Wie das Gehirn Bewegungsabläufe steuert: Einblick in die komplexe Motorik

Bewegungen sind für uns selbstverständlich. Ob das Greifen nach einem Apfel, das Tippen auf einer Tastatur oder das Balancieren beim Gehen - unser Körper ist ständig in Bewegung. Diese alltäglichen Handlungen erfordern hochkomplexe Hirnprozesse, die oft unterschätzt werden. Das perfekte Zusammenspiel zwischen Gehirn, Rückenmark und den über 650 Muskeln des menschlichen Körpers verleiht uns komplexe motorische Fähigkeiten.

Die Grundlagen der Motorik

Motorik beschreibt sämtliche willkürliche und kontrollierte Muskelbewegungen des menschlichen Körpers. Hierzu zählen sowohl große Bewegungsabläufe wie das Gehen als auch die Mimik des Gesichts. Auch die motorischen Anteile des Nervensystems zur Steuerung und Wahrnehmung von Bewegungen werden unter dem Begriff Motorik zusammengefasst.

Das Nervensystem als Schaltzentrale

Über das Nervensystem tritt der Mensch in Kontakt mit seiner Umwelt. So nehmen beispielsweise Augen, Ohren, Nase, Zunge und Sensoren in der Haut, wie beispielsweise Temperatur- und Berührungssensoren, Reize aus der Umwelt wahr und leiten sie weiter zum Zentralnervensystem. Auch Informationen über den Zustand des eigenen Organismus, wie z.B. die Stellung des Körpers oder Hunger und Durst, werden registriert. Dieser Teil des Nervensystems wird als sensorisches Nervensystem bezeichnet. Dem gegenüber steht das motorische Nervensystem. Mit ihm reagiert der Organismus auf Signale aus seiner Umgebung oder vom Körper selbst. So steuert das motorische Nervensystem die Muskulatur und ermöglicht uns damit, Handlungen auszuführen und sich in der Umwelt zu bewegen.

Das Nervensystem besteht aus dem zentralen und dem peripheren Nervensystem. Das zentrale Nervensystem umfasst Gehirn und Rückenmark, während das periphere Nervensystem die Nervenbahnen außerhalb von Gehirn und Rückenmark beinhaltet. Das Gehirn ist die Informationszentrale unseres Körpers. Hier werden Informationen aus der Umwelt und über den Zustand des Organismus zusammengetragen und zu Reaktionen weiterverarbeitet.

Die Rolle des Gehirns

Das Gehirn ist die Steuerzentrale für lebenswichtige Abläufe im Körper. Es besteht aus verschiedenen Teilen und Milliarden von vernetzten Nervenzellen. Das Gehirn steuert alle wichtigen Fähigkeiten des Menschen: was wir wahrnehmen und empfinden, was wir wissen und denken oder wie wir uns verhalten. Es stellt aber auch sicher, dass unsere Organe richtig arbeiten und steuert all unsere Bewegungen. Es nimmt Sinneseindrücke auf und verarbeitet sie. Außerdem speichert es Informationen im Gedächtnis und ruft sie bei Bedarf wieder ab. Das Gehirn ist ein gigantisches Netzwerk von Nervenzellen. Dieses Netzwerk steuert all unsere Organe und Körperfunktionen. Man unterscheidet verschiedene Bereiche im Gehirn, wobei jeder Bereich auf bestimmte Aufgaben spezialisiert ist.

Lesen Sie auch: Überblick: Körperfunktionen und Hirnnerven

Die Hauptbereiche des Gehirns und ihre Funktionen:

  • Hirnstamm: Der älteste Gehirn-Teil in der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Er verbindet das Gehirn mit dem Rückenmark und regelt lebenswichtige Systeme wie Herzschlag, Atmung und Blutdruck. Auch wichtige Körperreflexe haben hier ihren Sitz.
  • Zwischenhirn: Verantwortlich für viele überlebenswichtige Empfindungen und Instinkte des Menschen. Hier werden zum Beispiel Durst und Hunger oder der Schlaf gesteuert. Auch an der Verarbeitung von Sinneseindrücken wie Sehen, Hören oder Tasten ist das Zwischenhirn beteiligt. Der Thalamus ist die wichtigste Schaltstation für Informationen aus den Sinnesorganen. Der Hypothalamus regelt zahlreiche automatische Vorgänge im Körper.
  • Limbisches System: Spielt eine wichtige Rolle bei Gefühlen und triebgesteuertem Verhalten (z. B. essen oder trinken).
  • Kleinhirn: Wichtig für das Gleichgewicht und die Koordination. Gemeinsam mit dem Großhirn steuert es die Muskeln und somit die Bewegungen. Außerdem sorgt es ganz wesentlich mit dafür, dass die Muskel-Spannung des Körpers erhalten bleibt. Während das Großhirn vorrangig für bewusste Bewegungen zuständig ist, steuert das Kleinhirn bereits gelernte Bewegungsabläufe. Hier werden bestimmte Bewegungsabfolgen wie Tanzschritte oder das Schalten beim Autofahren gespeichert.
  • Großhirn: Der jüngste Gehirn-Teil in der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Es ist zugleich der größte Teil des menschlichen Gehirns. Das Großhirn ermöglicht die sogenannten „höheren“ Hirnfunktionen, wie Motivation, Lernen, Denken oder Verstehen. Die Großhirn-Rinde bedeckt die gesamte Oberfläche des Großhirns. Sie ist etwa 1,5 bis 4,5 Millimeter dick und enthält fast drei Viertel aller Nervenzellen des Gehirns. Hier gehen wichtige Sinneseindrücke ein. Sie werden sortiert, bewusst gemacht, gespeichert und sinnvoll miteinander verknüpft. Dadurch ist es dem Menschen möglich, zielgerichtet zu handeln. In der Großhirn-Rinde sitzen auch die Wahrnehmung und der Wille. Auch wesentliche Teile unseres Gedächtnisses liegen in der Großhirn-Rinde. Denken und Erinnern sind hier verankert, willentliche Bewegungen werden gesteuert.

