Asperger-Syndrom: Veränderungen im Gehirn und ihre Auswirkungen

Das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus, ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, die sich durch spezifische Verhaltensweisen und Besonderheiten in der Wahrnehmung und Interaktion auszeichnet. Betroffene haben oft lebenslang Schwierigkeiten, die sich in unterschiedlichen Lebensbereichen äußern können. Dieser Artikel beleuchtet die Veränderungen im Gehirn von Menschen mit Asperger-Syndrom, die Ursachen und Symptome der Erkrankung sowie aktuelle Erkenntnisse und Behandlungsmöglichkeiten.

Neurodiversität und das Asperger-Syndrom

Etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland lebt mit Asperger-Autismus. Die Diagnose Asperger-Syndrom wurde erst in den 90er Jahren in die diagnostischen Handbücher aufgenommen. Ältere Betroffene sind also aufgewachsen, bevor Ärzte diese Diagnose überhaupt stellten und bahnten sich ganz allein einen Weg durchs Leben. In jüngster Zeit hat sich eine neurodiverse Bewegung entwickelt, die Autismus als eine Form von Verschiedenartigkeit betrachtet. Der Begriff "neurotypisch" bezieht sich auf Menschen, deren neurologische Entwicklung als "normal" angesehen wird. Neurodiversität umfasst neben Autismus auch ADS, ADHS, Dyskalkulie, Legasthenie und Dyspraxie als natürliche Variationen der menschlichen neurologischen Entwicklung. Das Asperger-Syndrom gilt als das hochfunktionale Ende des Autismus-Spektrums, es ist also die leichte Form von Autismus. Genauso wie eine leichte Depression für den Betroffenen nicht leicht ist, gilt dies auch für den leichten Autismus. Die Betroffenen haben in vielen Lebensbereichen Schwierigkeiten, sie sind jedoch für Außenstehende nicht so schnell als solche zu erkennen.

Besonderheiten von Menschen mit Asperger-Syndrom

Viele Menschen mit Asperger sind meist normal intelligent und haben gute sprachliche Fähigkeiten. Was ihnen schwerfällt, ist die soziale Interaktion, also die wechselseitige Beziehung zu anderen Menschen. Dazu kommt, dass Betroffene eine andere Reizwahrnehmung haben, motorisch nicht so flexibel sind und sich anders fokussieren, meist ausgeprägte Spezialinteressen, die andere häufig nicht nachvollziehen können, verfolgen und generell Schwierigkeiten im Umgang mit Veränderungen haben.

Soziale Interaktion

Betroffene benötigen viel Konzentration, um sich in ihrer Umgebung zurechtfinden zu können, denn sie nehmen ihre Mitmenschen weniger intuitiv wahr, sondern verstehen viele Dinge ganz konkret. Sie haben Schwierigkeiten, Sprache, Gesten und auch Verhaltensweisen in sozialen Kontexten zu verwenden und zu verstehen. Es fällt ihnen nicht leicht, Anspielungen zu verstehen oder auf Witze zu reagieren. Stimmungen, Motive oder das, was anderen Menschen durch den Kopf gehen mag, schätzen sie meist nicht angemessen ein. Sie interpretieren andere Menschen im Grunde nicht, sondern nehmen sie so wahr, wie sie sich rein äußerlich verhalten. Direkter Blickkontakt ist ihnen meist unangenehm, weil er sie vom eigentlichen Gespräch ablenkt und ihnen anders als nicht-betroffenen Menschen keine zusätzlichen Informationen zum Verständnis des Gesprächs liefert.

