Der Geruchssinn ist ein evolutionär bedeutsames physiologisches System, das es dem Menschen ermöglicht, mindestens 10.000 verschiedene Geruchsstoffe zu erkennen und zu unterscheiden. Dieser Sinn spielt eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung der Umwelt, der Identifizierung von Gefahren, der Erkennung von Pheromonen und der Auswahl von Lebensmitteln. Darüber hinaus ist der Geruchssinn durch die Beteiligung der Amygdala eng mit Emotionen verbunden.
Anatomie des Geruchssystems
Das Geruchssystem beginnt mit der Nase, die mit einer spezialisierten Schleimhaut ausgekleidet ist, dem Riechepithel. Dieses Epithel enthält Millionen von Riechzellen, auch olfaktorische Rezeptorneurone genannt, die für die Erkennung von Duftstoffen verantwortlich sind. Beim Einatmen strömt die Atemluft an dieser Riechschleimhaut entlang, die eine Oberfläche von 2,5 bis 5 Kubikzentimeter aufweist und etwa 30 Millionen Riechzellen enthält. Diese Riechzellen besitzen an ihrer Spitze Büschel von besonders feinen Sinneshärchen, den sogenannten Riechzilien.
Die Duftstoffe, die sich aus chemischen Molekülen zusammensetzen, gelangen auf das Riechepithel in der Nasenhöhle und diffundieren in den Schleim, der von den Stützzellen produziert wird. Dort werden sie von Proteinen gebunden, die sie zu den Geruchsrezeptoren transportieren.
Der Riechnerv und seine Bahn
Die Axone der Riechneuronen bilden Nervenbündel, die als Fila olfactoria bezeichnet werden. Viele dieser Bündel verschmelzen zum Nervus olfactorius (Riechnerv), dem ersten Hirnnerv (HN I). Der Riechnerv leitet die sensorische Geruchswahrnehmung über den Tractus olfactorius (Riechbahn) weiter.
Der Riechkolben (Bulbus olfactorius) ist eine Ausstülpung des Gehirns, die direkt über der Nasenhöhle liegt. Die Axone der Riechzellen durchdringen die Siebplatte (Lamina cribrosa) des Siebbeins und treten in den Riechkolben ein. Die Eintrittsstellen in den Riechkolben sind die Glomeruli, kugelförmige Strukturen, in denen die primären olfaktorischen Neurone zusammenlaufen und ihre Geruchsinformation auf die sekundären Geruchsneurone, die Mitralzellen, übertragen.
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Verarbeitung im Gehirn
Über die Striae olfactoriae wird die Geruchswahrnehmung in den primären Riechkortex und die Amygdala weitergeleitet. Der olfaktorische Kortex ist einzigartig, da er direkte sensorische Inputs von den Mitralzellen des Bulbus olfactorius empfängt. Der primäre olfaktorische Kortex umfasst den piriformen Kortex, den olfaktorischen Tuberkel und Teile der Amygdala und des entorhinalen Kortex. Der sekundäre olfaktorische Kortex umfasst den orbitofrontalen Kortex.
Im Riechkolben wird die Geruchsinformation vieler einzelner Duftmoleküle zu einem Gesamteindruck zusammengesetzt. Dabei entstehen charakteristische räumliche Aktivierungsmuster, so genannte sensorische Karten. Im Weiteren gelangt die Geruchsinfomation in nachgeschaltete Gehirnregionen, die den Duft mit Emotionen, Lust oder Funktionen der Motivation verknüpfen und im Gedächtnis abspeichern.
Die enge Verbindung des Geruchssinns mit der Amygdala erklärt die Assoziation mit emotionalen Reaktionen auf Gerüche, z.B. die Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis beim Riechen eines damit verbundenen Duftes. Der Geruchssinn ist der einzige Sinn, der einen direkten Zugang zum Zentrum der Erinnerung und der Emotionen im Gehirn hat, also zum Hippocampus und zum limbischen System.
Räumliches Riechen
Im Gegensatz zum Hören, bei dem die Richtung einer Schallquelle leicht bestimmt werden kann, ist das räumliche Riechen beim Menschen weniger ausgeprägt. Wir können zwar riechen, was da duftet oder stinkt, aber nicht, wo - zumindest dann nicht, wenn es sich um eine reine Geruchsinformation handelt. Gesellt sich zur olfaktorischen Information noch eine weitere hinzu, etwa das stechende Empfinden, das Lacke und Lösungsmittel verursachen, das Kratzen von Rauch oder das Beißen von Essig oder Chlor, können wir uns zumindest eine grobe Vorstellung von der Richtung machen, aus der die jeweilige Note kommt.
Besser funktioniert das räumliche Riechen bei Drosophila. Die Taufliege nimmt Gerüche mit ihren Antennen auf, die links und rechts vom Kopf sitzen - zwei separate Nasen also, statt nur zwei eng beieinanderliegende Nasenhöhlen.
