Taubheit: Ursachen, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten

Unter Taubheit versteht man den vollständigen Verlust des Hörvermögens auf einem oder beiden Ohren. Die medizinische Definition von Taubheit bezieht sich ausschließlich auf das Hörvermögen, wobei absolute Taubheit einen Hörverlust von mehr als 60 Dezibel (dB) im Bereich zwischen 125 und 250 Hertz (Hz) sowie von mehr als 100 dB im restlichen Frequenzbereich bedeutet. Praktische Taubheit liegt vor, wenn Hörverluste zwischen 85 und 100 dB bestehen, was als Resthörigkeit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bezeichnet wird. In solchen Fällen ist noch eine Wahrnehmung einzelner Töne oder Geräusche möglich.

Ursachen von Taubheit

Die Ursachen für Taubheit sind vielfältig und können sowohl angeboren als auch erworben sein. Grundsätzlich kann die Ursache im Ohr selbst liegen, insbesondere in der Schallempfindung im Innenohr, aber auch in den weiteren Stationen der Hörbahn im Gehirn. Eine Kombination mehrerer Ursachen ist ebenfalls möglich.

Angeborene Taubheit

Angeborene Taubheit, auch als genetisch bedingte Hörstörung bezeichnet, kann verschiedene Ursachen haben:

  • Erbliche Ursachen: Genetisch bedingte Hörstörungen, die durch Fehlbildungen des Mittelohrs, Innenohrs und/oder Hörnervs verursacht werden. Kinder gehörloser Eltern kommen häufig ebenfalls gehörlos zur Welt. Oft sind bei erblich bedingter Gehörlosigkeit auch andere Organe wie Augen, Nieren, Knochen und Haut geschädigt.
  • Schädigende Einflüsse während der Schwangerschaft (intrauterin):
    • Infektionen wie Röteln, Zytomegalie, Toxoplasmose oder Syphilis.
    • Stoffwechselerkrankungen der Mutter, wie Diabetes mellitus Typ 1 oder 2.
    • Durch Gifte verursachte (toxische) Schäden, z.B. durch das Gehör schädigende (bzw. ototoxische) Medikamente, Alkohol oder Nikotin.
  • Ereignisse während der Geburt (perinatal): Frühgeburten, Kernikterus (schwere Schädigung des Zentralnervensystems bei Neugeborenen durch erhöhte Werte des Gallenfarbstoffs Bilirubin im Blut) oder Atemstillstand mit Sauerstoffmangel (Neugeborenen-Asphyxie).

Erworbene Taubheit

Erworbene Taubheit kann im Laufe des Lebens durch verschiedene Faktoren verursacht werden:

  • Erkrankungen des Gehirns: Meningitis, Enzephalitis.
  • Infektionen: Mumps, Zoster oticus (eine seltene Form der Gürtelrose), Masern oder chronische Mittelohrentzündung.
  • Schädelbruch
  • Toxische Schäden: Durch das Antibiotikum Streptomycin.
  • Lärmschäden
  • Durchblutungsstörungen
  • Hörsturz
  • Chronische Erkrankungen des Ohres: Otosklerose.
  • Tumore

Symptome von Taubheit

Die Symptome von Taubheit hängen davon ab, ob sie ein- oder beidseitig auftritt und ob sie angeboren oder erworben ist.

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Beidseitige Taubheit

Die für eine beidseitige Taubheit (Gehörlosigkeit) typischen Symptome hängen damit zusammen, dass der Hörsinn vollständig oder nahezu vollständig ausgeschaltet ist:

  • Unfähigkeit, Geräusche und Töne wahrzunehmen und auf entsprechende Reize zu reagieren.
  • Erschwerte Kommunikation mit der hörenden und sprechenden Umwelt.
  • Bei angeborener Taubheit können weitere Symptome in Form von Schäden an anderen Organen wie Augen, Knochen, Nieren und Haut vorliegen.
  • Unbehandelte angeborene oder früh erworbene beidseitige Taubheit führt dazu, dass die Sprachentwicklung stark eingeschränkt ist oder völlig unterbleibt.

Einseitige Taubheit

Im Vergleich zur Gehörlosigkeit zeigen sich bei einer einseitigen Taubheit nur Symptome einer leichteren Hörbehinderung:

  • Schwierigkeiten, einem Gespräch zu folgen, das auf der Seite mit dem tauben Ohr stattfindet.
  • Unfähigkeit, Hintergrundlärm auszublenden oder die Richtung und Entfernung einer Schallquelle festzustellen. Dies kann zu Schulproblemen oder einer Gefährdung im Straßenverkehr führen.

