Wie Wissen ins Gehirn gelangt: Einblicke in die Informationsverarbeitung

Unser Gehirn ist ein Meisterwerk der Informationsverarbeitung. Es nimmt ständig eine Flut von Sinneseindrücken auf, filtert, sortiert und speichert sie. Dieser Artikel beleuchtet, wie diese Prozesse ablaufen, welche Bereiche des Gehirns beteiligt sind und wie wir unser Gehirn optimal nutzen können.

Die Wahrnehmung: Mehr als nur Sehen

"Das glaub ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe" - dieser Spruch mag im Alltag gängig sein, doch aus neuropsychologischer Sicht ist er etwas naiv. Unsere Wahrnehmung basiert oft auf Annahmen und Vorwissen unseres Gehirns. Es konstruiert die Wirklichkeit, indem es Lücken füllt und die Welt vorhersagbar macht.

Ein faszinierendes Beispiel hierfür ist der von dem US-Psychologen und Augenarzt Adelbert Ames im Jahre 1946 entworfene Ames-Raum. In diesem Raum scheinen Menschen, die sich von einer Ecke zur anderen bewegen, ihre Größe zu verändern, obwohl dies physikalisch unmöglich ist. Das Gehirn spielt uns einen Streich, da wir aus Erfahrung nur rechtwinklige Räume kennen.

Ähnlich verhält es sich mit unserer Aufmerksamkeit. Wir lenken sie auf das, was uns am wichtigsten erscheint, und blenden alles andere aus. Ein Versuch, bei dem eine Reporterin während einer Befragung unbemerkt durch eine Kollegin ersetzt wurde, zeigte, dass die meisten Passanten diesen Tausch nicht bemerkten. Das Gehirn hat nur eine begrenzte Verarbeitungskapazität und filtert daher unwichtige Informationen heraus.

Die Arbeitsweise des Gehirns: Filter, Sortierung und Speicherung

Unser Gehirn arbeitet stets auf Hochtouren, um Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen im Gedächtnis abzuspeichern. Im Vergleich zur Festplatte eines Computers speichert unser Gehirn Informationen nicht als Null und Eins. Stattdessen verändert sich bei jeder Informationsverarbeitung die Verknüpfung der Nervenzellen im Gehirn. Dieses neuronale Netz ist bei jedem Menschen unterschiedlich. "Wenn wir uns was merken, dann ändert sich wirklich physiologisch unser Gehirn."

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Dabei sind drei verschiedene Gedächtnisbereiche von Bedeutung:

  1. Ultrakurzzeitgedächtnis: Hier bleiben Informationen nur für etwa zwei Sekunden.
  2. Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis: Hier werden Informationen bis zu 20 Minuten gespeichert und verarbeitet.
  3. Langzeitgedächtnis: Hier werden Informationen langfristig gespeichert.

Um Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis zu überführen, ist es wichtig, sich auf eine Sache zu konzentrieren und Pausen einzulegen. Wiederholungen und die Verknüpfung mit Emotionen können ebenfalls helfen, das Gelernte im Langzeitgedächtnis zu verankern. "Ganz wichtig für das Gedächtnis ist ein Bereich des Gedächtnisses, den man das limbische System nennt. Und das limbische System besteht aus dem Hippocampus und der Amygdala."

Das Gehirn verfügt über verschiedene Arten von Gedächtnis:

  • Prozedurales Gedächtnis: Speichert Bewegungsabläufe (z.B. Fahrradfahren).
  • Perzeptuelles Gedächtnis: Hilft uns, Personen wiederzuerkennen.
  • Semantisches Gedächtnis: Speichert Fakten und Wissen.
  • Episodisches Gedächtnis: Bewahrt autobiographische Erlebnisse.

Die Rolle der Synapsen und Vesikel

Denken, fühlen, erinnern oder bewegen - diese Prozesse beinhalten die Übertragung von Botenstoffen zwischen den Nervenzellen im Gehirn. Daran beteiligt sind kleine Bläschen, sogenannte Vesikel, die die Botenstoffe durch die Nervenzelle transportieren. An den Synapsen, den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, setzen die Vesikel die Botenstoffe frei, damit diese mit der gegenüberliegenden Nervenzelle interagieren können, um so die Informationsweiterleitung sicherzustellen. Die Vesikel hingegen werden entweder abgebaut oder für kommende Transporte wiederverwendet.

