Akupunktur bei Nervenschmerzen: Studienlage und Anwendung

Nervenschmerzen, oft auch als neuropathische Schmerzen bezeichnet, stellen eine erhebliche Belastung für die Betroffenen dar. Sie können durch verschiedene Ursachen ausgelöst werden, wie beispielsweise Diabetes mellitus, Chemotherapie oder Verletzungen. Die Behandlung von Nervenschmerzen ist oft komplex und erfordert einen multimodalen Ansatz. In den letzten Jahren hat die Akupunktur zunehmend an Bedeutung als eine mögliche Therapieoption bei Nervenschmerzen gewonnen. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage zur Akupunktur bei Nervenschmerzen und gibt einen Überblick über die verschiedenen Anwendungsbereiche.

Akupunktur bei diabetischer Polyneuropathie

Die diabetische Polyneuropathie (DPN) ist eine häufige Komplikation des Diabetes mellitus, von der schätzungsweise die Hälfte aller Diabetiker im Laufe ihrer Erkrankung betroffen sind. Sie äußert sich durch Symptome wie Schmerzen, Kribbeln, Taubheit und Gangunsicherheit, insbesondere in den Beinen, und führt zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und einem erhöhten Sturzrisiko. Bisher gibt es keine etablierten Therapiekonzepte, die eine Heilung oder Regeneration der geschädigten Nerven ermöglichen.

Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur

In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) werden Erkrankungen des Nervensystems seit Jahrtausenden behandelt, unter anderem mit verschiedenen Formen der Akupunktur. Akupunktur und Laserakupunktur werden in westlichen Ländern hauptsächlich in der Schmerztherapie eingesetzt. Studien zur Schmerztherapie basieren jedoch oft auf subjektiven Patientendaten, da Schmerzen nicht objektiv messbar sind. Die diabetische Polyneuropathie stellt insofern eine Ausnahme dar, als ihr Schweregrad mittels Elektroneurographie (ENG) objektiv quantifiziert werden kann. Dies ermöglicht eine objektive Beurteilung der Wirksamkeit von Akupunktur.

Studienlage zur Akupunktur bei DPN

Es gibt diverse Berichte, die eine positive Wirkung von Akupunktur auf die Symptomatik der DPN zeigen. Allerdings mangelt es an eindeutig messbaren Ergebnissen und klinischen Studien, die die Wirksamkeit belegen. Eine Studie des HanseMerkur Zentrums zur Erforschung der Akupunktur der Polyneuropathie, in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin, konnte zeigen, dass Akupunktur bei diabetischer Polyneuropathie wirkt. Diese Studie bestätigte frühere Ergebnisse der ACUDIN-Studie, die sogar eine Verbesserung der Nervenleitgeschwindigkeit durch Akupunktur nachweisen konnte.

Die ACUDPN-Studie

In der ACUDPN-Studie untersuchten Forschende der Charité Berlin und dem Zentrum für TCM der Uni Hamburg die therapeutischen Möglichkeiten der Akupunktur. Für die randomisierte kontrollierte Studie wurden Patient*innen mit Typ-2-Diabetes und der Diagnose diabetische Polyneuropathie (DPN) eingeschlossen. Die Gesamtbeschwerden mussten mindestens 40 von 100 mm auf einer visuellen Analogskala betragen, die DPN nicht auf andere Ursachen zurückzuführen und die Nervenleitfähigkeit des Nervus suralis pathologisch sein.

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Insgesamt 62 Patient*innen konnten in die Studie aufgenommen werden. Sie wurden randomisiert der Akupunktur- oder Kontrollgruppe zugeteilt. Die Akupunkturgruppe erhielt 12 Akupunkturbehandlungen innerhalb von 8 Wochen. Daran schloss sich eine 16-wöchige Nachbeobachtung an. Die Kontrollgruppe wurde auf eine Warteliste gesetzt und erhielt die Akupunkturbehandlung ab Woche 16 bis 24. Das Behandlungsprotokoll war semi-standardisiert und umfasste obligatorische Punkte sowie Punkte, die bei Bedarf genadelt werden konnten. Alle Punkte waren an den unteren Extremitäten lokalisiert. Pro Sitzung wurden mindestens 18 und maximal 24 Nadeln gesetzt.

