Zucker und seine Auswirkungen auf das Gehirn: Aktuelle Studien und Empfehlungen

Der allgegenwärtige Konsum von Zucker ist ein viel diskutiertes Thema, insbesondere im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Gesundheit. Jährlich wird am 22. Juli der World Brain Day begangen, um das Bewusstsein für neurologische Erkrankungen zu schärfen und Aufklärung zu betreiben. In diesem Zusammenhang rückt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Hirnstiftung die potenziell schädlichen Auswirkungen von übermäßigem Zuckerkonsum auf das Gehirn in den Fokus. Statistische Daten zeigen, dass Schlaganfall und Demenzen zu den zehn häufigsten Todesursachen zählen. Umgekehrt schützt ein gesunder, aktiver Lebensstil mit ausreichend Bewegung und Schlaf sowie die Vermeidung von schädlichen Substanzen wie Alkohol, Nikotin und Zucker das Gehirn.

Zuckerkonsum in Deutschland: Eine kritische Betrachtung

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt gemeinsam mit der Deutschen Adipositas-Gesellschaft e. V. und der Deutschen Diabetes Gesellschaft e. V. eine maximale Zuckerzufuhr von weniger als 10 % der Gesamtenergiezufuhr. Bei einer geschätzten Gesamtenergiezufuhr von 2.000 kcal pro Tag entspricht dies einer maximalen Zufuhr von 50 g freien Zuckern pro Tag bzw. ca. 18 kg pro Jahr. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker lag 2022/2023 jedoch bei 91 g pro Tag bzw. über 33 kg pro Jahr und damit deutlich über den Empfehlungen. Zu dieser Bilanz zählt nicht nur der zugesetzte Zucker, sondern auch der natürlich enthaltene Zucker, z. B. in Früchten, Honig oder Säften.

Gesundheitliche Risiken eines erhöhten Zuckerkonsums

Erhöhter Zuckerkonsum führt nicht nur zu Blutzuckerspitzen, sondern beeinträchtigt auch die Leistungsfähigkeit des Immunsystems, kann zu Nährstoffmängeln, Hyperaktivität und vorzeitigem Altern führen und das Risiko für Krankheiten wie Diabetes, Autoimmunerkrankungen und Osteoporose erhöhen. Hohe Blutzuckerspiegel können die Hirngefäße schädigen und zu Ablagerungen an den Gefäßwänden führen, wodurch die Blutzufuhr und damit die Versorgung der Gehirnzellen mit Nährstoffen gedrosselt wird. Dies kann zu verschiedenen neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall und Demenz führen.

Zudem können Glykosaminoglykane, komplexe Zuckermoleküle im Gehirn, die Kognition direkt einschränken, indem sie die Funktion der Synapsen zwischen den Nervenzellen und die neuronale Plastizität beeinträchtigen. Die neuronale Plastizität ist die Fähigkeit von Nervenzellen und Gehirnarealen, sich anzupassen und bei Bedarf zu erweitern, was für die kognitive Entwicklung und das Lernen von Bedeutung ist. Eine Studie vor 20 Jahren hatte bereits gezeigt, dass eine fett- und zuckerreiche Kost die neuronale Plastizität stört und langfristig auch die Funktion des Hippocampus, des Gedächtnisareals im Gehirn, beeinträchtigt.

Metaanalyse bestätigt negative Auswirkungen auf kognitive Funktionen

Eine Metaanalyse von 77 Studien fasste die Auswirkungen von freiem und zugesetztem Zucker auf die kognitiven Funktionen zusammen. Sie zeigte, dass ein chronisch übermäßiger Zuckerkonsum negativ mit Messungen der globalen kognitiven Funktion, der Exekutivfunktion und des Gedächtnisses korreliert. Dieser Effekt ist vor allem bei zugesetztem Zucker zu finden, während natürlich enthaltener Zucker, der beispielsweise in Früchten vorkommt, aufgrund der zusätzlichen Ballaststoffe und Vitamine weniger negative Auswirkungen zeigt. Die Metaanalyse umfasste auch zwei Studien über Mutter-Kind-Paare, die einen Zusammenhang zwischen der mütterlichen Zuckeraufnahme und der Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen des Kindes aufzeigten.

