Das menschliche Gehirn, ein Meisterwerk der Evolution, wiegt fast eineinhalb Kilo und ist der Lenker unseres Lebens, leistungsfähiger als jeder Computerchip. Doch oft beherrschen wir die Bedienung unseres Smartphones besser als die unserer eigenen Schaltzentrale. Dieser Artikel lädt Sie ein, die vier Bewohner Ihres Gehirns kennenzulernen und mit Jürgen Fuchs, einem Experten für Menschen und Unternehmen, eine Entdeckungsreise in Ihre Gehirn-WG zu unternehmen.
Die vier Mitbewohner: Ein Überblick
Stark vereinfacht lässt sich das Gehirn in vier wesentliche Funktionsbereiche einteilen: Großhirn, Kleinhirn, limbisches System und Stammhirn. Jeder dieser Bereiche hat spezifische Aufgaben, wobei bei den meisten Vorgängen bereichsübergreifende Neuronenverbände aktiviert sind. Es handelt sich also nicht um eine strikte Arbeitsteilung.
Das Großhirn: Zentrum des Denkens und der Kreativität
Im Großhirn laufen Prozesse ab, die uns Menschen auszeichnen. Dieser Teil des Gehirns unterscheidet uns am meisten von allen anderen Tieren. Verantwortlich dafür ist ein „Gen für mehr Gehirn“, das nur beim Menschen vorkommt. Das Großhirn ermöglicht Denken, Verstand, Phantasie, Ironie und Humor. Es ist auch an der bewussten Wahrnehmung beteiligt.
Das Kleinhirn: Steuerung von Bewegungsabläufen
Das Kleinhirn steuert unsere Bewegungsabläufe, vor allem solche, die wir verinnerlicht haben und unbewusst nebenbei ausführen. Dazu gehören beispielsweise das Gehen eines bekannten Weges oder das Auto- oder Radfahren, während wir uns gleichzeitig unterhalten oder Radio hören. Nur bei sehr komplexen und schwierigen Bewegungen oder beim Erlernen neuer Bewegungsabläufe benötigen wir zusätzliche Kapazitäten des Großhirns.
Das limbische System: Sitz der Emotionen
Das limbische System steuert unsere Emotionen. Es färbt alles, was wir erleben, emotional ein und bewertet es blitzschnell als „gut“ oder „schlecht“. Diese Bewertungen beeinflussen unsere Entscheidungen und unser Verhalten maßgeblich. Das limbische System vergibt in Entscheidungssituationen die Präferenz stets unter dem Gesichtspunkt maximaler Lust bzw. minimaler Unlust. Dabei geht es nicht darum, ob dem „Gefühl“ oder der „Vernunft“ gefolgt wird - denn die Werte, die gemeinhin als „vernünftig“ bezeichnet werden (z.B. Disziplin, Fleiß, Präzision, Sparsamkeit) erhalten für uns ihren „Wert“ auch nur durch das Lustgefühl, mit dem uns das Belohnungssystem bei ihrer Realisierung belohnt.
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Das Stammhirn: Überlebensinstinkt
Das Stammhirn ist vor allem für unser Überleben verantwortlich. Es kontrolliert lebenswichtige Prozesse wie Atmung und Kreislauf. Außerdem steuert es unsere Reflexe und reagiert bei Gefahr automatisch mit fest verdrahteten Notprogrammen wie Flucht, Kampf oder Schockstarre. Entwicklungsgeschichtlich gesehen ist das Stammhirn der älteste Teil des Gehirns, weshalb es zuweilen auch als „Reptilien-Gehirn“ bezeichnet wird.
Die Geheimnisse der Gefühle: Was passiert "da oben", wenn wir grübeln, gestresst sind und uns verlieben?
Das limbische System bewertet komplexe Situationen, die sich logisch schwer bewerten lassen, aber schnell gehen müssen, wie Vertrauen und Einschätzung gegenüber anderen Menschen. Diese „Rest-Signale“ sind stets emotional eingefärbt, um auf „gut“ Annährungstendenzen und auf „schlecht“ Vermeidungs- oder Abwehrtendenzen auszulösen. Der Vollzug von Annährung an „Gutes“ wird mit Lustgefühlen belohnt (u.a. durch die Ausschüttung von Hormonen wie Dopamin). Mit den gleichen Verarbeitungsprozessen wählt das Gehirn aus, was es wert ist, im Langzeitgedächtnis gespeichert zu werden. Je höher die vom limbischen System erzeugte emotionale Ladung ist, desto nachhaltiger wird die Speicherung.
Die Macht der Emotionen: Entscheidungen und emotionale Angelegenheiten
Wir treffen keine Entscheidung ohne Emotionen. Selbst der Kauf von Butter ist eine emotionale Angelegenheit. Das limbische System ist die entscheidende Instanz in unserem Gehirn für Entscheidungen und die Steuerung unseres Verhaltens.
Neuroleadership: Gehirngerechte Unternehmen
Wie können Unternehmen in der künftigen Arbeitswelt Mitarbeitern und Kunden Freude machen? Indem sie "gehirngerecht" agieren. Neuroleadership setzt auf die Erkenntnisse der Gehirnforschung, um Führung und Zusammenarbeit effektiver und angenehmer zu gestalten.