Diagnose von Taubheit

Bei Verdacht auf Taubheit ist der Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO-Arzt) der richtige Ansprechpartner. Die Diagnose umfasst verschiedene Schritte:

  1. Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte, Risikofaktoren für Hörstörungen und bisherige Auffälligkeiten. Bei Kindern achtet er auf Anzeichen wie fehlende Reaktion auf Ansprache, Nichtbefolgen von Anweisungen, häufiges Nachfragen, verzögerte Sprachentwicklung und hohe Lautstärke beim Fernsehen oder Musikhören.

  2. Ohrspiegelung (Otoskopie): Der Arzt untersucht das Ohr mit einem Otoskop, um das Trommelfell und den Gehörgang zu beurteilen.

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  3. Hörtests:

    • Weber- und Rinne-Test: Diese Tests geben Hinweise auf die Art und den Ort der Hörschädigung.
    • Tonschwellen-Audiometrie: Hierbei wird die Hörbarkeit von Tönen über Kopfhörer oder Knochenleitungskopfhörer zur Bestimmung der frequenzabhängigen Hörschwelle genutzt. Die Hörschwelle wird in Dezibel angegeben. Sie markiert die untere Grenze der Lautstärke, von der an Patienten den Ton gerade noch wahrnehmen.
    • Sprach-Audiometrie: Statt Tönen werden den Patienten Wörter oder Laute vorgespielt, die sie erkennen und nachsprechen müssen. Auf diese Weise wird auch das Verständnis von Sprache getestet.
    • Objektiver Hörtest (BERA): Dieser Test wird vor allem bei Kindern eingesetzt, da er das Hörvermögen objektiv widerspiegelt.
    • Messung otoakustischer Emissionen (OAE): Dieser Test dient zum Nachweis einer Schädigung der äußeren Haarzellen des Innenohrs und ist ebenfalls objektiv, weshalb er auch bei Kindern zur Diagnose geeignet ist.
    • Tympanometrie: Hierbei wird die Beweglichkeit des Trommelfells gemessen, um die Funktion des Mittelohrs zu überprüfen.
  4. Weitere Untersuchungen:

    • Gleichgewichtsprüfung: Zum Ausschluss einer Mitbeteiligung des Gleichgewichtsorgans.
    • Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT): Zum Nachweis, ob anatomische Veränderungen im Bereich der Hörschnecke (Cochlea) oder des Hörnervs vorliegen.
    • Promontorialtest: Zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Hörnervs, wenn zur Behandlung eine Innenohrprothese (sog. Cochlea-Implantat) infrage kommt.

Es ist wichtig, bei gehörlosen Kindern auch andere Ursachen für die Symptome der Taubheit oder Gehörlosigkeit (wie eine gestörte Wahrnehmung oder stark geminderte Intelligenz) auszuschließen. Dazu sind körperliche Untersuchungen notwendig, um die Funktionen des Nervensystems zu prüfen.

Behandlung von Taubheit

Die Therapie von Taubheit hängt vom Ausmaß und der Ursache des Hörverlusts ab.

Hörgeräte

Bei leichter bis starker Schwerhörigkeit können Hörgeräte die Hörfähigkeit verbessern, indem sie Schallwellen verstärken. Ferguson MA, Kitterick PT, Chong LY et al. Hearing aids for mild to moderate hearing loss in adults. Cochrane Database Syst Rev 2017; (9): CD012023. Barker F, Mackenzie E, Elliott L et al. Interventions to improve hearing aid use in adult auditory rehabilitation. Cochrane Database Syst Rev 2016; (8): CD010342. Dawes P, Maslin M, Munro KJ. 'Getting used to' hearing aids from the perspective of adult hearing-aid users. Int J Audiol 2014; 53(12): 861-870. Gallagher NE, Woodside JV. Factors Affecting Hearing Aid Adoption and Use: A Qualitative Study. J Am Acad Audiol 2018; 29(4): 300-312.

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Cochlea-Implantat

Bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit kann ein Cochlea-Implantat (CI) in Betracht gezogen werden. Es wandelt Schall direkt in elektrische Signale um, die an den Hörnerv gesendet werden. Health Quality Ontario. Bilateral Cochlear Implantation: A Health Technology Assessment. Ont Health Technol Assess Ser 2018; 18(6): 1-139. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGNO-KHC). Implantierbare Hörgeräte (S2k-Leitlinie, in Überarbeitung). AWMF-Registernr.: 017-073. 2017.

Operation und Rehabilitation

Um das Cochlea-Implantat ins Ohr einzusetzen, ist eine Operation (meist unter Vollnarkose) nötig. Vor allem bei beidseitiger Taubheit ist nach der Implantation eine Rehabilitation entscheidend: Nur ein intensives Hör- und Sprechtraining sowie eine hohe Motivation führen zu guten Erfolgen. Wenn die Gehörlosigkeit von Geburt an besteht, erhält das betroffene Kind die Implantate in der Regel zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr, damit sich seine Sprechfähigkeit herausbilden kann. Vor dem ersten Lebensjahr ist der Eingriff wegen der möglichen Operationsrisiken nicht ratsam; nach dem achten Lebensjahr ist er nicht mehr möglich. Bei früher Gehörlosigkeit ist es - neben der Therapie durch Implantate und lautsprachliche Förderung - jedoch auch zu empfehlen, die Gebärdensprache zum festen Teil der Frühförderung zu machen.

