Wie Sucht im Gehirn entsteht: Ursachen, Mechanismen und Behandlungsmöglichkeiten

Sucht ist ein komplexes Phänomen, das tiefgreifende Auswirkungen auf das Gehirn und das Verhalten hat. Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, die durch ein zwanghaftes Verlangen nach einer Substanz oder einem Verhalten gekennzeichnet ist, selbst wenn dieses Verlangen negative Konsequenzen hat. Dieser Artikel beleuchtet die Entstehung von Sucht im Gehirn, die zugrunde liegenden Mechanismen, Risikofaktoren und verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten.

Was ist Sucht?

Sucht wird medizinisch als eine Erkrankung definiert, bei der eine Person psychisch und oft auch physisch von einer bestimmten Substanz oder Verhaltensweise abhängig ist. Dies führt zu einem schädlichen Verhalten, das sich negativ auf die Gesundheit, das soziale Umfeld und die finanzielle Situation des Betroffenen auswirken kann. Ein zentrales Merkmal der Sucht ist der Sucht- oder Cravingdruck, ein schwer zu unterdrückendes Verlangen nach dem Suchtmittel oder der Verhaltensweise.

Stoffgebundene vs. Verhaltenssüchte

Man unterscheidet zwischen:

  • Stoffgebundene Süchte: Abhängigkeiten von Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Schmerzmitteln oder illegalen Drogen.
  • Verhaltenssüchte: Exzessive Verhaltensweisen wie Glücksspiel, Computerspielsucht oder Kaufsucht, die außer Kontrolle geraten und problematisch werden. Die wissenschaftliche Anerkennung einiger Verhaltenssüchte ist noch nicht vollständig abgeschlossen.

Sucht vs. schlechte Angewohnheit

Nicht jede Leidenschaft oder jedes exzessive Verhalten ist eine Sucht. Eine Sucht liegt vor, wenn der Wunsch nach der Substanz oder dem Verhalten immer größer wird, der Konsum trotz Schäden fortgesetzt wird oder wenn im Alltag ohne bestimmte Verhaltensmuster etwas Wesentliches zu fehlen scheint.

Die Rolle des Gehirns bei der Suchtentstehung

Die moderne Forschung betrachtet Sucht als eine körperliche Erkrankung, bei der das Gehirn im Zentrum steht. Fortschritte in den Neurowissenschaften haben gezeigt, dass Sucht eine chronische Gehirnerkrankung mit starken genetischen, neuronalen und soziokulturellen Komponenten ist.

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Das Belohnungssystem

Das Belohnungssystem spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Sucht. Dieses System ist ein weit verzweigtes Netz aus Hirnarealen und Neuronen, das durch Belohnungen wie gute Noten, Anerkennung oder ein Stück Kuchen aktiviert wird. Es dient eigentlich der Selbsterhaltung, kann aber dazu führen, dass man von manchen Dingen nicht genug bekommen kann.

Dopamin: Der Schlüsselbotenstoff

Der wichtigste Mitspieler im Belohnungssystem ist Dopamin, ein Neurotransmitter, der für eine Vielzahl von lebensnotwendigen Steuerungs- und Regelungsvorgängen benötigt wird, darunter Motivation. Drogen und Suchtmittel aktivieren das Belohnungssystem durch Dopamin deutlich stärker als natürliche Belohnungen.

Das Suchtgedächtnis

Das Gehirn speichert nicht nur positive Erinnerungen, sondern auch, welche Stoffe oder Verhaltensweisen zu einer besonderen Belohnung geführt haben. Dies führt zur Entwicklung eines Suchtgedächtnisses, das das Verlangen nach den entsprechenden Substanzen oder Verhaltensweisen verstärkt. Das Vorderhirn wird durch neuronale Anpassungsprozesse nachhaltig verändert, und das Zusammenspiel von Reizverarbeitung, Kognition, Gedächtnis und Emotion führt zu einem Suchtverhalten, das nach und nach erlernt wird und in ein automatisiertes Handlungsmuster münden kann.

