Was passiert, wenn das Gehirn abschaltet? Eine umfassende Analyse

In unserer heutigen Gesellschaft, die von ständiger Aktivität und Erreichbarkeit geprägt ist, wird es immer wichtiger, die Auswirkungen von Dauerstress und die Bedeutung von Ruhephasen für unser Gehirn und unsere psychische Gesundheit zu verstehen. Dieser Artikel beleuchtet, was passiert, wenn das Gehirn "abschaltet", warum es so wichtig ist, dass wir uns Ruhe gönnen, und wie wir wieder lernen können, einfach mal nichts zu tun.

Die Notwendigkeit von Pausen für das Gehirn

Genau wie unser Körper benötigt auch unser Gehirn einen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung. Dieses Grundprinzip des Lebens gilt auch für unsere Psyche. Wer ständig aktiv ist, ohne sich Ruhe zu gönnen, riskiert, nicht mehr abschalten zu können, selbst wenn er es möchte. Dies kann dazu führen, dass man sich nach dem Wochenende oder Urlaub nicht erholt fühlt. Die Folgen können Konzentrationsschwäche, Antriebslosigkeit oder sogar ein Erschöpfungssyndrom sein. Dieser Zustand erhöht das Risiko, Depressionen und Angstzustände zu entwickeln.

Was passiert im Gehirn, wenn wir nichts tun?

Auch wenn wir scheinbar nichts tun, ist unser Gehirn immer aktiv. Moderne Verfahren wie die MRT zeigen, dass beim Tagträumen andere Hirnregionen aktiv sind als beim zielgerichteten Denken. Man könnte es als Autopilot-Status bezeichnen. In diesen Phasen räumt das Gehirn auf, verwirft Unnötiges und speichert Wichtiges ab. Es reflektiert sich selbst. Oft kommt uns in solchen Ruhemomenten plötzlich die Lösung für ein Problem in den Sinn. Kreativität kann also durch Nichtstun gefördert werden. Daher ist es wichtig, dass wir uns regelmäßig Pausen gönnen, in denen unser Gehirn nicht bewusst von uns gesteuert wird.

Haben wir das Nichtstun verlernt?

Viele Menschen haben Schwierigkeiten, sich und ihre Gedanken einfach treiben zu lassen. Durch Smartphones, Social Media und Co. scheint es, als hätten wir das Nichtstun verlernt. Es ist wichtig, dass wir uns diese Zeiten bewusst einplanen. Viele haben das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn sie nicht ständig auf ihr Handy schauen. Die andere Seite - bewusst nichts zu tun - wird oft als langweilig und negativ beurteilt. Dies führt dazu, dass wir kein Gefühl mehr dafür haben, wann Pausen wichtig sind.

Besonders betroffen von dieser Unfähigkeit zur Untätigkeit sind oft leistungsorientierte Menschen, die ihr Selbstwertgefühl über Leistung definieren. Sie können sich nicht wertschätzen und glauben, von anderen nicht wertgeschätzt zu werden, wenn sie nicht ständig aktiv sind und etwas vorweisen können. Diese Menschen erbringen im Beruf hohe Leistungen, müssen aber auch im Privatleben immer etwas tun. Oft ist ihr Selbstwertgefühl in einer schwachen Balance und wird nur dadurch genährt, dass sie irgendetwas tun.

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Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt, insbesondere durch die Digitalisierung und Social Media. Das alte Wort "Muße", das völlig altmodisch geworden ist, beschreibt dabei etwas Wesentliches. Bei den alten Griechen war Muße ein wesentlicher Teil des Tages und wurde positiv bewertet. In Zeiten der Beschleunigung und Selbstoptimierung hat sich dies jedoch verändert.

Wie lernen wir wieder, einfach mal nichts zu tun?

Wir wissen, was wir tun müssen, um körperlich fit zu bleiben. Das Wissen um seelische Balance ist jedoch noch wenig verbreitet. Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, was die eigene Psyche eigentlich braucht. Im nächsten Schritt sollte man das Nichtstun mit einer anderen Wertung versehen: als hilfreiche Zeit, um sich psychisch gesund zu halten. Man sollte kein schlechtes Gewissen haben. Dann ist es wichtig, sich in der Woche Zeiten einzuplanen, in denen man nichts tut.

Viele Menschen sind jedoch schnell gelangweilt und geraten in Unruhe. Hier können Entspannungsmethoden helfen, um die Ruhephase einzuleiten. Zehn Minuten autogenes Training, Yoga, progressive Muskelrelaxation oder Meditation können helfen, zur Ruhe zu kommen. Danach sollte jeder individuell prüfen, was ihm persönlich guttut. Der eine sitzt gerne auf der Bank im Park, der andere wohlig im Sessel mit einer Tasse Kakao. Entscheidend ist, dass das Setting ein angenehmes Gefühl gibt.

