Demenz ist ein fortschreitender Verlust der geistigen Fähigkeiten, der verschiedene Formen annehmen kann, wobei die Alzheimer-Krankheit die bekannteste ist. Obwohl wirksame Therapien zur Heilung von Demenz noch fehlen, deuten epidemiologische Studien darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Demenzerkrankungen durch einen gesunden Lebensstil, gute Bildung, soziale Aktivität und medizinische Versorgung vermieden oder zumindest verzögert werden könnte.
Die Lancet-Kommission und die identifizierten Risikofaktoren
Die Fachzeitschrift "The Lancet" beauftragte eine Expertenkommission mit der Suche nach beeinflussbaren Risikofaktoren, die bei der Demenzprävention eine zentrale Rolle spielen. Basierend auf Literaturanalysen wurden zwölf solcher Faktoren in verschiedenen Lebensphasen identifiziert und quantifiziert. Die Änderung dieser 12 Risikofaktoren könnte bis zu 40 % der Demenzerkrankungen verhindern oder verzögern.
Nicht-veränderbare Risikofaktoren
- Alter: Das Alter ist der größte nicht-beeinflussbare Risikofaktor für Demenz.
- Geschlecht: Es gibt einige geschlechtsspezifische Unterschiede im Demenzrisiko, die jedoch nicht direkt beeinflussbar sind.
- Genetik: Die Gene spielen eine Rolle, aber das trifft nur bei einem kleinen Teil der Demenzpatienten zu.
Beeinflussbare Risikofaktoren
Die beeinflussbaren Risikofaktoren lassen sich in verschiedene Lebensphasen einteilen:
Frühes Leben:
- Geringe Bildung: Ein niedriges Bildungsniveau ist der einzige Risikofaktor im frühen Lebensjahr. Bildung ist der einzige relevante Faktor im Alter von unter 45 Jahren. Ein geringes Bildungsniveau erklärt basierend auf den vorhandenen Daten weltweit rund sieben Prozent aller Demenzerkrankungen. Die Politik sollte daher vor allem anderen auf die Bildung von Kindern setzen.
Mittleres Alter:
- Hörverlust: Schwerhörigkeit ist der wichtigste Risikofaktor im mittleren Lebensalter. Tritt sie bei 45- bis 65-Jährigen auf, ist das Risiko für eine Demenz im Alter verdoppelt. Insgesamt lassen sich nach den Berechnungen der Forscher um Livingston etwa acht Prozent aller Demenzerkrankungen auf Schwerhörigkeit zurückführen. Hörgeräte könnten Abhilfe schaffen: Langzeitstudien deuten darauf hin, dass Menschen mit Hörproblemen kein erhöhtes Demenzrisiko haben, wenn sie Hörgeräte tragen.
- Bluthochdruck: Ein Blutdruck über 140 mmHg systolisch im mittleren Alter erhöht das Demenzrisiko den Daten zufolge um 60 Prozent. Rund zwei Prozent aller Demenzfälle lassen sich darauf zurückführen. Eine Hypertonie geht mit einer beschleunigten Hirnalterung einher, was sich über einen verstärkten Hirnvolumenverlust, gesteigerte Amyloiddeposition und eine Schädigung der weißen Substanz bemerkbar macht.
- Adipositas: Adipositas geht mit einem um 60 Prozent erhöhten Demenzrisiko einher, dennoch sind nach Auffassung der Studienautoren nur 0,7 Prozent aller Demenzfälle auf ein stark erhöhtes Gewicht zurückzuführen. Allerdings legen sie eine Adipositasprävalenz von nur 3,4 Prozent zugrunde. In Ländern wie den USA mit einer mehr als zehnfach höheren Prävalenz kommt diesem Faktor jedoch ein ganz anderes Gewicht zu. Er dürfte dort ähnlich zu Buche schlagen wie mangelnde Bildung. Studien deuten auf eine bessere Hirnleistung bei Adipösen nach Gewichtsverlust.
