ADHS und Epilepsie: Ein komplexer Zusammenhang

Epilepsien und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung) treten häufig gemeinsam auf. Kinder mit ADHS entwickeln deutlich häufiger eine Epilepsie als Kinder ohne ADHS. Umgekehrt haben Kinder mit Epilepsie ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko für eine ADHS. Dieser Artikel beleuchtet den komplexen Zusammenhang zwischen ADHS und Epilepsie, mögliche Ursachen, Diagnose und Therapieansätze.

Prävalenz und Subtypen

Etwa 4 bis 12 Prozent aller Kinder leiden an einer ADHS. Je nachdem, welche Symptome dominieren, unterscheidet man verschiedene ADHS-Subtypen:

  • Eine überwiegend hyperaktiv-impulsive Form
  • Eine überwiegende Aufmerksamkeitsstörung (Träumertyp)
  • Den Mischtyp, eine Kombination aus den beiden erstgenannten Typen

Bemerkenswert ist, dass bei Kindern mit Epilepsie und ADHS ein völlig anderer Subtyp der ADHS vorherrscht als bei Kindern mit ADHS ohne Epilepsie. Bei Kindern mit Epilepsie dominiert die ADHS vom Träumertyp.

Ein eigenes Krankheitsbild?

Diese unterschiedliche Dominanz der verschiedenen ADHS-Subtypen ist ein Hinweis darauf, dass es sich bei der Kombination aus ADHS und Epilepsie um ein eigenes Krankheitsbild handelt. ADHS zusammen mit Epilepsie ist eine besondere syndromale Erkrankung, die sich vom einfachen ADHS unterscheidet. Dazu passt auch die Beobachtung, dass es bei Kindern, die sowohl eine Epilepsie als auch eine ADHS haben, anders als in der Allgemeinbevölkerung keine Geschlechterbetonung gibt. Im Allgemeinen sind Jungen deutlich häufiger von einer ADHS betroffen als Mädchen.

Mögliche Ursachen und Pathologien

Erste Studien haben gezeigt, dass bei den betroffenen Kindern die ADHS häufig vor der Manifestation der Epilepsie besteht. Diese Beobachtung hat zu der Hypothese einer möglicherweise gemeinsamen Grundpathologie geführt. Eine Auswertung großer genetischer Datensätze zeigt, dass bestimmte Genloci, die für das Wachstum und die Funktion von Nervenzellen entscheidend sind, bei beiden Erkrankungen verändert sind.

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Zu dieser Theorie passt, dass die Epilepsie bei Kindern mit ADHS häufig viel schwerer und komplizierter verläuft als bei Kindern mit Epilepsie ohne ADHS. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass eine gemeinsame Hirnfunktionsstörung vorliegt, deren Ausdruck sowohl die ADHS als auch die Epilepsie sein könnten. Mögliche Ursachen für eine Assoziation beider Erkrankungen könnten eine gemeinsame genetische Disposition sein.

Bei einem Teil der ADHS-Patienten werden epileptiforme EEG-Muster, meist fokalen Typs, beobachtet. Ihre Inzidenz reicht je nach Untersuchung von 6% bis über 30%. In einer epidemiologischen Studie fanden sich z. B. Rolando-typische zentrotemporale Spikes signifikant häufiger als bei gesunden Kindern. Ferner könnten auch die Antiepileptika ADHS-Symptome hervorrufen. Jedoch zeigen Studien, dass sich die Mehrzahl dieser Medikamente (Ausnahme u. a. Phenobarbital und Benzodiazepine) in dieser Form nicht negativ auf die kognitiven Funktionen auswirken. Zudem spricht die Tatsache, dass Aufmerksamkeitsprobleme meist bereits vor der Erstmanifestation der Epilepsie bestehen, gegen einen ursächlichen Einfluss der Antiepileptika.

Symptome der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Epilepsie weisen eine relativ hohe Rate an gegenseitiger Komorbidität auf. Sie könnten auch ätiologische Gemeinsamkeiten haben.

Diagnose

Eine umfassende Diagnostik ist notwendig, um ADHS und Epilepsie zu erkennen und voneinander abzugrenzen. Dabei sollte erfragt werden, ob die ADHS-Symptomatik den Anfällen in vielen Fällen vorausgeht. Eine sorgfältige Anamnese und neurologische Untersuchung sind unerlässlich.

