Nervensterben: Ursachen und Mechanismen neurologischer Erkrankungen

Das Absterben von Nervenzellen, auch bekannt als Neurodegeneration, ist ein Kennzeichen verschiedener neurologischer Erkrankungen. Diese Erkrankungen können das Gehirn, das Rückenmark und das periphere Nervensystem betreffen und zu irreversiblen Funktionsverlusten führen. Die Ursachen für das Nervensterben sind vielfältig und oft komplex, wobei sowohl genetische als auch umweltbedingte Faktoren eine Rolle spielen können.

Ursachen und Mechanismen des Nervensterbens

1. Eingeschränkte Regenerationsfähigkeit des zentralen Nervensystems (ZNS)

Im Gegensatz zu peripheren Nerven können geschädigte Nervenfasern im Gehirn oder Rückenmark sich in der Regel nicht regenerieren. Nach einer Verletzung des ZNS sind die Neurone nicht in der Lage, ein regeneratives Wachstumsprogramm zu starten. Zudem wirkt die Umgebung im verletzten ZNS inhibitorisch auf die regenerierenden Axone. Dies führt zu dauerhaften Funktionsverlusten und lebenslangen Behinderungen, wie z.B. Querschnittslähmungen nach Rückenmarksverletzungen oder Erblindungen nach Sehnervschädigungen.

2. Traumatische Verletzungen des Gehirns (Schädel-Hirn-Trauma)

Eine traumatische Krafteinwirkung auf das Gehirn kann zu einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) führen. Dabei kommt es in der ersten Phase zu einer direkten Schädigung durch den Unfall, die nicht therapierbar ist, da zerstörte Neurone im Gehirn nicht regenerieren können. In der zweiten Phase treten sekundäre Schädigungen durch pathophysiologische Prozesse auf, die zu einer weiteren Zerstörung von Neuronen führen können. Diese sekundären Schädigungen sind prinzipiell therapierbar, sofern sich die pathophysiologischen Prozesse z.B. medikamentös beeinflussen lassen.

3. Neurodegenerative Erkrankungen

Bei neurodegenerativen Erkrankungen sterben nach und nach Neurone des ZNS ab. Die häufigsten Erkrankungen sind Alzheimer, Parkinson und Chorea Huntington. Die Ursachen können sowohl genetisch als auch sporadisch sein und sind nicht immer bekannt. Es wurden jedoch einige zelluläre Mechanismen identifiziert, die bei den meisten Erkrankungen zur Zellschädigung beitragen, darunter:

  • Störungen der Proteinhomöostase (Amyloid- und Tau-Ablagerungen bei Alzheimer, Synuclein bei Parkinson und Huntingtin bei Chorea Huntington)
  • Mutationen in Hitzeschockproteinen und Chaperonen
  • Erhöhter oxidativer Stress
  • Störungen der Mitochondrien oder des intrazellulären Transports
  • Entzündungsreaktionen

Häufig sind zuerst bestimmte Gehirnregionen betroffen, z.B. der Hippocampus bei Alzheimer oder die dopaminergen Neurone der Substantia nigra bei Parkinson.

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4. Schlaganfall

Beim Schlaganfall kommt es zu einer plötzlich auftretenden Störung des Blutflusses im Gehirn, wodurch das Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Dies führt zu einer lokalen Schädigung des Gehirns und zum Verlust von Neuronen. Die Ursache kann ischämisch sein (Verstopfung eines Blutgefäßes z.B. durch einen Thrombus) oder eine Hirnblutung. Da die Neurone im Gehirn nicht regenerieren, ist die Schädigung der betroffenen Zellen irreversibel.

5. Multiple Sklerose (MS)

Die Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, bei der Entzündungsherde in der weißen Substanz von Gehirn und Rückenmark entstehen. Das körpereigene Immunsystem attackiert die Myelinschicht, die die Axone der Nervenzellen umgibt. Die Zerstörung der Myelinschicht führt zu einer fehlerhaften Signalweiterleitung entlang der Axone. Mit Fortschreiten der Erkrankung sterben die Axone ab, sodass klinische Symptome sich nicht mehr verbessern.

6. Polyneuropathie

Unter einer Polyneuropathie versteht man eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen das periphere Nervensystem außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks geschädigt ist. Die Reizweiterleitung der Nerven ist gestört, und Reize werden nicht, zu stark oder abgeschwächt an das Gehirn geleitet. Kommandos vom Gehirn werden nicht mehr zuverlässig an die Muskeln und die inneren Organe weitergeleitet. Es gibt zwei Möglichkeiten der Schädigung:

  • Bei der demyelinisierenden Polyneuropathie zerfällt die Isolation um die Nervenfasern herum, sodass die elektrischen Impulse in der Nervenfaser nicht mehr richtig weitergeleitet werden.
  • Bei der axonalen Polyneuropathie geht die Nervenfaser selbst kaputt.

In den meisten Fällen liegt einer Polyneuropathie eine Stoffwechsel-Erkrankung zugrunde. Die häufigsten Ursachen sind Diabetes und Alkoholmissbrauch.

7. Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)

Die Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, ist eine neurodegenerative Erkrankung, die eine ganz bestimmte Gruppe von Nervenzellen betrifft: die motorischen Nervenzellen, auch Motoneuronen genannt. Sie befinden sich in Gehirn und Rückenmark und sind für die Steuerung der Muskeln zuständig. Die Motoneuronen werden durch die Krankheit zerstört. Die Folge sind fortschreitende Muskellähmungen.

