Das Rückenmark (Medulla spinalis) ist ein lebenswichtiger Teil des zentralen Nervensystems (ZNS), der im Wirbelkanal der Wirbelsäule liegt. Es handelt sich um einen schmalen, zylindrischen Strang aus Nervengewebe, der sich vom Gehirn bis zur Lendengegend erstreckt und als Verbindung zwischen dem Gehirn und den verschiedenen Körperteilen dient. Das Rückenmark spielt eine zentrale Rolle bei der Koordination und Kontrolle von Bewegungen, Reflexen und sensorischen Wahrnehmungen im Körper. Verletzungen oder Schäden am Rückenmark können schwerwiegende Auswirkungen auf die neurologische Funktion haben und zu Lähmungen, sensorischen Störungen oder anderen neurologischen Beeinträchtigungen führen.
Dieses Artikels soll einen detaillierten Überblick über die absteigenden Bahnen des Rückenmarks geben. Dabei werden Aufbau, Funktion und klinische Relevanz dieser wichtigen Strukturen erläutert.
Anatomie des Rückenmarks
Das Rückenmark ist etwa 45 Zentimeter lang und 1 bis 1,5 Zentimeter dick. Es verläuft im Wirbelkanal im Rücken und ist durch die Wirbelkörper und die Bandscheiben geschützt. Am unteren Ende verjüngt sich das Rückenmark zum Conus medullaris und endet als dünner Strang (Filum terminale).
Graue und weiße Substanz
Das Rückenmark besteht aus grauer und weißer Substanz (Substantia grisea und alba). Die graue Substanz befindet sich im Inneren des Rückenmarks und bildet eine Schmetterlings- oder H-Form. Sie enthält Nervenzellkörper, die in unterschiedlichen Schichten und Kerngebieten angeordnet sind und u.a. für die Verarbeitung und Weiterleitung von Empfindungen und Bewegungssteuerung zuständig sind. Die weiße Substanz bildet die äußere Schicht und besteht hauptsächlich aus Nervenfasern, die in unterschiedlichen Bahnen verlaufen. Diese Nervenfasern dienen der Kommunikation zwischen verschiedenen Regionen des Körpers und dem Gehirn.
Rückenmarkshäute (Meningen)
Das Rückenmark ist von drei Schichten von Schutzmembranen umgeben, den sogenannten Meningen (Rückenmarkshäute). Das sind die Dura mater (Pachymeninx, harte Hirnhaut) und die Leptomeninx (weiche Hirnhaut). Von außen nach innen sind dies:
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- die harte Außenhülle namens Dura mater spinalis
- die weichere Zwischenhaut namens Arachnoidea spinalis
- die zarte Innenhaut namens Pia mater spinalis
Zwischen der mittleren und der inneren Rückenmarkshaut liegt ein spaltförmiger Raum, der mit Nervenwasser (Liquor) gefüllt ist. Mediziner nennen ihn Subarachnoidalraum.
Spinalnerven
Aus jedem Segment des Rückenmarks entspringt ein spinales Nervenpaar. Die Fasernerven aus Vorder- und Hinterwurzeln vereinen sich paarweise und bilden die Spinalnerven. Diese stellen die Verbindung zu den Nerven der Körperperipherie her und markieren den Übergang zwischen zentralem Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) und peripherem Nervensystem (alle anderen Nerven im Körper). Insgesamt gibt es 31 bis 33 dieser Segmente:
- acht Halssegmente
- zwölf Brustsegmente
- fünf Lendensegmente
- fünf Kreuzbeinsegmente
- ein bis drei Steißbeinsegmente
Blutversorgung
Das Rückenmark wird durch das Blutkreislaufsystem mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Die Blutgefäße, die das Rückenmark versorgen, werden als Spinalarterien bezeichnet und kommen aus verschiedenen Segmenten der Aorta, der Hauptschlagader des Körpers. Die Blutversorgung des Rückenmarks ist besonders wichtig, da das Rückenmark viele lebenswichtige Funktionen kontrolliert, wie z.B. die Atmung, den Herzschlag und die Verdauung. Die Spinalarterien entspringen aus den Aa. vertebrales, A. cervicalis ascendens, A. intercostalis suprema, A. lumbalis und A. sacralis lateralis. A. sulcocommissuralis zweigt von der A. spinalis anterior ab. Aa. radiculares anteriores und posteriores speisen die A. spinalis anterior und die A. spinalis posterior.
Die Vv. spinales anteriores und posteriores drainieren das Blut des Rückenmarks. V. radiculares anteriores und posteriores bilden ein perimedulläres Venennetz. Halsbereich: Drainage in die V. vertebralis; Thorakalbereich: Drainage in die (Hemi-)Azygosvenen→ gemeinsame Drainage in die V. cava superior.
Funktion des Rückenmarks
Das Rückenmark erfüllt mehrere wichtige Funktionen:
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- Übertragung von Informationen: Das Rückenmark leitet Informationen zwischen dem Gehirn und den verschiedenen Teilen des Körpers, insbesondere bei der Übermittlung von Empfindungen und der Steuerung von Bewegungen.