Ein wichtiger Aspekt ist die Differenzialdiagnose: Die Symptome einer ADHS vom Träumertyp, der bei Kindern mit Epilepsie überdurchschnittlich häufig vorliegt, werden leicht übersehen. Möglicherweise ist das gleichzeitige Vorliegen dieses ADHS-Typs ein Grund dafür, dass jugendliche Epileptiker in der Schule überzufällig häufig versagen und, wie Langzeitverläufe zeigen, deutlich schlechter sozial integriert sind.

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Therapie

Für die medikamentöse Therapie der ADHS ist es unerheblich, ob das betroffene Kind zusätzlich auch eine Epilepsie hat oder nicht. Kinder mit ADHS und Epilepsie sprechen zwar im Allgemeinen etwas schlechter auf die Therapie mit Stimulanzien an als Kinder mit ADHS ohne Epilepsie. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass die Behandlung mit Stimulanzien epileptische Anfälle provoziert. Die Therapie mit Methylphenidat ist sicher.

Das zur Behandlung der ADHS eingesetzte Methylphenidat ist ein Amphetaminderivat und wirkt hauptsächlich auf die präsynaptische Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin, nicht jedoch auf die Transmitter GABA, Glutamin- oder Asparaginsäure, denen in der Pathophysiologie von Krampfanfällen die entscheidenden Rollen zugewiesen werden. Auch die an der Epileptogenese beteiligten Kalzium- und Natriumkanäle werden von der Substanz nicht beeinflusst. Ein direkter Effekt des Psychostimulans erscheint also nicht wahrscheinlich. Über die Leberenzymhemmung vermittelte Interaktionen von Methylphenidat mit Antiepileptika wie Phenobarbital, Primidon, Phenytoin oder Ethosuximid, haben dem derzeitigen Kenntnisstand nach keine klinische Relevanz. Über mögliche Wechselwirkungen mit neueren Antiepileptika liegen zurzeit noch keine ausreichenden Informationen vor. Zwar kam es in einer Studie an 234 Kindern mit ADHS ohne Epilepsie unter Methylphenidat bei dreien jener 30 Kinder, die vor der Behandlung epileptiforme EEG-Muster aufwiesen, zum Auftreten von Krampfanfällen. Diese waren allerdings nicht zwangsläufig auf die Studienmedikation zurückzuführen. Mehrere Fallserien und andere Studien zeigten hingegen, dass Methylphenidat bei Kindern mit medikamentös kontrollierter Epilepsie eine sichere und wirksame Option der ADHS-Behandlung darstellt. Weder scheint es Anfällen Vorschub zu leisten, noch das EEG der Patienten zu verschlechtern.

Es ist wichtig zu beachten, dass auch die Antiepileptika ADHS-Symptome hervorrufen können. Jedoch zeigen Studien, dass sich die Mehrzahl dieser Medikamente (Ausnahme u. a. Phenobarbital und Benzodiazepine) in dieser Form nicht negativ auf die kognitiven Funktionen auswirken. Zudem spricht die Tatsache, dass Aufmerksamkeitsprobleme meist bereits vor der Erstmanifestation der Epilepsie bestehen, gegen einen ursächlichen Einfluss der Antiepileptika.

ADHS im Erwachsenenalter

Das ADHS beginnt im Kindesalter und persistiert oft bis ins Erwachsenenalter. Im Erwachsenenalter zeigt sich oft ein Symptomwandel. Die vielen negativen Erfahrungen, die in der Kindheit und Jugend von Menschen mit ADHS erlebt werden, führen oft zu großen Selbstzweifeln und Unsicherheiten im Erwachsenenalter. Im Rahmen der ADHS-Diagnostik im Erwachsenenalter wird u.a. geraten, auf stattgehabte epileptische Anfälle zu achten, da diese als Differenzialdiagnose zum ADHS meist nicht berücksichtigt werden.

Grad der Behinderung (GdB) bei ADHS

Bei ADHS (früher ADHS und ADS) kann vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) festgestellt werden, insbesondere wenn zusätzliche Beeinträchtigungen vorliegen, z.B. Teilleistungsschwächen. Unterstützung und Hilfen für Menschen mit Behinderungen sind hauptsächlich im SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - geregelt. Da seelische Störungen auch ADHS umfassen, kann ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen oder bei einer Mehrfachbehinderung bzw. bei Erwachsenen auf Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung bestehen, auch wenn (noch) kein GdB festgestellt wurde.

