Lyse nach Schlaganfall: Zeitfenster und Therapieansätze

Die Lyse, auch Thrombolyse genannt, ist eine medikamentöse Behandlung zur Auflösung von Blutgerinnseln im Körper. Sie wird häufig bei der Akutbehandlung von Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt. Dieser Artikel beleuchtet die Anwendung der Lyse beim ischämischen Schlaganfall, wobei der Fokus auf dem Zeitfenster für die Therapie, den verschiedenen Therapieansätzen und den damit verbundenen Risiken liegt.

Was ist eine Lyse?

Bei der Lyse, auch Lysetherapie (Thrombolyse) genannt, werden Blutgerinnsel in einem Gefäß medikamentös aufgelöst. Diese Blutgerinnsel (Thromben) können sich in intakten Gefäßen infolge von Gerinnungsstörungen, körperlicher Inaktivität und/oder verschiedenster Vorerkrankungen bilden. Sie stellen eine mechanische Barriere für den Blutstrom dar, indem sie ein Gefäß verengen oder ganz verstopfen. Die Folge ist eine sogenannte Ischämie, also eine Unterversorgung der stromabwärts des Gerinnsels gelegenen Gebiete mit Sauerstoff.

Das kann entweder an dem Ort passieren, an dem das Blutgerinnsel entstanden ist (Thrombose), oder das Gerinnsel wird vom Blutstrom mitgerissen und verengt oder verschließt an anderer Stelle im Gefäßsystem die Blutbahn (Embolie). So kann sich beispielsweise ein Thrombus, der sich im Unterschenkel gebildet hat, lösen und eine Lungenembolie verursachen - also ein Gefäß in der Lunge verstopfen.

Ziel der Lysetherapie ist es, diese mechanische Barriere durch ein Blutgerinnsel aufzulösen, bevor das Gewebe durch den Sauerstoffmangel unwiederbringlich geschädigt wird. Dazu werden verschiedene Medikamente eingesetzt, die das für die Blutgerinnung verantwortliche Eiweiß Fibrin zersetzen.

Wann wird eine Lyse durchgeführt?

Eine Lysetherapie wird durchgeführt bei:

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  • Akutem peripheren Gefäßverschluss (z.B. im Bein)
  • Akutem Herzinfarkt (akuter Myokardinfarkt)
  • Ischämischem Schlaganfall
  • Chronisch peripherer arterieller Verschlusskrankheit ("Raucherbein" oder "Schaufensterkrankheit" genannt)
  • Lungenembolie

Anders als beim ischämischen Schlaganfall (durch einen Gefäßverschluss verursacht) darf beim hämorrhagischen Schlaganfall (durch eine Blutung verursacht) auf keinen Fall lysiert werden, da die Blutung dadurch massiv verstärkt werden würde.

Mit jeder Minute, die vor Beginn der Lyse verstreicht, stirbt mehr unterversorgtes Gewebe ab. Daher sind für die Einleitung der Akuttherapie bestimmte Zeitfenster festgelegt. Beginnt die Lysetherapie zu spät, lässt sich das Gerinnsel kaum noch medikamentös auflösen.

Grundsätzlich sind im Rahmen der Lysetherapie schnelles Handeln, der Notarzt und eine sofortige stationäre Einweisung in ein Krankenhaus mit Gefäßzentrum erforderlich. Bei einem langen Anfahrtsweg bis in das nächste Krankenhaus kann eine Lyse auch bereits im Notarztwagen begonnen werden.

Das Zeitfenster für die Lyse beim Schlaganfall

Aktuelles Zeitfenster und seine Erweiterung

Für die Therapie mittels Thrombolyse, die die Durchblutung im Gehirn wiederherstellt, gilt bislang ein Zeitfenster von 4,5 Stunden nach Einsetzen der ersten Schlaganfallsymptome. Die Lyse muss baldmöglichst beginnen, um bleibende neurologische Ausfälle oder gar den Tod zu verhindern.

Im September 2008 hat eine große internationale Studie gezeigt, dass eine Lyse bis zu viereinhalb Stunden nach Einsetzen der Schlaganfallsymptome sicher und effektiv durchgeführt werden kann. Zuvor hatte das Zeitfenster für die Behandlung nur drei Stunden umfasst. „Die Studienergebnisse waren enorm wichtig für die Schlaganfalltherapie. Wir können seither bei bedeutend mehr Patienten eine Lyse durchführen. Denn sehr viele Betroffene werden erst nach drei Stunden in eine Klinik aufgenommen. Doch zugleich bestand die Befürchtung, dass der verminderte Zeitdruck den Behandlungsablauf verlangsamt“, sagt Professor Dr. med. Martin Grond, Mitautor der Studie und Vorstandsmitglied der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft.