Die Kehrseite der Medaille: Ständiges Nichtstun

Während Daueraktivität uns schaden kann, gilt dies auch andersherum. Ständiges Nichtstun unterfordert das Gehirn. Dies hat zur Folge, dass Konzentration und Kreativität nicht mehr so schnell abrufbar sind. Bei vielen Menschen verursacht dies auch einen verminderten Antrieb und letztlich auch Niedergeschlagenheit, weil das Gehirn keine Anreize mehr bekommt. Dies führt letztendlich auch zu einer Art Erschöpfungssyndrom. Wichtig ist also immer der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung.

Persönlicher Ratschlag zum Nichtstun

Es ist wichtig, sich bewusst Zeiten der Muße einzuplanen. Das Gefühl, alles um sich herum zu vergessen, dürfte jedem vertraut sein.

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Die Neurowissenschaftliche Perspektive: Was passiert im Gehirn?

Wissenschaftler haben die Gehirnaktivität von Probanden in verschiedenen Situationen untersucht, um zu verstehen, was im Gehirn passiert, wenn wir aktiv sind und wenn wir ruhen.

Introspektion und Selbstwahrnehmung

In einem Experiment des Weizmann Institute of Science wurden Probanden gebeten, sich Karten mit Fotos anzuschauen und zu entscheiden, ob ein Tier oder etwas anderes abgebildet war. In einem langsameren Durchgang wurden die Probanden gebeten, mit den Bildern ein Gefühl zu verbinden, um Selbstbeobachtung auszulösen. Als die Geschwindigkeit der Abfolge erhöht wurde, blieb dieser Selbstwahrnehmungs-Mechanismus im Gehirn inaktiv. Dies deutet darauf hin, dass die Regionen des Gehirns, die für Introspektion benötigt werden, von denen für sensorische Wahrnehmung getrennt sind. Dies könnte ein Schutzmechanismus sein, der uns in Gefahrensituationen hilft, schnell zu reagieren, ohne lange über unsere Gefühle nachzudenken.

Worterkennung im Gehirn

Französische Forscher haben untersucht, ob es ein Worterkennungszentrum im Gehirn gibt. Sie untersuchten einen Epilepsie-Patienten, der am Gehirn operiert werden sollte. Vor der Operation brachten die Forscher Elektroden in der Nähe der sogenannten Visual Word Form Area an und ließen den Patienten Wörter lesen. Nach der Operation wiederholten sie das Experiment und stellten fest, dass die Lesegeschwindigkeit nun von der Länge der Wörter abhing. Dies deutet darauf hin, dass das Gehirn eine eigene Region für das Erkennen ganzer Wörter besitzt.

Das Default Mode Network (DMN)

Die kognitiven Neurowissenschaften haben ein neues Paradigma eingeführt: Das Resting-State Imaging, oder die Bildgebung im Ruhezustand. Hierbei werden die Methoden der funktionalen Bildgebung genutzt, um im Ruhezustand aktive Hirnareale zu finden. Es zeigt sich, dass die Aktivität in diesen Arealen sich oft sehr ähnlich ist, weshalb man die Areale zu Netzwerken zusammenfasst. Zuerst beschrieben wurde dieses Netzwerk von Gordon Shulman und seinem Team, die feststellten, dass die Areale des DMN während zielgerichteten kognitiven Aufgaben ihre Aktivität verringerten.

Das DMN erstreckt sich über weite Teile der Hirnrinde und umfasst dabei Areale auf dem Parietal-, Temporal- und Frontallappen. Es wird vermutet, dass es sich bei den Funktionen des DMN wahrscheinlich um selbst-referentielle Gedanken handelt. Ein australisches Team von Forschenden um Christopher Davey untersuchte diese Hypothese genauer und verglich die fMRT-Aktivität im Ruhezustand mit der Aktivität, die auftrat, wenn man die Teilnehmenden bat, Aufgaben zu erfüllen, die zu selbst-referentiellem Nachdenken anregen sollten. Gezeigt wurde dabei, dass wichtige Kernregionen des DMN nicht nur im Ruhezustand aktiv sind, sondern während selbst-referentiellen Aufgaben ihre Aktivität sogar noch weiter erhöhen.

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Auf Basis dieser Ergebnisse gehen die Forschenden um Professor Davey davon aus, dass es sich bei dem DMN um ein Hirnsystem handeln könnte, welches es uns erlaubt, uns bewusst selbst wahrzunehmen.

Auswirkungen von Störungen im DMN

Eine verringerte oder erhöhte Aktivität im DMN kann sich auf uns auswirken. So ist es zum Beispiel so, dass die Aktivität im DMN bei Betroffenen der Alzheimer-Demenz gestört ist. In anderen Worten werden die Verbindungen zwischen den verschiedenen DMN-Arealen schlechter. Dies könnte uns dabei helfen, die Alzheimer Demenz besser zu verstehen und zu erklären, wie sich die Erkrankung auf die Selbst-wahrnehmung der Betroffenen auswirkt. Eine weitere Krankheit, bei welcher das DMN gestört wird, ist die Schizophrenie.