Trigger und Entzugserscheinungen

Je häufiger eine Substanz oder ein Verhalten als Problemlöser dient, desto stärker verfestigen sich diese Verhaltensmuster. Betroffene werden immer sensibler für Reize, die mit der Aufnahme bestimmter Suchtstoffe in Verbindung stehen (Trigger). Diese Trigger können das Verlangen nach der Substanz oder dem Verhalten auslösen. Beim Verzicht auf das Suchtmittel können Entzugserscheinungen auftreten, sowohl körperlicher (z.B. Zittern, Schwitzen) als auch psychischer Natur (z.B. Angstzustände, Verstimmungen).

Umbau der Hirnstrukturen

Der Umbau der Hirnstrukturen durch Sucht ist wahrscheinlich dauerhaft. Selbst bei Abstinenz bleiben Veränderungen im Suchtgedächtnis bestehen, und der Suchtdruck kann ein unangenehmer Begleiter bleiben.

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Neurologische Mechanismen der Suchtentstehung

Habituation und Sensitivierung

Auf dem Weg zur Sucht sind mehrere Schritte bedeutsam. Zunächst kommt es zu einer Gewöhnung (Habituation) an das durch die Substanzen ausgelöste Gefühl der Leichtigkeit und Euphorie. Gleichzeitig wird der Suchtkranke immer sensibler für Reize, die mit der Aufnahme des Suchtstoffes in Verbindung stehen (Sensitivierung). Da gleichzeitig eine Toleranzentwicklung einsetzt, reicht die letztmalige Dosis nicht mehr aus, um das gleiche Gefühl zu entwickeln, was zu einer Erhöhung des Konsums führt.

Rolle des präfrontalen Cortex und des mesolimbischen Systems

Die Neurowissenschaftlerin Sabine Vollstädt-Klein forscht am ZI an den Veränderungen im Gehirn, die bei diesem Prozess auftreten: Entscheidend für die Ausbildung einer Suchterkrankung ist das Zusammenspiel von Netzwerken des präfrontalen Cortex mit denen des dopaminergen mesolimbischen Systems. Der präfrontale Cortex ist für zielgerichtetes Handeln verantwortlich, während im mesolimbischen System Emotionen und das Belohnungssystem lokalisiert sind.

Bei Personen, die zu Abhängigkeit neigen, kann der präfrontale Cortex von vornherein eine Dysfunktion aufweisen. Durch anhaltenden Substanzkonsum wird dies noch verstärkt, und die kognitive Kontrolle nimmt ab. Das mesolimbische System kann den präfrontalen Cortex sozusagen "kidnappen", was zu einem Kontrollverlust über das Verhalten führt.

Das Striatum

Ein besonders bedeutendes Kerngebiet im mesolimbischen System ist das Striatum, das in einen ventralen (Nucleus accumbens) und einen dorsalen Teil unterschieden wird. Der Nucleus accumbens gilt als das "Lustzentrum" im Gehirn. Bei zunehmender Abhängigkeit wandert die Aktivierung vom ventralen Striatum in das dorsale Striatum. Dieser Shift könnte damit im Zusammenhang stehen, dass sich auch das Verhalten von Suchtkranken in Bezug auf Drogen im Verlauf ändert: Während die Abhängigen anfangs noch freiwillig und zum Vergnügen konsumieren, verlieren sie zunehmend die Kontrolle über ihr Verhalten und sehen sich immer stärker gezwungen, Drogen zu nehmen.

Risikofaktoren für Sucht

Es gibt eine Reihe von Faktoren, die das Risiko für eine Suchterkrankung erhöhen. Dazu gehören:

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  • Genetische Faktoren: Kinder von Suchtkranken haben ein höheres Suchtrisiko.
  • Psychische Faktoren: Geringes Selbstvertrauen, Stress, Leistungsdruck, Schmerzen, Schlafstörungen, Angststörungen, Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle können das Risiko erhöhen.
  • Soziale Faktoren: Ein Umfeld, in dem der Konsum von Substanzen normal ist, sowie soziale Stressfaktoren wie Konflikte oder Missbrauchserfahrungen können das Risiko erhöhen.
  • Alter: Ein früher Erstkontakt mit Suchtmitteln im Jugendalter kann das Risiko einer Abhängigkeit erhöhen.
  • Verfügbarkeit und gesellschaftliche Akzeptanz: Je leichter eine Droge verfügbar und gesellschaftlich akzeptiert ist, desto höher ist das Risiko einer Sucht.