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Die Rolle von Milchzucker bei Neurodegeneration

Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) haben herausgefunden, dass eine zuckerarme Ernährung auch unabhängig vom Blutzuckerspiegel positive Auswirkungen auf die langfristige Leistungsfähigkeit des Gehirns haben könnte. Professor Dr. Ralf Linker, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie des UKR, erklärt, dass die Forschungsergebnisse darauf hindeuten, dass insbesondere Milchzucker die Neurodegeneration des Gehirns beschleunigen kann.

Die Ausgangsbasis für die wissenschaftliche Arbeit war die Untersuchung der Auswirkung von Milchzucker auf das Gehirn bei Autoimmunerkrankungen, etwa bei der Multiplen Sklerose (MS). Dr. Stefanie Haase, Laborleiterin in der Klinik und Poliklinik für Neurologie des UKR und Leiterin der Studie, erklärt, dass zwar keine Hinweise gefunden wurden, dass ein höherer Zuckerkonsum das Risiko für MS im Modell beeinflusst oder direkt das Immunsystem verändert, jedoch zeigten sich direkte Auswirkungen von Milchzuckerkonsum auf das Gehirn. Das Forscherteam stellte fest, dass sich Milchzucker an Eiweiße anlagert und auf diese Weise die Isolierschicht von Zellen verändert, was zu einer schnelleren Abnutzung und Alterung von Gehirnzellen führt. Derartige Prozesse können einer Demenz wie der Alzheimer-Erkrankung den Weg bereiten.

Zucker als Energielieferant und die Bedeutung des Mittelwegs

Es ist wichtig zu beachten, dass das Gehirn Zucker benötigt, um Leistung zu erbringen und zu funktionieren. Professor Linker betont, dass das Gehirn jede Menge Energie verbraucht und Glukose in Form von Traubenzucker ein exzellenter Lieferant ist. Im Normalbetrieb beansprucht das Gehirn etwa 75 Prozent der in allen Körperzellen verbrauchten Glukose. Es gilt also, den gesunden Mittelweg zu finden, um den Zuckerhaushalt konstant zu halten und nicht zu unterzuckern, um die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Die Wissenschaftler konnten in ihrer Studie beweisen, dass ein Zuviel an Zucker nicht nur Herz, Leber und andere Organe schädigen kann, sondern eben auch das Gehirn.

Dopamin und der Teufelskreis des Zuckerkonsums

Die DGN und die Deutsche Hirnstiftung empfehlen einen möglichst geringen Zuckerkonsum. Dies fällt oft schwer, da der Darm bereits nach einer kleinen Dosis Zucker über den Vagusnerv Signale an das Gehirn sendet und dort das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet wird. Dadurch steigt das Bedürfnis nach mehr Zucker, was erklären könnte, warum manche Menschen nach einem Stück Schokolade gleich die ganze Tafel essen.

Professor Dr. Frank Erbguth, Präsident der deutschen Hirnstiftung, erklärt, dass es sinnvoll ist, durch weitgehenden Verzicht auf Zucker diesem Teufelskreis zu entgehen. Er weist darauf hin, dass das Gehirn Zucker aus der normalen Nahrung entnehmen kann und ein kurzfristiger Zuckeranstieg durch Traubenzucker eigentlich nicht notwendig ist.

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Zuckersteuer und versteckter Zucker

Um den Zuckerkonsum zu senken, wird auch die Einführung einer Zuckersteuer diskutiert. In England gibt es diese seit 2018, und es gibt Hinweise darauf, dass sie dort zu einer Reduktion von Adipositas geführt hat. Professor Erbguth weist darauf hin, dass die Deutschen knapp über 30 Kilo Zucker pro Jahr konsumieren, während die Ernährungsempfehlungen von etwa der Hälfte ausgehen, also 18 bis 19 Kilo. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, wie viel Zucker sie tatsächlich konsumieren, da er oft in verarbeiteten Lebensmitteln wie Limonade, Joghurt oder Tomatenketchup versteckt ist. Eine Wasserflasche mit 36 Würfelzucker entspricht in etwa dem Zuckergehalt einer Flasche Limonade.

