Die 10-Minuten-Aktivierung ist eine einfache und effektive Methode, um Senioren mit und ohne kognitive Einschränkungen körperlich und geistig anzuregen. Sie wurde in den 90er-Jahren von Ute Schmidt-Hackenberg speziell für Menschen mit Demenz entwickelt, eignet sich aber auch gut für Senioren ohne kognitive Einschränkungen. Durch ihre kurze Dauer lässt sie sich wunderbar in den Pflegealltag integrieren und kann täglich angewendet werden, sowohl in der Einzelarbeit als auch in der Gruppe.
Grundlagen der 10-Minuten-Aktivierung
Das Prinzip der 10-Minuten-Aktivierung basiert darauf, in gezielter Erinnerungsarbeit Schlüsselreize zu initiieren, die zumindest zeitweise die vorhandene Lethargie aufheben. Grundlage der Aktivierung ist die gezielte Beschäftigung mit vertrauten Gegenständen, Materialien oder Werkzeugen aus der Vergangenheit des Seniors. Diese gezielt eingesetzten Schlüsselreize aktivieren das Langzeitgedächtnis. Als „Türöffner“ machen sie verschüttete Handlungs- und Bewegungsabläufe wieder verfügbar. Dieses Prinzip funktioniert auch bei Demenzkranken, die sich aufgrund einer fortgeschrittenen demenziellen Erkrankung im „Hier und jetzt“ nicht mehr zurechtfinden.
Bei den 10-Minuten-Aktivierungen wird häufig mit Erinnerungs- und Biografieübungen gearbeitet. Das hat den Hintergrund, dass Situationen und Erfahrungen, die die Senioren früher in ihrem Leben gemacht haben, besser angesprochen werden können als neue, unbekannte Dinge. Denn das Langzeitgedächtnis gewinnt bei Senioren mit Demenz an Bedeutung, während das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr so leicht ansprechbar ist. Dadurch stellen sich schnell kleine Erfolge ein, die die Motivation fördern.
Wichtig ist, dass die 10-Minuten-Aktivierung stets an die Biografie, an die aktuellen Fähigkeiten und an die Interessen des Demenzkranken anzupassen ist. Fast alle Themen sind für die 10-Minuten-Aktivierung geeignet. Lediglich sehr belastende Gesprächsstoffe wie Krieg, Vertreibung und Hunger sollten vermieden werden.
Vorteile der 10-Minuten-Aktivierung
- Kurze Dauer: Lässt sich leicht in den Alltag integrieren.
- Einfache Durchführung: Erfordert wenig Vorbereitung und ist nicht auf ausgebildete Pflegekräfte beschränkt.
- Vielseitigkeit: Kann an die individuellen Bedürfnisse und Interessen der Senioren angepasst werden.
- Aktivierung von Körper und Geist: Fördert die körperliche und geistige Anregung.
- Erinnerungsarbeit: Aktiviert das Langzeitgedächtnis und weckt positive Erinnerungen.
- Soziale Interaktion: Fördert die Kommunikation und das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein.
- Steigerung der Lebensfreude: Kann das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Senioren verbessern.
Wie oft sollte eine 10-Minuten-Aktivierung durchgeführt werden?
Die „10-Minuten-Aktivierung“ macht nur dann Sinn, wenn sie möglichst jeden Tag durchgeführt wird. Es ist wissenschaftlich erforscht, dass die ideale Angebotslänge 20 Minuten nicht überschreiten sollte und dass Wiederholung einen positiven Effekt hat. Wiederholungen geben den Demenzkranken Sicherheit, auch wenn es einem langweilig erscheinen mag, mehrfach die selbe 10-Minuten-Aktivierung durchzuführen, sollte man nicht von sich selbst auf den Demenzkranken schließen.
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Beispiele für 10-Minuten-Aktivierungen
Im Folgenden werden einige Beispiele für 10-Minuten-Aktivierungen vorgestellt, die sich leicht in den Alltag integrieren lassen:
1. Biografieorientierte Gespräche
Biografieorientierte Gespräche sind eine einfache Möglichkeit, das Langzeitgedächtnis von Senioren mit Demenz anzuregen. Stellen Sie kurze, einfache Fragen zu ihrer Vergangenheit, um Erinnerungen wachzurufen.