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Das Versorgungsamt, Amt für Soziale Angelegenheiten oder Amt für Soziales und Versorgung richtet sich bei der Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) nach den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen". In den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen gehört ADHS zu den sog. verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend. Damit ADHS in diesem Rahmen berücksichtigt wird, ist eine medizinische Diagnose nötig, die nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation aus der deutschen Version der ICD-10 gemacht wurde. Komorbide, das heißt zusätzlich zu ADHS auftretende psychische Störungen, wie z.B. Depressionen, muss das Amt gesondert berücksichtigen. Die Diagnose ADHS allein ist noch keine Behinderung. Eine Behinderung ist es erst, wenn eine sog. Teilhabebeeinträchtigung dazu kommt. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze fassen alle ADHS-Diagnosen unter der Kategorie "Hyperkinetische Störungen und Aufmerksamkeitsstörungen ohne Hyperaktivität" zusammen. Wie hoch der GdB ausfällt, hängt dabei von den Auswirkungen auf die Integrationsfähigkeit in mehreren Lebensbereichen ab.

Wenn wegen ADHS Leistungen wie z.B. Schulbegleitung, ambulant betreutes Wohnen, oder umfassendes ADHS-Coaching im Beruf erbracht werden, bedeutet das, dass "umfassende Unterstützung" nötig ist. Wenn Kinder oder Jugendliche wegen ADHS eine Förderschule besuchen müssen und Versuche der Inklusion scheitern, kann dies ebenfalls den GdB beeinflussen. Ab dem 25. Lebensjahr wird ein GdB nur in Ausnahmefällen festgestellt. Ausnahmen sind möglich, z.B. wenn auch nach dem 25. Geburtstag noch so starke Teilhabebeeinträchtigungen bestehen, oft in Kombination mit anderen psychischen Störungen, einer Intelligenzminderung und/oder einer körperlichen Behinderung.

Komorbiditäten

ADHS kommt selten allein, das heißt oft liegen weitere psychische Störungen vor, z.B. Depressionen. Auch eine sog. tief greifende Entwicklungsstörung (gemeint ist damit Autismus), sog. Teilleistungsstörugen (z.B. Legasthenie oder Dyskalkulie) und die Anfallserkrankung Epilepsie sind bei ADHS häufiger. Haben Menschen mit ADHS zusätzlich eine andere Behinderung, wird auch diese bei der Festlegung des GdB berücksichtigt. Sie erhalten einen Einzel-GdB wegen ADHS und je einen Einzel-GdB für jede weitere Behinderung. Für Betroffene ist es in der Praxis manchmal unwichtig, dass Einzel-GdBs für alle Störungen ermittelt werden, weil am Schluss ohnehin nur die Gesamtbeeinträchtigung zählt. Typische ADHS-Symptome können andere Ursachen haben und ADHS kann Symptome anderer Erkrankungen verursachen. Deshalb ist es in der Praxis oft schwer zu sagen, wann wirklich eine Komorbidität vorliegt und wann es sich eher um eine Fehldiagnose handelt.

Eine Intelligenzminderung bei ADHS ist möglich, aber relativ selten. Häufiger kommt es vor, dass ADHS selbst zu schlechteren Ergebnissen in einem IQ-Test und schlechteren Schulleistungen führt, so dass die wirkliche geistige Leistungsfähigkeit unterschätzt wird. Wird ADHS gut behandelt, verbessert sich oft auch die Leistung in einem IQ-Test erheblich. Nur selten werden ADHS und eine Intelligenzminderung als sog. kombinierte Störung diagnostiziert. Wenn zu ADHS eine Teilleistungsstörung hinzukommt, kann sich der Gesamt-GdB eventuell erhöhen. Teilleistungsstörungen sind z.B. die Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) oder die Rechenschwäche (Dyskalkulie).

Fazit

Der Zusammenhang zwischen ADHS und Epilepsie ist komplex und vielschichtig. Die Forschung deutet auf gemeinsame genetische und neurobiologische Ursachen hin. Eine sorgfältige Diagnostik und individualisierte Therapie sind entscheidend, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es ist wichtig, sowohl die ADHS als auch die Epilepsie adäquat zu behandeln und mögliche Komorbiditäten zu berücksichtigen.

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