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Studien zur Erweiterung des Zeitfensters

Mehrere Studien haben nun gezeigt, dass unter bestimmten Umständen für die Lyse mehr Zeit zur Verfügung steht, als bisher angenommen. Dafür setzen Mediziner eine erweiterte Bildgebung ein. Die strikte Zeitgrenze von 4,5 Stunden für die Lysetherapie wird jedoch nicht allen Patienten gerecht. Je nach der individuellen Durchblutungssituation von Patienten können sich auch Behandlungsmöglichkeiten jenseits der 4,5 Stunden-Grenze ergeben, wie kürzlich unter anderem die australische EXTEND-Studie gezeigt hat.

Die Studie (Ma. et al. 2019) wies nach, dass Patienten bis zu neun Stunden nach einem Schlaganfall von einer Lyse profitieren können, wenn rettbares Hirngewebe vorliegt. Aufschluss darüber gaben erweiterte bildgebende Verfahren: „Mittels Perfusionsuntersuchungen im Kernspintomogramm (MRT) oder CT kann man heute die minderdurchbluteten Areale mit dem sogenannten Infarktkern vergleichen“, erläutert Professor Grau. In die EXTEND-Studie wurden 225 Patienten mit ischämischem Schlaganfall eingeschlossen, die in der Perfusionsbildgebung rettbares Hirngewebe gezeigt hatten. Nach dem Zufallsprinzip erhielten sie zwischen 4,5 und 9,0 Stunden nach Beginn des Schlaganfalls oder beim Erwachen mit Schlaganfall (innerhalb von neun Stunden ab dem Mittelpunkt des Schlafes) eine Lyse oder ein Placebo. Für die Patienten, die die Lyse-Therapie erhalten hatten, war die Wahrscheinlichkeit ein sehr gutes klinisches Ergebnis ohne relevante bleibende Beeinträchtigungen zu erreichen im Vergleich zur Placebo-Gruppe um 44 Prozent höher.

Weitere Studien, unter anderem auch die Metaanalyse der drei Studien EXTEND, ECASS4-Extend und EPITHET haben die Ergebnisse bestätigt. Zuvor hatte die Wake up-Studie (Thomalla et al.

Bedeutung der Zeit in der Schlaganfalltherapie

„Die Studienergebnisse zeigen, dass das Zeitfenster für die Therapie mit Lyse bei einzelnen Patenten länger ist als 4,5 Stunden“, fasst Professor Grau die Ergebnisse der Studien zusammen. Andere Untersuchungen hatten bereits ein längeres Zeitfenster für die Behandlung mit einer Thrombektomie belegt (Albers et al. 2018; Nogueira et al. 2018). Den Grund sieht der Experte darin, dass manche Patienten über gute Umgehungskreisläufe (Kollateralen) verfügen: Dabei handelt es sich um Nebenäste, die dasselbe Gehirngebiet versorgen, wie die vom Schlaganfall betroffenen Hauptäste.

„Jede Minute zählt - diese Regel in der Schlaganfalltherapie bleibt aber weiterhin gültig, auch wenn für einzelne Patienten nun längere Therapiezeitfenster möglich sein können“, betont Professor Grau. „Ein Gewebe-basiertes Konzept ergänzt das Zeit-basierte, löst es aber nicht ab!“

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Wie wird eine Lyse durchgeführt?

Der Arzt verabreicht über einen venösen Zugang Medikamente, die entweder das Blutgerinnsel direkt abbauen oder körpereigene Abbauenzyme (Plasminogen) aktivieren. In mehr als der Hälfte der Fälle wird das verstopfte Gefäß innerhalb von 90 Minuten auf diese Weise wieder durchgängig.

Für die Lyse werden die Enzyme Streptokinase und Urokinase beziehungsweise die gentechnisch hergestellten Aktivatoren Alteplase, Reteplase oder Tenekteplase verwendet. Unterstützend verabreicht bereits der Notarzt meist Acetylsalicylsäure und Heparin, weil diese - frühzeitig verabreicht - die Prognose verbessern:

  • Acetylsalicylsäure (ASS) verhindert die Anlagerung von Blutplättchen (Thrombozyten) und damit eine Vergrößerung des Blutgerinnsels. Der Gewebeschaden wird so begrenzt.
  • Heparin greift ins Blutgerinnungssystem ein und verhindert, dass sich der Thrombus vergrößert.

Die Thrombolyse war über Jahrzehnte die klassische Therapie, vor allem des akuten Herzinfarkts. Heutige Standardtherapie bei akutem Herzinfarkt ist meist die Akut-Koronarintervention mittels Perkutaner transluminaler Koronarangioplastie (PTCA), die bessere Ergebnisse in puncto Lebensqualität und Überlebensrate erzielt:

Bei dieser Form der Angioplastie wird mit einem sogenannten Ballonkatheter das verstopfte Herzkranzgefäß erweitert. Voraussetzung ist allerdings, dass ein kardiologisches Zentrum in der Nähe verfügbar ist, wo dieser Eingriff durchgeführt werden kann. Ist ein solches Zentrum mehr als 90 Minuten entfernt, sollte eine frühzeitige Lysetherapie vor Ort eingeleitet werden.