Zuckerersatzstoffe: Eine unbedenkliche Alternative?

Auch Zuckerersatzstoffe wie Xylit, Birkenzucker und Sorbit werden oft als Alternative zu Zucker angepriesen. Sie haben den Vorteil, dass sie kaum Kalorien enthalten und somit "unschuldiger" erscheinen. Allerdings gibt es neue Studiendaten, die Hinweise darauf geben, dass sich auch durch den Konsum von Zuckerersatzstoffen die Zahl von Gefäßerkrankungen erhöhen könnte. Daher sind Ernährungsorganisationen, die früher Zuckerersatzstoffe empfohlen haben, mittlerweile sehr zurückhaltend und empfehlen nicht, diese routinemäßig als Ersatz einzusetzen.

Die Auswirkungen von Zucker auf Gedächtnisleistungen und den Hippocampus

Eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin untersuchte die Gedächtnisleistungen von 141 gesunden Probanden mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren. Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer mit einem niedrigen Blutzuckerspiegel in den Gedächtnistests weitaus besser abschnitten. Die Analyse der Kernspintomographie ergab außerdem, dass der Hippocampus dieser Personen kleiner war und eine schlechtere Struktur aufwies als der von Probanden mit einem niedrigen Zuckerspiegel. Professor Dr. Agnes Flöel, Oberärztin an der Klinik für Neurologie und Leiterin des Bereichs Kognitive Neurologie im NeuroCure Clinical Research Center, kommentiert, dass die Ergebnisse nahelegen, dass es selbst für Menschen mit einem normalen Zuckerspiegel eine vielversprechende Strategie sein könnte, durch eine dauerhafte Senkung des Blutzuckerspiegels ihre Gedächtnisleistungen im Alter zu erhalten. Dies kann durch die Vermeidung von Übergewicht, eine mediterrane Kost und regelmäßige körperliche Aktivität erreicht werden.

Zucker und Fette verändern das Gehirn

Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln konnte zeigen, dass sich das Gehirn durch den regelmäßigen Konsum von stark fett- und zuckerhaltigen Lebensmitteln verändert. Die Folge: Es befiehlt uns quasi, die ungesunden Lebensmittel zu bevorzugen. Wir wollen mehr davon. Die Signale kommen im Belohnungszentrum des Gehirns an, sorgen für ein gutes Gefühl und lösen ein Verlangen nach mehr aus. Die Probanden hatten dadurch ein offensichtlich stärkeres Verlangen nach fetthaltigen und süßen Speisen erlernt. Diese Veränderungen der Hirnnetzwerke sind anhaltend und könnten dazu führen, dass Menschen zukünftig unbewusst immer die Lebensmittel bevorzugen, die viel Fett und Zucker enthalten.

Zuckersignale und Hirnerkrankungen

Ein Tübinger Forschungsteam des Instituts für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik ist es gelungen, die Bedeutung spezieller Zuckersignale im Körper zu entschlüsseln. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysierten den Zusammenhang zwischen dem zellulären Mechanismus, durch den Zuckermoleküle an Eiweiß gekoppelt werden, und dem Verlauf einer Hirnerkrankung, der sogenannten Spinozerebellaren Ataxie Typ 3. Sie konnten nachweisen, dass diese Zuckersignale in direktem Zusammenhang mit Erkrankungsprozessen im Gehirn stehen, indem sie das dafür verantwortliche Enzym im Körper direkt beeinflussten. Aufgrund dieser Ergebnisse könnte das Enzym O-GlcNAc Transferase (OGT) ein wichtiger Ansatzpunkt bei der Behandlung von neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer darstellen.

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Prävention und ein gesunder Lebensstil

Viele Hirnerkrankungen lassen sich durch einen gesünderen Lebensstil vermeiden, zu dem auch ein geringerer Zuckerkonsum gehört. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, wie viel Zucker man täglich konsumiert und wo er sich versteckt. Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und Fisch sowie regelmäßige körperliche Aktivität können helfen, den Blutzuckerspiegel zu senken und die Gedächtnisleistungen im Alter zu erhalten.

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