Warum wir tun, was wir tun: Selbsterkenntnis
Jürgen Fuchs stellt die vier Experten vor, die in unserem Kopf leben, zeigt ihre perfekte Zusammenarbeit und was passiert, wenn sie nicht an einem Strang ziehen. Er vermittelt die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung und gibt Antworten darauf, warum wir tun, was wir tun - von alltäglichen Verhaltensmustern bis zur nonverbalen Kommunikation.
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Assoziationen und Kreativität: Die Rolle des Gehirns
Neue Ideen entstehen meist dank neuer Assoziationen - am wildesten beim Träumen. Neue Verbindungen zwischen vorhandenen Vorstellungen und Erinnerungen entwickeln zu können, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten des menschlichen Gehirns, wenn es darum geht, kreativ zu sein und sich etwas einfallen zu lassen.
Semantische Netze im Gehirn
In unserem Gehirn sind die Begriffe, mit denen wir unsere bewussten Gedanken in Worte fassen, als neuronale Verdrahtungen repräsentiert. Wenn wir etwa das Wort „Hölzchen“ denken oder hören, werden die Verschaltungen des entsprechenden Erregungsmusters aktiviert. Auch die Beziehungen zwischen verschiedenen Begriffen und Worten sind in Form sogenannter „semantischer Netze“ in den neuronalen Strukturen abgebildet. Wird nun das Erregungsmuster für „Hölzchen“ aktiviert, kann in vielen Gehirnen das Erregungsmuster für „Stöckchen“ relativ leicht ebenfalls aktiviert werden - jedenfalls dann, wenn das semantische Netzwerk dafür bereits gebahnt worden war, weil man den Bezug zwischen diesen Worten oft genug hergestellt hatte. Und sofort anschließend könnte einem einfallen, dass man nicht über jedes Stöckchen springen muss, das einem hingehalten wird.
Kreativitätstechniken und Assoziationen
Viele Kreativitätstechniken beruhen darauf, gezielt zu assoziieren. Am bekanntesten sind „Brainstorming“ und „Brainwriting“. Andere Kreativitätstechniken nutzen nicht die bereits in den Gehirnen vorhandenen Verbindungen, sondern versuchen, neue Ideen durch erzwungene Kombinationen anzuregen.
Das Unbewusste und seine Rolle bei der Ideenfindung
Eine weitere für das Ideenmanagement interessante Eigenheit des Unbewussten ist, dass es auch ohne unser bewusstes Zutun arbeitet. Dabei verarbeitet es auch Material, das nur unterschwellig wahrgenommen und gespeichert wurde - und das ist ja sehr viel mehr, als uns bewusst ist. Dieser Verarbeitungsprozess, bei dem eine Vielzahl neuer (und oft sehr kreativer) Assoziationen hergestellt wird, ist beim Träumen besonders intensiv und „wild“.
Gehirnforschung und Bewusstsein: Was können wir wirklich wissen?
Die Hirnforschung beschäftigt sich intensiv mit Fragen des Bewusstseins, des Denkens, Fühlens und Entscheidens. Forscherinnen und Forscher suchen nach Antworten auf die Frage, wie unser Verhalten bestimmt wird und wie wir unser gesellschaftliches Miteinander organisieren können.
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Reduktionismus und die Grenzen der Hirnforschung
Gemäß dem Reduktionismus funktioniert Wissenschaft so, dass sie allgemeine Erklärungen auf grundlegendere Prinzipien zurückführt. Doch auch bei konkreteren technischen Anwendungen, wie dem „Gedankenlesen“, hat sich noch nicht viel getan. Anwendungen befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium.
Der 4E-Ansatz: Ein ganzheitlicher Blick auf die Kognition
In den Kognitionswissenschaften spricht man sich gerade herum, Kognition (als Oberbegriff für: Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Entscheiden…) müsse gemäß dem 4E-Ansatz erforscht werden. Das steht für verkörpert (embodied), eingebettet (embedded; manchmal auch: situiert), in Interaktion mit der Welt (enacted) und erweitert (extended). Damit wird betont, dass wir keine reinen Gehirne sind, die in einer Nährlösung schwimmen, sondern einen ganzen Körper haben, der in einer bestimmten Situation für eine bestimmte Interaktion agiert.
Die subjektive Komponente und die Phänomenologie
Insofern lässt sich die subjektive Komponente nicht aus der Wissenschaft eliminieren. Und für die subjektive Komponente braucht man eine Methodik, die subjektiven Sachverhalten gerecht wird. Genau das versucht die Phänomenologie.
Demenz, ALS & Co.: Ein Blick auf neurologische Erkrankungen
Der Podcast „Hirn & Heinrich“ widmet sich in zahlreichen Folgen verschiedenen neurologischen Erkrankungen wie Demenz, ALS und Parkinson. Betroffene und Experten kommen zu Wort und geben Einblicke in den Umgang mit diesen Herausforderungen.
Digitale Möglichkeiten für Demenz-Erkrankte
Digitale Tools können Demenz-Erkrankten dabei helfen, ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen.
Super-Ager: Was können wir von ihnen lernen?
„Super-Ager“ sind Menschen, die trotz ihres Alters von über 80 Jahren im Kopf so fit sind wie 50- bis 60-Jährige. Die Wissenschaft versucht herauszufinden, was das Geheimnis ihrer geistigen Fitness ist.
Die Rolle von Fotos bei Demenz
Fotos können Erinnerungen formen und den Alltag mit Demenz erleichtern.