Frühkindliche Epileptische Enzephalopathie: Ursachen und Behandlung

Die frühkindliche epileptische Enzephalopathie (EIEE) ist eine schwerwiegende Form der Epilepsie, die in den ersten Lebensmonaten auftritt und durch therapieresistente Anfälle und Komorbiditäten wie kognitive Entwicklungsstörungen gekennzeichnet ist. Die International League Against Epilepsy (ILAE) unterscheidet verschiedene neonatale Epilepsiesyndrome, darunter selbstlimitierende, Entwicklungs- und epileptische Enzephalopathien (EEE) und ursachenspezifische Epilepsien. EEEs zeichnen sich durch schwere Entwicklungsstörungen, neurologische Auffälligkeiten und schwer behandelbare Anfälle aus.

Genetische Ursachen der frühkindlichen epileptischen Enzephalopathie

Epilepsien im Kindesalter sind oft genetisch bedingt, meist aufgrund multifaktorieller Ursachen. In den letzten Jahren wurden bei vielen Epilepsiesyndromen Defekte verschiedener spannungsabhängiger und ligandenmediierter Ionenkanäle nachgewiesen.

Mehrere Gene sind mit frühkindlichen epileptischen Enzephalopathien assoziiert. Mutationen in diesen Genen können zu verschiedenen Epilepsie-Syndromen führen, die sich in Anfallsarten, Schweregrad und Begleitsymptomen unterscheiden.

SCN1A-assoziierte Epilepsie

Die SCN1A-assoziierte Epilepsie umfasst ein breites Spektrum von Erkrankungen, von einfachen Fieberkrämpfen und generalisierter Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus (GEFS+) bis hin zum Dravet-Syndrom und schwer behandelbaren Epilepsien im Kindesalter mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (ICE-GTC). Insbesondere Phänotypen mit schwer einstellbaren Krampfanfällen, einschließlich des Dravet-Syndroms, sind häufig mit einem kognitiven Rückgang assoziiert. Weniger häufige Phänotypen sind myoklonische-astatische Epilepsie, Lennox-Gastaut-Syndrom, infantile Spasmen und Epilepsie mit fokalen Anfällen. Medikamente, die die Funktion des Natriumkanals hemmen, können die Anfälle verschlimmern.

Fieberkrämpfe (FS) treten in der Kindheit nur in Verbindung mit Fieber auf. Ein komplexer Fieberkrampf dauert länger als 15 Minuten, tritt innerhalb von 24 Stunden erneut auf oder zeigt fokale Merkmale. Ein früher Beginn der Fieberkrämpfe (vor dem 7. Lebensmonat), mehr als 5 Anfälle und eine Anfallsdauer von mehr als 10 Minuten erhöhen das Risiko für die Entwicklung eines Dravet-Syndroms.

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Fieberkrämpfe plus (FS+) sind gekennzeichnet durch einen Anfallsbeginn vor dem 1. Lebensjahr, Persistenz über das 6. Lebensjahr hinaus, ungewöhnliche Schwere (einschließlich Status epilepticus) und das Auftreten von unprovozierten (afebrilen) Anfällen jeglicher Art.

Betroffene mit generalisierter Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus (GEFS+) haben häufig Fieberkrämpfe in der frühen Kindheit, gefolgt von gelegentlichen tonischen, klonischen, myoklonischen oder Absence-Anfällen, die auf Medikamente ansprechen und in der späten Kindheit oder frühen Adoleszenz remittieren. Auch intermediäre Phänotypen mit myoklonischer Epilepsie, Absence-Epilepsie oder fokaler Epilepsie sind eingeschlossen.

Die schwer einstellbare Epilepsie im Kindesalter mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (ICE-GTC) ist definiert als generalisierte Anfälle, einschließlich Absence-Anfälle, mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen mit Beginn im Säuglings- oder Kindesalter. Es können jedoch auch fokale Krampfanfälle auftreten.