Forschende der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Okinawa Institute of Science and Technology (OIST) in Japan haben gemeinsam ein Computermodellierungssystem entwickelt, das den gesamten Zyklus - von der Bildung bis zum Recycling - sogenannter Vesikel darstellt. Das neue Modellierungssystem berücksichtigt das komplizierte Zusammenspiel der Vesikel, ihrer zellulären Umgebung, Aktivitäten und Interaktionen, und zeichnet so ein realistisches Bild, wie Vesikel die synaptische Übertragung von Botenstoffen unterstützen.

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Selektive Informationsverarbeitung: Der Schlüssel zur Effizienz

Nicht alles, was die Sinne registrieren, gelangt auch ins Gehirn. Bestes Beispiel ist das Gehör. Geräusche, Stimmen und Musik erreichen das Ohr als Druckwellen. Aber nur ein Teil der so übermittelten akustischen Information wird vom Gehirn verarbeitet. Diese Tatsache machten sich die Entwickler des MP3-Verfahrens zunutze. Die Bezeichnung MP3 steht für "MPEG Audio Layer 3". Dabei wird entsprechend der begrenzten Wahrnehmung unseres Gehörs all das aus den ursprünglichen Audiodaten entfernt, was für den Klangeindruck unbedeutend ist.

Das Gehirn bevorzugt Informationen, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten. Ein klassisches Beispiel ist der sogenannte Cocktailparty-Effekt: "In einer Umgebung voller Stimmen, Musik und Nebengeräusche gelingt es dem Gehirn, sich auf eine einzelne Stimme zu konzentrieren. Die übrigen Geräusche sind objektiv nicht leiser, werden aber in diesem Moment weniger stark wahrgenommen", erläutert Hirnforscher Dr. Eric Drebitz von der Universität Bremen.

Ein Team um Neurowissenschaftler Andreas Kreiter und Eric Drebitz hat nun erstmals kausal nachgewiesen, wie das Gehirn relevante Informationen weiterleitet und verarbeitet: "Ob ein Signal im Gehirn weiterverarbeitet wird, hängt entscheidend davon ab, ob es im richtigen Moment - in einer kurzen Phase erhöhter Empfänglichkeit der Nervenzellen - eintrifft", erläutert der Neurowissenschaftler Drebitz: "Nervenzellen arbeiten nicht kontinuierlich, sondern in einem schnellen Takt: Für wenige Millisekunden sind sie besonders aktiv und empfänglich, dann folgt ein Zeitfenster geringerer Aktivität und Erregbarkeit. Dieser Zyklus wiederholt sich etwa alle 10 bis 20 Millisekunden. Nur wenn ein Signal kurz vor dem Höhepunkt dieser aktiven Phase eintraf, veränderte es das Verhalten der Neurone."

Die Bedeutung von Entspannung und Konzentration

Obwohl die Informationsmenge erschreckend zugenommen hat, gilt dies nicht für die Vermehrung unseres Wissens. Wissen ist Information, gepaart mit Erfahrung, Kontext, Interpretation und Reflexion. Unser Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, große Datenmengen zu verarbeiten; dafür gibt es IT-Systeme. Andererseits ist das Gehirn hervorragend dafür ausgestattet, aus Informationen Wissen zu generieren.

Entspannung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass unser Gehirn effizient arbeiten kann. Je mehr Geistesarbeit wir leisten wollen, umso wichtiger ist die regelmäßige Entspannung. Bei Stress oder Anspannung können ganze Hirnareale blockiert werden. Im Entspannungszustand weiten sich die Blutgefäße, sodass unsere Zellen besser mit Nährstoffen versorgt werden und unser Körper mehr Hormone und Abwehrstoffe bildet.

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Bewusst kann man sich immer nur einer Sache auf einmal widmen. Niemand kann ein Buch lesen und gleichzeitig über andere Dinge nachdenken. Routinetätigkeiten können wir parallel erledigen, aber Denken ist eine Single-Tasking-Angelegenheit. Multi-Tasking gibt es gar nicht. Das Wechseln zwischen Aufgaben, sogenanntes Switch-Tasking ist möglich, dauert aber. Jedes Mal, wenn wir von einer Aufgabe zu einer anderen wechseln, benötigt unser Gehirn eine gewisse Anlaufzeit.

Die linke und rechte Hirnhälfte: Ein Teamwork

Die Aufteilung des Großhirns ist etwas Besonderes, weil es das einzige Organ mit symmetrischem Aufbau ist, dessen Hälften aber unterschiedliche Funktionen haben. Die linke Hirnhälfte dominiert bei Analyseprozessen, während kreative Prozesse vorwiegend in der rechten stattfinden. Die Rollenteilung ist jedoch keineswegs eindeutig: An allen Prozessen ist das gesamte Gehirn beteiligt.

