Die Anatomie der Wirbelsäule ist ein Meisterwerk der Evolution, das uns den aufrechten Gang ermöglicht. Unsere Wirbelsäule, die wichtigste Stütze unseres Rückens, verbindet Kopf, Brustkorb, Becken, Schultern sowie Arme und Beine. Sie ermöglicht Beweglichkeit und bietet gleichzeitig Stabilität. Im Wirbelkanal schützt sie das Rückenmark, die Verbindung zwischen Gehirn und Körper.
Aufbau des Rückens und der Wirbelsäule
Der Rücken erstreckt sich vom Nacken bis zum Steißbein und wird von der Wirbelsäule gestützt, die aus 33 (manchmal 32 oder 34) Wirbeln besteht. Diese Wirbel sind wie Bauklötze übereinander gestapelt und miteinander verbunden. Die Länge der Wirbelsäule variiert: Bei Männern beträgt sie durchschnittlich 71 Zentimeter, bei Frauen 61 Zentimeter.
Die doppelte S-Form der Wirbelsäule
Die Wirbelsäule ist an vier Stellen gekrümmt und bildet eine doppelte S-Form. Die Hals- und Lendenwirbelsäule wölben sich nach vorne, während sich die Brustwirbelsäule und das Kreuzbein nach hinten krümmen. Diese Form ermöglicht eine optimale Abfederung von Belastungen. Babys kommen ohne diese Doppelschwingung auf die Welt, die sich erst im Laufe der Entwicklung ausbildet.
Abschnitte der Wirbelsäule
Die Wirbelsäule wird in fünf Abschnitte unterteilt:
- Sieben Halswirbel
- Zwölf Brustwirbel
- Fünf Lendenwirbel
- Fünf Kreuzwirbel
- Drei bis fünf Steißwirbel
Die einzelnen Wirbel variieren in Größe und Funktion. Steiß- und Kreuzwirbel sind miteinander verwachsen und bilden die Verbindung zum Becken. Die Lendenwirbelsäule ist sehr beweglich und gleichzeitig stark, während die Brustwirbelsäule weniger flexibel ist, da hier Rippen und Brustkorb ansetzen. Die Halswirbelsäule ist ebenfalls sehr beweglich.
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Bandscheiben: Stoßdämpfer der Wirbelsäule
Zwischen den 24 beweglichen Wirbeln sitzen die Bandscheiben, die als Puffer dienen und Stöße abfedern. Sie machen etwa ein Viertel der Länge der Wirbelsäule aus und bestehen hauptsächlich aus Wasser. Außen haben sie einen faserigen Ring, der einen weichen Kern umschließt. Bandscheiben benötigen einen steten Wechsel von Be- und Entlastung, um Nährstoffe aufzunehmen und Abfallprodukte abzugeben.
Muskeln der Wirbelsäule
Muskeln geben der Wirbelsäule Halt und Beweglichkeit. Das Zusammenspiel von Rücken- und Bauchmuskeln ist entscheidend. Trainierte Muskeln entlasten Wirbel und Bandscheiben. Etwa 300 Muskeln bilden den aktiven Teil des Rückens, wobei tiefe Muskeln direkt an der Wirbelsäule sitzen und oberflächliche Muskeln die Wirbelsäule mit Kopf, Schultern, Armen und Beinen verbinden.
Bänder der Wirbelsäule
Bänder sind Stränge aus Bindegewebe, die sich über die gesamte Länge der Wirbelsäule ziehen und die einzelnen Wirbel miteinander verbinden. Sie verlaufen vorne und hinten entlang der Wirbelsäule. Die Spannung der Bänder verändert sich mit der Höhe der Bandscheiben.
Das Rückenmark: Verbindung zwischen Gehirn und Körper
Das Rückenmark (Medulla spinalis) ist ein Strang aus Nervenzellen und ihren Fortsätzen, der im Wirbelkanal innerhalb der Wirbelsäule verläuft. Es reicht vom Hirnstamm bis zu den unteren Lendenwirbeln und ist für die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper zuständig.
