Absterben von Nervenzellen: Ursachen und Mechanismen

Das Absterben von Nervenzellen, auch bekannt als neuronaler Zelltod oder Neurodegeneration, ist ein zentrales Merkmal vieler neurologischer Erkrankungen. Diese Erkrankungen, die das Gehirn, das Rückenmark und die peripheren Nerven betreffen, können zu erheblichen Funktionsstörungen und Beeinträchtigungen führen. Die Ursachen für das Absterben von Nervenzellen sind vielfältig und oft komplex, was die Entwicklung wirksamer Therapien erschwert.

Einführung

Neurologische Erkrankungen umfassen Störungen bzw. Erkrankungen des Gehirns, des Rückenmarks sowie der peripheren Nerven. Entsprechend der vielfältigen Körperfunktionen, die das Nervensystem steuert, können die Symptome von neurologischen Erkrankungen sehr unterschiedlich sein. Die Ursachen bzw. die Pathogenese, die neurologischen Erkrankungen zugrunde liegen, sind zahlreich und teilweise noch nicht vollständig aufgeklärt.

Ursachen und Mechanismen des neuronalen Zelltods

Das Absterben von Nervenzellen ist ein komplexer Prozess, der durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden kann. Zu den Hauptursachen und Mechanismen gehören:

Genetische Faktoren

Bei einigen neurodegenerativen Erkrankungen spielen genetische Faktoren eine entscheidende Rolle. Mutationen in bestimmten Genen können dazu führen, dass Proteine fehlerhaft produziert werden, sich verklumpen und die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigen. Beispiele hierfür sind:

  • Morbus Parkinson: Rein erbliche Formen machen nur etwa 5-10 % aus. Eines der identifizierten „Parkinson-Gene“ (PARK1) ist für die Herstellung von Alpha-Synuclein verantwortlich. Liegt z. B. eine Genmutation vor, ist auch das Alpha-Synuclein defekt. Das „unbrauchbare“ Protein lagert sich als sogenannte „Lewy-Körperchen” in den Zellen ab, wodurch diese nicht mehr richtig arbeiten können und schließlich absterben. Bei einigen erblichen Formen der Parkinson-Krankheit haben die Menschen genetische Defekte im Alpha-Synuclein-Gen. Es wird angenommen, dass diese Defekte dazu führen, dass das Protein sich falsch faltet und zu schädlichen Fasern zusammenklumpt.
  • Chorea Huntington: Kinder erben mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent die Veranlagung von ihren Eltern. Das für Chorea Huntington verantwortliche Gen HTT befindet sich auf Chromosom 4. Bei Gesunden ist es für die Produktion des Eiweißes Huntingtin zuständig. Bei der Umsetzung der Gensequenz für Huntingtin kann es zu Fehlern kommen, wodurch ein falsch geformtes, nicht funktionsfähiges Huntingtin-Eiweiß entsteht.

Proteinaggregation

In Hirnzellen von Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen können Mediziner und Forscher unter dem Mikroskop Proteinverklumpungen sehen, die auch Aggregate genannt werden. Bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, ALS und Huntington scheinen solche Proteinaggregate für das Absterben von Nervenzellen mit verantwortlich zu sein. Wie diese Verklumpungen die Zellen schädigen ist bis heute nicht geklärt. Proteinverklumpungen im Zellplasma verhinderten den Transport von RNA und richtig gefalteten Proteinen zwischen Zellkern und Zellplasma. Weil die Aggregate klebrige Eigenschaften haben, werden aus der Zelle lebensnotwendige Proteine weggefangen.

Lesen Sie auch: Entdecke die erstaunliche Komplexität des Gehirns

Oxidativer Stress

Wie so viele Krankheiten könnte auch Parkinson auf oxidativen Stress zurückzuführen sein. Hierbei entsteht ein Ungleichgewicht aus Oxidantien und Antioxidantien, wodurch vermehrt und unkontrolliert toxische, sauerstoffhaltige Moleküle produziert werden. Diese greifen Mitochondrien (Energieversorgung der Zellen) und Lysosomen (Abbau von Stoffen) an, die überlebenswichtig für die Zellen sind. In der Folge kommt es wieder zum Zelluntergang. Gerade Dopamin-produzierende Nervenzellen stehen im Verdacht, besonders empfindlich auf oxidativen Stress zu reagieren.