- Übermäßiger Alkoholkonsum: Übermäßiger Alkoholkonsum (mehr als 24 Gramm täglich) geht in der Summe der verfügbaren Studien mit einem um 20 Prozent erhöhten Demenzrisiko einher und erklärt 0,8 Prozent aller Demenzerkrankungen. Dass viel Alkohol dem Gehirn schadet, ist kein Geheimnis, die Frage ist hier eher, wo die Grenze für einen Schaden liegt. Einzelne Studien kommen zu recht widersprüchlichen Angaben, manche legen sogar ein reduziertes Demenzrisiko bei geringem Konsum nahe.
- Kopfverletzungen: Schädel-Hirn-Traumata (SHT) wurden in den vergangenen Jahren zunehmend als Risikofaktor erkannt und daher neu in die Liste aufgenommen. Ein SHT im mittleren Alter geht ebenfalls mit einem rund verdoppelten Risiko für eine Demenz einher, global lassen sich 3,4 Prozent aller Demenzfälle auf ein SHT zurückführen. Insgesamt steigt das Demenzrisiko mit der Zahl und der Schwere der SHT.
Spätes Leben:
- Rauchen: Rauchen ist im Alter über 65 Jahren der wichtigste Demenzrisikofaktor und geht mit einem um 60 Prozent erhöhten Risiko einher. Weltweit rauchen rund 27 Prozent der Menschen in diesem Alter, auf dieser Basis lassen sich 5,2 Prozent aller Demenzerkrankungen auf die Freude am Tabakkonsum zurückführen. Der Raucheranteil sinkt zumindest in den Industrieländern, was dort die Bedeutung dieses Faktors schmälert.
- Depression: Depressionen und psychischer Stress im Alter scheinen das Demenzrisiko zu verdoppeln. Insgesamt lassen sich 3,9 Prozent aller Demenzerkrankungen auf diesen Faktor zurückführen.
- Körperliche Inaktivität: Körperliche Inaktivität im Alter hat sich in vielen Langzeitstudien als Risikofaktor herauskristallisiert. Couchpotatoes haben danach ein um rund 40 Prozent erhöhtes Demenzrisiko. Weltweit sind 1,6 Prozent der Demenzfälle auf zu wenig Bewegung zurückzuführen - bei einer Inaktiven-Prävalenz von 18 Prozent. Auch dieser Faktor dürfte in Industrieländern mit einem hohen Anteil komplett inaktiver Menschen ein stärkeres Gewicht haben.
- Soziale Isolation: Soziale Isolation im Alter wird mit einem um 60 Prozent erhöhten Demenzrisiko assoziiert, global sorgt dieser Faktor nach den Berechnungen der Experten aus London für 3,5 Prozent aller Demenzerkrankungen. Studien haben ein deutlich höheres Demenzrisiko für lebenslange Singles (plus 40 Prozent) und Verwitwete (plus 20 Prozent) ergeben. Generell wird davon ausgegangen, dass Verheiratete mehr soziale Kontakte haben. Dieser Faktor ist vor allem für Frauen relevant, die ihre Ehemänner oft um viele Jahre überleben. Allerdings kann soziale Isolation auch die Folge einer beginnenden Demenz sein.
- Diabetes: Ein Altersdiabetes geht mit einem um 50 Prozent erhöhten Demenzrisiko einher, bei einer Prävalenz von rund sechs Prozent lassen sich rund 1,1 Prozent aller Demenzerkrankungen darauf zurückführen. In Deutschland haben rund zehn Prozent aller Menschen einen Diabetes, bei den über 80-Jährigen sind es mehr als ein Drittel - entsprechend dürfte dieser Risikofaktor bei uns größere Bedeutung haben. Relevant sind auch Dauer und Schwere des Diabetes, vermutet wird, dass Hypoglykämien und Störungen des Insulinstoffwechsels im Gehirn die Alzheimerpathologie beschleunigen.
- Luftverschmutzung: Luftverschmutzung scheint das alternde Gehirn zusätzlich zu belasten. Hierzu sind in den vergangenen Jahren viele neue Studien erschienen. Vor allem für Feinstaub und Stickoxide wird ein Zusammenhang mit Demenzerkrankungen gesehen, in Tiermodellen ließ sich damit die Amyloiddeposition beschleunigen.