Wahrnehmung

Das Gehirn eines Menschen mit der Autismus-Störung Asperger nimmt äußere Reize anders wahr, manchmal stärker und manchmal auch schwächer. Autismus wird in Fachkreisen auch als eine Reizfilterschwäche bezeichnet. Helles Licht, laute Geräusche, ein starkes Parfüm, überraschende Berührungen: All das kann jedem Menschen unangenehm sein, für Menschen mit Asperger liegt die Schwelle, ab wann der Reiz fast schon unerträglich ist, jedoch sehr viel niedriger. In einer Umgebung mit vielen Reizen, wie sie in Schulen auf dem Pausenhof oder beispielsweise an einem Samstagvormittag in einem gut besuchten Supermarkt vorkommen, fühlen sie sich schnell überfordert. Sie fühlen sich von den Reizen regelrecht bedrängt und können dann kaum noch funktionieren.

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Motorik

Betroffene haben häufig ein weniger ausgeprägtes Körpergefühl und nehmen beispielsweise meist später als andere Menschen Gegenstände wahr, die im Weg stehen und die sie umgehen müssten. So passiert es nicht selten, dass sie sich stoßen, wenn sie beispielsweise um einen Tisch herumlaufen. Sie bewegen sich manchmal auffällig oder nehmen eine für nicht Betroffene ungewöhnliche Haltung ein. Auch feinmotorisch sind sie in der Regel nicht so sicher, beispielsweise kann die Handschrift unleserlich sein, weil sie sie nicht so gezielt steuern können.

Fokus, Interessen und der Umgang mit Veränderungen

Menschen mit Asperger nehmen eher Details in den Blick als das Gesamtbild. Es fällt ihnen leicht, sich sehr auf Details zu fokussieren. Sie verfolgen oft Spezialinteressen und das mit großer Leidenschaft. Es fällt ihnen schwer, flexibel auf plötzliche Veränderungen zu reagieren. Deshalb bevorzugen sie bestimmte Routinen und Abläufe und geraten in Stress, wenn diese unterbrochen werden.