Erkennung von Sucht

Es ist nicht immer einfach, eine Sucht von einer Angewohnheit abzugrenzen. Folgende Fragen können helfen, das eigene Verhalten ehrlich zu beurteilen:

  • Habe ich einen zwanghaften Wunsch, die Substanz zu konsumieren oder mich so zu verhalten?
  • Fehlt mir manchmal die Kontrolle über den Beginn, die Beendigung oder die Menge des Konsums oder Verhaltens?
  • Kenne ich körperliche oder psychische Entzugssymptome, wenn ich versuche, es einzuschränken?
  • Musste ich über die Zeit immer mehr konsumieren oder mein Verhalten immer stärker ausweiten, um zufrieden zu sein?
  • Vernachlässige ich andere Interessen oder Pflichten, um der Substanz oder dem Verhalten Zeit und Raum zu geben?
  • Mache ich immer weiter, obwohl ich merke, dass es mir körperlich, psychisch oder finanziell nicht guttut oder meine sozialen und berufliche Beziehungen belastet?

Die Diagnosestellung einer Suchterkrankung erfolgt in einem ausführlichen ärztlichen oder psychotherapeutischen Gespräch.

Behandlung von Suchterkrankungen

Die Therapie einer Suchterkrankung ist abhängig von der Art der Sucht und der Ausprägung bei jedem Einzelnen. Die Vorgehensweisen unterscheiden sich bei stoffgebundenen und Verhaltenssüchten.

Stoffgebundene Süchte

In der Regel wird anfangs eine körperliche Entgiftung unter medizinischer Aufsicht durchgeführt. Wenn eine vollständige Abstinenz zu schwerfällt, wird versucht, den Konsum im Sinne einer Schadensminimierung zu verringern oder zu begrenzen. Bei der medizinischen Behandlung einer Drogenabhängigkeit kommen unter Umständen Ersatzstoffe wie Methadon für Heroin in Frage, um den Beginn einer Therapie zu erleichtern.

Verhaltenssüchte

Das detaillierte, gestufte Vorgehen bei Verhaltenssüchten ist derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Die Behandlungskonzepte beruhen meist auf verhaltenstherapeutischen Prinzipien.

Hilfsangebote

Mögliche Therapieansätze sind:

  • Beratung: Motivierende Gespräche, um für das Thema Sucht zu sensibilisieren und zur Verhaltensänderung anzuregen.
  • Entgiftung: Medizinisch betreuter Entzug.
  • Entwöhnung: Medizinische Rehabilitation durch ein multiprofessionelles Team.
  • Psychotherapie: Zum Beispiel kognitive Verhaltenstherapie.
  • Selbsthilfegruppen und Gruppenangebote.
  • Medikamente: Medikamentöse Linderung des starken Verlangens ("Craving").
  • Behandlung einer eventuell zusätzlich bestehenden psychischen Erkrankung: Therapie von Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie.

Ein wichtiges Ziel der Behandlung ist, neuen Lebensmut zu bekommen und dank neuer Strategien und Verhaltensmustern abstinent zu bleiben.

Rückfall

Eine Suchterkrankung ist eine lebenslange Aufgabe. Ein Rückfall ist kein persönliches Versagen, sondern gehört zum Wesen einer Sucht. Wichtig ist, jeden Rückfall zu bewerten und therapeutisch aufzuarbeiten, um weitere "Ausrutscher" zu verhindern und die Abstinenz langfristig zu stabilisieren.

Prävention von Sucht

Um einer Sucht vorzubeugen, ist es wichtig, ein positives Selbstbild und ein gesundes Selbstvertrauen aufzubauen, sich auf die persönlichen Stärken zu besinnen und sich seelisch weniger abhängig von Leistung und sozialer Anerkennung zu machen. Auch ein gesundes soziales Umfeld, in dem man Probleme ansprechen kann, sowie erfüllende Hobbys sind hilfreich. In Lebenskrisen sollte man sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Für Eltern ist es entscheidend, selbst einen gesunden Umgang mit Alkohol und anderen Substanzen vorzuleben und das Thema Sucht frühzeitig anzusprechen.

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