Akupunktur bei Multipler Sklerose: Studienlage und Anwendung

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die sich individuell äußert und als "Krankheit mit den 1.000 Gesichtern" bekannt ist. Symptome wie Fatigue, Schmerzen und Einschränkungen der Exekutivfunktionen beeinträchtigen die Lebensqualität erheblich. Da MS nicht heilbar ist, zielen Behandlungen darauf ab, Symptome zu reduzieren, die Krankheitsprogression zu verlangsamen und die Lebensqualität zu erhalten. Ergänzende Therapien wie Akupunktur gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung.

Akupunktur als Teil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM)

Akupunktur ist eine traditionelle chinesische Behandlungsmethode, bei der durch gezielte Nadelstiche therapeutische Wirkungen erzielt werden sollen. Sie wird bei verschiedenen Beschwerden eingesetzt, und Studien deuten auf positive Effekte hin. Die Wirkungsmechanismen sind jedoch noch nicht vollständig geklärt.

Anwendung bei MS-bedingten Beschwerden

Für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) kann Akupunktur eine interessante Option sein, da sie bei unterschiedlichen Beschwerden wie Schmerzen, Verspannungen, Müdigkeit oder Schlafstörungen eingesetzt wird.

Aktuelle Studien und Forschungsprojekte

Mehrere Forschungsgruppen untersuchen derzeit die Wirksamkeit von Akupunktur bei verschiedenen MS-Symptomen.

BERN-Kurs zur Förderung der Selbstwirksamkeit

Prof. Dr. Tobias Esch von der Universität Witten/Herdecke evaluiert den speziell entwickelten BERN-Kurs, der Menschen mit Multipler Sklerose (MS) dabei helfen soll, ihre Selbstwirksamkeit zu erhalten oder zurückzuerlangen. Der BERN-Kurs vereint kognitive Verhaltensänderung (Behavior), Bewegung (Exercise), Entspannung (Relaxation) und Ernährung (Nutrition). Ziel ist der langfristige Aufbau widerstandsfördernder Ressourcen, die Entwicklung von Resilienz. Die Evaluation erfolgt unter Einbeziehung von Patienten, Behandelnden und Krankenkassen.

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Akupunktur bei Blasenstörungen

Dr. Joanna Dietzel und Prof. Dr. Benno Brinkhaus von der Charité - Universitätsmedizin Berlin untersuchen, ob die elektrische oder manuelle Stimulation von Akupunkturpunkten die Kontrolle über die Harnblasenfunktion bei MS-Patienten mit Blasenstörungen wiederherstellen kann. Blasenstörungen treten bei der Mehrzahl aller Patientinnen und Patienten mit MS auf. Die Elektrostimulation (TENS) und die Akupressur von Akupunkturpunkten im Unterschenkelbereich könnten solche Ansätze sein.

Akupunktur zur Linderung von Fatigue

Eine randomisierte, nicht verblindete Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des Exzellenzclusters Neurocure untersuchte die Wirkung von Akupunktur auf Fatigue bei MS-Patienten. Die Studie ergab, dass Akupunktur zusätzlich zur Normalversorgung die Fatigue lindern kann. Nach zwölf Wochen Akupunktur wurde ein FSS-Wert von 4,7 (95-Prozent-Konfidenzintervall: 4,4 bis 5,1) gemessen, in der Kontrollgruppe mit der herkömmlichen Behandlung lag der Wert bei 5,3 (5,0 bis 5,7; p = 0.009).

Selbst-Akupressur zur Reduktion von Fatigue

Eine Studie untersuchte die Wirksamkeit von Selbst-Akupressur auf Fatigue bei MS-Patienten. Die Patienten in der Experimentalgruppe wendeten Akupressur unter Verwendung der drei Akupunkturpunkte Di 4 (HeGu, Dickdarm 4), Mi 6 (San Yin Jiao, Milz 6) und Ma 36 (Zu San Li, Magen 36) an. Die Autoren schlussfolgerten, dass Selbst-Akupressur der genannten Punkte eine wirksame Methode sein könnte, um Fatigue-Beschwerden auch von Patienten mit MS zu reduzieren.