Hirnstamm-Implantat

Wenn der Hörnerv geschädigt ist, besteht die Möglichkeit, ein Hirnstamm-Implantat einzusetzen. Hier sorgt eine direkte Reizung der Hörkerne im Gehirn über Elektroden für eine Hörempfindung. Zur Implantation ist ein neurochirurgischer Eingriff erforderlich. Außerdem ist eine intensive Rehabilitation unerlässlich.

Kommunikation bei Taubheit

Ist es nicht möglich, die Taubheit durch eine Operation zu beheben, oder lehnen die Betroffenen sie aus persönlichen Gründen ab, ist die Gehörlosigkeit zu akzeptieren. In diesem Fall stehen andere Möglichkeiten der Kommunikation zur Verfügung: vor allem die Gebärdensprache, aber auch Lippenablesen oder Computer.

Therapie bei einseitiger Taubheit

Eine einseitige Taubheit erscheint - anders als eine völlige Gehörlosigkeit - gar keine Therapie erforderlich zu machen: Man kann ja schließlich noch mit dem anderen Ohr hören. Zwar durchlaufen Kinder, die früh auf einem Ohr stark hörbehindert sind, in der Regel eine ungestörte Sprachentwicklung. Doch spätestens in der Schule treten oft Probleme auf, weil die einseitige Taubheit es zum Beispiel unmöglich macht, Hintergrundgeräusche auszublenden. Zum anderen kann eine Innenohrprothese die verloren gegangene Fähigkeit zum räumlichen Hören (d.h. Richtung und Entfernung einer Schallquelle festzustellen) teilweise wiederherstellen.

CROS- und BiCROS-Hörgeräte

Bei einseitiger Taubheit, sowohl mit einem normal hörenden als auch mit einem schwerhörigen Ohr, gibt es die Möglichkeit, diese mit einer sogenannten CROS- beziehungsweise BiCROS-Variante zu versorgen. Hierbei handelt es sich um eine speziell für einseitig taube Menschen oder einseitig Resthörige entwickelte Funktion von Hörgeräten. Bei der Versorgung wird auf das schlechterhörende Ohr ein Mikrofon gesetzt, welches per Kabel, Funk oder mit einem Hörgerät auf dem besser hörenden Ohr verbunden ist. Das gute Ohr hört sozusagen für das schlechte Ohr mit.

Prävention von Taubheit

Einer erblich bedingten angeborenen Taubheit oder Gehörlosigkeit können Sie nicht vorbeugen. Auch einige Erkrankungen oder Geburtstraumata, die zu Taubheit führen können, sind nur schwer zu verhindern. Es gibt jedoch Maßnahmen, um das Risiko einer erworbenen Taubheit zu verringern:

  • Vermeidung von Lärmbelastung: Tragen Sie Gehörschutz in lauten Umgebungen (z.B. am Arbeitsplatz oder bei Konzerten). Kraaijenga VJ, Ramakers GG, Grolman W. The Effect of Earplugs in Preventing Hearing Loss From Recreational Noise Exposure: A Systematic Review. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2016; 142(4): 389-394. Tikka C, Verbeek JH, Kateman E et al. Interventions to prevent occupational noise-induced hearing loss. Cochrane Database Syst Rev 2017; (7): CD006396. Śliwińska-Kowalska M, Zaborowski K. WHO Environmental Noise Guidelines for the European Region: A Systematic Review on Environmental Noise and Permanent Hearing Loss and Tinnitus. Int J Environ Res Public Health 2017; 14(10): 27.
  • Impfungen: Lassen Sie sich gegen Infektionskrankheiten impfen, die zu Hörschäden führen können (z.B. Röteln, Masern, Mumps).
  • Vorsicht bei Medikamenten: Informieren Sie sich über mögliche ototoxische Nebenwirkungen von Medikamenten und sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wenn Sie Bedenken haben.
  • Gesunde Lebensweise: Vermeiden Sie Alkohol und Nikotin während der Schwangerschaft.

Leben mit Taubheit

Das Leben mit Taubheit erfordert Anpassungen, um die Kommunikation und die allgemeine Lebensqualität zu verbessern. Die Verwendung von Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten kann entscheidend sein, um die Hörfähigkeit zu verbessern. Es ist auch wichtig, Kommunikationstechniken zu erlernen, wie das Ablesen von Lippen oder die Verwendung von Gebärdensprache. Menschen mit Hörverlust sollten ihre Freunde, Familie und Kollegen über ihre Bedürfnisse informieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Technologische Hilfsmittel wie spezielle Telefone, Wecker und Türklingeln können ebenfalls hilfreich sein.

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