Ursachen und Entstehung des Asperger-Syndroms

Autismus gilt als Entwicklungsstörung des zentralen Nervensystems (neurodevelopmental disorder), welche primär genetisch verursacht ist und mit strukturellen und funktionellen Veränderungen des Gehirns einhergeht, die die Kontaktfähigkeit sowie das Verhalten eines Menschen grundlegend beeinflussen. Die Ursachen des Autismus sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bei der Entstehung spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Neben den genetischen Einflüssen spielen wahrscheinlich biologische Abläufe eine Rolle. Sie können vor, während und nach der Geburt die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und die autistische Störung auslösen. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für die Entwicklung von Autismus, es gibt jedoch keine allgemeingültige Ursache. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Autismus-Spektrum-Störungen ganz unterschiedliche Ursachen haben können. Bekannt ist, dass verschiedene biologische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen. Psychosoziale Faktoren hingegen spielen allenfalls bei der Ausgestaltung bestimmter komorbider Symptome, wie z.B. Erbliche Faktoren gelten als eine der Hauptursachen für autistische Störungen. Bei einem von Autismus-Spektrum-Störung betroffenen Elternteil ist das Risiko, ebenfalls ein Kind mit Autismus-Spektrum-Störung zu bekommen, stark erhöht. Eineiige Zwillinge erkranken in der Regel beide an Autismus Spektrum Störung. Allerdings gibt es hier ein paar Ausnahmen, die vermutlich auf epigenetische Veränderungen, unterschiedliches Geburtsgewicht sowie andere Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Vermutlich ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene und Umweltfaktoren für die Erkrankung verantwortlich. Aktuell wird die Heritabilität von Autismus Spektrum Störungen auf ca. 70-80% geschätzt. Es gibt eine Vielzahl an Mutationen sowie chromosomalen Mikrodeletionen und -duplikationen, die das Risiko erhöhen, an einer Autismus Spektrum Störung zu erkranken. Einzelne molekulargenetische Ursachen, wie z.B. das fragile-X-Syndrom, das bei ca. 3% aller Personen mit Autismus-Spektrum-Störung, sind schon weitgehend aufgeklärt, insbesondere auch bezüglich ihrer Folgen auf die Entwicklung des Nervensystems, und es werden aktuell auch schon neue Medikamente erforscht, die gezielt zur Behandlung von Patienten mit fragilem-X-Syndrom eingesetzt werden sollen. Diese sind allerdings noch nicht zur Behandlung zugelassen, sondern werden aktuell nur in Studien erprobt. Andere bekannt monogene Erkrankungen, die mit erhöhten Raten an Autismus-Spektrum-Störungen einhergehen, sind die Tuberöse Hirnsklerose, die Neurofibromatose oder das Smith-Lemli-Opitz-Syndrom. Manche genetischen Syndrome, die durch kleine Verdopplungen oder durch Fehlen von genetischer Information gekennzeichnet sind, werden ebenfalls vermehrt bei Autismus-Spektrum-Störungen gefunden, wie z.B. das Velo-Kardio-Faziale Syndrom oder das Prader-Willi-Syndrom bzw. Der Einfluss eines höheren Alters der Väter auf erhöhte Raten von Autismus-Spektrum-Störungen konnte aktuell in einer Meta-Analyse bestätigt werden. Andere Studien fanden Effekte sowohl für höheres mütterliches als auch väterliches Alter. Bestimmte Infektionskrankheiten der Mutter in der Schwangerschaft, wie die Rötelninfektion, sind belegte Risikofaktoren für Autismus-Spektrum-Störungen. Eine dänische Register-basierte Studie fand ein erhöhtes Risiko nach schweren Virus- im ersten Trimenon und schweren bakteriellen Infektionen im zweiten Trimenon. Mehrere populationsbasierte Studien konnten des Weiteren zeigen, dass eine (starke) Frühgeburtlichkeit das Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen erhöht. Als allgemeine Schwangerschafts-assoziierte Risikofaktoren sind mütterlicher Diabetes sowie postpartale Hypoglykämie und Lungenfunktionsprobleme bei Termin-geborenen Kindern beschrieben worden. Eine weitere Studie diskutiert die Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmmern in der Schwangerschaft als Risikofaktor, wobei die Anzahl der Kinder, die SSRIs in der Schwangerschaft ausgesetzt waren, relativ gering war. Auch Antiepileptika-, insbesondere Valproat-Einnahme in der Schwangerschaft war in klinischen Studien mit erhöhten Raten von Autismus-Spektrum-Störungen bei den Kindern assoziiert. Bei einigen Menschen mit Autismus können Störungen der Fein- und Grobmotorik sowie Unregelmäßigkeiten der elektrischen Hirnströme beobachtet werden. Für neurologische Faktoren spricht auch ein Anfallsleiden bei ca. 10% aller Personen mit Autismus-Spektrum-Störung. Insgesamt geht man heute davon aus, dass die Gehirnentwicklung bei Personen mit Autismus-Spektrum-Störung schon vorgeburtlich anders verläuft als bei gesunden Kindern.

Veränderungen im Gehirn bei Asperger-Syndrom

Zahlreiche funktionelle und strukturelle bildgebende Studien des Gehirns konnten veränderte Funktionen und auch Strukturen vor allem in den beiden Schläfenlappen sowie den Frontallappen des Großhirns und auch des Kleinhirns bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Autismus-Spektrum-Störung nachweisen. Die Zellen der Großhirnrinde weisen eine andere Funktion sowie ein anderes Aussehen auf als bei Personen desselben Alters, Geschlechts und mit denselben kognitiven Fertigkeiten, die keine Autismus-Spektrum-Störung aufweisen. Diese Veränderungen der Gehirnfunktion liegen auch den beobachtbaren Verhaltensauffälligkeiten sowie kognitiven Besonderheiten zugrunde, wie z.B. Autistische Patienten zeigen veränderte Strukturen im Großhirn. Dies entdeckte ein Wissenschaftlerteam, das unter der Leitung von Manuel Casanova vom Medical College of Georgia die Hirnstrukturen von neun autistischen Kindern untersuchte und mit denen von neun gesunden Kindern verglich. Dabei wiesen die Autisten im Frontal- und Temporallappen deutlich kleinere, aber dafür zahlreichere Minisäulen auf. Diese Minisäulen gelten als die Basiselelemente des Gehirns, bei der mehrere, untereinander liegende Nervenzellen zusammengeschaltet sind. Die Wissenschaftler vermuten, dass Autisten aufgrund der höheren Anzahl der Säulen unter einer Reizüberflutung leiden, die sie nicht mehr verarbeiten können. Sie kapseln sich daher von der Außenwelt ab und sind zu einer normalen Kommunikation nicht mehr in der Lage. Ob die Veränderungen der Hirnstrukturen genetische Ursachen haben, ist noch unklar.