Akupunktur bei Migräne

Da sich die Beschwerdebilder von MS und Migräne zumindest teilweise überschneiden können, kann Akupunktur auch bei MS-Patienten mit Migräne eingesetzt werden. Eine Studie verglich die Wirksamkeit von Akupunktur mit einer Scheinakupunktur zur Prophylaxe von episodischer Migräne. Sowohl Akupunktur als auch Scheinakupunktur zeigten einen signifikanten Nutzen im Vergleich zu den Probanden, die nur die Standardtherapie erhalten hatten.

Akupunktur zur Verbesserung von Gangstörungen

Forscher aus Portugal haben in einer kleinen Studie mit 20 Teilnehmern mit schubförmiger MS untersucht, ob sich Gangstörungen durch Akupunktur bessern lassen. Die Forscher ließen die Teilnehmer vor und nach der Therapie mit Akupunktur einen Gehtest absolvieren, bei dem sie maßen, wie lange die Patienten für die vorgegebene Strecke brauchten. Die Forscher ließen die Teilnehmer vor und nach der Therapie mit Akupunktur einen Gehtest absolvieren, bei dem sie maßen, wie lange die Patienten für die vorgegebene Strecke brauchten.

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Erfahrungen aus der Praxis

In Online-Chats und Foren berichten MS-Patienten über ihre Erfahrungen mit TCM und Akupunktur. Dr. Ulrich März, ein Experte für TCM, beantwortete Fragen zu diesem Thema.

TCM und Akupunktur im Akuten Schub

Im akuten Schub wie auch dazwischen kann TCM/Akupunktur bei einer Vielzahl von Beschwerden hilfreich sein: Schmerzen, Fatigue, Missempfindungen, Gangstörungen, Schlafstörungen zählen dazu. Wie gut ein Patient auf die Behandlung anspricht ist individuell sehr unterschiedlich.

Akupunktur bei Kopfschmerzen

Bei Kopfschmerzen, die sonst nicht ohne weiteres beeinflussbar sind, sollten Sie auf jeden Fall Akupunktur probieren, hier kann sehr oft eine deutliche Besserung erreicht werden.

Akupunktur bei Fatigue

Es gibt eine ganze Reihe von Akupunkturpunkten, die stärkend wirken und das Qi positiv beeinflussen können. Diese können mit Akupressur, sanft wirksam, mit Laser, stärker wirksam, oder mit Akupunktur, stark wirksam stimuliert werden. Bei Fatigue werden im Rahmen der TCM vor allem auch chinesische Arzneipflanzen eingesetzt.

Die Rolle der Basistherapie

Aus Sicht von Dr. März sollte auf eine Basistherapie nicht verzichtet werden. Es gilt herauszufinden, welche derartige Therapie bei welchem Patienten am besten wirkt. Das ist oft nicht einfach.

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Das Finden von Therapeuten

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten in der Regel nicht.

Ganzheitliche Betrachtung

Wichtig ist, wie auch bei allen anderen komplizierteren Symptomen, dass eine ganzheitlich orientierte Untersuchung, Anamnese und Therapie erfolgt. Das heißt: bei verschiedenen Patienten können bestimmte Symptome eine unterschiedliche Auswahl von Akupunkturpunkten und Arzneimitteln erfordern. Ganzheitlich heißt konkret: wirklich alle Symptome eines Patienten, körperlich und psychisch, ob vermeintlich nicht mit der Grunderkrankung zusammenhängend oder nicht, müssen gesammelt und auf Krankheitsmuster überprüft werden.

Die Bedeutung der Umgebung

Neben der Punktauswahl und der Nadelung gibt es viele weitere Faktoren, die der Entspannung während einer Akupunktur förderlich sind: keine deutlichen Nadelschmerzen, angenehme Raumtemperatur, bequeme Lage, Vertrauen in den betreffenden Arzt, positive Gedanken …

Angst vor Spritzen

Es ist schon so dass die Akupunktur von Personen, die Angst vor Spritzen haben, als unangenehmer wahrgenommen wird. Das kann aber durch einen erfahrenen, einfühlsamen Arzt, durch eine sanfte Nadelung und durch den Einsatz besonders feiner Nadeln deutlich reduziert werden.

