14 Faktoren gegen Demenz: Aktuelle Forschung und Präventionsstrategien

Demenz und insbesondere die Alzheimer-Krankheit stellen eine wachsende Herausforderung für die Gesellschaft dar. Da heilende Therapien noch fehlen, rückt die Prävention immer stärker in den Fokus. Die Lancet-Kommission zur Prävention, Intervention und Pflege von Demenz hat in ihrer neuesten Studie zwei neue Risikofaktoren identifiziert: abnehmendes Sehvermögen und zu hohe Cholesterinwerte. Damit erhöht sich die Anzahl der vermeidbaren Risikofaktoren auf 14. Durch einen gesunden Lebensstil und medizinische Vorsorge können laut Studie 45 Prozent der Demenzerkrankungen verzögert oder verhindert werden.

Demenz: Eine wachsende Herausforderung

In Deutschland leben etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenz, wobei die Alzheimer-Krankheit die häufigste Form darstellt. Da es derzeit keine Heilung gibt, ist es entscheidend, die Risikofaktoren zu verstehen und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Demenz ist ein Oberbegriff für verschiedene Erkrankungen, die mit einer Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten einhergehen. Zu den Symptomen gehören Gedächtnis- und Orientierungsprobleme, Sprachstörungen sowie Veränderungen des Denk- und Urteilsvermögens. Im fortgeschrittenen Stadium sind die Betroffenen auf fremde Hilfe angewiesen und pflegebedürftig. Die verschiedenen Demenzerkrankungen unterscheiden sich in der Art und Weise, wie sie das Gehirn und dessen Funktion beeinträchtigen.

Die Zahlen sind alarmierend: Im Jahr 2023 erkrankten in Deutschland schätzungsweise zwischen 364.000 und 445.000 Menschen über 65 Jahre neu an Demenz. Prognosen zufolge könnte die Anzahl der Betroffenen bis 2050 auf 2,7 Millionen ansteigen. Auch global gesehen ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen.

Die 14 Risikofaktoren im Überblick

Die Lancet-Kommission hat eine umfassende Liste von Risikofaktoren zusammengestellt, die potenziell beeinflussbar sind. Diese Faktoren umfassen verschiedene Bereiche des Lebensstils und der Gesundheit:

  1. Geringe Bildung: Ein niedriger Bildungsstand kann das Demenzrisiko erhöhen. Bildung fördert die kognitive Reserve, die das Gehirn widerstandsfähiger gegen Schäden macht.
  2. Eingeschränkte Hörfähigkeit: Schwerhörigkeit führt oft zu sozialer Isolation und verminderter Stimulation des Gehirns.
  3. Hoher Cholesterinspiegel: Insbesondere im mittleren Lebensalter kann ein erhöhter Cholesterinspiegel die Bildung von schädlichen Proteinablagerungen fördern.
  4. Depressionen: Anhaltende Niedergeschlagenheit und sozialer Rückzug können das Gehirn belasten.
  5. Kopfverletzungen: Schädel-Hirn-Traumata können langfristige Schäden verursachen und das Demenzrisiko erhöhen.
  6. Bewegungsmangel: Körperliche Inaktivität beeinträchtigt die Durchblutung des Gehirns und schwächt Nervenzellen.
  7. Diabetes Typ 2: Diabetes kann den Glukosestoffwechsel im Gehirn verändern und Amyloid-Ablagerungen begünstigen.
  8. Rauchen: Rauchen schädigt die Gefäße und beeinträchtigt den Hirnstoffwechsel.
  9. Bluthochdruck: Hoher Blutdruck schädigt die Gefäße und kann die Durchblutung des Gehirns beeinträchtigen.
  10. Starkes Übergewicht: Übergewicht, insbesondere im mittleren Lebensalter, erhöht das Demenzrisiko.
  11. Übermäßiger Alkoholkonsum: Alkohol schädigt Nervenzellen und kann das Demenzrisiko erhöhen.
  12. Soziale Isolation: Mangelnde soziale Kontakte können das Gehirn unterfordern und den geistigen Abbau beschleunigen.
  13. Luftverschmutzung: Feinstaub und andere Luftschadstoffe können Entzündungen im Gehirn fördern.
  14. Einschränkungen der Sehkraft: Unbehandelte Sehschwächen können die geistige Anregung reduzieren und soziale Isolation verstärken.