- Reflexe: Durch das Rückenmark verlaufen auch Reflexbögen, die schnelle und automatische Reaktionen auf bestimmte Reize ermöglichen, ohne dass das Gehirn eingreifen muss. Ein Beispiel hierfür ist der Kniesehnenreflex.
- Regulation von Vitalfunktionen: Das Rückenmark ist an der Regulation verschiedener Vitalfunktionen beteiligt, wie z.B. der Atmung, der Herzfrequenz und des Blutdrucks.
Absteigende Bahnen des Rückenmarks
Die absteigenden Bahnen des Rückenmarks sind Nervenbahnen, die motorische Befehle vom Gehirn zu den Muskeln übertragen. Diese Bahnen sind essenziell für die willkürliche Steuerung von Bewegungen, die Aufrechterhaltung des Muskeltonus und die Modulation von Reflexen.
Überblick über die wichtigsten absteigenden Bahnen
Zu den wichtigsten absteigenden Bahnen gehören:
- Tractus corticospinalis (Pyramidenbahn): Diese Bahn ist die wichtigste für die willkürliche Steuerung von Bewegungen, insbesondere der distalen Extremitäten.
- Tractus rubrospinalis: Diese Bahn spielt eine Rolle bei der Steuerung von Bewegungen, insbesondere der Flexoren der Extremitäten.
- Tractus vestibulospinalis: Diese Bahn ist wichtig für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts und der Körperhaltung.
- Tractus reticulospinalis: Diese Bahn moduliert den Muskeltonus und die Reflexe.
- Tractus tectospinalis: Diese Bahn vermittelt reflektorische Bewegungen des Kopfes und des Halses als Reaktion auf visuelle oder auditive Reize.
Die Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis)
Die Pyramidenbahn ist die größte und wichtigste absteigende Bahn des Rückenmarks. Sie entspringt in der Großhirnrinde, insbesondere im primärmotorischen Kortex (Area 4) und im prämotorischen Kortex (Area 6). Die Axone der Neurone im Kortex ziehen durch die Capsula interna, den Hirnstamm und bilden im unteren Teil der Medulla oblongata die Pyramiden. Hier kreuzen sich die meisten Fasern (ca. 70-90%) zur Gegenseite (Decussatio pyramidum) und bilden den Tractus corticospinalis lateralis. Die restlichen Fasern (10-30%) ziehen ungekreuzt als Tractus corticospinalis anterior im Vorderstrang des Rückenmarks abwärts und kreuzen sich erstSegmenthöhe vor der Umschaltung auf die α-Motoneurone.
Die Fasern des Tractus corticospinalis lateralis ziehen im Seitenstrang des Rückenmarks abwärts und enden in den Vorderhörnern des Rückenmarks, wo sie auf Interneurone oder direkt auf α-Motoneurone schalten. Die α-Motoneurone innervieren die Skelettmuskulatur und steuern so die willkürlichen Bewegungen.
Die Pyramidenbahn ist besonders wichtig für die Steuerung von feinen, präzisen Bewegungen, insbesondere der Hände und Finger. Schädigungen der Pyramidenbahn führen zu Lähmungen (Paresen oder Plegien) und spastischenTonuserhöhungen der Muskulatur.
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Der Tractus rubrospinalis
Der Tractus rubrospinalis entspringt im Nucleus ruber im Mittelhirn. Die Fasern kreuzen sichDirect nach Ursprung und ziehen dann im Seitenstrang des Rückenmarks abwärts. Sie enden ebenfalls in den Vorderhörnern des Rückenmarks, wo sie auf Interneurone oder direkt auf α-Motoneurone schalten.
Der Tractus rubrospinalis spielt eine Rolle bei der Steuerung von Bewegungen, insbesondere der Flexoren der Extremitäten. Er wird auch als "Ersatzbahn" für die Pyramidenbahn angesehen, da er bei Schädigungen der Pyramidenbahn deren Funktion teilweise übernehmen kann.
Der Tractus vestibulospinalis
Der Tractus vestibulospinalis entspringt in den Vestibulariskernen im Hirnstamm. Es gibt zwei Anteile:
- Tractus vestibulospinalis lateralis: Er vermittelt Reflexe des Lage- und Gleichgewichtssinns, aktiviert die Extensoren und hemmt die Flexoren. Die Fasern ziehen ipsilateral abwärts und enden auf α- und γ-Motoneuronen (über Interneurone) im Vorderhorn des Rückenmarks.
- Tractus vestibulospinalis medialis: Er vermittelt monosynaptische Hemmung von Motoneuronen. Die Fasern ziehen ipsi- und kontralateral zum zervikothorakalen Mark und enden auf α- und γ-Motoneuronen (über Interneurone) im Vorderhorn des Rückenmarks.
Der Tractus vestibulospinalis ist wichtig für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts und der Körperhaltung. Er sorgt dafür, dass wir uns aufrecht halten können und nicht umfallen.
