Parkinson-Komplexbehandlung: Definition, Methoden und Ziele

Die Parkinson-Krankheit ist eine fortschreitende neurologische Erkrankung, die vor allem die Bewegungskoordination und das motorische System betrifft. Die Behandlung von Parkinson erfordert eine umfassende und individuelle Betreuung, da die Symptome und der Verlauf der Krankheit von Patient zu Patient variieren können. Gerade bei komplexen Patienten in fortgeschrittener Krankheitsphase ist ein hohes Fachwissen sowie eine interdisziplinäre Behandlung notwendig. Die Parkinson-Komplexbehandlung (PKT) ist eine nützliche Maßnahme, um Krisensituationen im Krankheitsverlauf zu vermeiden oder abzumildern.

Was ist eine Parkinson-Komplexbehandlung?

Die Parkinson-Komplexbehandlung ist ein stationäres Therapieangebot für Patient:innen, die an einem Parkinson-Syndrom erkrankt sind. Ziel der PKT ist der Erhalt der Lebensqualität von Personen mit PK. Krankheitssymptome und Alltagsfunktionen werden gemeinsam durch pharmakologische Strategien und aktivierende Therapien verbessert. Im Rahmen der Parkinson-Komplexbehandlung werden im Rahmen eines in der Regel 14- bis 21-tägigen stationären Aufenthaltes individuelle Therapieziele formuliert und in einem multidisziplinären Team behandelt. Dieses Team besteht aus:

  • Ärzt:innen (Neurolog:innen, Internist:innen, Orthopäd:innen, Urolog:innen, Psychiater:innen)
  • Pflegekräften (einschließlich spezialisierter Parkinson Nurses)
  • Physiotherapeut:innen
  • Ergotherapeut:innen
  • Logopäd:innen
  • Neuropsycholog:innen
  • Musiktherapeut:innen
  • Seelsorger:innen

Wöchentliche Teambesprechungen geben die Möglichkeit, die Therapieziele während der Behandlung kontinuierlich anzupassen. Die PKT wurde 2022 in Deutschland mehr als 15.000-mal angewendet.

Gründe für eine stationäre Komplexbehandlung

Es gibt verschiedene Gründe, die eine stationäre Komplexbehandlung bei Parkinson erforderlich machen können. Dazu gehören:

  • Wirkverlust der oralen Parkinson-Medikamente
  • Wiederholte akinetische Krisen
  • Auftreten klinischer Fluktuationen (Schwankungen der Beweglichkeit)
  • Zunehmende Dyskinesien (Überbewegungen) mit Beeinträchtigung im Alltag
  • Therapierefraktärer Tremor (Zittern, das nicht auf Medikamente anspricht)
  • Wiederholte Sturzgeschehen
  • Zunehmende Immobilisation
  • Komplikationen der dopaminergen Therapie
  • Freezing (plötzliches "Einfrieren" der Bewegung) mit Sturzneigung
  • Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie
  • Aufnahme zur Pumpenversorgung/Pumpeneinstellung

Während des stationären Aufenthaltes können auch differentialdiagnostische Aspekte geklärt werden, wie zum Beispiel die Abgrenzung von atypischen Parkinsonsyndromen, dementiellen Erkrankungen und Tremor-Syndromen. Es stehen moderne Verfahren zur Verfügung (zum Beispiel DaTSCAN, PET-CT), welche ambulant oft schwer erhältlich sind. Auch kann auf Wunsch die Eignung für invasive Substitutionsverfahren (Duodopa-, Produodopa-, Lecigon, Apomorphinpumpe) geprüft werden und die Anlage während des stationären Aufenthaltes erfolgen. Zudem vermitteln wir bei Eignung Patienten zur Tiefenhirnstimulation.

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Voraussetzungen für eine Parkinson-Komplexbehandlung

Voraussetzung für die Durchführung einer Komplexbehandlung ist die Bereitschaft, über einen längeren Zeitraum im stationären Umfeld (mindestens zwei Wochen) an der Verbesserung der Symptomatik zu arbeiten. Eine Parkinsonerkrankung muss bereits im Vorfeld diagnostiziert worden sein.