Abnehmendes Sehvermögen: Ein neuer Risikofaktor

Sehbehinderungen können das Demenzrisiko insbesondere im späten Lebensalter erhöhen. Laut Lancet-Studie kann man das Erkrankungsrisiko um zwei Prozent senken, wenn besonders im hohen Alter Sehschwächen ausgeglichen werden. Weltweit bleiben bei 12,5 Prozent der Menschen über 50 Jahren Sehschwächen unbehandelt.

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„Ein abnehmendes Sehvermögen kann ähnliche Folgen haben, wie Schwerhörigkeit. Menschen, die schlechter sehen oder hören ziehen sich oft zurück und sind sozial weniger aktiv. Durch die soziale Isolation verarbeitet das Gehirn weniger Reize und wird weniger stimuliert. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab und die Betroffenen haben ein höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken“, erklärt Dr. Anne Pfitzer-Bilsing von der Alzheimer Forschung Initiative. „Außerdem kann soziale Isolation zu Depressionen führen, die ebenfalls zu den Demenz-Risikofaktoren zählen.“

Hohes Cholesterin: Ein weiterer vermeidbarer Faktor

Zu hohe Cholesterinwerte gehören laut Lancet zu den vermeidbaren Risikofaktoren im mittleren Lebensalter und beeinflussen das Erkrankungsrisiko um sieben Prozent. Ist der Cholesterinwert im Normalbereich, z.B. durch die Einnahme von Cholesterinsenkern, sinkt das Risiko auf Null.

Ein hoher Cholesterinspiegel kann die Bildung von schädlichen Proteinablagerungen fördern. Diese Amyloid-Plaques sind ein charakteristisches Merkmal der Alzheimer-Krankheit.

„Ein hoher Cholesterinspiegel kann aber auch andere Demenzerkrankungen begünstigen. Hohe Cholesterinwerte können zu Ablagerungen in den Blutgefäßen führen, die die Blutversorgung des Gehirns beeinträchtigen. Dadurch steigt das Risiko für eine vaskuläre Demenz“, erläutert Pfitzer-Bilsing. „Mit Aufnahme des Cholesterins in die Liste der Risikofaktoren unterstreicht die Lancet-Kommission die Wichtigkeit der Herz-Kreislauf-Gesundheit für die Demenzprävention. Denn Herz- und Kreislauf-Erkrankungen stehen in Zusammenhang mit einem weiteren Risikofaktor für Demenz, dem Bluthochdruck.“ Viele Studien haben gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen hohem LDL-Cholesterin und späteren Demenz besteht. LDL-Cholesterin begünstigt Gefäßverkalkungen und das Fortschreiten von Ablagerungen in den Gefäßen.

Präventionsstrategien: Was kann man tun?

Obwohl Demenz noch nicht heilbar ist, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, das Risiko zu senken und den Ausbruch der Krankheit zu verzögern. Ein gesunder Lebensstil spielt dabei eine zentrale Rolle:

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  • Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Omega-3-Fettsäuren kann das Gehirn schützen.
  • Regelmäßige Bewegung: Sportliche Aktivität fördert die Durchblutung des Gehirns und stärkt die Nervenzellen.
  • Geistige Aktivität: Lebenslanges Lernen und geistige Herausforderungen halten das Gehirn fit.
  • Soziale Kontakte: Pflegen Sie Freundschaften und nehmen Sie aktiv am gesellschaftlichen Leben teil.
  • Vermeidung von Risikofaktoren: Reduzieren Sie Alkoholkonsum, rauchen Sie nicht und achten Sie auf ein gesundes Gewicht.
  • Medizinische Vorsorge: Lassen Sie regelmäßig Ihre Cholesterinwerte, Blutdruck und Sehfähigkeit überprüfen.

