Kokain ist eine stark süchtig machende Substanz, die erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn hat. Der Konsum von Kokain ist in Europa in den letzten Jahren gestiegen, was die Notwendigkeit verdeutlicht, die Risiken und Folgen dieser Droge zu verstehen. Dieser Artikel untersucht die vielfältigen Auswirkungen von Kokain auf das Gehirn, von strukturellen Veränderungen bis hin zu langfristigen kognitiven Beeinträchtigungen.
Wie Kokain das Gehirn beeinflusst
Kokain wirkt, indem es die Funktion von Neurotransmittern im Gehirn beeinflusst. Insbesondere Nervenzellen, die Dopamin, Noradrenalin und Serotonin enthalten, werden verstärkt aktiviert. Dies führt zu einer massiven Stimulation des zentralen Nervensystems und erklärt die typischen phasenweisen Wirkungen von Kokain:
Euphorisches Stadium: Konsumenten erleben gesteigerte Wachheit und Aufmerksamkeit. Sie fühlen sich euphorisch, das Selbstwertgefühl ist gesteigert, soziale und sexuelle Hemmungen sinken. Der Körper wird insgesamt auf eine höhere Leistungsfähigkeit eingestellt. Dabei steigen die Puls- und Atemfrequenz sowie die Körpertemperatur. Es ist wichtig zu beachten, dass dem Körper keine Energie durch das Kokain zugeführt wird, sondern seine Kraftreserven verbraucht werden.
Rauschstadium: Nach dem Abklingen der euphorischen Phase (etwa 60 Minuten bei geschnupftem Kokain) können ängstlich-paranoide Stimmungen mit akustischen oder optischen Halluzinationen hinzukommen. Häufiges „Nachlegen“ verstärkt die als unangenehm erlebten Effekte.
Depressives Stadium: Das Rauschende ist meistens gekennzeichnet von Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung bis hin zu Angstzuständen, Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen und Suizidgedanken.
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Strukturelle Veränderungen im Gehirn durch Kokainkonsum
Ein britisches Forschungsteam unter der Leitung von Karen Ersche von der University of Cambridge hat herausgefunden, dass Kokainkonsum mit einem Rückgang an Hirnmasse im Bereich des Vorderhirns in Zusammenhang steht. Gleichzeitig entdeckte das Team eine vergrößerte Hirnstruktur in den Basalganglien, die eine wichtige Rolle für das Belohnungssystem spielen.
Die Studie umfasste 120 Personen, von denen die Hälfte kokainabhängig war. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) wurden feine Hirnstrukturen sichtbar gemacht. Die Ergebnisse zeigten, dass der Rückgang der Hirnmasse umso stärker ausgeprägt war, je länger die Personen Kokain konsumierten. Das verminderte Hirnvolumen stand zudem in Zusammenhang mit einem stärker ausgeprägten zwanghaften Konsumverhalten, das eines der Kennzeichen einer Kokainabhängigkeit ist.
Tests zur Aufmerksamkeitssteuerung zeigten ebenfalls Defizite: Kokainkonsumierende hatten Probleme, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren und waren langsamer bei Aufgaben, in denen eine schnelle Entscheidungs- und Reaktionsfähigkeit gefragt war.
Es gab jedoch keinen Zusammenhang zwischen dem Konsummuster und dem vergrößerten Hirnareal, das für das Belohnungssystem von Bedeutung ist. Das Forschungsteam deutet dieses Ergebnis als Hinweis darauf, dass der strukturelle Unterschied möglicherweise schon vor Beginn des Kokainkonsums vorhanden war. Diese Personen könnten somit empfänglicher sein für die belohnende Wirkung des Kokains als die Kontrollgruppe, weil ihr Gehirn besonders stark auf Kokain reagiert.
Kokain und die Beschleunigung der Hirnalterung
Eine weitere Folge des regelmäßigen Kokainkonsums ist, dass Kokain den Alterungsprozess des Gehirns beschleunigt. Eine 2023 publizierte Studie verglich das Hirngewebe von Kokain-Abhängigen und Nicht-Konsumenten. Festgestellt wurde bei den Suchtkranken eine ausgedehnte Atrophie der grauen Substanz in den Bereichen Temporallappen, Frontallappen, Insula und limbischer Lappen.
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Schon 2012 war eine Arbeitsgruppe der Frage nachgegangen, warum Langzeit-Kokain-Abhängige Einschränkungen in Bezug auf Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit und Reaktionszeit aufweisen, und führte eine Bildgebungsstudie durch. Auch hier zeigte sich eine schnellere Abnahme der grauen Substanz.
Kognitive Defizite durch Kokainkonsum
Der Konsum von Kokain, selbst gelegentlich, kann zu spürbaren kognitiven Defiziten führen. Kokain beeinträchtigt wichtige geistige Funktionen wie Gedächtnis, Sprache, Problemlösungsfähigkeiten und Gefühlsregulation. Studien haben gezeigt, dass Langzeit-Kokain-Abhängige Einschränkungen bei der Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit und Reaktionszeit aufweisen.
Erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und Hirnblutungen
Eine systematische Metaanalyse von 36 Studien zeigte, dass Kokain das Risiko für Hirnblutungen und ischämische Schlaganfälle verfünffacht. Die durch Kokain bedingten Schlaganfälle enden öfter tödlich und gehen häufiger mit Komplikationen wie Gefäßspasmen und epileptischen Anfällen einher.
Kokain beeinträchtigt die Funktion der Blutgefäße und ruft Verengungen und Entzündungen der Blutgefäße hervor (Vasokonstriktion und Vaskulitis). Dies verursacht nicht nur die typischen Kopfschmerzen, unter denen viele Konsumenten leiden, sondern scheint auch ein Grund für die erhöhte Schlaganfallrate von Kokain-Abhängigen zu sein.
Kokain und die Veränderung der Hirnfaltung
Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass das Gehirn von Personen mit einer Kokainabhängigkeit weniger stark gefaltet ist. Die Großhirnrinde (Cortex) gilt als wichtige Instanz für den Verstand und das Bewusstsein. Mehr Falten bedeuten mehr geistige Leistung.
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Das Hauptergebnis der Studie lautet: Teile der Großhirnrinde waren bei den Kokainabhängigen weniger stark gefaltet als in der Kontrollgruppe. Dieser Effekt war dosisabhängig. Das heißt: Je länger die Personen kokainabhängig waren, desto weniger komplex war die Faltung des Gehirns. Auch das Alter bei der Entstehung der Abhängigkeit spielte eine Rolle. Je jünger die Teilnehmenden waren, als sie abhängig wurden, desto weniger Furchen und Falten konnten gemessen werden.
Die Faltung war vor allem in den Bereichen der Großhirnrinde schwächer ausgeprägt, die mit Suchtverhalten in Verbindung gebracht werden. Eine der betroffenen Hirnregionen ist dafür zuständig, Impulse zu unterdrücken.
Die Rolle von Dopamin und dem Belohnungssystem
Kokain manipuliert das Gehirn, indem es die Konzentration bestimmter Botenstoffe im Gehirn, insbesondere Dopamin, erhöht. Dadurch wird das sogenannte Belohnungszentrum befeuert, was zunächst Wohlbefinden auslöst. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung anderer Dinge wie Partnerschaft, Freundschaften, Hobbys oder Beruf ab.
Die vermeintlich positiven Gefühle des Anfangs verkehren sich allerdings schnell ins Gegenteil. Es kommt zu Angst, paranoiden Wahnvorstellungen, Halluzinationen und innerer Unruhe. Um die durch den Kokainkonsum erhöhten Neurotransmitter wieder abzubauen, benötigt das zentrale Nervensystem (ZNS) meist mehrere Tage. Während die aktivierende Wirkung des Dopamins sich immer weiter verringert, wird der die Hyperaktivität ausbremsende Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1) weiterhin ausgeschüttet und verstärkt zusätzlich zum absinkenden Dopaminspiegel die Antriebslosigkeit.
Die betroffenen Personen fühlen sich leer, niedergeschlagen, erschöpft, antriebslos und depressiv. Die entstandene Leere ist häufig so groß, dass sie nur mit einer neuen Line ausgehalten werden kann. Für einen „rettenden“ Entzug fehlt die Energie, so dass viele Kokainkonsumenten häufig rasch in eine Kokainsucht rutschen.
Die schnelle Lernwirkung von Kokain im Gehirn
Schon nach einmaliger Gabe von Kokain kommt es im Entscheidungszentrum des Frontalhirns zur Bildung neuer Dornfortsätze auf den Dendriten der Neurone. Die an Mäusen vorgenommenen Experimente veranschaulichen die schnelle Lern- sprich Suchtentwicklung der Droge.
Die Experimente zeigen, dass Kokain eine rasche „Lernwirkung“ in einer für das Verhalten zentralen Hirnregion erzielt.
Persönlichkeitsveränderungen durch Kokainkonsum
Der dauerhafte Konsum von Kokain verändert das Verhalten und die Persönlichkeit zahlreicher Konsumenten. Einige Betroffene legen ein zunehmend narzisstisches Verhalten an den Tag, das geprägt ist von Selbstüberschätzung und Hemmungslosigkeit und das ihnen selbst oft nicht einmal bewusst ist. Auch die Niedergeschlagenheit am Ende des Highs ist im Vergleich zu anderen Drogen besonders hoch.
Aufgrund dieser durch den Konsum hervorgerufenen Allmachtsgefühle wird Kokain häufig auch als Ego-Droge bzw. Narzissmus-Droge bezeichnet.