Entzündungsreaktionen

Experten vermuten schon lange, dass die Parkinson-Erkrankung zumindest zum Teil eine Autoimmunerkrankung sein könnte. Bei Parkinson-Patientinnen und Patienten greifen die Abwehrzellen (T-Zellen) das Protein Alpha-Synuclein an, da das Immunsystem es fälschlicherweise als schädlichen Eindringling identifiziert. Bei der Multiplen Sklerose (MS) entstehen in der weißen Substanz von Gehirn und Rückenmark Entzündungsherde, in denen das körpereigene Immunsystem die Myelinschicht attackiert. Die Zerstörung der Myelinschicht führt dazu, dass die Signalweiterleitung entlang der Axone nicht mehr korrekt erfolgt, was letztendlich zu den Symptomen der MS führt.

Mitochondriale Dysfunktion

Parkin ist ein Protein, das für die korrekte Funktion der Mitochondrien unverzichtbar ist. Bei einigen Parkinson-Patientinnen und Patienten wurde eine Veränderung des Parkin-Proteins nachgewiesen, was darauf hindeutet, dass es eine Rolle bei der Entstehung der Krankheit spielt. Denn Parkin und ein Rezeptor namens Ret/GDNF stimulieren die Mitochondrien und können einander bei der Arbeit unterstützen.

Exzitotoxizität

Nach anderen Vermutungen könnten zu hohe Konzentrationen des Botenstoffs Glutamat bei ALS eine Rolle spielen.

Durchblutungsstörungen

Durchblutungsstörungen des Gehirns, z. B. Schlaganfall, können zum Absterben von Nervenzellen führen. Beim Schlaganfall kommt es zu einer plötzlich auftretenden Störung des Blutflusses im Gehirn und dadurch zur Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen. Das Gehirn wird lokal geschädigt und es kommt zu einem Verlust von Neuronen.

Lesen Sie auch: Nervenzellausstülpung einfach erklärt

Infektionen und Toxine

Auch Infektionen durch Bakterien und Viren können bei den Patienten zum Beispiel zu einer Entzündung der Hirnhäute führen. Solche Entzündungen schädigen das Gehirn und können sogar tödlich enden. Auch Giftstoffe können zu schweren Beeinträchtigungen von Gehirn und Nervensystem führen.

Medikamente

Die Parkinson-Symptome können auch durch bestimmte Medikamente ausgelöst werden. Es ist zwar genügend Dopamin vorhanden, dieses kann aber von den bereits mit den Dopamin-Blockern belegten Rezeptoren nur eingeschränkt aufgenommen werden. In der Folge kommt es nun auch zu einem Mangel an dopaminerger (=dopamingesteuerter) Aktivität im Gehirn mit ähnlichen Symptomen, die auch bei einer Parkinson-Krankheit auftreten können. Die häufigsten Dopamin-Blocker im Gehirn sind sogenannte Antipsychotika, auch Neuroleptika genannt.

Neurodegenerative Erkrankungen im Überblick

Das Absterben von Nervenzellen ist ein Kennzeichen verschiedener neurodegenerativer Erkrankungen. Zu den häufigsten gehören:

Morbus Alzheimer

Bei der Alzheimer-Krankheit sterben nach und nach Nervenzellen im Gehirn ab, was zu einem fortschreitenden Verlust der geistigen (kognitiven) Fähigkeiten führt. Im Gehirn von Menschen mit Alzheimer sammelt sich übermäßig viel Amyloid-beta zwischen den Gehirnzellen an und bildet kleinere, giftige Klumpen (Oligomere) und riesige Zusammenlagerungen (Plaques). Im Inneren der Gehirnzellen sorgt das Tau-Protein für die Stabilität und Nährstoffversorgung. Bei der Alzheimer-Krankheit ist das Tau-Protein chemisch so verändert, dass es seiner Funktion nicht mehr nachkommen kann und eine fadenförmige Struktur bildet.

