Handschrift-Auswirkungen auf das Gehirn: Eine umfassende Analyse

Die Frage, ob Handschrift einen besonderen Einfluss auf unser Gehirn hat, ist komplex und nicht eindeutig beantwortet. Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass handschriftliches Notieren Informationen besser verarbeiten lässt, während andere Studien keine signifikanten Unterschiede zum Tippen feststellen konnten. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Debatte und untersucht, wie Handschrift unsere kognitiven Fähigkeiten beeinflussen kann.

Der aktuelle Forschungsstand

Die Forschung zu den Auswirkungen der Handschrift auf das Gehirn ist vielfältig und liefert unterschiedliche Ergebnisse. Eine Studie der amerikanischen Psychologin Dr. Pam Mueller zeigte, dass Studenten, die Vorlesungen handschriftlich mitschrieben, sich an Fakten genauso gut erinnerten wie Studenten, die einen Laptop benutzten. Allerdings stellte sie fest, dass die Laptop-Gruppe durchgehend tippte, während die Handschriftgruppe weniger notierte und das Gehörte in eigenen Worten zusammenfasste. Mueller schloss daraus, dass sich die Handschriftgruppe bereits während des Schreibens intensiver mit dem Stoff auseinandersetzte, da sie Informationen gezielter auswählen musste, um mit dem Schreibtempo Schritt zu halten.

Eine neuere Studie, die Muellers Experiment wiederholte, fand jedoch keinen Unterschied zwischen Handschrift- und Laptop-Notizen. Die Autoren dieser Studie folgerten, dass Handschrift keinen Vorteil gegenüber dem Tippen bietet, wenn es um das Behalten von Vorlesungsinhalten geht.

Handschrift und kindliche Entwicklung

Im Gegensatz zu den gemischten Ergebnissen bei Erwachsenen deuten Studien darauf hin, dass Kinder vom Handschreiben lernen profitieren. Die Psychologin Prof. Karin James ließ Vorschulkinder, die noch nicht schreiben und lesen konnten, Buchstaben abmalen. Die Kinder sollten die Buchstaben entweder anhand einer gepunkteten Linie nachzeichnen, freihändig abmalen oder auf einer Tastatur tippen. Es zeigte sich, dass nur das freihändige Abmalen messbare Hirnaktivitäten auslöste. James vermutet, dass dies daran liegt, dass der Buchstabe beim freihändigen Schreiben immer ein wenig anders aussieht, was die Einprägung fördert.

Deutsche Wissenschaftler entwickelten ein Training, in dem Kindergartenkinder acht Buchstaben erlernen sollten. Die Kinder, die mit dem Stift schrieben, konnten die Buchstaben besser erkennen und waren eher in der Lage, ganze Wörter zu lesen und zu schreiben.

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Handschrift und Gedächtnis

Eine Studie einer norwegischen Forschungsgruppe aus dem Fachjournal »Frontiers in Psychology« deutet darauf hin, dass man sich später besser an seine Notizen erinnern kann, wenn man sie mit der Hand anstatt am Computer schreibt. Die Studie zeigte, dass beim Schreiben mit der Hand die Verknüpfungen in bestimmten Hirnregionen aktiver sind als beim Tippen auf einer Tastatur. Laut der Hirnwissenschaftlerin und Studien-Co-Autorin Audrey van der Meer ist eine solche Konnektivität des Gehirns für die Gedächtnisbildung entscheidend.

Die Forschungsgruppe um van der Meer sammelte Daten von 36 Universitätsstudenten, denen eine Kappe mit Elektroden aufgesetzt wurde, um die elektrische Aktivität im Gehirn zu messen. Die Studenten sollten wiederholt ein Wort entweder mit einem digitalen Stift auf einen Bildschirm schreiben oder auf einer Tastatur tippen. Die Verknüpfung verschiedener Gehirnregionen nahm zu, wenn die Teilnehmer mit der Hand schrieben, aber nicht, wenn sie tippten. Van der Meer erklärte, dass die Unterschiede in der Gehirnaktivität mit der sorgfältigen Formung der Buchstaben beim Schreiben zusammenhängen. Das wiederholte Drücken einer Taste sei dagegen weniger anregend für das Gehirn.

Die Bedeutung der Handschrift im digitalen Zeitalter

Trotz der zunehmenden Verbreitung digitaler Geräte betonen Experten die Bedeutung der Handschrift. Der internationale Tag der Handschrift am 23. Januar erinnert daran, dass diese grundlegende Kulturtechnik auch im digitalen Zeitalter nicht an Bedeutung verliert. Prof. Friedrich Schönweiss, Gründer des Lernserver-Instituts, betont, dass das Schreiben mit der Hand weit mehr ist als das bloße Festhalten von Gedanken. Es bildet das Fundament eines souveränen Umgangs mit Sprache und Schrift, ist Voraussetzung auch für digitales Schreiben und fördert vernetztes Denken, Feinmotorik und Gedächtnis.