Mitzubringen sind bei der Vorstellung zur Parkinsonkomplextherapie:

  • Chipkarte
  • Medikamentenplan
  • Einweisungsschein vom Hausarzt oder ambulanten Neurologen
  • gegebenenfalls Befunde und Untersuchungsergebnisse von früheren Krankenhausaufenthalten, Arztbriefe, CD mit CCT-/MRT-Vorbefunden
  • geeignete Kleidung und rutschfestes Schuhwerk

Ziele der Parkinson-Komplexbehandlung

Ziel der Parkinson-Komplexbehandlung ist es, durch die Kombination aus medikamentöser und nicht-medikamentöser Therapie sowie besonderer pflegerischer Versorgung die Krankheitssymptome bei Patienten zu mildern, sodass eine Teilhabe am Leben ohne wesentliche Einschränkung der Lebenserwartung gewährleistet ist. So kann oft ein Umzug in eine Pflegeeinrichtung vermieden werden.

Behandlungsmethoden im Rahmen der Parkinson-Komplexbehandlung

Die Parkinson-Komplexbehandlung umfasst verschiedene Therapieansätze, die individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden.

Medikamentöse Therapie

Die Therapie mit Medikamenten ist die häufigste Behandlungsform bei der Parkinson-Krankheit. Sie basiert vor allem auf der Gabe von Präparaten mit dem Wirkstoff Levodopa, einem Vorläufer des Nervenbotenstoffs Dopamin. Bei biologisch jüngeren Patienten sind Dopaminagonisten (Dopaminähnliche Wirkstoffe) oder MAO-B-Hemmer (verlangsamen den Abbau von Nervenbotenstoffen) bei Erkrankungsbeginn unter Umständen besser geeignet. Levodopa kombinieren Ärzt:innen im Krankheitsverlauf oft mit anderen Medikamenten wie Dopaminagonisten, MAO-B-Hemmern oder COMT-Hemmern (verlangsamen ebenfalls den Abbau von Nervenbotenstoffen), um die Wirksamkeit zu erhöhen und Nebenwirkungen zu verringern. Für besondere Situationen stehen eine Vielzahl weiterer Optionen bei der Gabe von Medikamenten zur Verfügung, zum Beispiel Injektionspens, unter die Zunge verabreichte Tropfen, Inhalationen und Pumpentherapien.

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In fortgeschrittenen Stadien der Parkinson-Erkrankung gelingt es unter Umständen nicht mehr, durch Einnahme von Medikamenten eine gleichmäßig gute Beweglichkeit über den Tag hinweg zu erreichen. Dies können Gründe sein, über sog. kontinuierliche Therapieoptionen nachzudenken, die zum Ziel haben, den ganzen Tag über eine gleichmäßig gute Beweglichkeit zu erreichen. Hierzu gehören Pumpentherapien:

  • L-Dopa-Pumpe: L-Dopa wird in einer gelartigen Präparation über eine Pumpe direkt in den Dünndarm gegeben; dort kann es optimal vom Körper aufgenommen werden. Neben der Mischung aus L-Dopa und Carbidopa in Gelform (LCIG - Levodopa Carbidopa Intestinales Gel) gibt es inzwischen auch Präparate, die zusätzlich Entacapone enthalten, das den Abbau von Dopamin im Gehirn verlangsamt und so die Wirkung verstärkt (LECIG - Levodopa Entacapone Carbidopa Intestinales Gel).
  • Foslevodopa-Pumpe: L-Dopa wird als Foslevodopa über eine Pumpe „subkutan“, also unter die Haut gegeben. Bei der Foslevodopa-Pumpe ist also im Unterschied zur LCIG- oder LECIG-Pumpe keine Operation notwendig. Die Foslevodopa-Pumpe zur subkutanen Gabe wurde Ende 2023 zugelassen und steht voraussichtlich im Laufe des Jahres 2024 zur Verfügung, sobald Pumpensysteme ausgeliefert werden können.
  • Apomorphin-Pumpe: Apomorphin, ein Dopaminagonist, der an den Rezeptoren im Gehirn eine dem Dopamin vergleichbare Wirkung entfaltet, wird über eine Pumpe subkutan verabreicht.