Häufig ist bei Menschen mit Autismus die Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung im Gehirn betroffen, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirkt. So weisen sie im Vergleich zu nicht-autistischen Personen subtile Veränderungen in der Asymmetrie der Gehirnstruktur auf und eine geringere Lateralität der funktionellen Aktivierung, in Bezug auf die Verwendung der linken oder rechten Hemisphäre im Gehirn. Autismus ist gekennzeichnet durch lebenslange Unterschiede in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie eingeschränkte und sich wiederholende Interessen und Verhaltensweisen. Die weit verbreiteten Verhaltensunterschiede, die bei Menschen mit Autismus beobachtet werden, gehen einher mit Berichten über strukturelle und funktionelle Veränderungen in den sensorischen und assoziativen Regionen des Gehirns. Eine Ursache verorten Forschende in gestörten Mustern der Hirnasymmetrie, die möglicherweise mit einer abweichenden Lateralisierung funktioneller Prozesse zusammenhängen.

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„Asymmetrie ist ein Schlüsselmerkmal der Gehirnorganisation, sie unterstützt ein flexibles Zusammenspiel zwischen lokalen neuronalen Modulen, die mit der funktionellen Spezialisierung verknüpft sind, die der menschlichen Kognition zugrunde liegt.“, erklärt Bin Wan, Erstautor der Studie.Gemeinsam mit Kolleg*innen aus Kanada hat der Forscher Hirnscan-Daten von 140 autistischen Personen und 143 nicht-autistischen Personen im Alter von fünf bis vierzig Jahren ausgewertet, um Ungleichgewichte auf Systemebene in den Hemisphären bei Autismus zu untersuchen. „Wir beobachteten eine verminderte linksgerichtete funktionelle Asymmetrie der Sprachnetzwerksorganisation bei Personen mit Autismus im Vergleich zu nicht-autistischen Personen. Während die Asymmetrie der Sprachnetzwerke bei letzteren in verschiedenen Altersgruppen variierte, war dies bei Autismus nicht der Fall. Sofie Valk, Leiterin der Forschungsgruppe Kognitive Neurogenetik am MPI CBS, ordnet ein: „Zusammengenommen zeigt unsere Arbeit, dass es große Unterschiede in der Asymmetrie der funktionellen Organisation bei autistischen und nicht-autistischen Personen gibt. Diese Unterschiede sind möglicherweise in der Entwicklung begründet und variieren stark von Person zu Person. Die Ergebnisse legen nahe, dass sowohl genetische als auch umweltbedingte Komponenten in diesem Zusammenhang wichtig sein könnten.

