Die Frage nach der durchschnittlichen Größe des Gehirns ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die die Gehirngröße beeinflussen, darunter Körpergröße, Geschlecht, genetische Veranlagung und Umweltfaktoren. Darüber hinaus ist die absolute Größe des Gehirns nicht unbedingt ein Indikator für Intelligenz.
Gehirngröße im Tierreich
Die relative Größe des Gehirns eines Tieres wird oft als Maß für seine Intelligenz angesehen. Menschen haben mit 1,3 bis 1,5 Kilogramm deutlich kleinere und leichtere Gehirne als Pottwale (8,5 Kilogramm) und Elefanten (5 Kilogramm). Bezogen auf die Körpermasse liegen sie jedoch weit vorn im Tierreich: Das Denkorgan macht rund zwei Prozent ihres Gewichts aus.
Allerdings gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Die Spitzmaus hat ein relatives Gehirngewicht von vier Prozent, ist aber nicht für ihre Intelligenz bekannt. Dies deutet darauf hin, dass das Verhältnis von Gehirngröße und Intelligenz komplizierter ist.
Eine Studie von Forschern um den Anthropologen Jeroen Smaers vom University College London analysierte Daten zu Gehirngröße und Körpergewicht von Hunderten lebenden und ausgestorbenen Fledermausarten, Raubtieren und Primaten. Dabei zeigten sich über die Millionen von Jahren unterschiedliche Trends.
Bei Fledermäusen zum Beispiel verkleinerte sich das Gehirn in evolutionären Schrumpfphasen sehr viel langsamer als der Körper, was zu einem erhöhten relativen Gehirngewicht führte. Die Autoren vermuten, dass adaptive Vorteile dahinterstecken: Mit kleinerem Körper konnten die Tiere leichter in der Luft manövrieren, verfügten aber weiter über ausreichend kognitive Leistungsfähigkeit, um in unübersichtlichem Gelände zu navigieren und zu jagen.
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Bei Primaten hingegen schrumpft das Gehirn in solchen Phasen ein bisschen schneller als der Körper. "Änderungen in der Körpergröße geschehen häufig unabhängig von Änderungen in der Gehirngröße - und umgekehrt", sagt Jeroen Smaers.
Das menschliche Gehirn: Größe und Entwicklung
Das Gehirn eines Menschen ist etwa 1,3 bis 1,5 Kilogramm schwer. Mit einem Volumen von 1230 Kubikzentimetern im weltweiten Durchschnitt ist das menschliche Gehirn ungefähr dreimal so groß wie das der Großen Menschenaffen. Beim Gemeinen Schimpansen sind es 385 Kubikzentimeter, beim Orang-Utan 405 und selbst beim Gorilla nur 495 Kubikzentimeter im Schnitt.
Im Laufe der Evolution hat sich das menschliche Gehirn stark vergrößert. Den Evolutionsbiologen, die sich mit der Herkunft des Menschen auseinandersetzen, geht es darum, die Veränderungen in der Fossilgeschichte zurückzuverfolgen und die Faktoren dafür auszumachen. Ihr oberstes Ziel ist, eine zusammenfassende Theorie zu entwickeln, die im Idealfall die Vergrößerung des Gehirns, den aufrechten Gang und den Umbau des Kauapparats innerhalb eines gemeinsamen evolutionären Rahmens erklären könnte.
Besonderes Interesse gilt dabei der Evolution des menschlichen Gehirns, ist doch der bisherige Erfolg unserer Art allem Anschein nach zuvorderst unserer herausragenden Intelligenz zu verdanken, die wiederum offensichtlich irgendetwas mit der auffälligen Größe unseres Denkapparates zu tun hat. Untersuchungen des Hirnvolumens und seiner Bedeutung für das Verhalten spielen deshalb in der Erforschung der menschlichen Evolution eine herausragende Rolle.
Faktoren, die die Gehirngröße beeinflussen
Die Größe des Gehirns hängt stark von der des Körpers ab. Betrachtet man eine Reihe verwandter Säugetiere, die sich - wie etwa Mitglieder der Familie der Katzen oder verschiedene Hunderassen - im wesentlichen nur in ihrer Statur unterscheiden, dann haben die jeweils größeren und schwereren immer auch ein größeres Gehirn. Die absoluten Werte sind somit keine sinnvolle Vergleichsbasis: Das heute gewaltigste Landtier, der Elefant, hat ein viermal so großes Gehirn wie der Mensch, und das liegt offensichtlich in erster Linie an seiner größeren Körpermasse und nicht an seiner höheren Intelligenz.