Als primärer Ergebnis-Parameter wurde der Unterschied in der Gesamtzahl der DPN-Beschwerden auf der visuellen Analogskala in 8 Wochen zwischen Akupunktur- und Kontrollgruppe definiert. Sekundäre Ergebnis-Parameter waren Änderungen bezüglich der DPN-Beschwerden insgesamt sowie der Schmerzintensität, die ab Studienbeginn wöchentlich erfasst wurde. In der 16. und 20. Woche nach Studienstart wurde dies erneut erfasst. In der 8. und 16. Woche wurden bei beiden Gruppen weitere Parameter abgefragt: u.a. Neuropathic Pain Symptom Inventory (NPSI) zur Erfassung neuropathischer Schmerzen, Lebensqualität auf dem SF-12-Fragebogen sowie das subjektive Schmerzempfinden auf der Schmerzempfindungsskala SES.

Die Ergebnisse zeigten, dass die DPN-Beschwerden insgesamt signifikant reduziert werden konnten. Die Studienteilnehmer*innen berichteten weniger neuropathische Schmerzen, geringeres Schmerzempfinden sowie eine verbesserte Lebensqualität, sowohl direkt nach der Akupunktur als auch im Follow-up. Vorübergehend traten lediglich geringe Nebenwirkungen auf. Die Forschenden schlussfolgerten, dass Akupunktur die Beschwerden einer diabetischen Neuropathie signifikant und anhaltend reduzieren kann im Vergleich zur Routine-Behandlung. Sie betonten jedoch, dass es mehr qualitativ hochwertige klinische Studien brauche.

Messung objektiver Parameter

Die vorgestellte Arbeit soll einen Beitrag zur Frage nach der Wirksamkeit von Akupunktur und Laserakupunktur leisten, indem untersucht wird, ob subjektive Therapieeffekte der objektiven Messung mittels ENG standhalten. Dabei werden folgende Parameter gemessen:

  • Differenz der Amplitude des Aktionspotentials des N. suralis
  • Differenz der Nervenleitgeschwindigkeit des N. suralis
  • Amplitude und Nervenleitgeschwindigkeit des N. tibialis

Die Studie umfasst erkrankte Patienten mit Diabetes Typ II und stabilem HbA1c-Wert (Abweichung < 1% in den letzten 6 Monaten), klinisch gesicherter diabetischer peripherer Polyneuropathie und pathologischen Werten in der Elektroneurographie der Nn. suralis und tibialis.

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Akupunktur bei Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie

Ein weiteres Anwendungsgebiet der Akupunktur bei Nervenschmerzen ist die Behandlung der Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie (CIPN). Diese tritt häufig als Nebenwirkung von Chemotherapeutika auf, insbesondere bei platinhaltigen Medikamenten, die bei Tumoren des Magen-Darm-Trakts eingesetzt werden, sowie bei Taxanen, die vor allem bei Brust- und Eierstockkrebs Anwendung finden. Eine Studie des HanseMerkur Zentrums konnte im letzten Jahr positive Ergebnisse in diesem Bereich erzielen.

Allgemeine Wirkungsweise der Akupunktur

Die Akupunktur ist eine wichtige chinesische Heilmethode, die bei Schmerzen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), führenden Akupunkturgesellschaften und mittlerweile auch in vielen Behandlungsleitlinien empfohlen wird. In einigen Fällen ist diese „Nadeltherapie“ genauso wirksam wie westliche Therapien. Grundsätzlich gilt aber: Akupunktur kann heilen, was gestört ist, sie kann aber nicht „reparieren“, was bereits zerstört ist.