Die Rolle der Spiegelneuronen

Die Grundlage bildete der italienische Wissenschaftler Giacomo Rizzolatti, der Anfang der 1990er-Jahre eine besondere Art von Nervenzellen entdeckte. Rizzolatti hatte eine hauchdünne Elektrode ins Gehirn eines Affen eingesetzt, um damit etwas über Hirnaktivitäten bei Bewegungen herauszufinden. Für Rizzolattis Forscherteam war das nichts Neues. Dann aber geschah das Erstaunliche. Während einer Versuchspause, als einer der Wissenschaftler selbst zu etwas Essbarem griff, schlug das Messgerät erneut aus. Nach mehreren Versuchen stand fest: Hirnzellen, die eigene Bewegungen steuern, reagieren auch auf das Verhalten von anderen. Rizzolatti taufte diese bis dato unbekannte Art von Nervenzellen "Spiegelneurone", denn offenbar konnten sie fremde Handlungen widerspiegeln. Doch nicht nur das: Die Spiegelzellen waren auch dann aktiv, wenn der Affe den Griff in die Schale zwar beobachtete, das Ergreifen der Nüsse aber durch einen Sichtschutz verdeckt war. Auch im menschlichen Gehirn fanden Forscher in der Folge Spiegelzellen in allen Zentren des Gehirns, die das Erleben und Verhalten steuern. Ihre zentrale Funktion scheint zu sein, das zu reflektieren, was in unseren Mitmenschen vor sich geht. Nervenzellen im Gehirn könnten also dafür verantwortlich sein, dass wir intuitiv Handlungen vorausahnen, noch bevor sie geschehen. Der Anblick, wie sich ein anderer einen Splitter unter den Fingernagel rammt, lässt auch uns den Schmerz wahrhaft mitfühlen. Wahrscheinlich liegt es an den Spiegelneuronen, dass wir gesehenes Verhalten imitieren: ob als Baby das Lächeln der Mutter, ob als Erwachsene, meist unbewusst, die Gesichtszüge, Stimmungen und Körperhaltungen unseres Gegenübers. Wissenschaftler wie Vilayanur Ramachandran sahen in Spiegelneuronen lange Zeit einen Schlüssel für viele offene Fragen in der Autismusforschung. Der Forscher versuchte zu erklären, warum sich bei einer Person mit Autismus im Inneren nichts regt, wenn er beispielsweise jemanden lachen sieht. Um die Hirnaktivität von Menschen mit Autismus zu messen, benutzte Ramachandran die Elektroenzephalografie (EEG). Dabei zeichnet das EEG die Hirnwellen über äußere Messfühler auf. Schon lange war bekannt, dass die My-Welle jedes Mal unterdrückt wird, wenn eine Person eine Muskelbewegung ausführt - zum Beispiel ihre Hand öffnet und schließt. Ramachandran fand nun heraus, dass bei Menschen mit Autismus die My-Welle nur bei eigener Bewegungsausführung unterdrückt wird, nicht jedoch, wenn sie beobachten, wie ein anderer die Bewegung ausführt. Bildgebende Verfahren unterstützten die Hypothese zunächst. Die Kernspintomographie bildet beispielsweise anhand von elektromagnetischen Feldern den Zustand von Gewebe und Organen ab. Erblicken wir zum Beispiel einen Menschen, so wird das "Gesichts-Erkennungs-Areal" im Gehirn aktiviert. Betrachtet eine Person mit Autismus hingegen ein Gesicht, bleibt dieses Areal stumm. Stattdessen schaltet sich ein anderer Bereich ein, den Gesunde zur allgemeinen Objekterkennung nutzen. Mithilfe der Spiegelzellen lassen sich aber nicht alle Aspekte von Autismus erklären, wie zum Beispiel das typische Vermeiden von Blickkontakt, das stereotype Wiederholen von Bewegungen oder eine allgemeine Überempfindlichkeit, insbesondere gegen bestimmte Geräusche. In den Nervenzellen ist eine Art Skala hinterlegt, die angibt, welche Vorgänge Gefahr bedeuten und wie ein Mensch angemessen darauf reagiert. Autistische Menschen reagieren auf eigentlich unbedeutende Ereignisse oder Objekte oft mit extremen Emotionen. Das würde erklären, warum Personen mit Autismus Blickkontakte meiden, auf gleiche Abläufe bestehen oder stereotype Bewegungen ausführen. Die Entwicklungsstörung Autismus ist sehr vielschichtig und äußerst komplex. Hinzu kommt, dass bei den Patienten oft ganz unterschiedliche Hirnregionen betroffen sind. Auch die anfängliche Euphorie, mithilfe der Spiegelneuronen die Autismus-Spektrum-Störungen erklären zu können, ist mittlerweile verflogen. Im Laufe der Jahre kamen Forscher zu widersprüchlichen Ergebnissen. Einige Studien bescheinigten Menschen mit Autismus etwa gesunde Spiegelneuronen. Eine Untersuchung von einem internationalen Forscherteam aus Deutschland, Frankreich und Australien von 2018 kam zu dem Schluss, dass es nicht genügend Evidenz dafür gibt, um die Spiegelneuronen als alleinige Täter schuldig für Autismus-Störungen zu sprechen. Laut der Forscher ist es vielmehr ist es ein ganzes Netzwerk an Nervenzellen, die für Autismus verantwortlich sind. Die Spiegelneuronen machen dabei nur eine Schicht von vielen aus. Auch eine Studie von britischen Forschern von 2020 unterstützt diese erweiterte Spiegelneuronen-Hypothese. Aber: Auch wenn die neue Hypothese die Ursache für Autismus erklärt, wissen Forscher noch nicht, welche Risikofaktoren dazu führen.

