Das Nervensystem ist ein komplexes Netzwerk, das unseren Körper steuert und uns mit der Umwelt interagieren lässt. Es besteht aus Abermilliarden von Nervenzellen und Nervenbahnen, die bewusste und unbewusste Prozesse steuern. In diesem Artikel werden wir uns mit den langen Bahnen im Nervensystem befassen, insbesondere mit ihrer Definition, Funktion und Bedeutung in der Neurologie.
Unser Nervensystem im Alltag
Um die Komplexität des Nervensystems zu veranschaulichen, betrachten wir eine alltägliche Szene an der Kaffeemaschine. Wenn wir uns eine Tasse Kaffee zubereiten und genießen, ist unser Nervensystem ständig aktiv.
- Sensorisches Nervensystem: Unsere Augen, Ohren, Nase, Zunge und Hautsensoren senden Informationen über Aussehen, Geruch, Gewicht, Temperatur und Geschmack des Kaffees an das Gehirn.
- Motorisches Nervensystem: Das Gehirn berechnet, wie wir nach der Tasse greifen müssen, und sendet über das Rückenmark und die Nervenzellen an den Muskeln den Befehl zum Ausstrecken der Hand.
- Vegetatives Nervensystem: Unbewusst steuert das vegetative Nervensystem die Verdauung des Kaffees sowie Herztätigkeit, Atmung, Kreislauf, Schweißbildung und Körpertemperatur.
Allgemeine Fakten zum Nervensystem
- Gewicht: Das Nervensystem wiegt etwa 2 kg, wobei das Gehirn etwa 1,3 kg ausmacht. Das sind nur etwa 3 % des durchschnittlichen Körpergewichts.
- Koffeinwirkung: Koffein überwindet die Blut-Hirn-Schranke und wirkt direkt auf das zentrale Nervensystem, indem es Adenosinrezeptoren blockiert, was zu einer belebenden Wirkung führt.
- Nervenbahnenlänge: Alle Nervenbahnen eines erwachsenen Gehirns sind etwa 5,8 Millionen Kilometer lang, was 145 Erdumrundungen entspricht.
- Lernen: Je öfter wir eine Handlung wiederholen, desto stärker werden die Verbindungen zwischen den beteiligten Nervenzellen. Lernen ist wie das Anlegen von Trampelpfaden im Gehirn.
Signalübertragung: Nervenbahnen, Nervenzellen und Synapsen
Nervenbahnen durchziehen den gesamten Körper und leiten Reize zum Gehirn und Befehle zurück. Eine Nervenbahn besteht aus gebündelten Nervenzellen (Neuronen), die von einer Schutzhülle umgeben sind. Jeder Mensch hat Abermilliarden von Nervenzellen, die Signale von Nachbarzellen empfangen und über den Stamm (Axon) zu den Synapsen, den Kontaktstellen zur nächsten Zelle, senden. Eine Nervenzelle kann bis zu 100.000 Synapsen haben.
Die Pyramidenbahn: Eine wichtige Nervenbahn
Die Pyramidenbahn (Tractus pyramidalis) ist eine der wichtigsten Nervenbahnen des Körpers. Sie leitet Impulse vom Gehirn über das Rückenmark weiter, um die willkürliche Steuerung der peripheren Muskeln zu ermöglichen.
Verlauf der Pyramidenbahn
- Ursprung: Die Pyramidenbahn entspringt hauptsächlich im Gyrus praecentralis des motorischen Kortex.
- Verlauf im Gehirn: Die Fasern ziehen als Bündel durch die Capsula interna und verlaufen im Mesencephalon in den Hirnschenkeln (Crura cerebri).
- Verlauf im Hirnstamm: Im Hirnstamm verlassen die Fibrae corticonucleares die Bahn und ziehen zu den motorischen Hirnnervenkernen, die die Muskeln an Kopf und Hals steuern.
- Pyramidenkreuzung: Am unteren Ende der Medulla oblongata kreuzen zwischen 75 und 90 % der Pyramidenbahnfasern auf die Gegenseite (Decussatio pyramidum).
- Verlauf im Rückenmark: Der gekreuzte Faseranteil verläuft als "Tractus corticospinalis lateralis" im Seitenstrang des Rückenmarks, der ungekreuzte Anteil als "Tractus corticospinalis anterior" im Vorderseitenstrang.
- Ende: Die Fasern beider Tractus enden an Moto- und Interneuronen des Rückenmarks.
Funktion der Pyramidenbahn
Die Pyramidenbahn vermittelt die Willkürmotorik, insbesondere feinmotorische Bewegungen. Sie leitet alle dafür benötigten Informationen vom Gehirn aus weiter.
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Schädigung der Pyramidenbahn
Schädigungen der Pyramidenbahn können beispielsweise durch Schlaganfälle, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder Querschnittsläsionen entstehen. Unterbrechungen des Tractus pyramidalis führen zunächst zu einer schlaffen Lähmung im Gebiet unterhalb der Läsion.
