Zu viel Eiweiß im Gehirn: Ursachen, Folgen und Therapieansätze

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und Chorea Huntington sind durch Eiweißablagerungen im Gehirn gekennzeichnet. Diese Ablagerungen, auch Plaques oder Einschlusskörperchen genannt, entstehen durch die Fehlfaltung von Proteinen und beeinträchtigen die Funktion der Nervenzellen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen und Folgen dieser Eiweißablagerungen und stellt aktuelle Forschungsansätze zur Behandlung vor.

Neurodegenerative Erkrankungen und Eiweißablagerungen

Neurodegenerative Erkrankungen sind durch den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen gekennzeichnet. Ein gemeinsames Merkmal dieser Erkrankungen ist die Bildung von Eiweißablagerungen im Gehirn. Diese Ablagerungen entstehen, wenn sich die dreidimensionale Struktur der Eiweiße verändert und sie sich zu unlöslichen Aggregaten zusammenlagern.

Jede Zelle verfügt über ein Abwehrsystem gegen Eiweißfehlfaltung, das aus Faltungshelfer-Molekülen besteht. Diese Moleküle erkennen und reparieren geschädigte Eiweiße oder fördern ihren Abbau, um eine stabile Funktion der Eiweiße (Proteostase) zu gewährleisten. Mit zunehmendem Alter lässt die Leistungsfähigkeit dieses Abwehrsystems nach, was zu Proteostasestörungen und zur Eiweißablagerung führen kann und somit neurodegenerative Erkrankungen begünstigt.

Ursachen von Eiweißablagerungen im Gehirn

Die Ursachen für die Entstehung von Eiweißablagerungen im Gehirn sind vielfältig und noch nicht vollständig geklärt. Einige der wichtigsten Faktoren sind:

  • Eiweißfehlfaltung: Die Fehlfaltung von Proteinen ist ein zentraler Mechanismus bei der Entstehung von Eiweißablagerungen. Durch die Fehlfaltung verlieren die Proteine ihre normale Funktion und können sich zu unlöslichen Aggregaten zusammenlagern.
  • Gestörte Proteostase: Die Proteostase ist das Gleichgewicht zwischen Eiweißsynthese, -faltung, -transport und -abbau. Störungen in diesem Gleichgewicht können dazu führen, dass sich fehlgefaltete Proteine ansammeln und Ablagerungen bilden.
  • Genetische Faktoren: Einige neurodegenerative Erkrankungen sind erblich bedingt. Mutationen in bestimmten Genen können die Entstehung von Eiweißablagerungen begünstigen. Ein Beispiel hierfür ist die familiäre ATTR-Amyloidose, bei der sich der Eiweißstoff Transthyretin als Amyloid in Organen ablagert.
  • Alterung: Mit zunehmendem Alter lässt die Effizienz der zellulären Abwehrmechanismen gegen Eiweißfehlfaltung nach. Dies führt dazu, dass sich fehlgefaltete Proteine leichter ansammeln und Ablagerungen bilden können.
  • Entzündungsprozesse: Chronische Entzündungen im Gehirn können die Entstehung von Eiweißablagerungen fördern. Bei Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson spielen Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle. Mikroglia, die "Müllschlucker" des Gehirns, sind chronisch aktiv und schütten Stoffe aus, die die Entstehung von Eiweißablagerungen begünstigen können.
  • Störungen im Lipidstoffwechsel: Eine Störung im Lipidstoffwechsel kann die Bildung von Alzheimer-Peptiden begünstigen. Zu viele Lipide in der Zellmembran von Neuronen können den natürlichen Prozess der Autophagozytose blockieren, wodurch sich das gefährliche Beta-Amyloid ansammelt.

Folgen von Eiweißablagerungen im Gehirn

Die Eiweißablagerungen im Gehirn haben vielfältige negative Auswirkungen auf die Funktion der Nervenzellen und des Gehirns insgesamt:

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  • Störung der Signalübertragung: Die Ablagerungen können die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen stören und letztendlich eine für Nervenzellen tödliche Kaskade einleiten.
  • Beeinträchtigung der Zellfunktion: Die Eiweißablagerungen können die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigen, indem sie wichtige zelluläre Prozesse wie den Transport von Nährstoffen und die Kommunikation zwischen den Zellen stören.
  • Zellulärer Stress: Eiweißablagerungen können zu oxidativem Stress in den Nervenzellen führen, was die Zellen zusätzlich schädigt.
  • Entzündungsreaktionen: Die Ablagerungen können Entzündungsreaktionen im Gehirn auslösen, die die Nervenzellen weiter schädigen.
  • Neurodegeneration: Die Eiweißablagerungen können letztendlich zum Absterben von Nervenzellen führen, was die typischen Symptome neurodegenerativer Erkrankungen wie Gedächtnisverlust, Bewegungsstörungen und kognitive Beeinträchtigungen verursacht.
  • Defekte Abfallentsorgung in Nervenzellen: In Anwesenheit von Eiweißablagerungen sind die Lysosomen, die für die Abfallentsorgung zuständigen zellulären Strukturen, angeschwollen und scheinen unverdautes Material zu enthalten. Wichtige Eiweiße werden von den Ablagerungen „aufgefangen“ und bleiben an ihnen kleben, was zu unzureichender Funktion der Lysosomen und folglich zu einem Stau im zellulären Entsorgungssystem führt.

