Das Rückenmark ist ein lebenswichtiger Teil des zentralen Nervensystems, der eine entscheidende Rolle bei der Kommunikation zwischen Gehirn und Körper spielt. Es ist eine lange, dünne Struktur, die sich vom Gehirn bis zum unteren Rücken erstreckt und im Wirbelkanal der Wirbelsäule liegt. Dieser Artikel bietet einen detaillierten Einblick in den Aufbau, die Funktion und mögliche Erkrankungen des Rückenmarks.
Einführung in das Rückenmark
Das Rückenmark, auch bekannt als Myelon oder Medulla spinalis, ist ein Strang aus Nervengewebe, der sich innerhalb der Wirbelsäule befindet. Es ist etwa so dick wie ein kleiner Finger und erstreckt sich vom Hirnstamm bis zu den Lendenwirbeln. Zusammen mit dem Gehirn bildet es das zentrale Nervensystem (ZNS). Das Rückenmark ist für die Übertragung von Signalen zwischen dem Gehirn und dem peripheren Nervensystem verantwortlich.
PD Dr. med. betont die Bedeutung des Rückenmarks für die Zusammenarbeit verschiedener Teile des Nervensystems.
Anatomie des Rückenmarks
Lage und Schutz
Das Rückenmark liegt geschützt im Wirbelkanal der Wirbelsäule. Dieser knöcherne Kanal bietet einen stabilen Schutz für das empfindliche Nervengewebe. Die Wirbelsäule besteht aus 24 beweglichen Wirbeln, die in verschiedene Regionen eingeteilt sind:
- Sieben Halswirbel
- Zwölf Brustwirbel
- Fünf Lendenwirbel
- Kreuzbein (fünf miteinander verwachsene Wirbel)
- Steißbein (vier bis fünf miteinander verwachsene Wirbel)
Die Wirbel bestehen aus Wirbelkörpern und Wirbelbögen, die das Rückenmark umschließen und schützen. Knochenfortsätze dienen der Stabilisierung der Wirbelsäule und als Ansatzpunkte für Muskeln und Sehnen.
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Rückenmarkshäute
Das Rückenmark ist von drei schützenden Membranen, den sogenannten Rückenmarkshäuten (Meningen), umgeben:
- Dura mater spinalis: Die äußere, harte Rückenmarkshaut.
- Arachnoidea spinalis: Die mittlere, spinnwebartige Haut.
- Pia mater spinalis: Die innere, weiche Rückenmarkshaut, die direkt auf dem Rückenmark aufliegt.
Zwischen der Arachnoidea und der Pia mater befindet sich der Subarachnoidalraum, der mit Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) gefüllt ist. Dieses Nervenwasser dient als Stoßdämpfer und schützt das Rückenmark vor Erschütterungen.
Segmente des Rückenmarks
Das Rückenmark ist in 31 bis 33 Segmente unterteilt, die jeweils einem Spinalnervenpaar zugeordnet sind:
- Acht Halssegmente (C1-C8)
- Zwölf Brustsegmente (T1-T12)
- Fünf Lendensegmente (L1-L5)
- Fünf Kreuzbeinsegmente (S1-S5)
- Ein bis drei Steißbeinsegmente (Co1-Co3)
Es ist wichtig zu beachten, dass die Segmente des Rückenmarks nicht direkt den Wirbeln entsprechen, da das Rückenmark kürzer als die Wirbelsäule ist. Am unteren Ende verjüngt sich das Rückenmark zum Conus medullaris und endet als dünner Strang (Filum terminale). Bei Kindern endet das Rückenmark etwa in Höhe des vierten Lendenwirbels.
Graue und weiße Substanz
Im Querschnitt des Rückenmarks lassen sich zwei Hauptbereiche unterscheiden: die graue und die weiße Substanz.
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- Graue Substanz: Sie liegt im Zentrum des Rückenmarks und hat eine schmetterlingsförmige Struktur. Sie besteht hauptsächlich aus Nervenzellkörpern (Neuronen) und ist für die Verarbeitung von Informationen zuständig. Die graue Substanz wird in drei Hauptbereiche unterteilt:
- Vorderhorn: Enthält motorische Neuronen, die für die Steuerung der Muskeln verantwortlich sind. Hier entspringen die motorischen Vorderwurzeln. Mediale Kerngruppen des Vorderhorns: Ncl. dorsomedialis und Ncl. ventromedialis. Laterale Kerngruppen des Vorderhorns: Ncl. dorsolateralis, Ncl. ventrolateralis und Ncl. retrodorsolateralis. Zentrale Kerngruppen des Vorderhorns im Zervikalmark: Ncl. phrenicus und Ncl. accessorius. Laterale Kerngruppen des Vorderhorns im Halsmark: Ncl. cervicalis lateralis. Im Lumbosakralmark: Ncl. lumbalis lateralis (Arm), Ncl. intermedialis (Hand) und Ncl. sacralis.