Pyramidenbahnzeichen
Neurologische Symptome bei einer Schädigung der Pyramidenbahn werden als "Pyramidenbahnzeichen" bezeichnet. Dazu gehört das Wiederauftreten von Primitivreflexen, die normalerweise im Erwachsenenalter von der Pyramidenbahn unterdrückt werden.
Das Großhirn: Sitz höherer Funktionen
Das Großhirn lässt sich in Kortex (Hirnrinde), Medulla (Marklager) und nukleäre Abschnitte (Kerngebiete) unterteilen. Kortex und Kerngebiete bilden die graue Substanz, das Marklager die weiße Substanz.
Funktionelle Gliederung des Großhirns
- Projektionsneurone: Verbinden das Großhirn mit anderen Abschnitten des zentralen Nervensystems.
- Assoziationsneurone: Verbinden ipsilaterale Rindenareale.
Aufbau des Großhirns
Die Fissura longitudinalis cerebri teilt das Großhirn in zwei Hemisphären. Die Gyrierung der Hirnrinde führt zu einer Oberflächenvergrößerung. Das Großhirn wird in vier Lappen gegliedert: Frontal-, Parietal-, Temporal- und Okzipitallappen. In der Tiefe des Sulcus lateralis befindet sich die Insula.
Rindenfelder
Die Großhirnrinde lässt sich in den Isokortex (6-schichtig) und den Allokortex (3- bis 5-schichtig) unterteilen. Der Isokortex macht den größten Anteil aus. Der Hippocampus ist Teil des limbischen Systems. Die Pyramidenzelle ist das charakteristische Projektionsneuron der Großhirnrinde.
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Brodmann-Areale
Die Großhirnrinde lässt sich in 44 Areale nach Brodmann einteilen. Die thalamokortikalen Fasern als Input für die primären sensiblen Rindenfelder bedingen eine breite Ausbildung der Lamina IV. In den primären motorischen Rindenfeldern ist sie unterrepräsentiert.
Funktionelle Unterteilung des Kortex
Der Kortex kann in primäre Rindenfelder und Assoziationsfelder unterteilt werden. Primäre Rindenfelder sind Gebiete mit strenger somatotoper Gliederung. Sekundäre Rindenfelder sind unimodale Assoziationsareale mit gnostischen Funktionen. Tertiäre Rindenfelder ermöglichen höhere integrative Leistungen.
Basalganglien
Die Basalganglien sind subkortikale Kerngebiete, die an der Initiation und Modulation von Bewegungen sowie der Regulation des Muskeltonus beteiligt sind. Sie werden zum extrapyramidal-motorischen System (EPMS) gerechnet und bilden komplexe Schleifen zur Beeinflussung des motorischen Kortex.
Das limbische System: Emotionen und Gedächtnis
Das limbische System ist ein funktionelles System, das die Grundlage für assoziative Funktionen wie Steuerung des affektiven Verhaltens, Emotionen, Lernen und Gedächtnis bildet. Es beeinflusst darüber hinaus kortikale Aktivitäten und vegetative Funktionen.
Strukturen des limbischen Systems
Zu den Strukturen des limbischen Systems gehören:
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- Gyrus parahippocampalis und Hippocampus
- Corpus mamillare
- Thalamus
- Gyrus cinguli
- Amygdala
- Hypothalamus
- Bulbus olfactorius
- Ncl. basalis (Meynert)
- Habenulae
- Ncl. accumbens
Funktion des limbischen Systems
Die Amygdala ordnet den sensiblen Impulsen eine positive oder negative Bewertung zu. Sie bildet die Basis des emotionalen Gedächtnisses und dient als übergeordnete Kontrollinstanz für das vegetative System. Für die längerfristige Speicherung bewusster Gedächtnisinhalte sind intakte Strukturen des Papez-Neuronenkreises Voraussetzung.
Das motorische System: Steuerung von Bewegungen
Das motorische System ermöglicht es uns, über Bewegungen mit der Außenwelt zu interagieren. Die Anteile des motorischen Systems sind hierarchisch organisiert.
Hierarchie des motorischen Systems
- Assoziationsareale: Feststellung der Notwendigkeit einer Bewegung.
- Prämotorischer Kortex: Entwicklung eines Plans.
- Primär-motorischer Kortex: Weitergabe des Plans.
- Basalganglien, Kleinhirn, Hirnstammkerne: Modulierende Feedback-Systeme.
Motorischer Kortex
Der primäre motorische Kortex (Area 4) befindet sich im Gyrus praecentralis. Der supplementär-motorische und prämotorische Kortex (beide Teile der Area 6) schließen sich nach rostral an. Das frontale Augenfeld (Teil der Area 8) grenzt an den dahinter gelegenen prämotorischen Kortex.