Eine Variation aus beiden Verfahren ist die lokale Lyse (intraarterielle Thrombolyse). Dabei wird ein Katheter über eine Arterie bis an den Ort des Gefäßverschlusses vorgeschoben, über den man dann direkt ein Gerinnsel-auflösendes Medikament (zum Beispiel Pro-Urokinase) injiziert.

Kombinationstherapie: Systemische Thrombolyse und mechanische Thrombektomie

Seit einigen Jahren hat sich auch die mechanische Gerinnselentfernung (endovaskuläre Thrombektomie) in der Routine-Versorgung von Schlaganfall-Patienten etabliert. Ob die beiden Behandlungsverfahren in Kombination angewendet werden sollten, war lange nicht klar. Experten der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) stellen auf ihrer Online-Pressekonferenz am Mittwoch, den 26. Oktober zum Weltschlaganfalltag (29. Oktober) nun neueste Studien dazu vor: Diese Erkenntnisse sehen klare Vorteile einer Kombinationstherapie nur, wenn diese innerhalb von 4,5 Stunden nach dem Beginn des Hirninfarkts erfolgt. Im späteren Zeitfenster kann auf die systemische Thrombolyse auch verzichtet werden. Von besonderer Bedeutung ist dies gerade aufgrund der Lieferengpässe beim Medikament Alteplase.

Die DSG empfiehlt deshalb folgendes Vorgehen: Patienten, die im 4,5-Stunden-Zeitfenster behandelt werden können, sollen möglichst eine Kombinationstherapie erhalten. Für das spätere Zeitfenster von 4,5 bis 9 Stunden erscheint die alleinige Thrombektomie ohne vorherige medikamentöse Thrombolyse vertretbar. „Wenn ein Schlagfanfallpatient jedoch erst nach mehr als 9 Stunden Symptomdauer zur Therapie kommt, rät die DSG von einer systemischen Thrombolyse mit Alteplase ab“, so der Heidelberger Neurologe.

Risiken der Lyse

Die verabreichten Lyse-Medikamente hemmen die körpereigene Blutgerinnung, weil sie nicht nur am Ort des Gefäßverschlusses, sondern im gesamten Körper wirken. Als Komplikation können schwere Blutungen auftreten. Bislang unerkannte Blutungsquellen wie Magengeschwüre oder Gefäßmissbildungen (Aneurysmen) im Gehirn können aktiviert werden. Auch bei Patienten mit nicht kontrollierbarem Bluthochdruck wird von der Lysebehandlung abgeraten. Als schwere, seltene Nebenwirkung können Hirnblutungen auftreten.

Infarkteinblutungen waren unter einer Lyse signifikant häufiger als bei Placebobehandlung (5 % vs. < 1 %, OR 9,7). 18 von 201 (9 %) Patienten in der Placebogruppe starben, in der Lysegruppe 29 von 213 (14 %). Der Unterschied war statistisch nicht signifikant (p = 0,66), sodass die Autoren der Arbeit schlussfolgern, dass der Gesamtnutzen das Risiko des beschriebenen Vorgehens überwiegt.

Natürlich muss das Blutungsrisiko immer gut gegen den möglichen Nutzen der Lysetherapie abgewogen werden. „Ein erhöhtes Risiko kann bestehen, wenn der Patient sehr alt ist, früher bereits einen Schlaganfall oder eine Hirnblutung hatte, aber auch bei nicht ausreichend eingestelltem Bluthochdruck oder einer Blutungsneigung beziehungsweise Gerinnungsstörung - beispielsweise, wenn bereits sogenannte blutverdünnende Medikamente eingenommen werden.“

Was ist nach einer Lyse zu beachten?

Nach einer erfolgreichen Thrombolysetherapie bei Herzinfarkt kommt es häufig zu Herzrhythmusstörungen. Deshalb werden die Patienten im Anschluss einer Lyse strikt überwacht.

Grundsätzlich ist es nach einer Lyse ratsam, Risikofaktoren für einen erneuten Gefäßverschluss (wie Herzinfarkt, Schlaganfall) regelmäßig zu kontrollieren und ausreichend zu behandeln. Zu diesen Risikofaktoren zählen etwa Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte, Übergewicht und Diabetes mellitus. Ein wichtiger Aspekt ist auch, das Rauchen aufzugeben und die halbjährlich bis jährlichen Kontrolluntersuchungen wahrzunehmen.

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