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Beim Vergleich verschiedener Säugerhirne muss deshalb der Einfluss der Körpergröße eliminiert werden. Einfach das prozentuale Verhältnis von Gehirn- zu Körpermasse - das proportionale Hirngewicht - zu nehmen ist wiederum unzulässig, weil dies eine Abweichung zugunsten leichtgewichtiger Arten ergäbe.
Verschiedene biologische Parameter lassen sich auf diese Weise in Beziehung setzen und analysieren: Die jeweiligen Messwerte trägt man in Abhängigkeit von der Körpergröße (beziehungsweise dem Körpergewicht) doppeltlogarithmisch auf und zeichnet die der Punkteverteilung am besten entsprechende Gerade ein; ihre Steigung liefert den Exponenten und damit die allgemeine Abhängigkeit des betrachteten Parameters von der Körpermasse - im Falle der Gehirngröße von Säugern ist es ein Exponent von 0,75.
In der Abweichung einzelner Arten von dieser Geraden spiegeln sich spezielle Anpassungen wider. Die stärkste Abweichung nach oben ergibt sich dabei für den Menschen; er hat also, gemessen nach solch einer bereinigenden Prozedur, tatsächlich das größte Gehirn unter den Säugern. Wir haben somit eine verlässliche Methode, den Menschen mit anderen Arten seiner Klasse - fossil oder lebend - zu vergleichen.
Geschlechtsunterschiede
Biologische Männer sind im Schnitt größer, schwerer und haben eine stärker entwickelte Muskulatur als biologische Frauen - und sie haben ein größeres Gehirn. Die menschliche Schaltzentrale des Körpers wiegt rund 1.300 Gramm, wobei die des Mannes etwa 100 Gramm schwerer ist. Dies bedeutet keinesfalls, dass biologische Männer intelligenter sind als das weibliche Pendant. Denn die Gehirngröße ist vielmehr von Gewicht und Statur des Trägers abhängig.
Eine Studie von Bianca Serio und Sofie Valk vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und dem Forschungszentrum Jülich untersuchte, ob Geschlechtsunterschiede in der funktionellen Organisation des Gehirns auf Unterschiede in der Gehirngröße, der Mikrostruktur und dem Abstand der funktionellen Verbindungen entlang der kortikalen Oberfläche zurückzuführen sind. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass die Geschlechtsunterschiede in der funktionellen Organisation des Gehirns eher kleine Unterschiede in den Netzwerken und den Verbindungen dazwischen widerspiegeln.
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Die Forscherinnen nutzten für ihre Analyse Datensätze des Human Connectome Project, welches öffentlich zugänglich die Gehirn-Daten von 1000 Studienteilnehmerinnen und Teilnehmern enthält. Entgegen ihren Erwartungen konnten sie herausfinden, dass Unterschiede in der Gehirngröße, -mikrostruktur und Abstand der funktionellen Verbindungen entlang der kortikalen Oberfläche die funktionellen Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern nicht widerspiegeln können. Sie stellten fest, dass es kleine Geschlechtsunterschiede in den Verbindungen innerhalb und zwischen funktionellen Netzwerken gibt, was die kleinen Unterschiede in der funktionale Netzwerktopographie zwischen den Geschlechtern allgemein erklären könnte.
Umweltfaktoren
Unser Gehirn ist bereits relativ groß, verglichen mit anderen Säugetieren. Doch die evolutionäre Obergrenze scheint noch nicht erreicht zu sein: Im letzten Jahrhundert sind menschliche Gehirne immer voluminöser geworden, wie eine Studie zeigt. Wer in den 1960er Jahren geboren wurde, hat demnach ein um fast sieben Prozent größeres Gehirn als jemand, der in den 1920er Jahren geboren wurde.
Parallel dazu wurden auch die Körper der Menschen größer: von durchschnittlich 168 Zentimetern in den 1920ern auf 172 Zentimeter in den 1960ern - ein Anstieg um 2,4 Prozent.