Theory of Mind, zentrale Kohärenz und exekutive Funktionen

Das theoretische Krankheitsmodell von Remschmidt und Kamp-Becker (7) bezieht drei Konzepte ein, die bei autistischen Störungen defizitär ausgebildet zu sein scheinen (Grafik 1):

  • die Theory of Mind
  • die zentrale Kohärenz
  • die exekutiven Funktionen.

Der neurowissenschaftliche Begriff „Theory of Mind“ stellt ein Modell der Empathiefähigkeit dar. Dies ist die Fähigkeit, sich einerseits vorstellen zu können, dass andere Menschen eigene Vorstellungen, Gedanken und Gefühle haben und andererseits die Fähigkeit, diese auch nachempfinden zu können. Personen, die von einem Asperger-Syndrom betroffen sind, haben hier erhebliche Defizite. Neurophysiologisch korreliert die Theory of Mind scheinbar mit verschiedenen Hirnarealen wie dem medialen präfrontalen Cortex (17). Bei erwachsenen Patienten mit Asperger-Syndrom konnte man mittels funktioneller Bildgebung zeigen, dass während der Durchführung von Aufgaben zur Prüfung der Theory of Mind eine verminderte Aktivität im linken medialen präfrontalen Cortex auftrat (18). Die Amygdala - eine wichtige Struktur des limbischen Systems für emotionale Prozesse - und die „Fusiform Face Area“ - ein Gebiet im Temporallappen, das auf die Wahrnehmung von menschlichen Gesichtern spezialisiert ist - zeigen bei Patienten mit Asperger-Syndrom beziehungsweise mit einem frühkindlichen Autismus ebenfalls eine verminderte Aktivität (19, 20).

Von besonderer Bedeutung für das Empathievermögen und somit für die Theory of Mind ist außerdem das Spiegelneuronen-System. Dieses ist als ein Netzwerk von Nervenzellen bei einer bestimmten Tätigkeit aktiv, wird aber auch durch die Beobachtung dieser Tätigkeit bei einer anderen Person spontan, unbewusst und unwillkürlich aktiviert (21). Es ist anzunehmen, dass das Spiegelneuronen-System bei Personen mit einem Asperger-Syndrom beeinträchtigt ist (22).

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Zentrale Kohärenz beschreibt die Fähigkeit, einzelne Wahrnehmungselemente in einen Gesamtbedeutungskontext zu integrieren (Grafik 2). Folgende Aussage könnte für einen Asperger-Patienten typisch sein: „Ich sehe hunderte einzelner Bäume, aber einen Wald erkenne ich nicht.“ Die Betroffenen neigen zu einer sehr detailorientierten, selektiven Wahrnehmung und haben erhebliche Schwierigkeiten, den Gesamtkontext zu erfassen - ihre zentrale Kohärenz ist defizitär entwickelt. Das genaue neuronale Korrelat für dieses klinische Phänomen ist bisher nicht bekannt.