Die individuell eingestellte Behandlung mit Medikamenten und die Auswahl der Therapieverfahren erfordert eine sorgfältige Überwachung und Anpassung durch Neurolog:innen, um die bestmögliche Symptomkontrolle zu erreichen.

Tiefe Hirnstimulation (THS)

Darüber hinaus bringen wir nicht-medikamentöse Verfahren zum Einsatz. Dazu zählt die tiefe Hirnstimulation, bei der implantierte Elektroden Impulse in bestimmte Hirnregionen abgeben. Das Verfahren umfasst die Platzierung von winzigen Elektroden in bestimmten Bereichen des Gehirns, die für die Symptome der Erkrankung verantwortlich sind. Diese Elektroden werden über dünne Kabel mit einem Impulsgenerator, ähnlich einem Schrittmacher, verbunden. Dieser wird unter der Haut eingesetzt, meist unterhalb des Schlüsselbeins. Durch gezielte elektrische Stimulation der für Ihre Symptome verantwortlichen Gehirnregionen können unkontrollierte Bewegungen, Zittern und andere motorische Symptome deutlich reduziert werden. Die Stimulation kann den jeweiligen Erfordernissen im Krankheitsverlauf angepasst werden.

MR-gesteuerte fokussierte Ultraschalltherapie

Ein weiteres nicht-medikamentöses Verfahren ist der MR-gesteuerte fokussierte Ultraschall, bei dem mithilfe eines MRT-Bildes gezielt Ultraschallwellen Nervenzellen veröden, die einen Tremor auslösen.

Physiotherapie

Physiotherapie spielt eine entscheidende Rolle bei der Behandlung von Parkinson-Patient:innen. Sie hilft, die Mobilität zu erhalten, die Muskelkraft zu verbessern und die Balance und Koordination zu fördern. Spezielle physiotherapeutische Übungen sind darauf ausgerichtet, die Gangsicherheit zu erhöhen und das Risiko von Stürzen zu minimieren. In der Physiotherapie werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse in den Einzeltherapien berücksichtigt, unter anderem das Trainieren mit großen, ausladenden Bewegungen. Ein Schwerpunkt ist außerdem das Training von Gangsicherheit und Gleichgewicht, um eine Sturzneigung zu reduzieren. Der Einsatz von verschiedenen Hilfsmitteln wie z. B.

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Ergotherapie

Ergotherapie unterstützt Parkinson-Patient:innen dabei, ihre Selbstständigkeit im Alltag zu bewahren. Durch gezielte Maßnahmen werden feinmotorische Fähigkeiten trainiert und Strategien entwickelt, um alltägliche Herausforderungen wie Anziehen, Essen und Schreiben zu bewältigen. Es werden gezielt die Alltagsaktivitäten und Routinen wie Waschen, Anziehen, Nahrungsaufnahme trainiert. Insbesondere wird dabei auf den Erhalt der feinmotorischen Fähigkeiten geachtet, welche für die Patientinnen und Patienten im Alltag von großer Bedeutung sind. Auch bestehende kognitive Defizite können gezielt erfasst und behandelt werden. Zusammen mit dem Patienten werden die Bereiche "Aktivitäten des täglichen Lebens" (Waschen, Anziehen, Transfer, Einkaufen u.v.m.), "Produktivität" (Arbeit, ehrenamtliche Tätigkeit, Essen zubereiten) und "Freizeit" (soziale Freizeit, Sport, Hobbys) analysiert. Der Patient formuliert, was er nicht mehr kann, z. B. Waschen/ Anziehen, Staubsaugen oder Schreiben. Anschließend bewertet er, wie wichtig es ihm ist, diese Tätigkeit wieder ausüben zu können.