Erklärungsansätze der TCM für MS

Eine Erklärung, wie es zu der Erkrankung kommt, gibt es nicht. Es gibt Theorien, welche Faktoren beteiligt sein könnten, das ist alles. Faktoren die Hitze auslösen, was teilweise dem entspricht was bei uns Entzündung genannt wird. Faktoren, die Stagnation von Qi auslösen, z.B. Anspannung, Stress, genetische Einflüsse, Umwelteinfüsse.

Weitere komplementäre und alternative Therapien (KAT) bei MS

Neben der Akupunktur gibt es eine Vielzahl weiterer komplementärer und alternativer Therapien (KAT), die von MS-Patienten genutzt werden.

Sport und Bewegung

Jegliche Formen von Sport und Bewegung haben sich bei MS gut bewährt.

Stressreduktion

Therapien, die helfen können, Stress zu vermeiden, können für MS-Erkrankte wirkungsvoll sein. Gute Methoden der Stressreduktion sind unter anderem Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR), Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung sowie Bewegungstherapien mit Aufmerksamkeitskomponente (Yoga, Tai-Chi, Heileurythmie, Feldenkrais, Qigong).

Ernährung und Diäten

Es gibt zwar keine spezielle Diät für MS-Erkrankte, aber es wird vermutet, dass die Ernährungsweise MS-Symptome beeinflussen kann. Eine gesunde, ausgewogene Ernährung ist deshalb besonders wichtig.

Pflanzliche Präparate

Drei pflanzliche Wirkstoffe haben sich mit ermutigenden Studienergebnissen hervorgetan. Ginseng, über drei Monate verabreicht im Vergleich zu Placebo, zeigte bei den beteiligten MS-Erkrankten eine Besserung von Müdigkeit und allgemeiner Lebensqualität. Die in der Cannabis-Pflanze enthaltenen Wirkstoffe THC und CBD können MS-Symptome wie Spastik und Schmerzen lindern sowie das Gangbild verbessern. Mut macht auch eine frühe Phase-II-Studie aus Deutschland, die zeigt, dass Weihrauch die Entzündungsaktivität bei MS signifikant senken kann. Auch bei Omega-Fettsäuren kann die entzündungshemmende Wirkung positive Effekte bei MS-Erkrankten haben, das gilt nachweisbar für die pflanzlich basierten Omega-6-Fettsäuren, die in Borretsch- oder Nachtkerzenöl vorkommen.

Vitaminmangel ausgleichen

Es gibt leider wenige evidenzbasierte Aussagen zur Wirksamkeit von Vitaminen als Nahrungsergänzung bei MS. Viele Empfehlungen basieren deshalb auf Annahmen. Ein Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Spiegel und MS wird vermutet, denn MS-Erkrankte haben häufig einen zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel. Die Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bei MS empfiehlt, einen solchen Mangel auszugleichen.

Therapien, von denen abgeraten werden sollte

Neben unwirksamen Therapien gibt es auch gefährliche Behandlungsmethoden, die zudem in der Regel nicht wissenschaftlich untersucht worden sind. Zu ihnen zählen die Verstärkung der Immunreaktion (sogenannte Immunaugmentation), die Frischzellentherapie, bei der Zellen von Kalbsföten oder jungen Kälbern gespritzt werden, die Behandlung mit Schlangen- oder Bienengift, die schwere Allergien nach sich ziehen kann sowie die intrathekale Stammzellentherapie, bei der dem Patienten eigene Stammzellen in den Rückenmarkskanal gespritzt werden und die tödlich verlaufen kann.

Kostenübernahme durch Krankenkassen

Krankenkassen bezahlen in der Regel all jene Therapien, die verschreibungspflichtig sind. Je nachdem, bei welcher Kasse Sie versichert sind und - im Fall einer Privatversicherung - welchen Tarif Sie abgeschlossen haben, können mitunter auch komplementäre Verfahren wie Akupunktur oder Homöopathie übernommen werden.

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