- Hinterhorn: Empfängt sensorische Informationen aus dem Körper. Hier laufen die sensiblen Hinterwurzeln ein.
- Seitenhorn: Befindet sich nur im Brust- und Lendenbereich und enthält Nervenzellen des autonomen Nervensystems (vegetative Nervenzellen).
- Weiße Substanz: Sie umgibt die graue Substanz und besteht hauptsächlich aus myelinisierten Nervenfasern (Axonen). Diese Nervenfasern bilden die auf- und absteigenden Nervenbahnen, die Informationen zwischen dem Gehirn und dem Körper übertragen.
Nervenwurzeln und Spinalnerven
Aus jedem Segment des Rückenmarks gehen rechts und links Nervenwurzeln hervor. Die vorderen und hinteren Nervenwurzeln vereinigen sich zum Spinalnerv.
- Vordere Wurzel (motorisch): Enthält Axone von motorischen Neuronen, die Signale vom Rückenmark zu den Muskeln leiten.
- Hintere Wurzel (sensibel): Enthält Axone von sensorischen Neuronen, die Signale von den Sinnesorganen zum Rückenmark leiten. Im Spinalganglion, einem Nervenknoten der hinteren Wurzel, befinden sich die Zellkörper der sensiblen Nervenzellen.
Die Spinalnerven sind die Verbindung zwischen dem zentralen und dem peripheren Nervensystem. Sie versorgen bestimmte Bereiche des Körpers mit sensorischen und motorischen Nervenfasern.
Blutversorgung
Das Rückenmark wird von zwei Hauptquellen mit Blut versorgt:
- Wirbelarterien: Sie geben Äste ab, die das obere Rückenmark versorgen.
- Segmentarterien: Sie entspringen aus der Aorta und versorgen das untere Rückenmark. A. sulcocommissuralis zweigt von der A. spinalis anterior ab. Aa. radiculares anteriores et posteriores.
Venöser Abfluss
Das venöse Blut aus dem Rückenmark fließt über die V. spinalis anterior und V. spinalis posterior ab. V. spinalis posterior: Verbindung mit Vv. intervertebrales. Halsbereich: Drainage in die V. vertebralis; Thorakalbereich: Drainage in die (Hemi-)Azygosvenen→ gemeinsame Drainage in die V. cava superior.
Funktion des Rückenmarks
Das Rückenmark hat zwei Hauptfunktionen:
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- Informationsübertragung: Das Rückenmark leitet sensorische Informationen vom Körper zum Gehirn und motorische Informationen vom Gehirn zum Körper.
- Aufsteigende (afferente) Bahnen: Leiten sensorische Informationen wie Berührung, Schmerz, Temperatur und Lageempfindung zum Gehirn.
- Absteigende (efferente) Bahnen: Leiten motorische Befehle vom Gehirn zu den Muskeln. Die wichtigste absteigende Bahn ist die Pyramidenbahn, die für die willkürliche Steuerung der Muskeln verantwortlich ist.
- Reflexe: Das Rückenmark ist auch für die Steuerung von Reflexen verantwortlich. Reflexe sind schnelle, unwillkürliche Reaktionen auf einen Reiz, die ohne Beteiligung des Gehirns ablaufen. Ein Beispiel ist der Kniesehnenreflex, bei dem ein Schlag auf die Sehne unterhalb der Kniescheibe eine Streckung des Beins auslöst.
Reflexbögen
Ein Reflexbogen besteht aus folgenden Komponenten:
- Rezeptor: Nimmt den Reiz wahr (z. B. Schmerzrezeptoren in der Haut).
- Sensorisches Neuron: Leitet das Signal zum Rückenmark.
- Interneuron (im Rückenmark): Verbindet das sensorische Neuron mit dem motorischen Neuron.
- Motorisches Neuron: Leitet das Signal zum Muskel.
- Effektor: Der Muskel, der die Reaktion ausführt (z. B. Zurückziehen der Hand von einer heißen Oberfläche).
Es gibt zwei Arten von Reflexen:
- Eigenreflex: Rezeptor und Effektor liegen im gleichen Organ (z. B. Kniesehnenreflex). Dehnungsrezeptoren in der Muskelspindel des M. quadriceps femoris → afferente Fasern zum Rückenmark (L2-L4) → Umschaltung auf α-Motoneurone → Efferenzen verlaufen nun im Plexus lumbalis und dann isoliert im N. femoralis → Kontraktion des M. quadriceps femoris → Kniereflex.
- Fremdreflex: Rezeptor und Effektor liegen in verschiedenen Organen (z. B. Babinski-Reflex).
Die Prüfung von Reflexen ist ein wichtiger Bestandteil der neurologischen Untersuchung. Abgeschwächte oder gesteigerte Reflexe können auf eine Schädigung des Nervensystems hinweisen.