Beispiele für Fragen:
- Was haben Sie als Kind gerne gespielt?
- Welchen Beruf haben Sie ausgeübt?
- Wo haben Sie Ihren Partner kennengelernt?
- Was ist Ihre schönste Kindheitserinnerung?
- Hatten Sie Haustiere? Wenn ja, welche?
- Welches war Ihr Lieblingsessen als Kind?
- Sind Sie gern zur Schule gegangen? Welches Fach mochten Sie am liebsten?
Wenn Sie bemerken, dass die betroffene Person keine Antwort auf eine Frage weiß, wechseln Sie behutsam das Thema. Greifen Sie stattdessen auf Gesprächsthemen zurück, bei denen Sie sicher sind, dass der Erkrankte sich einbringen kann - so vermeiden Sie Frustration und Entmutigung. Für Menschen mit Demenz ist es besonders belastend, immer wieder mit den eigenen Defiziten konfrontiert zu werden.
2. Aktivierung mit Gegenständen
Bereiten Sie eine Kiste mit Dingen vor, die mit einem bestimmten Thema in Verbindung stehen. Das können zum Beispiel Gegenstände aus der Natur, Alltagsgegenstände oder Erinnerungsstücke sein. Lassen Sie die Senioren die Gegenstände in die Hand nehmen, benennen und ihre Erinnerungen dazu erzählen.
Beispiele für Themen und Gegenstände:
- Winter: Handschuhe, Mützen, Skischuhe, Winterjacke, Deko-Schneemänner, evtl. sogar echter Schnee oder Eiswürfel
- Sommer: Sonnenhut, Sonnencreme, Badehose, Wasserball, Schwimmreifen, Holzkohle, Grillzange, Sommerblumen
- Frühling: Blumen, Blumensamen, Gartengeräte, Ostereier, Osterhase
- Herbst: Blätter, Kastanien, Eicheln, Kürbis, Maiskolben
Bei dieser Übung sollen die Senioren einfach Dinge aus der Kiste nehmen und diese benutzen. Also die Handschuhe anzuziehen, den Deko-Schneemann ertasten oder den kalten Schnee berühren. Hauptsache die Sinne der Senioren werden angeregt und die Senioren bewegen sich. Wenn Sie möchten, können Sie zu den einzelnen Gegenständen auch einfache Biografiefragen stellen. Vielleicht erfahren Sie dabei ja sogar etwas Neues über Ihre Senioren.
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3. Bewegungsübungen
Integrieren Sie kleine Bewegungsübungen in die 10-Minuten-Aktivierung, um die körperliche Aktivität der Senioren zu fördern.
Beispiele für Bewegungsübungen:
- Armkreisen
- Beine heben und senken
- Mit den Fingern auf dem Tisch trommeln
- Luftgitarre spielen
- Im Takt der Musik mit den Füßen wippen
- Händegymnastik
- Tanzen im Sitzen
Wenn wir Finger und Hände durch Gymnastik bewegen, wirkt sich das positiv auf unsere kognitiven Leistungen aus. Händegymnastik erfordert die sogenannte Auge-Hand-Koordination, die sich mit etwas Übung verbessern lässt. Mit der rechten Hand werden nacheinander alle Finger der linken Hand einzeln von unten nach oben ausgestrichen und an der jeweiligen Fingerkuppe sanft nach oben gezogen. Begonnen wird am Daumen. Die Finger beider Hände spielen auf dem Tisch auf einem imaginären Klavier. Variation: Die Hände werden vom Tisch gehoben und die Finger spielen in der Luft Klavier.
4. Sinnesanregung
Aktivieren Sie die Sinne der Senioren, indem Sie ihnen verschiedene Reize anbieten.
Beispiele für Sinnesanregungen:
- Riechen: Duftende Blumen, ätherische Öle, Gewürze, Kaffee
- Schmecken: Süße, saure, salzige und bittere Lebensmittel
- Fühlen: Weiche Stoffe, raue Oberflächen, kalte und warme Gegenstände
- Hören: Musik, Naturgeräusche, Vogelgezwitscher, Instrumente
- Sehen: Bunte Bilder, Fotos, Muster, Lichtspiele
Rieche mal, wie toll die Blumen duften. Riech mal den Duft des guten Essens oder den Duft des morgendlichen Kaffees. Schmecke den süßen Honig oder die selbstgemachte Marmelade. Fühle mal, wie flauschig die Wolldecke ist. Hörst du das Vogelgezwitscher? An welche Tiere erinnern dich die Wolken am Himmel? Schau mal das Lichtspiel an der Decke.