Maßnahmen zur Vorbeugung im Detail

  1. Erhöhten LDL-Cholesterinspiegel senken: Demenzforscher kommen auf sieben Prozent weniger Demenzfälle, wenn ein erhöhter LDL-Cholesterin-Wert gesenkt wird.
  2. Sehverlust vorbeugen: Wer etwa eine leichte Kurzsichtigkeit hatte, dessen Demenzrisiko lag um 19 Prozent höher als das von Menschen, die keine Beeinträchtigung hatten.
  3. Schwerhörigkeit erkennen und ausgleichen: Mit dem passenden Hörgerät sinkt das Demenzrisiko wieder deutlich.
  4. Auf Bildung achten - und zwar lebenslang: Wer sich lebenslang geistig fordert, kann sein Alzheimerrisiko senken.
  5. Kopfverletzungen, also Schädel-Hirn-Traumata, so gut wie möglich vermeiden: Schützen Sie also Ihren Kopf bei Sportarten wie Klettern, aber auch beim täglichen Radfahren, mit einem Helm.
  6. Bluthochdruck vorbeugen beziehungsweise senken: Am besten lassen Sie es erst gar nicht soweit kommen, dass Bluthochdruck entsteht. Das gelingt in den meisten Fällen mit Rauch- und Alkoholverzicht, Normalgewicht halten, täglich für ausreichend Bewegung sorgen.
  7. Weniger Alkohol ist besser: Sicher ist jedoch, dass völlig alkoholfrei zu leben ermöglichen kann, dass der Körper Alkohol bedingte Hirnschäden wieder zumindest teilweise repariert.
  8. Adipositas - Übergewicht abbauen: Vor allem ein BMI von 30 und mehr, in mittleren Jahren, ist mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden. Es steigt um mehr als 30 Prozent.
  9. Mit dem Rauchen aufhören: Wer mit dem Rauchen aufhört, senkt die Risiken für sein Gehirn deutlich.
  10. Stress und Depression richtig behandeln: Mit entsprechenden Programmen (etwa Entspannung, leichtem Sport) sowie Psychopharmaka lassen sich Depressionen behandeln, das Gehirn kann sich erholen.
  11. Gesellschaft statt Einsamkeit und Isolation: Pflegen Sie deshalb Freundschaften, suchen Sie neue Kontakte, gehen Sie unter Menschen, nehmen Sie an Kursen teil, treten Sie einem Verein bei.
  12. Meiden Sie Luftverschmutzung und Feinstaub: Das bedeutet unter anderem, das Auto so oft wie möglich stehen zu lassen, öffentlichen Nahverkehr zu nutzen - und aufs Silvesterfeuerwerk zu verzichten, weil es jede Menge Feinstaub in die Luft bläst.
  13. Ausreichend Bewegung: Körperliche Inaktivität ist direkt mit Demenz verbunden.
  14. Diabetes-Typ-2 unbedingt vermeiden: Mit vernünftiger Ernährung und viel Bewegung lässt sich Typ-2-Diabetes meist vermeiden - und damit fällt auch dieser wichtige Demenzrisikofaktor weg.

Kritik und Einschränkungen

Obwohl die identifizierten Risikofaktoren vielversprechend erscheinen, ist es wichtig, einige Einschränkungen zu berücksichtigen. Kritiker weisen darauf hin, dass die Korrelation zwischen Risikofaktoren und Demenz nicht unbedingt eine Kausalität bedeutet. Es ist möglich, dass bestimmte Faktoren nur indirekt mit der Krankheit zusammenhängen oder dass frühe Symptome der Demenz die Ergebnisse verfälschen.

Stefan Teipel vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen kritisiert die versprochenen 45 Prozent vermeidbarer Demenzfälle als „unrealistisch hoch“. Er betont, dass die Effekte einzelner Faktoren sich nicht einfach aufsummieren lassen.

Auch Steffi Riedel-Heller vom Universitätsklinikum Leipzig gibt zu bedenken, dass die Zahlen sich auf eine vollständige Eliminierung der Risikofaktoren beziehen, was wenig realistisch ist.

Limitationen bei der Erforschung von Risikofaktoren

Die Diagnose der Demenz steht am Ende einer jahrzehntelangen Krankheitsentwicklung, die oft mit Verhaltensveränderungen einhergeht. Frühe Veränderungen des Zentralnervensystems vor einer Demenzdiagnose können zum Beispiel dazu führen, dass Sprachverständnisstörungen entstehen und dass die Nutzung von Hörgeräten als zu schwierig und frustrierend empfunden wird. Gewisse ‚Risikofaktoren‘ sind möglicherweise nur frühe Symptome im Vorfeld der Demenz - eine scheinbar umgekehrte Kausalität. Ihre Vermeidung oder Entfernung wird deshalb wahrscheinlich meist nicht zur Verringerung der Demenzhäufigkeit führen.

Schulbildung demonstriert ein weiteres Problem mit Risikofaktoren: Weil die Demenzdiagnose auf kognitiven Tests beruht, beschützt akademische Erfahrung vor einem pathologischen Testresultat und verringert das Risiko einer Demenzdiagnose (‚Kognitive Reserve‘).

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Methodik des Reports

Aus praktischen und ethischen Gründen ist es meistens unmöglich, randomisierte Kontrollstudien durchzuführen, die die Kausalität der Risikofaktoren und deshalb die Effektivität solcher vorgeschlagenen Interventionen in der Demenzvorbeugung beweisen könnten.

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