Mögliche Erkrankungen des Rückenmarks
Das Rückenmark kann durch verschiedene Faktoren geschädigt werden, darunter:
- Trauma: Verletzungen der Wirbelsäule, wie z. B. Frakturen oder Luxationen, können das Rückenmark schädigen und zu Querschnittslähmungen führen.
- Tumore: Tumore im Rückenmark oder in der Wirbelsäule können auf das Rückenmark drücken und dessen Funktion beeinträchtigen.
- Entzündungen: Entzündungen des Rückenmarks (Myelitis) können durch Infektionen oder Autoimmunerkrankungen verursacht werden.
- Gefäßerkrankungen: Durchblutungsstörungen des Rückenmarks, wie z. B. ein Rückenmarksinfarkt, können zu Schädigungen des Nervengewebes führen.
- Degenerative Erkrankungen: Erkrankungen wie die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder Multiple Sklerose können das Rückenmark schädigen.
- Bandscheibenvorfälle: Ein Bandscheibenvorfall kann auf das Rückenmark drücken und neurologische Ausfälle verursachen.
- Spinalkanalstenose: Eine Verengung des Wirbelkanals kann das Rückenmark einengen und zu Beschwerden führen.
- Neuralrohrdefekte: Fehlerhafter Verschluss des Neuralrohrs während der Embryonalentwicklung.
Symptome von Rückenmarkserkrankungen
Die Symptome einer Rückenmarkserkrankung hängen von der Lokalisation und dem Ausmaß der Schädigung ab. Mögliche Symptome sind:
- Lähmungen: Schwäche oder vollständiger Verlust der Muskelkraft.
- Sensibilitätsstörungen: Taubheit, Kribbeln oder Schmerzen.
- Reflexstörungen: Abgeschwächte oder gesteigerte Reflexe.
- Blasen- und Darmfunktionsstörungen: Schwierigkeiten beim Wasserlassen oder Stuhlgang.
- Sexuelle Funktionsstörungen: Erektionsstörungen oder Orgasmusprobleme.
- Spastik: Erhöhte Muskelspannung und unwillkürliche Muskelkrämpfe.
Diagnostik
Zur Diagnose von Rückenmarkserkrankungen werden verschiedene Untersuchungen eingesetzt:
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der Muskelkraft, Sensibilität, Reflexe und Koordination.
- Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) der Wirbelsäule, um das Rückenmark und die umliegenden Strukturen darzustellen.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um die Funktion der Nervenbahnen zu überprüfen.
- Lumbalpunktion: Entnahme von Nervenwasser (Liquor) zur Untersuchung auf Entzündungen oder andere Erkrankungen.
Behandlung
Die Behandlung von Rückenmarkserkrankungen richtet sich nach der Ursache der Erkrankung. Mögliche Behandlungen sind:
- Medikamente: Entzündungshemmende Medikamente, Schmerzmittel, Muskelrelaxantien oder Immunsuppressiva.
- Physiotherapie: Übungen zur Stärkung der Muskeln, Verbesserung der Beweglichkeit und Koordination.
- Ergotherapie: Anpassung der Umgebung und Hilfsmittel, um die Selbstständigkeit im Alltag zu erhalten.
- Operation: Entfernung von Tumoren, Bandscheibenvorfällen oder Dekompression des Rückenmarks bei Spinalkanalstenose.
- Rehabilitation: Umfassende Behandlung zur Wiederherstellung derFunktionen und Verbesserung der Lebensqualität.
- Anästhesiologie: Die Injektion von Opioid-Medikamenten in den Epidural- oder Subarachnoidalraum kann eine wirksame Anästhesie bei der Geburt und bei chirurgischen Eingriffen am Abdomen und an der unteren Extremität bieten.
Spezifische Rückenmarkssyndrome
- Zentromedulläres Syndrom: Neurologisches Syndrom, das durch eine Verletzung des Zentrums des Rückenmarks verursacht wird und die spinothalamischen Bahnen (Sensorik) und den medialen Anteilen der Tractus corticospinales (Motorik) betrifft.
- Vorderes Quadrantensyndrom: Inkomplettes Rückenmarkssyndrom infolge einer Verletzung des ventralen Rückenmarks unter der Schonung der dorsalen Anteile. Klinische Manifestationen sind der Verlust der motorischen und sensorischen Funktion unterhalb des Verletzungsniveaus.
- Hinteres Quadrantensyndrom: Inkomplettes Rückenmarkssyndrom, das die dorsalen Säulen, die Tractus corticospinales und die absteigenden autonomen Bahnen zur Blase betrifft.
- Brown-Séquard-Syndrom: Seltenes neurologisches Syndrom, das durch eine halbseitige Rückenmarkschädigung verursacht wird.