Die Neurobiologen vermuten mehrere Gründe hinter dem beobachteten Hirnwachstum. „Die Genetik spielt eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Gehirngröße, aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch äußere Einflüsse - wie gesundheitliche, soziale, kulturelle und pädagogische Faktoren - eine Rolle spielen könnten“, erklärt DeCarli.
Gehirngröße und Intelligenz
Oft wird als gegeben angesehen, dass in der Ordnung der Primaten irgendein Zusammenhang zwischen relativer Hirngröße und Intelligenzgrad bestehe, und zwar soll sich dies wiederum hauptsächlich im Bereich der Nahrungssuche und des Sozialverhaltens zeigen. Gerade wachsende Komplexität des Lebens in Gruppen ist als mögliche Erklärung speziell für die Zunahme des menschlichen Hirnvolumens vorgeschlagen worden, wobei der Ausbildung des Sprachvermögens eine wichtige Funktion zugeschrieben wird.
Die Vermutung, die relative Hirngröße hänge unmittelbar mit den Erfordernissen der Nahrungssuche zusammen, rührt von der Beobachtung her, dass laubfressende Primaten gewöhnlich relativ kleinere Gehirne aufweisen als fruchtfressende.
Andere Forscher meinen hingegen, ein relativ großes Gehirn habe bei Primaten nichts mit der Nahrungssuche, wohl aber mit dem Leben in Sozialverbänden zu tun, das ein hohes Maß an abgestimmtem Verhalten wie gemeinsames Planen und Handeln sowie Kommunikation verlangt.
Gehirngröße und Neurodegeneration
Das Ergebnis des Hirnwachstums könnte für uns von Vorteil sein und erklären, warum anteilmäßig immer weniger Menschen an Alzheimer erkranken, wie die Forschenden berichten. „Das Jahrzehnt, in dem jemand geboren wird, scheint die Gehirngröße und möglicherweise die langfristige Gehirngesundheit zu beeinflussen“, sagt DeCarli.
Obwohl im Zuge des demografischen Wandels die Bevölkerung immer älter wird, wird die Zahl der Alzheimer-Betroffenen in den kommenden Jahren weiter steigen, wie Prognosen nahelegen. Dem entgegen steht allerdings ein anderer Trend: Der prozentuale Anteil der Bevölkerung, der an Alzheimer erkrankt, nimmt ab. Seit den 1960er Jahren ist der Anteil der Betroffenen pro Jahrzehnt um 20 Prozent gesunken, wie eine frühere Studie ergab. Eine Ursache dafür könnte die verbesserte Gesundheit und Größe des Gehirns sein.
Mythos: Wir nutzen nur 10% unseres Gehirns
Vermutlich benutzen wir hundert Prozent - wenn auch nicht immer gleichzeitig. Falls Sie das Gerücht im Kopf haben, Einstein hätte gesagt, wir nutzen nur zehn Prozent unseres Gehirnpotenzials, vergessen Sie’s! Das Gerücht hat der Gründer von Scientology, Ron Hubbard, in die Welt gesetzt. Es wird heute noch von Scientology verbreitet, verbunden mit der mehr oder weniger explizit ausgesprochenen Botschaft: "Scientology hilft Ihnen, auch die restlichen 90 Prozent Ihres Gehirns zu nutzen!" - Das ist nur ein hohles Versprechen.
Es gibt viele Patienten, bei denen - zum Beispiel durch einen Unfall oder einen Schlaganfall - Teile des Gehirns geschädigt sind. Würden wir wirklich nur 10 Prozent nutzen, dann würden die meisten Hirnschädigungen ohne Folgen bleiben. In Wirklichkeit führt aber fast jede Hirnschädigung zu irgendwelchen Einschränkungen. Das heißt im Umkehrschluss, dass all die betroffenen Hirnregionen vorher zu etwas gut gewesen sein müssen.
Wir können uns das Gehirn vorstellen als ein großes Knäuel von Milliarden von Nervenzellen. Diese Milliarden von Nervenzellen sind untereinander wiederum durch Milliarden von Verbindungen vernetzt. Die Hirnforschung hat gezeigt, dass das Hirn sehr plastisch ist: Sobald wir etwas lernen, bilden sich neue Verbindungen zwischen Nervenzellen. Und sobald wir diese Verbindungen nicht mehr nutzen, fangen sie ziemlich schnell an zu verkümmern. Auch das spricht dafür, dass wir wirklich alle Bereiche des Gehirns nutzen.