Generell sind die linke bzw. die rechte Hirnhälfte primär auf Folgendes spezialisiert:

  • Links: Sprechen, Sprachverständnis, Logik, Arithmetik, serielle Verarbeitung, analytisches Denken.
  • Rechts: Bilder, Farben, Rhythmus, Musik, Muster, Verbindungen.

Wenn wir die Fähigkeiten der linken und der rechten Hirnhälfte richtig kombinieren, können wir die Möglichkeiten unseres Gehirns um ein Vielfaches besser ausnutzen!

Gehirngerechte Techniken: Mind Mapping, Schnelllesen und Mnemotechnik

Ein gutes Beispiel für ein Konzept, das das Gehirn als Ganzes betrachtet und somit gehirngerecht arbeitet, ist Mind Mapping. Bei dieser Technik werden sowohl die Fähigkeiten der linken (Sprache, serielle Verarbeitung, Logik) als auch der rechten Hirnhälfte (Bilder, Farben, Muster) auf eine sehr natürliche Weise genutzt.

Forschungsarbeiten ergaben, dass wir ca. 80 Prozent des Erlernten nach 24 Stunden wieder vergessen haben, wenn wir es nicht wiederholen. Mind Mapping beschleunigt diese Wiederholungsvorgänge enorm, eben weil diese Technik so konzentriert und kompakt ist.

Daneben gibt es zwei weitere Methoden, die mit den Vorteilen des Mind Mapping kombiniert werden können: Schnelllesen und Mnemotechnik. Die meisten Menschen können ihre Lesegeschwindigkeit um das drei bis Vierfache steigern und dabei das Verständnis verbessern.

Die visuelle Informationsverarbeitung im Detail

Sehen ist mehr, als nur optische Signale in Nervenimpulse zu übersetzen. Das Gehirn analysiert die Informationen, ordnet sie Stück für Stück und begreift sie. Die visuelle Verarbeitung passiert schnell und präzise und beginnt schon in der Netzhaut. Verschiedene Ganglienzell-Typen in der Netzhaut sind für die Verarbeitung von Farben oder zum Beispiel Bewegungen zuständig.

Die Analyse des Gesehenen beginnt in der primären Sehrinde V1. In der Sehrinde, aber auch in höheren Gehrinregionen wie dem Schläfenlappen, gibt es zahlreiche Neuronengruppen, die für die Erkennung bestimmter Muster zuständig sind, zum Beispiel Farben, Reize aus der Horizontalen oder Dreiecke. Von der primären Sehrinde gehen die Informationen über die dorsale Verarbeitungsbahn zum Scheitellappen („Wo“-Bahn) und über die ventrale Verarbeitungsbahn zum Schläfenlappen („Was“-Bahn). Die "Wo"-Bahn übernimmt die Lokalisation von Dingen im Raum und Bewegungen, die „Was“-Bahn konzentriert sich auf Informationen wie die Objekterkennung.

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Gehirns

Menschliche Entscheidungsfindung basiert auf der flexiblen Verarbeitung komplexer Informationen. Wie das Gehirn die Verarbeitung komplexer Reize an momentane Aufgabenanforderungen anpasst, war bisher allerdings unklar.

Eine Studie ergab, dass die EEG-Signale der Teilnehmer*innen von einem rhythmischen Modus in einen arrhythmischeren Zustand des neuronalen Rauschens wechselten, wenn die Unsicherheit über die zukünftig relevante Eigenschaft anstieg. „Neuronale Rhythmen können besonders nützlich sein, wenn wir relevante aus irrelevanten Informationen auswählen müssen. Im Gegensatz dazu könnte ein erhöhtes neuronales ‘Rauschen‘ unser Gehirn für verschiedenartige Informationsquellen empfänglich stimmen. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Fähigkeit, dynamisch von einem rhythmischen in einen Rauschmodus zu wechseln, eine flexible Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn unterstützt", sagt Julian Q.

Darüber hinaus fanden die Forscher auch heraus, dass der Grad des Wechsels von einem rhythmischen Modus in einen Zustand des Rauschens in den EEG-Signalen der einzelnen Teilnehmer*innen stark mit einem Anstieg der fMRT-Aktivität im Thalamus einherging.

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