Bei der Körperakupunktur werden feine Einmalnadeln in bestimmte Hautpunkte gestochen, was kaum schmerzhaft ist. Dort verbleiben sie etwa 20 bis 30 Minuten und entfalten ihre heilsame Wirkung, während sich der Patient auf der Liege entspannt. Viele Akupunkturpunkte befinden sich auf unsichtbaren Energiebahnen, den sogenannten Meridianen/Leitbahnen. Häufig liegen sie aber auch in Haut- und Muskelzonen in der Nähe des Schmerzes oder der erkrankten Organe. Nach dem Verständnis der chinesischen Medizin wird durch den Nadelreiz der Energie(Qi)-Fluss angeregt und reguliert. Blockaden und Störungen lösen sich auf.

Was genau bei einer Akupunktur im Körper abläuft, ist wissenschaftlich noch nicht restlos aufgeklärt. Die heilende Wirkung kommt u.a. dadurch zustande, dass der stimulierende Reiz der Nadeln im Gehirn eine vermehrte Ausschüttung schmerzlindernder und stimmungsaufhellender Substanzen auslöst, die oft auch als „Glückshormone“ bezeichnet werden. Dazu gehören das Serotonin und körpereigene Endorphine. Mit modernen Verfahren wie der funktionellen Kernspintomografie lässt sich die Wirkung der Körperakupunktur auf den Stoffwechsel im Gehirn eindeutig nachweisen.

Weitere Anwendungsbereiche und Studien

Die Akupunktur wird nicht nur bei diabetischer Polyneuropathie und Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie eingesetzt, sondern auch bei anderen Formen von Nervenschmerzen, wie beispielsweise der Trigeminusneuralgie. In einer randomisierten, kontrollierten Studie (ACUTRIG) soll geprüft werden, wie Akupunktur das Leiden von Betroffenen lindern kann.

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Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Akupunktur bei verschiedenen orthopädischen Diagnosen, Rückenschmerzen, Nackenschmerzen und Depressionen eingesetzt werden kann. Auch bei der Raucherentwöhnung, Schwangerschaftsbeschwerden und Ischiasschmerzen wird Akupunktur angewendet. Die Wirksamkeit der Akupunktur in diesen Bereichen ist jedoch noch Gegenstand der Forschung und konnte bisher nicht abschließend belegt werden.

Akupunktur in der Schmerztherapie: Ergebnisse des Modellvorhabens der Ersatzkassen

Ein umfassendes Modellvorhaben der Ersatzkassen in Deutschland untersuchte die Wirksamkeit und Therapiesicherheit der Akupunktur bei chronischen Kopfschmerzen, Schmerzen der Lendenwirbelsäule und Arthroseschmerzen. Im Rahmen dieses Programms wurden fünf randomisierte Studien, eine große Beobachtungsstudie, eine Arztbefragung sowie drei systematische Übersichtsarbeiten durchgeführt.

Studiendesign und Methodik

Das wissenschaftliche Begleitprogramm umfasste vier Komponenten:

  • Komponente I (ART): Untersuchung der Wirksamkeit der Akupunktur im Vergleich zu Minimalakupunktur und einer Wartelistenkontrollgruppe bei Migräne, Spannungskopfschmerzen, chronischen LWS- und Gonarthroseschmerzen.
  • Komponente II: Vergleich der Akupunktur mit einer leitliniengestützten Standardbehandlung (medikamentöse Prophylaxe mit Metoprolol) bei Migräne.
  • Komponente III: Erfassung von Arzt-/Behandlungsmerkmalen, Patientencharakteristika, Behandlungsergebnissen, Nebenwirkungen und Komplikationen durch eine Arztbefragung und eine große Beobachtungsstudie.
  • Komponente IV: Systematische Übersicht randomisierter Studien zur Wirksamkeit der Akupunktur bei chronischen Kopfschmerzen, chronischen LWS-Schmerzen und Arthroseschmerzen.