Weitere Einflussfaktoren
Neben den genannten Faktoren gibt es weitere, die das Demenzrisiko beeinflussen können:
- Nährstoffmangel: Ein Mangel an bestimmten Nährstoffen, insbesondere Vitamin D, kann das Demenzrisiko erhöhen.
- Schlafapnoe (Atempausen während des Schlafes): Schlafapnoe kann zu Sauerstoffmangel im Gehirn führen und das Demenzrisiko erhöhen.
- Zahnhygiene (Mundgesundheitsprobleme, wie z. B. Periodontitis): Entzündungen im Mundraum können sich negativ auf das Gehirn auswirken und das Demenzrisiko erhöhen.
Präventionsmaßnahmen und Interventionen
Die identifizierten Risikofaktoren bieten Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen und Interventionen, um das Demenzrisiko zu senken.
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Multidimensionale Interventionen: Das Beispiel der FINGER-Studie
Die FINGER-Studie (Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability) ist ein Beispiel für eine groß angelegte finnische Studie, die einen multidimensionalen Ansatz zur Verbesserung oder Aufrechterhaltung der kognitiven Funktion und zur Verringerung des Risikos eines kognitiven Rückgangs bei älteren Risikopersonen (kardiovaskuläre Risikofaktoren, Alterung und Demenz) verfolgte.
Die 2-jährige Intervention umfasste:
- Ernährung: Ernährungsanpassung mit einer täglichen Zusammensetzung von 10-20% Proteinen, 25-35% Fett (davon <10% gesättigte und trans-Fettsäuren, 10-20% einfach ungesättigte Fettsäuren und 5-10% mehrfach ungesättigte Fettsäuren [einschließlich 2,5-3 g/Tag an Omega-3-Fettsäuren]), 45-55% Kohlenhydraten (<10% aus raffiniertem Zucker) und 25-35 g/Tag Ballaststoffe. Zusätzlich wurde ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse, Vollkornprodukten, fettarmen Milch- und Fleischprodukten, die Begrenzung des Zuckers auf weniger als 50 g/Tag, die Verwendung von Pflanzenmargarine und Rapsöl anstelle von Butter sowie der Verzehr von mindestens zwei Portionen Fisch pro Woche empfohlen.
- Bewegung: Individuell zugeschnittene Programme für progressives Muskelkrafttraining (1-3 Mal pro Woche) (Kniestreckung und -beugung, Bauch- und Rückenmuskulatur, Rotation obere Rücken- und Armmuskulatur und Bankdrücken für die Muskeln der unteren Extremitäten) und Ausdauersport (2-5 Mal pro Woche), einschließlich Übungen zur Verbesserung des Gleichgewichts.
- Kognitives Training: Sitzungen mit Lerninhalten zu altersbedingten kognitiven Veränderungen, Gedächtnis und Denkstrategien für den Alltag sowie Aktivitäten und weitere Sitzungen zur Überprüfung der Fortschritte sowie einem Besuch bei der örtlichen Alzheimer-Gesellschaft. Soziale Aktivitäten wurden durch die zahlreichen Gruppentreffen aller Interventionsteilnehmenden angeregt.
- Überwachung körperlicher Risikofaktoren: Treffen mit Studienschwester und -arzt, um Blutdruck, Gewicht und BMI sowie Hüft- und Taillenumfang zu messen, körperliche Untersuchungen durchzuführen und Empfehlungen zum Lebensstilmanagement zu geben.
Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass eine multidimensionale Intervention die kognitive Leistungsfähigkeit von gefährdeten älteren Menschen aus der Allgemeinbevölkerung verbessern oder erhalten kann.
Empfehlungen der WHO
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Richtlinie zur Risikoverringerung des kognitiven Rückgangs veröffentlicht, die folgende Aspekte hervorhebt:
- Körperlich aktiver Lebensstil
- Einleitung von Interventionsmaßnahmen bei Tabakabhängigkeit
- Gesunde, ausgewogene Ernährung/ mediterrane Ernährung
- Reduzierung von Alkoholkonsum
- Kognitives Training
- Soziale Teilhabe und Unterstützung
- Gewichtskontrolle (Vermeidung von Übergewicht)
- Senkung bzw. Kontrolle des Bluthochdrucks
- Senkung des Cholesterinspiegels
- Behandlung von Diabetes, in Form von Medikamenten und/oder Lebensstilinterventionen
- Behandlung von Depressionen, in Form von Antidepressiva und/oder psychologischen Interventionen (psychologische Behandlungen, Reaktivierung sozialer Netzwerke etc.)