Die exekutiven Funktionen umfassen Fähigkeiten wie die Planung und Überwachung eigener Handlungen, …

Diagnose des Asperger-Syndroms

Das Asperger-Syndrom äußert sich ab der frühen Kindheit durch Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion und Kommunikation mit anderen und durch auffällige Verhaltensmuster. Die Erkrankung gehört zur Gruppe der Autismus-Spektrum-Störungen. Die Entwicklungsauffälligkeit ist beim Asperger-Syndrom bereits vor dem 3. Lebensjahr vorhanden. Die Kernsymptome fallen allerdings oft erst in Kindergarten oder Schule auf. Mitunter kann es auch zu einem Rückschritt oder Verlust bereits erworbener Fähigkeiten in der Sprache oder sozialen Interaktion kommen. Die Diagnostik erfolgt auf der Basis von Verhaltensbeobachtungen.

Diagnostische Verfahren

Somatoorganische Befunde zum Nachweis eines Asperger-Syndroms sind nicht bekannt. Die Diagnose wird klinisch durch eine sorgfältige Anamnese - einschließlich der Kindheitsanamnese - und anhand des psychopathologischen Befundes gestellt. Im Jahre 1993 wurde das Asperger-Syndrom als „tiefgreifende Entwicklungsstörung“ (F84.5) in die „10. International Classification of Diseases“ (ICD-10) aufgenommen, 1994 in das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-IV) der American Psychiatric Association (Kasten 1) .Erste Krankheitssymptome sind in der Regel nach dem dritten Lebensjahr zu beobachten. Aufgrund der oft schwierig abzugrenzenden Differenzialdiagnosen sollte das Asperger-Syndrom durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie beziehungsweise im Kindesalter durch einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie diagnostiziert werden.Neben der klinisch-psychiatrischen Untersuchung gibt es einige Fragebogenverfahren, die man zur Diagnostik heranziehen kann. Das „Adult Asperger Assessment“ (AAA) ist ein Instrument, das speziell für die Befundung des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter entwickelt wurde (5). Es beinhaltet zwei Screening-Verfahren, den Autismus-Spektrum-Quotienten (AQ) und den Empathie-Quotienten (EQ) sowie eine Erweiterung der DSM-IV-Kriterien (Kasten 2).

Der AQ erfasst mit 50 Items fünf Symptombereiche des Asperger-Syndroms:

  • soziale Fertigkeiten
  • Schwankungen der Aufmerksamkeit
  • Detailgenauigkeit
  • Kommunikation
  • Fantasie/Vorstellungsvermögen (Schwellenwert > 32 Punkte).

Der EQ erfragt mit 40 Items das Empathievermögen, das heißt, die Fähigkeit sich in andere Personen einzufühlen (Schwellenwert < 30). Beide Screeninginstrumente sind in deutscher Sprache erhältlich (6).

Schwierigkeiten in der Diagnostik erwachsener Patienten ergeben sich durch oft nur lückenhaft vorhandene Kindheitserinnerungen. Nach Erfahrung der Autoren ist es sinnvoll, auch bei erwachsenen Patienten Eltern oder Geschwister nach Besonderheiten des Betroffenen in der Kindheit zu befragen. Hilfreich können eventuell vorhandene Schulzeugnisse sein. Möglicherweise sind hier Bemerkungen notiert, wie zum Beispiel: „… hat Probleme, sich in die Klassengemeinschaft einzufügen“. Allerdings deuten solche Bemerkungen nicht zwangsläufig auf ein Asperger-Syndrom hin und können somit nur eine Ergänzung der Diagnostik darstellen.

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