Lage und Aufbau des Rückenmarks
Das Rückenmark liegt im Wirbelkanal (Spinalkanal), einem knöchernen Kanal innerhalb der Wirbelsäule. Es ist rund 45 Zentimeter lang und hat einen Durchmesser von etwa einem Zentimeter. Das Rückenmark besteht aus Nerven, genauer gesagt aus Nervenzellkörpern und -fasern. Diese bilden ein komplexes Gebilde aus aufsteigenden sensiblen und absteigenden motorischen Nervenbahnen.
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Nervenwurzeln und Spinalnerven
Das Rückenmark ist außen mit Nervenwurzeln „gespickt“. Eingehende Nerven aus der Körperperipherie gelangen über die Vorderwurzeln ins Rückenmark und weiter über die sensiblen Nervenbahnen ins Gehirn. Signale aus dem Gehirn werden durch die motorischen Nervenbahnen über die Hinterwurzeln aus dem Rückenmark herausgeleitet.
Die Fasernerven aus Vorder- und Hinterwurzeln vereinen sich paarweise und bilden die Spinalnerven. Diese stellen die Verbindung zu den Nerven der Körperperipherie her und markieren den Übergang zwischen zentralem Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) und peripherem Nervensystem (alle anderen Nerven im Körper).
Die Paare aus vorderen und hinteren Nervenwurzelfasern ragen rechts und links zwischen den Wirbeln aus dem Rückenmark heraus und gliedern das Rückenmark in Segmente, die den verschiedenen Körperregionen zugeordnet sind. Insgesamt gibt es 31 bis 33 dieser Segmente: acht Halssegmente, zwölf Brustsegmente, fünf Lendensegmente, fünf Kreuzbeinsegmente und ein bis drei Steißbeinsegmente.
Querschnitt des Rückenmarks
Im Querschnitt lässt sich der Aufbau des Rückenmarks genauer erkennen. Unter dem Mikroskop sieht man die graue Substanz sowie die weiße Substanz.
Graue Substanz
Die graue Substanz liegt schmetterlingsförmig mittig im Rückenmark und wird von der weißen Substanz umhüllt. Sie besteht vor allem aus Nervenzellkörpern und hat die Aufgabe, Reize aus Hirn und Peripherie aufzunehmen und zu verarbeiten. Die graue Substanz gliedert sich in drei Abschnitte:
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- Hinterhorn: Der hinten gelegene Schmetterlingsflügel.
- Zwischenhorn: Es enthält Nervenzellen des autonomen Nervensystems (vegetative Nervenzellen).
- Vorderhorn: Der vorn gelegene Flügel. Aus dem Vorderhorn entspringen die motorischen Vorderwurzeln, während die sensiblen Hinterwurzeln zum Hinterhorn laufen.
Weiße Substanz
Die weiße Substanz im Rückenmark besteht hauptsächlich aus Axonen, den langen Nervenzellfortsätzen. Sie leiten die Nervenimpulse aus dem Gehirn oder der Peripherie weiter. In der weißen Substanz befinden sich aufsteigende (afferente) und absteigende (efferente) Nervenbahnen.
- Aufsteigende Bahnen: Laufen vom Rückenmark zum Gehirn und leiten Signale aus der Umwelt oder dem Körper ins Gehirn.
- Absteigende Bahnen: Sind vom Gehirn zurück zum Rückenmark zuständig. Die wichtigste und größte motorische Nervenbahn ist die Pyramidenbahn.
Rückenmarkshäute (Meningen)
Das Rückenmark wird von drei bindegewebigen, dünnen Schichten umhüllt: den Rückenmarkshäuten. Von außen nach innen sind dies:
- Dura mater spinalis (harte Außenhülle)
- Arachnoidea spinalis (weichere Zwischenhaut)
- Pia mater spinalis (zarte Innenhaut)
Zwischen der mittleren und der inneren Rückenmarkshaut liegt ein spaltförmiger Raum, der mit Nervenwasser (Liquor) gefüllt ist. Mediziner nennen ihn Subarachnoidalraum. Am oberen Ende mündet das Rückenmark in das verlängerte Mark (Medulla oblongata). An dieser Stelle gehen die Rückenmarkshäute in die Hirnhäute über.