Ergebnisse des Modellvorhabens

Die Ergebnisse des Modellvorhabens zeigen, dass die Akupunktur in allen drei Indikationsbereichen gegenüber einer Nichtbehandlung zu einer deutlichen und mindestens mehrere Monate anhaltenden Besserung führt. Ein signifikanter Unterschied zwischen Akupunktur- und Minimalakupunkturgruppe war jedoch nur bei der Behandlung der mit Kniegelenkarthrose verbundenen Schmerzen ersichtlich.

In der Studie zum Vergleich von Akupunktur und Metoprolol bei Migräne zeigte sich ein ähnlicher Rückgang der Migränetage in beiden Gruppen, jedoch traten unter Akupunktur deutlich weniger unerwünschte Therapiewirkungen auf.

Die Beobachtungsstudie ergab, dass die therapeutische Wirksamkeit der Akupunktur von den behandelnden Ärzten in 76,4 Prozent der Fälle als „sehr gut“ oder „gut“ beurteilt wurde. Unerwünschte Wirkungen oder Komplikationen wurden in 7,8 Prozent aller Behandlungsfälle dokumentiert.

Die systematische Übersichtsarbeit umfasste 29 randomisierte Studien mit 5 574 Patienten zur Indikation Kopfschmerzen.

Interpretation der Ergebnisse

Die deutlichen Gesamteffekte der Akupunktur einerseits und die bis auf eine Indikation fehlende Überlegenheit im Vergleich zur Sham-Akupunktur andererseits lassen einen erheblichen Interpretationsspielraum. Es ist möglich, dass die Akupunktur nicht nur auf spezifischen physiologischen Mechanismen beruht, sondern auchPlacebo-Effekte eine Rolle spielen.

Die GERAC-Studie und Kritik am Studiendesign

Die GERAC-Studie (German Acupuncture Trials) wird in einigen Punkten kritisiert. Auffällig war das Ergebnis eines geringen Unterschiedes zwischen der „echten“ (Verum-)Akupunktur und der „falschen" (Sham-)Akupunktur. Kritiker bemängeln, dass das Studiendesign eine teilstandardisierte Nadelkombination verwendete, die möglicherweise nicht den Prinzipien der individuellen Syndromdiagnostik in der TCM entsprach. Es wird argumentiert, dass in einem Teil der Fälle eine falsche Akupunktur mit einer etwas weniger falschen Akupunktur verglichen wurde.

Akupunktur in der modernen Medizin

Die Akupunktur hat sich von einer Randerscheinung zu einer populären Therapieform entwickelt. Sie wird in Deutschland seit den 50er-Jahren praktiziert. Für die Behandlung werden die sterilen Nadeln unterschiedlich tief in die Akupunkturpunkte gestochen. Diese liegen beispielsweise an der Hand, an den Beinen und Füßen, an der Wirbelsäule, am Ohr oder an der Stirn. Der Reiz soll Schmerzen und andere Beschwerden lindern. In der TCM geht man davon aus, dass jeder Akupunkturpunkt mit einem Organ in Verbindung steht. Es gibt verschiedene Formen der Akupunktur. Die Stichtiefe der Nadeln variiert je nach Körperregion zwischen wenigen Millimetern und 3 Zentimetern.

Wie findet man einen guten Akupunktur-Arzt?

Um sich „Akupunktur-Arzt“ nennen zu dürfen, ist eine spezielle Ausbildung erforderlich. Die Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur empfiehlt, sich nur bei einem gut ausgebildeten und erfahrenen Arzt behandeln zu lassen. So können Sie sicher sein, dass die notwendigen schulmedizinischen Abklärungen und Untersuchungen vor der Behandlung erfolgen und bei Bedarf schulmedizinische Begleittherapien eingeleitet werden. Dann besteht keine Gefahr, dass Krankheiten durch „Nichterkennen“ verschleppt werden.

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