Das Dravet-Syndrom beginnt zwischen dem 1. und 18. Lebensmonat nach einer Periode normaler Entwicklung. Die Krampfanfälle sind oft langwierig und umfassen rezidivierende generalisierte tonisch-klonische oder hemikonvulsive Anfälle. Myoklonische Krampfanfälle treten typischerweise im Alter von zwei Jahren auf. Die Anfälle werden häufig durch Hyperthermie, Lichtreize oder Natriumkanal-blockierende antiepileptische Medikamente ausgelöst. Der Status epilepticus ist häufig, und die pharmakologische Behandlung gestaltet sich schwierig. Nach der Pubertät nehmen die Anfälle in der Regel in ihrer Schwere ab. Ein gewisser Grad an kognitiver Beeinträchtigung ist immer zu beobachten.

KCNQ2-assoziierte Epilepsie

Die KCNQ2-assoziierte Epilepsie umfasst überlappende epileptische Phänotypen beim Neugeborenen. Die klinischen Merkmale reichen von benigner familiärer neonataler Epilepsie bis hin zur neonatalen epileptischen Enzephalopathie.

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Die KCNQ2-assoziierte benigne familiäre neonatale Epilepsie ist durch ein breites Spektrum von Anfallstypen (tonische oder apnoeische Episoden, fokale klonische Aktivität oder autonome Veränderungen) gekennzeichnet, die bei ansonsten gesunden Säuglingen zwischen dem 2. und 8. Lebenstag beginnen und zwischen dem 1. und dem 6. bis 12. Lebensmonat wieder spontan verschwinden. Etwa 10-15% der Betroffenen entwickeln später im Leben epileptische Anfälle.

Die KCNQ2-assoziierte neonatale epileptische Enzephalopathie ist charakterisiert durch mehrere tägliche Anfälle, die in der ersten Lebenswoche beginnen und meist tonisch sind, mit assoziierten fokalmotorischen und autonomen Merkmalen. Die Anfälle hören im Allgemeinen in einem Alter von neun Monaten bis vier Jahren auf.

GRIN2A-assoziierte Epilepsie

Veränderungen im GRIN2A-Gen spielen eine bedeutende Rolle bei Epilepsien, die mit einer Störung der Sprachentwicklung einhergehen. Zu den beobachteten schweren Sprachstörungen zählen Dysarthrie und Sprachdyspraxie sowie rezeptive und expressive Sprachverzögerung und Sprachregression. Zu den Merkmalen der Epilepsie gehören ein Anfallsbeginn in der Regel im Alter zwischen drei und sechs Jahren, eine fokale Epilepsie mit Sprach- und/oder globaler Entwicklungsrückbildung sowie ein Elektroenzephalogramm (EEG), welches kontinuierliche Spike-Wave-Entladungen im Schlaf oder sehr aktive zentrotemporale Entladungen zeigt.

STXBP1-Enzephalopathie mit Epilepsie

Die STXBP1-Enzephalopathie mit Epilepsie ist gekennzeichnet durch eine früh einsetzende Enzephalopathie mit Epilepsie, d.h. eine mittlere bis schwere geistige Entwicklungsstörung, refraktäre Anfälle und anhaltende epileptiforme Aktivität. Zu den Anfallstypen können kindliche Spasmen, generalisierte tonisch-klonische, klonische oder tonische Anfälle sowie myoklonische, fokale, atonische und Absence-Anfälle gehören. Zu den Epilepsie-Syndromen können das Ohtahara-Syndrom, das West-Syndrom, das Lennox-Gaustaut-Syndrom und das Dravet-Syndrom (nicht SCN1A assoziiert), das klassische Rett-Syndrom (nicht MECP2 assoziiert) und das atypische Rett-Syndrom (nicht CDKL5 assoziiert) gehören. Des weiteren können ein abnormaler Tonus, Bewegungsstörungen, insbesondere Ataxie und Dystonie, sowie Verhaltensstörungen, einschließlich einer Autismus-Spektrum-Störung, beobachtet werden.

CHD2-assoziierte epileptische Enzephalopathie

Die CHD2-assoziierte epileptische Enzephalopathie der Kindheit ist gekennzeichnet durch eine früh einsetzende epileptische Enzephalopathie mit refraktären Anfällen und kognitive Verlangsamung oder Regression in Verbindung mit häufig anhaltender epileptiformer Aktivität. Zu den Anfallstypen gehören typischerweise Sturzattacken, Myoklonus und ein rascher Beginn mehrerer Anfallstypen, die mit generalisierten Spike-Waves im EEG, atonisch-myoklonischen Absence-Anfällen und klinischer Lichtempfindlichkeit assoziiert sind.