Eine aktuelle Studie aus Norwegen, durchgeführt von Hirnforscherin Audrey van der Meer, bestätigt, dass Kinder, die von Hand schreiben, eine stärkere Gehirnaktivität haben als solche, die ausschließlich tippen. Dieser Vorteil zeigt sich insbesondere in der Schule, wo das Handschreiben die Grundlage für erfolgreiches Lernen und die Entwicklung eines tiefen Textverständnisses bildet.

Handschrift und Rechtschreibung

Ein gutes Schriftbild steht auch in Zusammenhang mit sicheren Rechtschreibkenntnissen. Prof. Schönweiss erklärt, dass es beim Schreiben auf Eindeutigkeit ankommt, beispielsweise bei der Groß- und Kleinschreibung. Jeder Schreiber benötigt eine möglichst klare Kenntnis vom Kern der einzelnen Zeichen. Eine flüssige Handschrift dient nicht nur der Leserlichkeit, sondern geht Hand in Hand mit einer automatisierten Rechtschreibung.

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Die Verschlechterung der Handschrift bei Kindern

Lehrer beobachten seit Jahren, dass die Handschrift vieler Schüler immer schlechter wird. Es wird nicht nur unleserlicher, sondern auch angestrengter und langsamer geschrieben. Prof. Schönweiss warnt, dass sich dies nicht nur auf nahezu alle Schulfächer auswirkt, sondern die Kinder auch dabei behindert, sich auf Inhalte und komplexere Sprachstrukturen zu konzentrieren.

Die Ursachen für diesen Abwärtstrend sind vielfältig. Dass in der Schule insgesamt immer weniger geschrieben wird, trägt dazu bei, dass sich das (Hand-)Schreiben weniger gut automatisieren lässt. Schönweiss warnt außerdem davor, die Kinder mit dem Entwickeln einer Handschrift alleinzulassen und betont die Notwendigkeit von Anleitung und Struktur.

Handschrift als Voraussetzung für die Benutzung digitaler Geräte

Die Automatisierung von Richtigem ermöglicht erst rasches Verschriften, bei dem nicht über jeden Buchstaben und jede orthographische Regel gegrübelt werden muss. Das überträgt sich auch auf das erfolgreiche Benutzen von Computer und Tablet. Kinder, die keine automatisierte und flüssige Handschrift haben, tun sich auch mit dem Tastaturschreiben schwerer.

Prof. Schönweiss betont, dass der Zugang zur Schriftsprache über die Handschrift das Fundament für alles Weitere ist und diese entscheidende Phase nicht marginalisiert oder gar übersprungen werden darf.

Praktische Tipps zur Förderung der Handschrift

Um der Verschlechterung der Handschrift entgegenzuwirken, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Eltern und Lehrkräfte nutzen können:

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  • Vorbild sein: Eltern können ihren Kindern ein gutes Vorbild sein, indem sie selbst handschriftlich schreiben, z.B. Einkaufszettel oder Notizen an der Kühlschranktür.
  • Schreiben im Alltag integrieren: Kinder können beim Einkaufszettelschreiben, beim Verfassen von Wunschlisten oder beim Schreiben von Postkarten im Urlaub üben.
  • Ergonomische Stifte verwenden: Gerade für Schreibanfänger sind ergonomisch geformte Stifte hilfreich, um Verkrampfungen beim längeren Schreiben zu vermeiden.
  • Sandtabletts und Maltafeln nutzen: Sandtabletts sind eine tolle Möglichkeit, um die Feinmotorik zu üben und die Form von Buchstaben und Zahlen zu verinnerlichen.
  • Digitale Medien sinnvoll einsetzen: Es gibt Apps, die den Prozess des Schreibenlernens unterstützen können, indem sie die richtige Strichfolge für jeden Buchstaben zeigen und die Kinder die Buchstaben nachzeichnen lassen.

Handschrift und Krankheit

Neben den Auswirkungen auf das Lernen und Gedächtnis gibt es auch Hinweise darauf, dass die Handschrift Veränderungen aufweisen kann, die auf neurologische Erkrankungen hindeuten. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Auswertung von Handschriften sich eher für eine Frühdiagnose bestimmter neurologischer Krankheiten eignet als zur Persönlichkeitsbestimmung eines Individuums.

So gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich bei Parkinson, Alzheimer und Multipler Sklerose die Handschrift eines Menschen in erkennbarer Weise verändert, und zwar bereits einige Jahre vor dem Auftreten der klassischen klinischen Symptome.

  • Bei Parkinson wird die Schrift klein und das Schreibtempo langsam. Beschleunigungsphasen sind deutlich länger.
  • Patienten mit Huntingtonscher Chorea (Veitstanz) schreiben mit wechselnder Geschwindigkeit und mit einer Tendenz zu unbeständigem Schriftzug.
  • Schizophrene Menschen zeigen ungleichmäßige Handbewegungen.
  • Die Demenzkrankheit Alzheimer ist gekennzeichnet durch sehr unruhiges Schreiben, bei dem sich Phasen der Beschleunigung und der Verlangsamung häufig abwechseln.
  • Multiple Sklerose äußert sich im Profil des Schriftzugs mit deutlichen Ausschlägen nach oben.

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