Die Rolle des Rückenmarks

Spinale Motorik ist Bewegungskoordination auf Rückenmarksebene mit der einfachsten Bewegungsantwort auf einen Reiz - dem Reflex. Das Rückenmark leitet Informationen über die Efferenz zum Effektor, wodurch der aktivierte Effektor die Reizantwort ausführt.

Sensorische Rückmeldungen

Sensorische Rückmeldungen spielen eine grundlegende Rolle bei der Koordination von Bewegungen. Muskelspindeln sind Dehnungssensoren der Arbeitsmuskulatur und messen Muskellänge und Dehnungsgeschwindigkeit. Auch Sehnenorgane sind Dehnungssensoren der Arbeitsmuskulatur, die jedoch den Spannungszustand der Muskulatur messen. Jedes Gelenk besitzt Gruppen von Sensoren für die verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten in den Gelenkachsen.

Die Steuerung willkürlicher Bewegungen

Geplant und initiiert werden Bewegungsabläufe von den motorischen Zentren im Gehirn. Über das Rückenmark und die Motoneurone gelangen motorische Signale zu den Muskeln und werden dort in Bewegungen umgesetzt. Sensorische Rückmeldungen helfen dabei, die erfolgreiche Umsetzung der Bewegungen zu koordinieren.

Motoneurone: Die Verbindung zu den Muskeln

Gesteuert wird eine Bewegung durch bestimmte Nervenzellen, die so genannten Motoneurone, von denen man zwei Arten unterscheidet: Die unteren Motoneurone reizen über ihre Zellfortsätze - die Axone - die Muskelfasern der Skelettmuskulatur und sorgen so für deren Kontraktion. Ihre Zellkörper befinden sich im Rückenmark, der Medulla spinalis. Deshalb werden sie auch spinale Motoneurone genannt. Manche Reflexe werden direkt von den unteren Motoneuronen initiiert, so etwa der bekannte Patellarsehnenreflex, bei dem ein leichter Schlag auf die Sehne unterhalb der Kniescheibe das Hochschwingen des Unterschenkels auslöst. Weil die verantwortlichen Nervenzellimpulse gar nicht ins Gehirn gelangen müssen, sind sie besonders schnell und können Schutzfunktionen übernehmen.

Für willentliche Bewegungen ist das zentrale motorische System zuständig, das auch über unsere Körperhaltung wacht. Dazu gehören bestimmte Bahnen in Hirnstamm und Rückenmark, das Kleinhirn sowie ein erheblicher Teil der Hirnrinde - dem Sitz höherer Hirnfunktionen. Im motorischen Cortex befinden sich Zellkörper der zweiten Gruppe der motorischen Neurone, die oberen Motoneurone. Etwa eine Million an der Zahl entsenden sie von dort lange Axone in das Rückenmark. Die oberen Motoneurone reizen niemals selbst einen Muskel.

Lesen Sie auch: Verständnis der Gehirn-Augen-Verbindung

Die Rolle des motorischen Cortex

Im motorischen System herrscht eine gewisse Arbeitsteilung: Die oberste Kontrolle, sozusagen die Befehlsgewalt über das Vorziehen des Arms oder das Schwingen des Tanzbeins, haben die motorischen Assoziationsfelder, die sich vor allem im Parietal- und im Präfrontalcortex befinden. Hier wird das Bewegungsziel festgelegt, also zum Beispiel, dass man das Messer greifen und damit sein Gemüse klein schneiden möchte, und die am besten geeignete Bewegungsstrategie, um dieses Bewegungsziel zu erreichen. Nachdem das „Was“ geklärt ist, übernehmen Motorcortex und Kleinhirn (Cerebellum) das „Wie“ des Bewegungsablaufs. Diese beiden Hirnareale sind die Taktiker bei der Bewegungskontrolle, sie bestimmen, welche Muskeln in welcher Abfolge kontrahiert werden sollen. Mit der konkreten Ausführung des Plans werden dann der Hirnstamm und das Rückenmark betraut. Dort befinden sich die Motoneurone, von denen aus die Muskelzellen letztlich gereizt werden.