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SYNGAP1-assoziierte geistige Entwicklungsstörung

Die SYNGAP1-assoziierte geistige Entwicklungsstörung ist gekennzeichnet durch eine Entwicklungsverzögerung oder geistige Entwicklungsstörung (100% der betroffenen Personen), eine generalisierte Epilepsie (~84%) und eine Autismus-Spektrum-Störung sowie andere Verhaltensanomalien (≤50%). Die Epilepsie ist generalisiert. Bei einigen Patienten kann auch eine myoklonische astatische Epilepsie (Doose-Syndrom) oder eine Epilepsie mit myoklonischen Absencen auftreten.

DEPDC5-assoziierte Epilepsie

Die DEPDC5-assoziierte Epilepsie umfasst eine Reihe von Epilepsiesyndromen, die fast alle durch fokale Anfälle gekennzeichnet sind. Während die meisten Personen mit DEPDC5-assoziierter Epilepsie ein normales MRT des Gehirns haben, weisen einige Betroffene eine Epilepsie in Verbindung mit einer kortikalen Missbildung, in der Regel einer fokalen kortikalen Dysplasie, auf. Zu den Anfallssyndromen gehören die familiäre fokale Epilepsie mit variablen Herden, die autosomal-dominante nächtliche Frontallappen-Epilepsie, die familiäre mesiale Temporallappen-Epilepsien, die autosomal-dominante Epilepsie mit Hörstörungen sowie kindliche Spasmen.

SCN8A-assoziierte Epilepsie mit Enzephalopathie

Die SCN8A-assoziierte Epilepsie mit Enzephalopathie ist charakterisiert durch eine Entwicklungsverzögerung, Anfallsbeginn in den ersten 18 Lebensmonaten und eine schwer einstellbare Epilepsie, die durch mehrere Anfallstypen gekennzeichnet ist. Zu den Epilepsiesyndromen können das Lennox-Gastaut-Syndrom, das West-Syndrom und epileptische Enzephalopathien wie das Dravet-Syndrom gehören. Eine muskuläre Hypotonie und Bewegungsstörungen wie Dystonien, Ataxie und Choreoathetose werden zudem beobachtet. Zusätzlich zeigen einige Betroffene autistische Verhaltensweisen.

SLC12A5-assoziierte Epilepsie im Säuglingsalter

Die SLC12A5-assoziierte Epilepsie im Säuglingsalter mit wandernden fokalen Anfällen ist eine seltene Erkrankung, die durch den Beginn der Anfälle vor dem Alter von sechs Monaten und entweder durch eine Entwicklungsverzögerung oder eine Entwicklungsregression mit Anfallsbeginn gekennzeichnet ist. Bei den meisten Kindern beginnt die Epilepsie als fokal-motorische Epilepsie, typischerweise mit Kopf- und Augenabweichung, die multifokal und mit konventionellen Antiepileptika schwer therapierbar ist.

KCNT1-assoziierte Epilepsie

Die KCNT1-assoziierte Epilepsie ist am häufigsten mit zwei Phänotypen assoziiert, der Epilepsie des Säuglingsalters mit wandernden fokalen Anfällen (EIMFS) und der autosomal-dominanten nächtlichen Frontallappenepilepsie (ADNFLE). Die Epilepsie des Säuglingsalters mit wandernden fokalen Anfällen (EIMFS) ist gekennzeichnet durch Anfälle, typischerweise fokal und asynchron, die in den ersten sechs Lebensmonaten beginnen und mit einem Entwicklungsplateau oder einer Regression einhergehen.

Diagnostik der frühkindlichen epileptischen Enzephalopathie

Die genetische Diagnostik spielt eine entscheidende Rolle bei der Behandlung von Epilepsien. Klinisch zeigen betroffene Kinder therapieresistente Anfälle verschiedener Anfallssemiologien, auffällige Bewegungsmuster sowie pathologische interiktale EEG-Pattern wie ein Burst-Suppression-Muster oder andere.