Ende des Rückenmarks
Das Rückenmark ist etwas kürzer als die Wirbelsäule. Deshalb verlaufen die Spinalnerven unterhalb des Rückenmarks als Fasergeflecht durch den Wirbelkanal, ähnlich einem Pferdeschwanz. Diesen untersten Rückenmarksabschnitt nennen Mediziner deshalb auch «Cauda equina» (lateinisch für «Pferdeschwanz»). Bei Kindern liegt das Ende des Rückenmarks ungefähr in Höhe des vierten Lendenwirbels. Am unteren Ende verjüngt sich das Rückenmark zum Conus medullaris und endet als dünner Strang (Filum terminale).
Blutversorgung des Rückenmarks
Das Rückenmark wird von zwei Quellen aus mit Blut versorgt: von den Wirbelarterien und von den Segmentarterien. Eine Unterbrechung der Blutversorgung kann durch Verletzungen oder Erkrankungen der Spinalarterien verursacht werden.
Funktion des Rückenmarks
Das Rückenmark hat die Aufgabe, Signale zwischen Gehirn und Körperperipherie weiterzuleiten. Es fungiert somit als Verbindungsapparat zwischen dem Gehirn und der Peripherie des Körpers:
- Weiterleiten von Signalen aus der Peripherie ans Gehirn: Wenn beispielsweise Sensoren in der Haut eine Berührung wahrnehmen, gelangt dieser Reiz über angeschlossene periphere Nerven zu den Spinalnerven und weiter über die Hinterwurzeln ins Rückenmark. Dieses leitet das Signal über sensible Nervenbahnen ins Gehirn.
- Weiterleiten von Signalen vom Gehirn an die Peripherie: Befiehlt das Gehirn zum Beispiel, die Hand auszustrecken, gelangt dieses Signal über absteigende motorische Nervenbahnen im Rückenmark an die Körperperipherie: Die motorischen Nerven treten an der sogenannten Vorderwurzel als motorische Nervenfasern aus dem Rückenmark aus. Sie übermitteln den Befehl über die zugehörigen Spinalnerven an periphere Nerven, die ihrerseits die entsprechende Muskeln «informieren».
Reflexe
Manche Körperreaktionen werden vom Rückenmark selbstständig ausgelöst, ohne Beteiligung des Gehirns. Es handelt sich dabei um Reflexe. Ein Beispiel ist das Zurückziehen der Hand von einer heißen Herdplatte.
Funktionelle Systeme
Die größte vom Gehirn durch das Rückenmark absteigende Bahn ist die Pyramidenbahn. Der Spinalnerv enthält alle Fasern, aufsteigende (afferente) wie absteigende (efferente), und geht in Nerven des peripheren Nervensystems über. Im Spinalnerv, also kurz vor Eintritt ins / Austritt aus dem Rückenmark, erfolgt die Aufteilung in die Fasern der auf- und absteigenden (afferenten und efferenten) Bahnen.
Reflexbögen
Manche Erregungen (Reize) werden von den aufsteigenden Bahnen im Rückenmark gar nicht erst zum Gehirn weitergeleitet, sondern unmittelbar auf derselben oder einer höher gelegenen Rückenmarksebene umgeschaltet. Die aufsteigenden Fasern verlaufen in diesem Fall statt zum Gehirn direkt zu Zellen des Vorderhorns und übertragen dort die Erregung. Diesen Weg der Erregungsübertragung nennt man Reflexbogen, und eine so ausgelöste Muskelreaktion nennt man Reflex. Reflexe werden bei jeder körperlichen Untersuchung geprüft.
Bei einem Eigenreflex wird ein Muskel durch einen sachten Schlag auf eine Sehne kurz gedehnt. Durch diese Reizung wird der oben beschriebene Reflexbogen ausgelöst, der die betroffene Rückenmarksebene nicht verlässt. Bei der Prüfung der Eigenreflexe wird unter anderem die Stärke dieser Muskelanspannung bewertet.