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Das Vomeronasalorgan
Viele Wirbeltiere besitzen ein eigenes Organ für die Wahrnehmung von Pheromonen, das sich im olfaktorischen System befindet: Das Vomeronasalorgan, auch “Jacobson-Organ” genannt. Es handelt sich dabei um eine separate chemisch sensitive Region in der Nasenhöhle, deren Sinneszellen mit speziellen Geruchsrezeptoren bestückt sind. Die Sinneszellen des Vomeronasalorgans werden von Pheromonen stimuliert, bestimmte Geruchssignale, die der Kommunikation dienen. Sie signalisieren beispielsweise, in welcher hierarchischen Position sich ein Tier befindet oder ob es paarungsbereit ist. Die Informationen gelangen dann über den akzessorischen Riechkolben zum Hypothalamus.
Beim Menschen entsteht das Vomeronasalorgan im Verlauf der Embryonalentwicklung, bildet sich dann aber bis auf einen rudimentären Rest zurück. Die Funktion eines solchen Organs ist beim Menschen höchst umstritten - was nicht heißt, dass wir für Duftbotschaften völlig unempfänglich sind: Sehr junge Säuglinge erkennen etwa ihre Mutter und deren Brust am Geruch.
Geruch und Geschmack
Der Geruch von Speisen, die wir mögen, weckt die Lust darauf. Er hilft, sie zu identifizieren, aber auch zu erkennen, ob sie bekömmlich oder vielleicht gesundheitsschädlich sind. Was faulig riecht oder gar nach verdorbenem Fleisch, ruft Ekel hervor und warnt, bei diesen Speisen zuzugreifen. Beim Essen gelangen Aromastoffe aus der Nahrung über den Rachen in die Nase, wo sie die Riechrezeptoren stimulieren. Das bedeutet, dass wir die meisten Geschmacksnuancen nicht direkt schmecken, sondern über den Geruchssinn wahrnehmen - tatsächlich entsteht rund 80 Prozent des Aromas auf diese Weise.
Riechstörungen
Riechstörungen können verschiedene Ursachen haben, darunter:
- Anosmie: vorübergehender oder dauerhafter Verlust des Geruchssinns
- Dysosmie: qualitative Veränderung oder Verzerrung der Geruchswahrnehmung (Parosmie: unangenehme Geruchswahrnehmung; Phantosmie: Wahrnehmung eines Geruchs, wenn kein Geruchsstoff vorhanden ist)
- Hyposmie: eingeschränkte Wahrnehmung des Geruchssinns
Ursachen für Riechstörungen können sein:
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- Knochenbrüche der Lamina cribrosa
- Pathologische Läsionen (z.B. Alzheimer, M. Huntington oder M. Parkinson)
- Sinusitis (Rhinosinusitis)
- COVID-19
- Medikamente
- Psychische Erkrankungen
- Virusinfektionen
- Feinstaub
- Toxische Substanzen
Die Behandlung von Riechstörungen hängt von der Reversibilität der Grunderkrankung ab. In einigen Fällen kann ein Riechtraining helfen, die Neubildung von Riechzellen anzuregen.
Geruch und Schmerz
Die Wahrnehmung von Gerüchen hat einen Einfluss auf unser Schmerzempfinden. Für viele Migränebetroffene ist der Zusammenhang zwischen Geruchswahrnehmung und Schmerzempfinden nicht neu. Nicht wenige Betroffene beschreiben, dass bestimmte Gerüche bei ihnen Migräneattacken auslösen können. Sie versuchen, zu vermeiden, solchen Geruchssignalen ausgesetzt zu werden, mit denen sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Für die Angst vor (bestimmten) Geruchssignalen hat die Wissenschaft den Begriff der „Osmophobie“ geprägt.
Man hat festgestellt, dass die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen bei Migräne mit Aura besonders ausgeprägt ist. Geruchs- und Schmerzempfindung sind auf der Ebene des Nervensystems miteinander verbunden, die beiden Sinneswahrnehmungen beeinflussen einander. Wahrgenommene Gerüche wirken nicht nur auf die Sinneszellen der Riechschleimhaut, sondern reizen auch den sogenannten Trigeminusnerv, der Teile des Gesichts versorgt und eng in das Schmerzgeschehen eingebunden ist.
Interessanterweise zeigen Migränebetroffene durchweg eine höhere sogenannte „Riechschwelle“ als Menschen ohne Migräne. Dies gilt besonders für Patinent:innen mit Aura. In früheren Forschungen wurde gezeigt, dass bei vielen Migränebetroffenen der Riechkolben etwas kleiner ist als bei der Normalbevölkerung.
Geruch und Lernen
Der Duft von Rosen kann beim Lernen von Vokabeln helfen. Das Gehirn kann Informationen durch den Duft besser abspeichern. Sind die Düfte zusätzlich an starken Emotionen geknüpft, wirkt sich das noch besser aus. Neue Informationen werden dann nämlich häufiger im Langzeitgedächtnis gespeichert.
Experimente haben gezeigt, dass der Duft vor allem wirkt, wenn nur wenig Zeit zum Lernen bleibt. Um möglichst das Lernmaximum zu erreichen, mussten die Studienteilnehmer nicht nur mit dem Rosenduft lernen, sondern haben teilweise auch neben dem Rosenduft geschlafen. So soll das Gehirn durch den Duft das Gelernte besser abspeichern, wenn die Informationen des Nachts vom Tag verarbeitet werden.