Der Tractus reticulospinalis
Der Tractus reticulospinalis entspringt in der Formatio reticularis im Hirnstamm. Es gibt zwei Anteile:
- Tractus reticulospinalis medialis (Tractus pontoreticularis): Er aktiviert die Extensoren und hemmt die Flexoren. Die Fasern ziehen ipsilateral abwärts und enden auf α- und γ-Motoneuronen (über Interneurone) im Vorderhorn des Rückenmarks.
- Tractus reticulospinalis lateralis (Tractus bulboreticularis): Er hemmt die Extensoren und aktiviert die Flexoren. Die Fasern ziehen ipsi- und kontralateral abwärts und enden auf α- und γ-Motoneuronen (über Interneurone) im Vorderhorn des Rückenmarks.
Der Tractus reticulospinalis moduliert den Muskeltonus und die Reflexe. Er ist auch an der Steuerung von automatischen Bewegungen beteiligt, wie z.B. dem Husten oder Niesen.
Der Tractus tectospinalis
Der Tractus tectospinalis entspringt im Colliculus superior im Mittelhirn. Die Fasern kreuzen sichDirect nach Ursprung und ziehen dann im Vorderstrang des Rückenmarks abwärts. Sie enden in den Halssegmenten des Rückenmarks, wo sie auf Interneurone schalten, die die Nackenmuskulatur innervieren.
Der Tractus tectospinalis vermittelt reflektorische Bewegungen des Kopfes und des Halses als Reaktion auf visuelle oder auditive Reize. Er sorgt dafür, dass wir uns schnell einem Geräusch oder einem sich bewegenden Objekt zuwenden können.
Klinische Bedeutung der absteigenden Bahnen
Schädigungen der absteigenden Bahnen des Rückenmarks können zu einer Vielzahl von neurologischen Ausfällen führen. Die Art und Schwere der Ausfälle hängen von der Lokalisation und dem Ausmaß der Schädigung ab.
Mögliche Folgen von Schädigungen
Mögliche Folgen von Schädigungen der absteigenden Bahnen sind:
- Lähmungen (Paresen oder Plegien): Schwäche oder vollständiger Verlust der willkürlichen Bewegungsfähigkeit.
- Spastik: Erhöhter Muskeltonus und überaktive Reflexe.
- Muskelschwund (Atrophie): Verlust von Muskelmasse aufgrund von Inaktivität.
- Koordinationsstörungen (Ataxie): Schwierigkeiten bei der Ausführung von zielgerichteten Bewegungen.
- Gleichgewichtsstörungen: Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts.
- Veränderungen des Muskeltonus: Erhöhter (Spastik) oder verminderter (Hypotonie) Muskeltonus.
- Reflexveränderungen: Überaktive (Hyperreflexie) oder abgeschwächte (Hyporeflexie) Reflexe.
- ** vegetative Dysfunktion:** Störungen der autonomen Funktionen, wie z.B. Blasen- und Darmfunktionsstörungen, sexuelle Dysfunktion und Kreislaufprobleme.
Ursachen von Schädigungen
Es gibt viele mögliche Ursachen für Schädigungen der absteigenden Bahnen, darunter:
- Trauma: Verletzungen des Rückenmarks, z.B. durch Unfälle oder Stürze.
- Entzündungen: Entzündungen des Rückenmarks (Myelitis), z.B. durch Infektionen oder Autoimmunerkrankungen.
- Gefäßerkrankungen: Durchblutungsstörungen des Rückenmarks, z.B. durch Schlaganfall oder Gefäßverschlüsse.
- Tumore: Tumore, die auf das Rückenmark drücken oder in das Rückenmark einwachsen.
- Degenerative Erkrankungen: Erkrankungen, die zu einem fortschreitenden Abbau von Nervenzellen führen, z.B. Multiple Sklerose (MS) oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).
- Bandscheibenvorfälle: Bandscheibenvorfälle, bei denen Bandscheibengewebe auf das Rückenmark oder die Nervenwurzeln drückt.
- Spinalkanalstenose: Verengung des Spinalkanals, die zu einer Kompression des Rückenmarks führen kann.
- Infektionen: Infektionen wie Meningitis oder Enzephalitis, die das Rückenmark betreffen können.
- Autoimmunerkrankungen: Autoimmunerkrankungen wie MS, die das Rückenmark angreifen können.
Diagnostik
Die Diagnose von Schädigungen der absteigenden Bahnen umfasst in der Regel eine neurologische Untersuchung, bildgebende Verfahren (MRT, CT) und elektrophysiologische Untersuchungen (NLG, EMG).
Therapie
Die Therapie von Schädigungen der absteigenden Bahnen richtet sich nach der Ursache der Schädigung. In einigen Fällen kann eine Operation erforderlich sein, z.B. um einen Tumor zu entfernen oder einen Bandscheibenvorfall zu beheben. In anderen Fällen können Medikamente eingesetzt werden, z.B. um Entzündungen zu reduzieren oder Schmerzen zu lindern. Physiotherapie und Ergotherapie sind wichtige Bestandteile der Rehabilitation, um dieFunktion zu verbessern und dieKompetenzen zu erhalten.
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