Logopädie

Da die Parkinson-Krankheit auch die Sprach- und Schluckfähigkeit beeinträchtigen kann, ist die Logopädie (Sprachheilkunde) ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Logopäden arbeiten mit ihren Patient:innen an Übungen zur Stärkung der Stimme und Verbesserung der Artikulation. Das im fortgeschrittenen Stadium typische monotone, undeutliche, leise Sprechen kann durch die qualifizierte logopädische Therapie verbessert werden. Denn die flüssige, verständliche Kommunikation ist die Basis zum Erhalt der sozialen Strukturen und der Interaktion mit den Angehörigen und Freunden. Schluckstörungen werden fiberendoskopisch frühzeitig identifiziert und kompensatorische Schlucktechniken erlernt. Bildgebende Diagnostikverfahren wie Röntgen und endoskopische Untersuchungen ermöglichen individuelle Behandlungen im Rahmen einer funktionellen Dysphagie-Therapie, die speziell auf die Bedürfnisse von Parkinson-Patienten ausgerichtet ist.

Neuropsychologie

Die Merkfähigkeit, Kognition und andere Ressourcen werden durch neuropsychologische Testverfahren überprüft. So kann festgestellt werden, ob beispielsweise eine begleitende Parkinson-Demenz vorliegt, wodurch sich weitere Therapieoptionen ergeben.

Musiktherapie

Musiktherapie als nonverbales erlebnisorientiertes Verfahren wird in allen Phasen der neurologischen Rehabilitation eingesetzt. Bei der Parkinson-Erkrankung stellt sie eine wichtige begleitende Therapie dar. Insbesondere die standardisierte Methode „Rhythmisch akustische Stimulation“ (RAS) nach Michael Thaut (neurologische Musiktherapie, NMT) wird in rhythmisch-akustischen Übungen, dem rhythmisch-akustischen Gangtraining und im Rahmen einer Rhythmik-Gruppe geübt. RAS ist ein Bewegungstraining mit akustischer Stimulation mittels gehörter Musik, gespielter Musik an Trommeln und Bodypercussion oder dem Klicken eines Metronoms. Innerhalb der Musiktherapie werden verschiedene „Cueing“-Strategien zur Kompensation der Bewegungsstörung erlernt.

Psychologische Betreuung

Die psychologische Betreuung ist ein wesentlicher Aspekt der Behandlung, da die Parkinson-Krankheit auch emotionale und kognitive Veränderungen (Verständnisschwierigkeiten) mit sich bringen kann.

Die Rolle der Parkinson Nurse

Spezialisierte Pflegekräfte, sog. Parkinson Nurse, sind das Bindeglied zwischen Arzt und Patient. Neben der fachlichen Kompetenz ist auch ein hohes Maß an Empathie gefragt. Die Parkinson Nurse widmet sich mit viel Zeit und Geduld den Patienten und vor allem auch deren Angehörigen. Insbesondere gegenüber Angehörigen bietet das geschulte Pflegepersonal wichtige Aufklärungsarbeit, z. B. im Umgang mit dem Erkrankten im häuslichen Alltag.

Wirksamkeit der Parkinson-Komplexbehandlung

Acht Beobachtungsstudien (n = 1246) weisen eine gute Wirksamkeit nach (insgesamt durchschnittliche Verbesserung um 7,8 Punkte auf der International Parkinson and Movement Disorder Society Unified Parkinson’s Disease Rating Scale III [MDS-UPDRS III]). Für nachhaltige Effekte auf die Lebensqualität muss der Transfer von Übungen in den Alltag durch intensive und spezialisierte ambulante Therapien sichergestellt werden. Es bestehen Entwicklungspotenziale bei der Standardisierung, Patientenauswahl und Qualitätssicherung der PKT sowie bei der Einbettung in Versorgungsstrukturen wie Parkinson-Netzwerke.

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