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Auswirkungen des Nervensterbens

Das Absterben von Nervenzellen kann je nach betroffenem Bereich des Nervensystems zu unterschiedlichen Symptomen und Funktionsverlusten führen. Dazu gehören:

  • Motorische Störungen: Muskelschwäche, Lähmungen, Koordinationsprobleme, Muskelzucken, Muskelkrämpfe
  • Sensible Störungen: Kribbeln, Taubheitsgefühle, Schmerzen, vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden
  • Kognitive Störungen: Gedächtnisstörungen, Orientierungsprobleme, Persönlichkeitsveränderungen, Verhaltensänderungen
  • ** vegetative Störungen:** Herzrhythmusstörungen, Blähgefühl, Appetitlosigkeit, Durchfall, Verstopfung, Urininkontinenz, Stuhlinkontinenz, Impotenz, gestörtes Schwitzen, Kreislaufregulation
  • Sehstörungen: Gesichtsfeldausfälle, Erblindung
  • Sprachstörungen: Undeutliche oder verwaschene Sprache, Schwierigkeiten beim Sprechen
  • Schluckbeschwerden: Schwierigkeiten beim Schlucken von Nahrung und Flüssigkeit
  • Atembeschwerden: Schwierigkeiten beim Atmen, Kurzatmigkeit

Diagnose von Erkrankungen mit Nervensterben

Die Diagnose von Erkrankungen, die mit Nervensterben einhergehen, umfasst in der Regel eine umfassende neurologische Untersuchung, Anamnese und verschiedene diagnostische Tests. Dazu gehören:

  • Neurologische Untersuchung: Prüfung von Muskelkraft, Reflexen, Koordination, Sensibilität, Kognition und anderen neurologischen Funktionen.
  • Elektrophysiologische Untersuchungen: Elektroneurographie (Messung der Nervenleitgeschwindigkeit) und Elektromyographie (Messung der Muskelaktivität).
  • Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) des Gehirns und Rückenmarks, um strukturelle Veränderungen zu erkennen.
  • Laboruntersuchungen: Blut- und Urinuntersuchungen zur Identifizierung von Stoffwechselstörungen, Entzündungen, Infektionen oder anderen zugrunde liegenden Ursachen.
  • Liquoruntersuchung: Analyse des Gehirnwassers zur Identifizierung von Entzündungen, Infektionen oder anderen Anomalien.
  • Genetische Tests: Bei Verdacht auf eine erbliche Erkrankung.
  • Nerven-Muskel-Biopsie: Entnahme und Untersuchung einer Gewebeprobe aus einem Nerv oder Muskel, um die Ursache der Erkrankung zu finden.
  • Quantitative Sensorische Testung (QST): Messung des Temperaturempfindens zur Diagnose von Small-Fiber-Neuropathien.

Therapieansätze

Da das Absterben von Nervenzellen in vielen Fällen irreversibel ist, zielen die meisten Therapieansätze darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen, Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

  • Medikamentöse Therapie:
    • Riluzol: Medikament zur Behandlung der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), das den Krankheitsverlauf verzögern kann.
    • Antidepressiva und Antikonvulsiva: Medikamente zur Schmerzbekämpfung bei Polyneuropathie.
    • Immunmodulatorische Therapien: Medikamente zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS), die das Immunsystem modulieren, um weitere Schübe zu verhindern.
    • ** Cholinesterasehemmer und Memantin:** Medikamente zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit, die die Symptome lindern können.
  • Physio- und Ergotherapie: Verbesserung der Muskelkraft, Koordination und Beweglichkeit, Anpassung von Hilfsmitteln.
  • Logopädie: Verbesserung der Sprach- und Schluckfunktion.
  • Ernährungstherapie: Sicherstellung einer ausreichenden Nährstoffversorgung, insbesondere bei Schluckbeschwerden.
  • Psychologische Unterstützung: Bewältigung der emotionalen Belastung durch die Erkrankung.
  • Beatmung: Unterstützung der Atemfunktion bei fortschreitender Muskelschwäche.
  • Spezifische Therapien für Grunderkrankungen: Behandlung von Diabetes, Alkoholabhängigkeit, Schilddrüsenerkrankungen oder anderen Grunderkrankungen, die zum Nervensterben beitragen.

Forschung und zukünftige перспективен

Die Forschung im Bereich der neurologischen Erkrankungen konzentriert sich auf die Entwicklung neuer Therapieansätze, die das Fortschreiten des Nervensterbens aufhalten oder sogar rückgängig machen können. Dazu gehören:

  • Gentherapie: Ansätze zur Korrektur genetischer Defekte, die zum Nervensterben führen.
  • Stammzelltherapie: Ersatz zerstörter Nervenzellen durch neue, gesunde Zellen.
  • Neuroprotektive Strategien: Entwicklung von Medikamenten, die Nervenzellen vor Schädigung schützen.
  • Immuntherapie: Modulation des Immunsystems, um Entzündungsreaktionen im Gehirn zu reduzieren.
  • Früherkennung und Prävention: Identifizierung von Risikofaktoren und Entwicklung von Strategien zur Prävention neurologischer Erkrankungen.

Prävention und Lebensstilmaßnahmen

Einige Lebensstilmaßnahmen können dazu beitragen, das Risiko für neurologische Erkrankungen zu senken und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen:

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  • Gesunde Ernährung: Ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukten.
  • Regelmäßige Bewegung: Körperliche Aktivität zur Förderung der Durchblutung und des Stoffwechsels.
  • Vermeidung von Risikofaktoren: Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum.
  • Kontrolle von Risikofaktoren: Behandlung von Bluthochdruck, Diabetes und hohen Cholesterinwerten.
  • Geistige Aktivität: Förderung der geistigen Fitness durch Lesen, Lernen und soziale Interaktion.

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