Auch Substanzen können eine starke Wirkung auf das DMN haben. Allen voran wären hier die klassischen Psychedelika, wie LSD, DMT oder das in vielen Pilzen vorhandene Psilocybin zu nennen. Diese Drogen können während der Dauer ihrer Wirkung die Aktivität im DMN verändern. Spezifisch verringern die Psychedelika die Stärke von Verbindungen innerhalb des Netzwerks, während die Verknüpfungen der DMN-Areale zu anderen Hirnarealen und Hirnnetzwerken vorrübergehend gestärkt werden.

Hirntod: Wenn das Gehirn endgültig abschaltet

Bevor der vollständige Hirnfunktionsausfall bei einem Menschen festgestellt werden kann, müssen die Ärzte wichtige Tests machen und dokumentieren. Ein Grundprinzip ist, dass die Unumkehrbarkeit der vollständigen Hirnschädigung zu belegen ist.

»Zuallererst müssen wichtige Voraussetzungen geprüft werden, insbesondere muss eine akute, schwerste Hirnschädigung vorliegen«, erklärt Privatdozent Dr. Hauke Schneider, Oberarzt der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie am UKA. Das kann etwa durch eine große Hirnblutung oder einen Unfall mit schwersten Kopfverletzungen der Fall sein. Ausgeschlossen muss sein, dass zum Untersuchungszeitpunkt keine anderen Ursachen die Ausfallsymptome des Gehirns verursachen. Prinzipiell kann eine Hirntod-Untersuchung nur erfolgen bei künstlich beatmeten Patienten unter Aufrechterhaltung weiterer Organfunktionen.

»Der zweite Schritt ist die klinische Prüfung des vollständigen Hirnfunktionsausfalls, definiert durch Koma, Ausfall der Hirnstammreflexe und fehlende Atmung«, erläutert Schneider weiter. In Deutschland ist dieser Nachweis besonders streng geregelt etwa im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien und den Mitgliedern des Commonwealth, in denen »lediglich« der Ausfall der Hirnstammfunktion nachzuweisen ist, während in Deutschland der Ausfall des Hirnstamms sowie des Groß- und Kleinhirns geprüft werden muss.

»Ist der vollständige Hirnfunktionsausfall nachgewiesen, dann muss in einem dritten Schritt gezeigt werden, dass der Hirnfunktionsausfall unumkehrbar - irreversibel - ist«, erklärt Dr. Schneider. Hierzu erfolgt eine erneute, vollständige klinische Untersuchung nach einem fest vorgegebenen Zeitraum. Dieser variiert je nach Art der Hirnschädigung zwischen zwölf und 72 Stunden nach erstmaliger Untersuchung. Alternativ zur zweiten Untersuchung können die untersuchenden Ärzte zum Nachweis der unumkehrbaren Hirnschädigung auch apparative Untersuchungstechniken einsetzen, z. B. die Messung der Hirnströme (Elektroenzephalogramm, EEG) oder die Untersuchung der Hirndurchblutung mittels Ultraschall. Seit 2015 ist auch die Gefäßdarstellung im Computertomogramm, die CT-Angiographie, als Methodik zulässig.

»Die Richtlinien sehen vor, dass die Hirntoddiagnostik jeweils von zwei qualifizierten Ärzten durchgeführt werden muss«, so Schneider. Die Ärzte müssen nicht nur eine Facharztausbildung haben, sie müssen auch über mindestens zwei Jahre Erfahrung in der Intensivmedizin und der Behandlung hirngeschädigter Patienten nachweisen können. Zudem dürfen die an der Hirntod-Diagnostik beteiligten Ärzte nicht Teil eines Organentnahmeteams sein.

Blackout: Wenn das Gehirn kurzzeitig aussetzt

Ein Blackout tritt häufig in Stresssituationen auf. Dabei werden enorme Mengen von Glukokortikoiden, wie Cortisol, ausgeschüttet. Dies stellt dem Gehirn und der Muskulatur viel Energie zur Verfügung, wirkt aber auch zellschädigend auf den Hippocampus. Um dies zu verhindern, schaltet sich der Hippocampus komplett aus.

In einer solchen Situation kann man versuchen, sich an den Punkt zu erinnern, an dem man war, bevor der Blackout eintrat. Man kann sich auch bewusst machen, dass man die Situation beeinflussen kann und Atemtechniken anwenden.

Mikroausfälle im Gehirn

Schlaganfälle sind nur eine von vielen Krankheiten, bei denen die Kommunikation zwischen Nervenzellen unterbrochen wird. Auch bei Erkrankungen wie Depressionen und Demenzen finden Mikroausfälle im Gehirn statt. Forscher haben festgestellt, dass während dieser Unterbrechungsphase starke Veränderungsprozesse in den Nervenzellen ablaufen. Die Nervenzellen-Netzwerke werden während der Unterbrechung neu vernetzt und hypersensitiv. Wenn das Signal zurückkehrt, gibt es keine geordneten Informationsrouten mehr und die Funktionen müssen wie bei einem Kind neu gelernt werden.

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