Somatotopie im motorischen Kortex
Bestimmte Regionen im Gyrus praecentralis sind für die Innervation bestimmter Muskelgruppen des Körpers zuständig. Diese Somatotopie ist nicht proportional abgebildet (Homunculus).
Neuropathische Schmerzen: Nervenschädigung als Ursache
Neuropathische Schmerzen entstehen als direkte Folge einer Schädigung von „Gefühlsfasern“ des Nervensystems. Sie unterscheiden sich von anderen Schmerzen dadurch, dass die Schmerzimpulse in der Regel nicht mehr im Bereich der Nervenendigungen von Schmerzfasern in den Geweben des Körpers entstehen.
Symptome neuropathischer Schmerzen
- Brennende, bohrende, einschießende oder stechende Schmerzen
- Schmerzen treten oft in Ruhe auf
- Allodynie (Schmerzen durch leichte Berührungsreize)
- Hyperalgesie (verstärkte Schmerzempfindlichkeit)
Ursachen neuropathischer Schmerzen
- Bandscheibenvorfall
- Polyneuropathie (z. B. bei Diabetes mellitus)
- Gürtelrose (Herpes zoster)
- Nervenquetschungen oder Nervendurchtrennungen
- Phantomschmerzen
- Engpass-Syndrome (z. B. Karpaltunnel-Syndrom)
Diagnose neuropathischer Schmerzen
Die Diagnose wird anhand der Schmerzausbreitung, begleitenden Gefühlsstörungen und des Verteilungsmusters der Schmerzen gestellt. Ergänzende Untersuchungen sind:
- Schmerzzeichnung, Schmerzfragebögen
- Quantitative sensorische Testung (QST)
- Neurographie (Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit)
- Somatosensibel evozierte Potenziale (SEP)
- Bildgebende Verfahren (CT, MRT)
Behandlung neuropathischer Schmerzen
Die Behandlung ist oft schwierig und zielt auf eine Linderung der Beschwerden ab. Mögliche Therapieansätze sind:
- Medikamentöse Behandlung (individuell abgestimmt)
- Nicht-medikamentöse Verfahren (z. B. physikalische Maßnahmen, Ergotherapie, Psychotherapie)
- Operation zur Entlastung des betroffenen Nervs (in seltenen Fällen)
Das periphere Nervensystem: Verbindung zur Peripherie
Das periphere Nervensystem umfasst alle Nervenbahnen außerhalb von Gehirn und Rückenmark. Es leitet Impulse des Nervensystems zu den Muskeln bzw. Informationen der Peripherie an das Gehirn zurück.
Neurographie
Bei der Neurographie wird die Nervenleitung motorischer und sensibler Nerven dargestellt. Dazu werden die zu untersuchenden Nerven über einen Stromimpuls stimuliert. Anhand dieser Informationen können Aussagen über mögliche Erkrankungen peripherer Nerven getroffen werden.
Elektromyographie (EMG)
Bei der EMG-Untersuchung werden die Muskeln selbst untersucht. Dabei wird mit einer feinen Nadel in den Muskel eingestochen und die Muskelaktivität in Ruhe und bei leichter Muskelaktivität untersucht.
Rückenmark: Schaltzentrale des Nervensystems
Das Rückenmark ist eine wichtige Schaltzentrale des Nervensystems. Es leitet Informationen zwischen Gehirn und Peripherie und koordiniert Reflexe.
Aufbau des Rückenmarks
Das Rückenmark besteht aus grauer Substanz (Nervenzellkörper) und weißer Substanz (Nervenfasern). Die graue Substanz kann in 10 verschiedene Schichten (Laminae I-X) eingeteilt werden.
Funktion des Rückenmarks
- Weiterleitung von Informationen über die Afferenz zum Rückenmark und über die Efferenz zum Effektor.
- Der aktivierte Effektor führt die Reizantwort aus.
Motorik: Willkürliche und kontrollierte Muskelbewegungen
Die Motorik beschreibt sämtliche willkürliche und kontrollierte Muskelbewegungen des menschlichen Körpers. Hierzu zählen sowohl große Bewegungsabläufe wie das Gehen als auch die Mimik des Gesichts.
Spinale Motorik
Spinale Motorik ist Bewegungskoordination auf Rückenmarksebene mit der einfachsten Bewegungsantwort auf einen Reiz - dem Reflex.
Sensoren für die Motorik
- Muskelspindeln (Dehnungssensoren der Arbeitsmuskulatur)
- Sehnenorgane (Dehnungssensoren der Arbeitsmuskulatur, die den Spannungszustand messen)
- Gelenksensoren (für die verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten in den Gelenkachsen)
Reflexe
- Muskeleigenreflexe (z. B. Patellarsehnenreflex)
- Fremdreflexe (z. B. Fluchtreflex)
- Statokinetische Reflexe (zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts)
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