Der primäre Motorcortex ist der Startpunkt von weiten Teilen der Pyramidenbahn, mit einer Million Axonen einer der längsten und größten Bahnen unseres zentralen Nervensystems. Hier entspringen also Nervenzellfortsätze, die ohne Unterbrechung durch den Hirnstamm und weiter bis ins Rückenmark ziehen, um von dort dann über so genannte Motoneurone Befehle an die Muskulatur weiterzugeben.

Basalganglien: Feinabstimmung der Motorik

Basalganglien (Stammganglien) erhalten Informationen aus verschiedenen Teilen der Hirnrinde. Sie beeinflussen die Bewegungsprogramme bezüglich ihrer Geschwindigkeit, ihres Bewegungsausmaßes, der Kraft und Bewegungsrichtung. Basalganglien (Stammganglien) haben jeweils eine eher hemmende oder eher erregende Wirkung auf die Motorik. Der Nucleus subthalamicus steht über Afferenzen (hemmend) und über Efferenzen (erregend) in Verbindung mit dem Pallidum. Basalganglien (Stammganglien) stehen über Funktionsschleifen mit der Großhirnrinde in Verbindung.

Eine Studie der Universität Basel und des Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) zeigt: Nervenzellen in den Basalganglien steuern Bewegungen nicht nur durch Freigabe, sondern auch durch deren gezielte Unterdrückung - und das mit hoher Präzision. Lange galt deren Ausgangssignal vor allem als eine Art Bremse, die unerwünschtes Verhalten unterdrückt. Forschende um Prof. Dr. Silvia Arber am Biozentrum der Universität Basel und am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) konnte nun zeigen, dass bestimmte Nervenzellen in den Basalganglien hochpräzise entscheiden, wann welche spezifische Bewegung eines Verhaltens freigegeben oder aktiv gestoppt wird. Diese Erkenntnisse stellen das bisherige Modell zur Funktion der Basalganglien infrage. Demnach steuern die Basalganglien Bewegungen, indem sie motorische Zentren im Gehirn dauerhaft hemmen und nur kurzfristig «loslassen», nämlich dann, wenn Bewegung erlaubt werden soll.

Im Fokus der Studie steht die sogenannte «Substantia Nigra pars reticulata» (SNr), der Hauptausgang der Basalganglien, der Signale an motorische Zentren des Hirnstamms sendet. Die überraschende Beobachtung der Forschenden: Die dortigen Nervenzellen feuern nicht nur zur Hemmung. Stattdessen zeigen sie höchst dynamische Aktivitätsmuster - mit präzise getimten Phasen, je nachdem, welche Bewegung gerade ausgeführt wird. Viele Nervenzellen wechseln dabei im komplexen Bewegungsablauf mehrfach zwischen Aktivierung und Pause. Der Ausgang der Basalganglien wirkt dabei wie ein fein getaktetes System mit vielen Ampeln an einer komplexen Kreuzung: Jede Ampel schaltet bei einer bestimmten Bewegung gezielt auf Grün und bei anderen auf Rot - abhängig davon, welche Handlung gerade geplant ist.

Lesen Sie auch: Kontrolle der Atmung

Motorisches Lernen und Automatisierung

Ob Fahrradfahren oder Skilaufen - einmal erlernt laufen viele Bewegungen unbewusst und automatisch ab. Der Vorteil des motorischen Lernens liegt auf der Hand: Laufen die Bewegungen unbewusst ab, hat das Hirn mehr Kapazitäten, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Aus Sicht der Evolution macht das Sinn, weil es unseren Vorfahren half zu überleben: Sind Rennen und Klettern automatisiert, muss man sich nicht mehr darauf konzentrieren, wenn die Aufmerksamkeit besser auf anderes gerichtet wäre: einen wütenden Bären etwa, der uns nach dem Leben trachtet.

Störungen der Motorik

Schädigung des Cerebellums (z. B. auch als Folge von chronischem Alkoholabusus) führt zu Störungen in der Feinabstimmung und Koordination von Bewegungen. Basalganglien (Stammganglien) führen zu Störungen im harmonischen Bewegungsablauf. Morbus Parkinson ist eine degenerative Erkrankung der Substantia nigra mit Untergang der Dopamin-produzierenden Zellen. Läsionen des Tractus corticospinalis (Pyramidenbahn) im Bereich der Capsula interna (z. B. Wegen der topografischen Anordnung der Pyramidenbahnfasern in der Capsula interna sind je nach Schädigungsort, verschiedene Muskelgruppen von der Lähmung betroffen (Hemiplegie der Arme oder Beine).

Bei Erkrankungen wie Parkinson oder Chorea ist genau diese fein abgestimmte Steuerung gestört - dies resultiert beispielsweise in der bekannten Schwierigkeit von Parkinson-Patienten, Bewegungen zu starten.

tags: #wie #steuert #das #gehirn #eine #bewegung