Die Diagnose von Neugeborenenanfällen erfordert ein EEG, um klinische Zeichen zu bestätigen und elektrographische Anfälle festzustellen. Die polygraphische Ableitung sollte mindestens 10 EEG-Kanäle, EKG, Ableitung von Atmung und Oberflächen-Elektromyographie (EMG) von beiden Deltoidmuskeln und das synchrone Video als Goldstandard einschließen. Elektrographische Anfälle sind gekennzeichnet durch ein plötzlich abnormes EEG mit repetitiven Mustern, die eine Evolution zeigen und eine Amplitude von mindestens 2 µV und eine Dauer von mindestens 10 s haben.

Weitere diagnostische Untersuchungen wie zerebrale Bildgebung, genetische und metabolische Analysen erlauben in bis zu 80 % der betroffenen Neugeborenen und Säuglinge eine genaue ursächliche Zuordnung.

Therapie der frühkindlichen epileptischen Enzephalopathie

Die Therapieoptionen für neonatale EEE haben sich durch Fortschritte in der Präzisionsmedizin verbessert. Spezifische genetische Varianten (z. B. KCNQ2-, SCN2A-, KCNT1-Mutationen) können gezielt mit Natriumkanalblockern oder anderen spezifischen Medikamenten behandelt werden. Die Präzisionsmedizin erlaubt es heute, gewisse Genvarianten-spezifische Therapien anzuwenden, wie z. B. Natriumkanalblocker bei KCNQ2-Mutationen mit "loss of function".

Bei Neugeborenenanfällen ist Phenobarbital weiterhin das Medikament der Wahl und kann die klinischen Anfälle bei etwa 40-60 % der Kinder kontrollieren. Empfehlungen bezüglich der Antiepileptika der zweiten Wahl variieren erheblich und schließen Levetiracetam, Phenytoin, Midazolam und Lidocain ein. Bei fehlendem Ansprechen auf die Therapie oder suspekter abnormer EEG-Hintergrundaktivität ist ein früher Behandlungsversuch mit Vitamin B6, Pyridoxalphosphat und Folinsäure indiziert.

Viele neue Therapieansätze werden erforscht mit dem Ziel, möglichst Genvarianten-spezifisch, m(„messenger“)RNA(Ribonukleinsäure)-Therapie oder sogar eine Gentherapie in Zukunft anbieten zu können.

Spezifische Therapieansätze bei Stoffwechselerkrankungen

Bei Stoffwechselerkrankungen, die mit EIEE einhergehen, ist eine spezifische Therapie entscheidend. Pyridoxin-, Pyridoxalphosphat- oder Folinsäure-abhängige Anfälle beginnen zumeist im Neugeborenenalter und gehen im EEG oft mit einem sogenannten „Suppression-burst-Muster“ einher. Die Behandlung mit dem jeweiligen Vitamin führt zu Anfallsfreiheit oder deutlicher Besserung der Anfälle.

Prognose der frühkindlichen epileptischen Enzephalopathie

Die Prognose neonataler Anfälle wird v. a. durch die Ätiologie bestimmt. Wenngleich Neugeborene und Säuglinge aus der Gruppe der neonatalen Entwicklungs- und epileptischen Enzephalopathien typischerweise als pharmakoresistent gelten und deren Prognose immer noch als schlecht eingestuft wird, hat sich in den letzten Jahren durch die Präzisionsmedizin v. a. im Bereich monogenetischer Epilepsien das Outcome bei speziellen genetischen Varianten etwas verbessert.

Altersgebundene Epilepsiesyndrome

Die wichtigsten altersgebundenen Epilepsiesyndrome bei Kindern und Jugendlichen sind:

  • Mit Beginn im ersten Lebensjahr: Benigne infantile Partialepilepsie, Dravet-Syndrom, West-Syndrom
  • Mit Beginn im frühen Kindesalter (etwa bis sechstes Lebensjahr): Frühkindliche Absenceepilepsie, Doose-Syndrom, Lennox-Gastaut-Syndrom
  • Mit Beginn im Kindesalter (etwa bis 12. Lebensjahr): Absenceepilepsie des Kindesalters (Pyknolepsie), Rolando-Epilepsie
  • Mit Beginn im Jugendlichenalter (ab etwa 13. Lebensjahr): Juvenile Absenceepilepsie, Epilepsie mit isolierten generalisierten tonisch-klonischen Anfällen, Juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom)

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