Wolfgang Weihe: Ein Neurologe im Spannungsfeld der MS-Behandlung

Multiple Sklerose (MS) ist eine Erkrankung, die weltweit etwa 2,5 Millionen Menschen betrifft. Oft beginnt sie harmlos, wie im Fall der 25-jährigen Beate V., die unter Müdigkeit und Taubheit im Bein leidet. Die Diagnose MS ist für viele Betroffene ein Schock, da sie oft mit dem Bild eines unaufhaltsamen Fortschreitens bis hin zur Rollstuhlpflicht verbunden ist. Doch die moderne Medizin bietet vielfältige Behandlungsmethoden, die den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen können.

Die Unsicherheit nach der Diagnose

Trotz des medizinischen Fortschritts bleibt die Situation für MS-Patienten oft unübersichtlich. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wann und wie die Behandlung erfolgen sollte. Vereinfacht gesagt, lassen sich drei Gruppen von "Ratgebern" unterscheiden:

  1. Die Fortschrittsoptimisten: Diese Gruppe setzt auf die stetige Entwicklung neuer Medikamente und hofft, dass in Zukunft noch wirksamere Therapien gegen MS gefunden werden.
  2. Die Frühdiagnostiker: Sie argumentieren, dass dank moderner Kernspintomographie auch sehr leichte Fälle von MS frühzeitig erkannt werden können. Daraus leiten sie die Notwendigkeit einer sofortigen Behandlung ab.
  3. Die Fortschrittsskeptiker: Diese Gruppe betrachtet den medizinischen Fortschritt kritisch und weist darauf hin, dass MS ein lukratives Geschäft geworden ist. Sie setzen auf die Eigeninitiative der Patienten und plädieren dafür, den Beginn der Behandlung gut abzuwägen.

Ein Hauptproblem besteht darin, dass die Ursache von MS bis heute nicht vollständig geklärt ist. Viele Forscher vermuten eine Autoimmunerkrankung, doch diese Theorie ist nicht unumstritten.

Die Suche nach der zweiten Meinung

Viele Patienten suchen nach der Diagnose eine zweite Meinung, um sich umfassend zu informieren und die bestmögliche Behandlungsstrategie zu finden. So auch Beate V., die sich an eine Neurologin wendet. Diese bestätigt die Diagnose MS, sieht aber auf den Kernspinbildern vor allem ältere, weitgehend ausgeheilte Herde. Angesichts der geringen Krankheitsaktivität rät sie zu einer abwartenden Haltung.

Die Neurologin betont, dass die Lebensumstände und Belastungen des Patienten eine wichtige Rolle spielen. Schübe, die in Belastungssituationen auftreten, sollten anders bewertet werden als solche, die ohne erkennbaren Auslöser entstehen. Im Fall von Beate V. spielen Beziehungsprobleme und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz eine Rolle. Die Ärztin rät ihr, diese Faktoren zu berücksichtigen und gegebenenfalls die Lebenssituation zu ändern, anstatt sich sofort Medikamente zu spritzen.

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Die Rolle der Lymphozyten in Frage gestellt

Eine interessante These stellt die Rolle der Lymphozyten bei MS in Frage. Lange Zeit galten sie als die Hauptverursacher der Entzündung und Zerstörung von Nervenzellen. Doch neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sie möglicherweise eher an Reparaturprozessen beteiligt sind. Diese Erkenntnis würde die bisherigen Therapieansätze, die auf die Unterdrückung der Lymphozyten-Aktivität abzielen, grundlegend in Frage stellen.

Der Verlauf der MS: Nicht immer schwerwiegend

Die Vorstellung, dass MS zwangsläufig zu schwerwiegenden Behinderungen führt, ist überholt. Früher wurden vor allem die schweren Verläufe diagnostiziert, während "stumme" MS-Fälle unerkannt blieben. Die Pittock-Studie aus dem Jahr 1991 ergab, dass die meisten MS-Patienten über einen Zeitraum von zehn Jahren stabil blieben oder nur eine geringe Progression zeigten. Besonders Patienten mit einem milden Verlauf haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, stabil zu bleiben.

Medikamente: Nutzen und Risiken abwägen

Die Angaben zur Wirksamkeit von MS-Medikamenten gehen auseinander. Einige Ärzte sprechen von einem Drittel der Patienten, denen geholfen werden kann, andere Studien sehen den Nutzen nur bei 14 Prozent. Beate V. hat sich zunächst gegen eine medikamentöse Behandlung entschieden. Dies ist ein Dilemma, mit dem viele Ärzte konfrontiert sind: Sollen sie junge MS-Patienten, die möglicherweise nie schwerwiegende Behinderungen erleiden werden, den Risiken einer Langzeittherapie aussetzen, um den Verlauf bei einem kleineren Teil mit einer aggressiveren MS abzumildern?

Wolfgang Weihe: Ein kritischer Blick auf die MS-Therapie

Dr. med. Wolfgang Weihe ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Autor des Ratgebers "Multiple Sklerose". Er setzt sich kritisch mit den konventionellen Therapieansätzen auseinander und plädiert für eine individuelle, patientenzentrierte Behandlung.

Weihe berichtet von einem Gespräch mit einer MS-Patientin, das ihn dazu inspirierte, sich intensiver mit der Erkrankung auseinanderzusetzen. Die Patientin schilderte ihre negativen Erfahrungen mit Ärzten und "Spezialisten", die ihr Angst machten und widersprüchliche Ratschläge gaben. Sie suchte ihren eigenen Weg, um mit der Krankheit umzugehen.

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Weihe kritisiert, dass die Therapieempfehlungen oft von den Interessen der Pharmaindustrie beeinflusst werden. Er betont die Bedeutung von Transparenz und Unabhängigkeit in der medizinischen Forschung und Behandlung.

Kritik an Weihes Positionen

Weihes Positionen sind nicht unumstritten. Der Ärztliche Beirat der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) und die Multiple-Sklerose-Therapie-Konsensus-Gruppe (MSTKG) werfen ihm vor, sich als Einzelperson gegen die evidenzbasierten Leitlinien zur Behandlung der MS zu stellen. Sie betonen, dass die Frühtherapie mit Immunmodulatoren bei Patienten mit Krankheitsaktivität wichtig ist, um die Langzeitbehinderung möglichst gering zu halten. Zudem weisen sie darauf hin, dass die Therapieempfehlungen immer an eine Risikoabschätzung gekoppelt sind und die individuellen Bedürfnisse des Patienten berücksichtigt werden.

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