5. Gedächtnisspiele
Spielen Sie einfache Gedächtnisspiele, um die kognitiven Fähigkeiten der Senioren zu fördern.
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Beispiele für Gedächtnisspiele:
- Lieder erraten: Spielen Sie ein bekanntes Lied von früher ab und lassen Sie den Interpreten und/oder den Liedtitel erraten.
- Sprichwörter ergänzen: Beginnen Sie ein Sprichwort und lassen Sie die Senioren es vervollständigen.
- Gegenstände merken: Legen Sie einige Gegenstände auf den Tisch, decken Sie sie ab und lassen Sie die Senioren aufzählen, welche Gegenstände darunter lagen.
- Blumen-ABC: Suchen Sie gemeinsam mit Ihren Senioren Blumenarten für jeden Anfangsbuchstaben des Alphabets.
- Gemüse-ABC: Für jeden Buchstaben des Alphabets suchen Sie gemeinsam ein Gemüse, das im Frühjahr wächst.
6. Singen und Musizieren
Singen Sie gemeinsam mit den Senioren bekannte Lieder oder spielen Sie ein Instrument. Musik kann positive Erinnerungen wecken und die Stimmung aufhellen.
Beispiele für Lieder:
- Alle Vögel sind schon da
- O lieber, guter Frühling
- Am Brunnen vor dem Tore
- Kein schöner Land in dieser Zeit
- Die Gedanken sind frei
7. Aktivierungsboxen
Aktivierungsboxen sind Kisten, die mit Materialien zu einem bestimmten Thema gefüllt sind. Sie dienen dazu, Erinnerungen zu wecken und Gespräche anzuregen.
Beispiele für Themen und Materialien:
- Backen: Mehlsieb, Teigschüssel, Nudelholz, Ausstechformen, Rezeptbuch
- Gartenarbeit: Gartengeräte, Blumensamen, Handschuhe, Gießkanne
- Handarbeit: Stricknadeln, Wolle, Stoffreste, Knöpfe, Schere
- Reisen: Postkarten, Fotos, Souvenirs, Landkarte
8. Der Plaudertisch
Auch am Plaudertisch lassen sich die 10-Minuten-Aktivierungen einfach mit in das Training einbauen. Das Tolle daran: Die Aktivierungsübungen regen während des motorischen Trainings auch gleich den Kopf mit an. Die Kombination aus kognitiven und körperlichen Übungen nennt sich Dual-Task-Training. Bewegung mit geistigem Training macht Spaß und kann dabei helfen, Stürze vorzubeugen.
Idee 1: Bewegungsgeschichten
Bewegungsgeschichten sollen die Fantasie anregen und zur Bewegung anregen. Dazu enthalten Sie an passenden Stellen in der Geschichte Anweisungen für Bewegungen, denen die Senioren folgen sollen. Je nach Geschichte machen die Senioren unterschiedliche Erlebnisse, etwa einen Herbstspaziergang im Wald oder eine Fahrradfahrt in den Weinbergen. Bewegungsgeschichten handeln häufig von Situationen, zu denen die Senioren einen Bezug aus Ihrer Vergangenheit haben.
Idee 2: Gehirn-Training
Eine weitere Möglichkeit für 10-Minuten-Aktivierungen am Plaudertisch sind kleine Denksportaufgaben. Ein Beispiel dafür ist das „Kategorien-Puzzle“. Hierbei geben Sie eine Wortkategorie vor und die Senioren müssen während des Trainings passende Begriffe zu dieser Kategorie finden.
Für die Kategorie „Tier“ wären mögliche Antworten: bärenstark, Brillenschlange, mucksmäuschenstill oder fuchsteufelswild.
Für zusätzliche Abwechslung sorgen die Dual-Tasking-Karten, die Sie mit dem Plaudertisch erhalten. Auf diesen Karten sind bunte Bilder von verschiedenen Gegenständen wie Ampeln oder Obst abgebildet.