Morbus Parkinson

Bei der Parkinson-Erkrankung kommt es zum Absterben von speziellen Neuronen, die für die Herstellung von Dopamin zuständig sind. Haben sich die Dopamin-Neuronen um rund 60-70 % reduziert, gerät das empfindliche Gleichgewicht der Botenstoffe aus den Fugen und der Körper kann diesen Verlust nicht mehr ausgleichen. Durch den Dopamin-Mangel und den gleichzeitigen Acetylcholin- und Glutamat-Überschuss kommt es zu Einschränkungen in der Kommunikation der Neuronen.

Lesen Sie auch: Grundlagen der synaptischen Übertragung

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

Amyotrophe laterale Sklerose (ALS) ist eine unheilbare Erkrankung des zentralen Nervensystems. Während des Krankheitsverlaufs sterben die motorischen Neuronen allmählich ab. Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine degenerative Erkrankung jener Nervenzellen, die für die willkürlichen Muskelbewegungen verantwortlich sind: die Motoneurone. Im Seitenstrang des Rückenmarks (Funiculus lateralis) verlaufen die Fasern der oberen Motoneurone und leiten die Befehle der Hirnrinde an die unteren Motoneurone weiter, deren Nervenfortsätze wiederum an den einzelnen Muskelfasern des Körpers enden1.

Chorea Huntington

Chorea Huntington gehört zu den erblich bedingten degenerativen Nervenerkrankungen. Das für Chorea Huntington verantwortliche Gen HTT befindet sich auf Chromosom 4. Bei Gesunden ist es für die Produktion des Eiweißes Huntingtin zuständig. Bei der Umsetzung der Gensequenz für Huntingtin kann es zu Fehlern kommen. Dabei setzt der Körper beispielsweise zu viele Moleküle des Eiweißbestandteils Glutamin zusammen. In der Folge entsteht ein falsch geformtes, nicht funktionsfähiges Huntingtin-Eiweiß.

Multiple Sklerose (MS)

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung. Es entstehen in der weißen Substanz von Gehirn und Rückenmark Entzündungsherde, in denen das körpereigene Immunsystem die Myelinschicht attackiert. Die Zerstörung der Myelinschicht führt dazu, dass die Signalweiterleitung entlang der Axone nicht mehr korrekt erfolgt.

Aktuelle Forschung und Therapieansätze

Die Erforschung der Ursachen und Mechanismen des neuronalen Zelltods ist ein aktives Feld der neurowissenschaftlichen Forschung. Wissenschaftler arbeiten daran, die zugrunde liegenden Prozesse besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln. Einige vielversprechende Forschungsbereiche sind:

  • Autophagie: Lara Marrone und Jared Sterneckert haben entdeckt, dass Interaktionen zwischen RNA-bindenden Proteinen für die ALS-Pathogenese kritischer sind als bisher angenommen. Sie zeigten, dass eine medikamenteninduzierte Proteinzerstörung (Autophagie) die pathologischen Prozesse reduziert, die mit abnormal akkumuliertem FUS verbunden sind. Die Wissenschaftler zeigten auch, dass die medikamenteninduzierte Proteinzerstörung (Autophagie) die pathologischen Prozesse reduziert, die mit abnormal akkumuliertem FUS verbunden sind. Sterneckert und seine Gruppe werden nun untersuchen, inwieweit die Förderung der Autophagie ein möglicher Therapieansatz für ALS-Patienten ist.
  • Genetische Ansätze: Gentherapeutische Ansätze zur Förderung der axonalen Regeneration und somit der Wiederherstellung von verlorengegangenen Funktionen nach Schädigungen des Gehirns und Rückenmarks.
  • Immunmodulation: Die gängigen Behandlungen der MS zielen in erster Linie auf eine Modulation des Immunsystems ab, um weitere Schübe zu verhindern bzw.

tags: #Absterben #von #Nervenzellen #Ursachen