Spezifische Beispiele für Eiweißablagerungen bei verschiedenen Erkrankungen

  • Alzheimer-Krankheit: Bei Alzheimer-Patienten bilden sich im Gehirn Amyloid-Plaques, die aus dem Proteinfragment Beta-Amyloid bestehen. Diese Plaques stören die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen und lösen eine Kaskade von Ereignissen aus, die zum Zelltod führen. Zusätzlich zu den Amyloid-Plaques bilden sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten auch Tau-Ansammlungen in den Nervenzellen.
  • Parkinson-Krankheit: Bei der Parkinson-Krankheit bilden sich im Gehirn Lewy-Körperchen, die hauptsächlich aus dem Protein Alpha-Synuclein bestehen. Diese Ablagerungen schädigen die Nervenzellen, die für die Produktion des Botenstoffs Dopamin verantwortlich sind, was zu den typischen Symptomen der Parkinson-Krankheit wie Zittern, Steifigkeit und Bewegungsverlangsamung führt.
  • Chorea Huntington: Bei der Chorea Huntington kommt es zu Ablagerungen des Proteins Huntingtin im Gehirn. Diese Ablagerungen schädigen vor allem die Nervenzellen in den Basalganglien, was zu unwillkürlichen Bewegungen, kognitiven Beeinträchtigungen und psychischen Problemen führt.
  • Amyloidose: Bei der Amyloidose lagern sich fehlgefaltete Eiweiße in verschiedenen Organen ab, darunter auch im Gehirn. Die Ursachen und Symptome der Amyloidose sind sehr unterschiedlich, abhängig von der Art des Amyloid-bildenden Eiweißes und den betroffenen Organen.

Aktuelle Forschungsansätze und Therapieoptionen

Die Forschung auf dem Gebiet der neurodegenerativen Erkrankungen hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Es gibt eine Reihe vielversprechender Therapieansätze, die darauf abzielen, die Entstehung von Eiweißablagerungen zu verhindern oder ihre schädlichen Auswirkungen zu reduzieren:

  • Anti-Amyloid-Therapien: Diese Therapien zielen darauf ab, die Bildung von Amyloid-Plaques im Gehirn von Alzheimer-Patienten zu verhindern oder die bereits vorhandenen Plaques abzubauen. Ein Beispiel hierfür ist der Antikörper Lecanemab, der in klinischen Studien große Erfolge in der Alzheimer-Behandlung erzielt hat.
  • TTR-Stabilisatoren (Tafamidis): Diese Medikamente werden zur Behandlung der ATTR-Amyloidose eingesetzt und stabilisieren das Transthyretin-Protein, um die Bildung von Amyloid-Ablagerungen zu verhindern.
  • Antisense-Oligonukleotide (Inotersen, Patisiran): Diese Medikamente werden ebenfalls zur Behandlung der ATTR-Amyloidose eingesetzt und reduzieren die Produktion des Transthyretin-Proteins, um die Bildung von Amyloid-Ablagerungen zu verhindern.
  • Inhibitoren von Enzymen, die an der Bildung von Eiweißablagerungen beteiligt sind: Ein Beispiel hierfür ist die Hemmung des Enzyms PREP, die in Studien zur Reduzierung von Tau-Ablagerungen bei Tauopathien wie Alzheimer und frontotemporaler Demenz geführt hat.
  • Frühzeitige Diagnose und Prävention: Da die Bildung von Eiweißablagerungen oft Jahre oder Jahrzehnte vor dem Auftreten der ersten Symptome beginnt, ist eine frühzeitige Diagnose und Prävention von entscheidender Bedeutung. Die Entwicklung von Blut-Biomarkern, die frühzeitig auf die Verklumpung von Amyloid beta im Gehirn hinweisen, könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten.
  • Lebensstiländerungen: Ein gesunder Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung, einer ausgewogenen Ernährung und ausreichend Schlaf kann dazu beitragen, das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen zu senken.

Die Rolle von Gliazellen bei der Entstehung von Eiweißablagerungen

Gliazellen, die etwa 90 Prozent aller Gehirnzellen ausmachen, spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Eiweißablagerungen. Mikrogliazellen, die als "Müllschlucker" des Gehirns fungieren, können chronisch aktiv sein und Stoffe ausschütten, die die Entstehung von Eiweißablagerungen begünstigen. Astrozyten, eine weitere Art von Gliazellen, stehen im Verdacht, an der Verbreitung der giftigen Amyloid-beta-Oligomere und Tau-Fibrillen beteiligt zu sein.

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