Idee 3: Plaudern und Singen
Ganz einfach lässt sich eine 10 Minuten Aktivierung am Plaudertisch zum Beispiel auch mit Alltagsgegenständen durchführen. Halten Sie einen der Gegenstände hoch, während die Senioren trainieren. Alle erzählen nun reihum eine Anekdote oder eine Erinnerung, die mit diesem Gegenstand zu tun hat.
Eine weitere Möglichkeit ist es, einen alten Gassenhauer aufzulegen und gemeinsam mitzusingen. Das sorgt beim Kurbeln am Plaudertisch garantiert für gute Laune und regt außerdem das Langzeitgedächtnis an.
Tipps für die Durchführung
- Schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre: Sorgen Sie für eine ruhige Umgebung und eine entspannte Stimmung.
- Seien Sie geduldig und empathisch: Menschen mit Demenz brauchen Zeit und Verständnis.
- Passen Sie die Aktivität an die individuellen Fähigkeiten an: Über- oder unterfordern Sie die Senioren nicht.
- Beziehen Sie die Senioren aktiv ein: Lassen Sie sie mitentscheiden und ihre Ideen einbringen.
- Haben Sie Spaß: Die Aktivierung soll Freude bereiten und das Wohlbefinden steigern.
- Nutzen Sie die Ressourcen im Alltag: Beziehen Sie Alltagsgegenstände und -situationen in die Aktivierung ein.
- Dokumentieren Sie die Aktivitäten: So können Sie den Fortschritt der Senioren verfolgen und die Aktivierung entsprechend anpassen.
Aktivierungsboxen: Erinnerungen wecken und Sinne anregen
Aktivierungsboxen sind eine wertvolle Ergänzung zur 10-Minuten-Aktivierung. Sie enthalten thematisch zusammengestellte Gegenstände, die Erinnerungen wecken und die Sinne anregen sollen. Die Boxen können individuell an die Biografie und Interessen der Senioren angepasst werden.
Gestaltung von Aktivierungsboxen
- Themenauswahl: Wählen Sie Themen, die für die Senioren von Bedeutung sind, z.B. Jahreszeiten, Hobbys, Berufe, Kindheit, Feste.
- Materialauswahl: Sammeln Sie Gegenstände, die zu dem jeweiligen Thema passen und positive Erinnerungen hervorrufen können. Achten Sie darauf, dass die Gegenstände sicher und nicht zerbrechlich sind.
- Beschriftung: Beschriften Sie die Boxen deutlich mit dem jeweiligen Thema.
- Lagerung: Bewahren Sie die Boxen an einem für alle Mitarbeiter zugänglichen Ort auf.
Beispiele für Themen und Inhalte von Aktivierungsboxen
- Kindheit: Spielzeug, Bilderbücher, Fotos, Schulhefte, Süßigkeiten
- Haushalt: Waschbrett, Bügeleisen, Nähzeug, Kochlöffel, Putzlappen
- Gartenarbeit: Gartengeräte, Blumensamen, Handschuhe, Gießkanne, Erde
- Musik: Schallplatten, CDs, Musikinstrumente, Notenblätter, Liedtexte
- Reisen: Postkarten, Fotos, Souvenirs, Landkarten, Reiseführer
Einsatz von Aktivierungsboxen
- Vorbereitung: Wählen Sie eine Aktivierungsbox aus, die zu den Interessen und Fähigkeiten des Seniors passt.
- Durchführung: Setzen Sie sich mit dem Senior zusammen und öffnen Sie die Box. Nehmen Sie die Gegenstände einzeln heraus und lassen Sie den Senior sie betrachten, berühren, riechen oder schmecken.
- Gesprächsführung: Stellen Sie Fragen zu den Gegenständen und lassen Sie den Senior seine Erinnerungen erzählen.
- Anpassung: Passen Sie die Aktivität an die Reaktion des Seniors an. Wenn er sich unwohl fühlt, wechseln Sie das Thema oder beenden Sie die Aktivität.
Zusätzliche Tipps für den Einsatz von Aktivierungsboxen
- Beziehen Sie die Senioren in die Gestaltung der Boxen ein.
- Ergänzen Sie die Gegenstände mit Fotos, Liedern oder Gedichten.
- Nutzen Sie die Aktivierungsboxen auch für Gruppenaktivitäten.
- Wechseln Sie die Inhalte der Boxen regelmäßig aus.
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