- Früherkennung von Hörverlust & Nutzung von Hörgeräten bei Hörverlust
Ganzheitliche Ansätze
Viele Modelle können jedoch die Komplexität des Lebensstils nicht erfassen, da der Lebensstil viel mehr als die Summe quantifizierbarer Größen (kognitives Training, körperliche Aktivität, Ernährung etc.) ist. Allerdings können subjektive Lebensqualität und Seelenfrieden als latente Konstrukte schwer gemessen werden.
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Beispiele für ganzheitliche Ansätze, die Körper und Geist verbinden:
- Wandern
- Spielen eines Musikinstrumentes
- Tanzen
- Yoga
Weitere Risikofaktoren und Präventionsstrategien
Neben den bereits genannten Faktoren gibt es weitere Aspekte, die das Demenzrisiko beeinflussen können und entsprechende Präventionsstrategien erfordern:
- Schlafmittel und Co.: Medikamente gegen Inkontinenz, Schlafstörungen oder Depressionen scheinen in höherer Dosis oder bei länger Anwendung das Risiko für Demenz zu erhöhen - und zwar auch, nachdem sie abgesetzt wurden. Forscher raten, anticholinerge Medikamente in der niedrigst möglichen Dosis zu verschreiben, den Therapieerfolg regelmäßig zu prüfen und die Behandlung zu beenden, falls die Medikamente nicht die gewünschte Wirkung zeigen.
- Säureblocker: Senioren, die im Rahmen einer Studie Säureblocker wie Omeprazol und Pantoprazol über längere Zeit einnahmen, erkrankten mit einer um 44 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit an Demenz als Probanden, die keine Protonenpumpenhemmer bekommen hatten. Ob tatsächlich die Medikamente oder ein unbekannter gemeinsamer Faktor die Demenzgefahr erhöhten, ist allerdings noch ungeklärt. So oder so sollten die Hemmer nur genommen werden, wenn unbedingt nötig.
- Vitamin-D-Mangel: Menschen mit Vitamin-D-Mangel haben ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Bei starkem Mangel steigt die Wahrscheinlichkeit sogar noch weiter. Vitamin D steckt zwar auch in einigen Nahrungsmitteln, wie zum Beispiel Fisch, aber fast 90 Prozent des Bedarfs produziert man selbst.
- Stress: Große seelische Belastungen treiben das Demenzrisiko in die Höhe. Eine mögliche Erklärung ist, dass Stress zu hormonellen Veränderungen führt, die sich negativ auf das zentrale Nervensystem auswirken.
- Unstabile Persönlichkeit: Wer emotional weniger stabil ist, also beispielsweise besonders nervös, ängstlich, launisch, unsicher und stressempfindlich, trägt offenbar ein erheblich höheres Risiko für Alzheimer als emotional gefestigte Menschen.
- Einsamkeit: Wer einsam ist, leidet darunter, dass er alleine ist. Genau dieses Gefühl ist offenbar auch ein Risikofaktor für eine Demenz. Hier hilft rechtzeitiges Gegensteuern, zum Beispiel, indem man versucht, sein soziales Netz zu festigen und auszubauen.
- Luftverschmutzung: Auch dreckige Luft steht im Verdacht das Demenzrisiko zu erhöhen. Wie genau die mikroskopisch kleinen Partikel ins Hirn gelangen, ist allerdings noch unklar, so die Studienautoren.
- Gewicht: Zu fettleibig oder zu mager - beides ist nicht gut, wenn es um das Risiko für Demenz geht.
- Sehschwäche: Wenn das Sehvermögen nachlässt und nicht ausgeglichen wird, gehen dem Gehirn wichtige Reize verloren. Menschen mit unbehandelten Sehschwächen haben ein deutlich höheres Risiko, an Demenz zu erkranken.
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