Bei einem Fremdreflex gehören Reizempfänger und Reizbeantworter verschiedenen Organsystemen an. Es werden Sinneszellen in der Haut gereizt und dadurch ein Reflexbogen ausgelöst, der sich über verschiedene Höhen des Rückenmarks (des Hirnstamms) ausbreitet. Beispielsweise kommt es beim Babinski-Reflex durch Bestreichen des Fußsohlenrandes zu einer Streckung von Fuß und Großzehe sowie Spreizung der übrigen Zehen im Sinne einer Fluchtreaktion, die den schädigenden Reiz entfernen soll. Dieses Babinski-Phänomen ist normal für Neugeborene und Kinder im ersten Lebensjahr. Im Allgemeinen deuten abgeschwächte Reflexe auf eine Schädigung im Bereich des peripheren Nervensystems hin, gesteigerte Reflexe auf Störungen des Zentralnervensystems.
Mögliche Krankheiten des Rückenmarks
Das Rückenmark kann bei verschiedenen Krankheiten und Verletzungen in Mitleidenschaft gezogen werden. Der medizinische Fachbegriff für eine Schädigung des Rückenmarks jeglicher Ursache lautet Myelopathie. Es zählen dazu zum Beispiel:
- Entzündliche Myelopathie: Eine Entzündung des Rückenmarks (Myelitis) kann etwa durch Viren oder Bakterien verursacht werden.
- Vaskuläre Myelopathie: Bedingt durch Erkrankungen oder Verschlüsse der versorgenden Gefäße, z.B. Blutung im Wirbelkanal oder Rückenmarksinfarkt.
- Kompressionsmyelopathie: Quetschung des Rückenmarks, etwa durch einen Bandscheibenvorfall, eine Spinalkanalstenose oder einen Tumor.
- Traumatische Myelopathie: Z.B. bei einem Genickbruch oder einer Rückenmarksprellung (Contusio spinalis).
- Stoffwechselbedingte (metabolische) Myelopathie: Z.B. funikuläre Myelose.
- Toxische Myelopathie: Z.B. bei Lathyrismus (chronische neurologische Erkrankung infolge regelmäßiger Zufuhr bestimmter Hülsenfrüchte mit nervenschädigenden Eiweißbausteinen).
Weitere Erkrankungen sind:
- Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
- Multiple Sklerose
- Bandscheibenvorfall (Prolapsus nuclei pulposi)
- Myelitis
- Neuralrohrdefekte
Symptome von Rückenmarkserkrankungen
Welche Symptome eine Myelopathie hervorruft, hängt davon ab, in welcher Höhe und in welchem Ausmaß das Rückenmark geschädigt ist. Möglich sind zum Beispiel Missempfindungen wie Kribbelgefühle (etwa in den Händen und Armen), Lähmungen (bis hin zur Querschnittslähmung) sowie Probleme beim Wasserlassen und Stuhlgang. Eine Schädigung im hohen Halsmark kann zu Atemlähmung, Lähmungen und Gefühlsausfällen aller vier Gliedmaßen und der Blasen- und Mastdarmfunktion führen.
Bei einer kompletten spinalen Querschnittslähmung können die auf- und absteigenden Bahnen unterbrochen werden. Umgekehrt, wenn in den auf- oder absteigenden Bahnen zu viel gehemmt wird, erhalten die Muskelzellen zu wenige erregende Impulse und es entsteht eine schlaffe Lähmung.
Diagnostik
- Lumbalen Spinalpunktion: Entnahme von Liquor aus der lumbalen Zisterne unterhalb des Rückenmarks.
Viele Erkrankungen des ZNS können die Zellen im Liquor verändern oder die Konzentration seiner chemischen Bestandteile verändern, was die Diagnose unterstützt.
Behandlung
Die Behandlung von Rückenmarkserkrankungen hängt von der Art und Schwere der Erkrankung ab. In einigen Fällen kann eine medikamentöse Therapie helfen, während in anderen Fällen eine Operation erforderlich sein kann.
Anästhesiologie
- Die Injektion von Opioid-Medikamenten in den Epidural- oder Subarachnoidalraum kann eine wirksame Anästhesie bei der Geburt und bei chirurgischen Eingriffen am Abdomen und an der unteren Extremität bieten.
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