation im Hirn vermutlich nicht. Ob "Baby Brain" überhaupt ein medizinisches Phänomen ist, bleibt umstritten. Einschränkungen des Erinnerungsvermögens sind lediglich während des letzten Trimesters belegt. Aber sie sind gering und vorübergehend. Sicher ist, dass sich vor und mit der Geburt eines Kindes die Prioritäten verschieben und viele neue Aufgaben hinzukommen. Ein kleiner Trost für alle Schwangeren und frisch gebackenen Mütter, die an ihrem Verstand zweifeln: In der Lebensmitte sind die Gehirne von Müttern im Durchschnitt ein wenig jünger und besser vernetzt als die Gehirne kinderloser Frauen.

Seit wenigen Jahren ist bekannt, dass die Großhirnrinde werdender Mütter in der ersten Schwangerschaft regelrecht umgebaut wird. Camila Servin-Barthet von der Universitat Autònoma de Barcelona und Dr. Magdalena Martínez-untersuchten mit Ihrem Team die Hirnveränderungen von werdenden Müttern. Hierfür nutzten sie Magnetresonanztomografie (MRT), Hormonanalysen und psychologische Fragebögen zur Mutter-Ungeborenes- bzw. Mutter-Kind-Bindung. Die stärkste Mutter-Kind-Bindung konnte bei den biologischen Müttern gemessen werden, deren graue Substanz sich nach der 34. Die erste Schwangerschaft ist ein einzigartiges natürliches Ereignis im Erwachsenenleben, indem starke Veränderungen im Gehirn stattfinden. Der U-förmige Verlauf im Volumen der grauen Hirnsubstanz ist in erster Linie mit Schwangerschaftsfaktoren verbunden und korreliert mit Schwankungen des Östrogenspiegels im Laufe der Schwangerschaft und frühen Mutterschaft. Die Veränderungen betreffen dabei insbesondere die Hirnregion, die das Sozialverhalten steuert. Das Mutterwerden ohne Schwangerschaft wirkt sich dagegen nicht messbar auf das Gehirn aus - zumindest nicht im beobachteten Zeitraum.

Neuverdrahtung des mütterlichen Gehirns

Mutterschaft verändert nicht nur den Körper und die Lebensumstände, sondern bei vielen Spezies auch das Verhalten: Weibliche Tiere, die Nachwuchs zu versorgen haben, weisen oft einen Nestbautrieb und veränderte Fütterungsroutinen auf oder legen erhöhte Wachsamkeit und sogar Aggressivität an den Tag, um ihre Babys zu beschützen. Eine aktuelle Studie von Forschenden des Francis Crick Institute in London, England, die in der Fachzeitschrift Science erschienen ist, zeigte, dass ein kleines Areal im Gehirn trächtiger Tiere durch bestimmte Schwangerschaftshormone so beeinflusst wird, dass es zu einer teilweise permanenten Neuverdrahtung der betroffenen Neuronen kommt. Östrogen beeinflusst diesen Teil des Gehirns werdender Mütter auf zwei verschiedene Arten: Zum einen hemmt es die Aktivität der Neuronen, zum anderen macht es sie empfindlicher. Progesteron sorgt für eine erhöhte Rekrutierung von Eingängen an den Synapsen, schafft also mehr Punkte, über die die Neuronen miteinander kommunizieren können.

Die Studienautoren gehen davon aus, dass es vor allem während der späten Schwangerschaft eine kritische Phase gibt, in der die fraglichen Hormone die Verhaltensänderung auslösen. Die Veränderungen im Gehirn sind von unterschiedlicher Dauer. Während manche Effekte bis mindestens einen Monat nach der Geburt anhalten, sind andere offenbar permanent. Die Art und Weise, wie die Neuronen in den Erziehungsschaltkreis integriert sind, scheint dauerhaft verändert zu sein. Dies sei sowohl lange nach der Geburt an der Aktivität dieser Neuronen erkennbar, aber auch daran, wie das Muttertier mit dem Nachwuchs interagiert.

Die Forschenden gehen davon aus, dass sich die Erkenntnisse aus der Studie auf menschliche Mütter übertragen lassen. In Bezug auf das spätere mütterliche Verhalten könnte dieser Vorgang eine ebenso wesentliche Rolle spielen wie beispielsweise das soziale Umfeld. Zudem könnte Kohl zufolge eine natürliche Unempfindlichkeit von MPOA-Neuronen gegenüber Progesteron und Östrogen erklären, warum es manchen Müttern schwerer fällt, sich in ihrer neuen Rolle zurechtzufinden als anderen.

Evolutionäre Aspekte der Gehirnentwicklung

Die Evolution der menschlichen Linie ist untrennbar mit der Evolution des Gehirns verknüpft. Das Gehirnvolumen heute lebender Menschen ist etwa dreimal so groß wie das von Schimpansen. Vor allem in den letzten zwei Millionen Jahren kam es zu einer dramatischen Größenzunahme des menschlichen Gehirns. Für die kognitiven Fähigkeiten ist die innere Struktur des Gehirns wichtiger als dessen Größe. Diese Vernetzung des Gehirns wird in den ersten Lebensjahren angelegt.

Vor etwa sechs Millionen Jahren entwickelte sich innerhalb der Linie der Homininen eine für Primaten ungewöhnliche Art der Fortbewegung: der aufrechte Gang. Die Evolution des aufrechten Gangs ging also der dramatischen evolutionären Expansion des Gehirnvolumens um bis zu vier Millionen Jahre voraus.

Bereits bei der Geburt hat das Gehirn eines menschlichen Babys mit circa 400 ml etwa die Größe eines erwachsenen Schimpansengehirns. Bei Menschen verdreifacht sich das Volumen des Gehirns in den ersten Lebensjahren. Auch bei Schimpansen und anderen Menschenaffen wächst das Gehirn noch nach der Geburt, aber bei Menschen findet ein größerer Anteil des Gehirnwachstums und der Gehirnentwicklung nach der Geburt statt. Im Vergleich zu Menschenaffen nimmt das Gehirn des Menschen im Laufe der Kindesentwicklung also deutlich schneller an Volumen zu und wächst über einen etwas längeren Zeitraum. Relativ gesehen bedeutet das aber eine Verlangsamung der Gehirnentwicklung bei Menschen. Bei Menschen sind zum Zeitpunkt der Geburt zwar alle Nervenzellen bereits angelegt, aber noch kaum miteinander verknüpft. Die ersten Lebensjahre sind entscheidend für die Vernetzung des Gehirns.

Unterschiede in der Gehirnentwicklung zwischen Neandertalern und modernen Menschen

Ob es zwischen Neandertalern und modernen Menschen Unterschiede in geistigen und sozialen Fähigkeiten gab, ist eines der großen Streitthemen in der Anthropologie und Archäologie. So konnten Wissenschaftler nachweisen, dass sich das Muster der endocranialen Gestaltveränderung direkt nach der Geburt zwischen Neandertalern und modernen Menschen unterscheidet. Moderne Menschen unterscheiden sich von Neandertalern in einer frühen Phase der Gehirnentwicklung. Sobald die Milchzähne durchgebrochen sind, unterscheiden sich die Wachstumsmuster dieser beiden Menschengruppen allerdings nicht mehr. Diese Entwicklungsunterschiede direkt nach der Geburt könnten Auswirkungen auf die neuronale und synaptische Organisation des Gehirns haben. Erst kürzlich ergaben genetische Studien, dass sich der moderne Mensch vom Neandertaler durch einige Gene unterscheidet, die wichtig für die Gehirnentwicklung sind.

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