Eine alkoholbedingte Polyneuropathie, auch alkoholische Neuropathie genannt, ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die durch chronischen Alkoholmissbrauch verursacht wird. Sie gehört zu den toxischen Polyneuropathien und kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Schätzungsweise ein Fünftel aller Alkoholiker in Deutschland sind von dieser Erkrankung betroffen, wobei Männer deutlich häufiger erkranken als Frauen.
Was ist eine Polyneuropathie?
Polyneuropathien sind Erkrankungen, die das periphere Nervensystem (PNS) betreffen. Das PNS umfasst alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks. Diese Nerven sind für die Übertragung von Impulsen zwischen dem Gehirn und den Organen, Muskeln und der Haut verantwortlich. Schädigungen dieser Nerven können zu vielfältigen Beschwerden führen.
Das periphere Nervensystem besteht aus zwei Anteilen:
- Somatisches (willkürliches) Nervensystem: Steuert willkürliche Bewegungen und Reflexe.
- Autonomes (vegetatives) Nervensystem: Koordiniert unwillkürliche Körperfunktionen wie Atmung, Verdauung und Herzschlag.
Ursachen der alkoholbedingten Polyneuropathie
Die Hauptursache der alkoholbedingten Polyneuropathie ist die toxische Wirkung von Alkohol und seinen Abbauprodukten auf die Nerven. Alkohol ist eine neurotoxische Substanz, die Nervenzellen direkt schädigen kann. Chronischer Alkoholkonsum führt zu einer exotoxischen Schädigung des Nervensystems.
Zusätzlich spielt oft eine Mangelernährung eine Rolle, die häufig mit chronischem Alkoholismus einhergeht. Alkoholiker vernachlässigen oft ihre Ernährung, was zu einem Mangel an wichtigen Nährstoffen, insbesondere B-Vitaminen, führen kann. Diese Unterversorgung kann die Entstehung einer Polyneuropathie begünstigen oder sogar verursachen.
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Die meisten Betroffenen konsumieren über mehrere Jahre hinweg mehr als 60 g Ethanol täglich, bevor sie an einer Polyneuropathie durch Alkohol erkranken.
Symptome der alkoholbedingten Polyneuropathie
Die Symptome einer alkoholbedingten Polyneuropathie können von Patient zu Patient variieren und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind. In den meisten Fällen entwickeln sich die Symptome schleichend über einen Zeitraum von Monaten oder Jahren. In seltenen Fällen treten die Beschwerden plötzlich oder innerhalb weniger Wochen auf.
Typische Symptome sind:
- Sensibilitätsstörungen: Kribbeln, Brennen, Taubheitsgefühle, "Ameisenlaufen" in Füßen und Händen
- Schmerzen: Ziehende, drückende oder stechende Schmerzen in verschiedenen Körperteilen
- Motorische Störungen: Muskelschwäche, Muskelkrämpfe, Muskelschwund, Koordinationsprobleme
- ** vegetative Störungen:** Impotenz, Verdauungsbeschwerden, Herzrhythmusstörungen, Blasenentleerungsstörungen, übermäßiges oder ausbleibendes Schwitzen
Die Symptome beginnen meist in den Zehen und Füßen und breiten sich dann auf die Beine aus. In fortgeschrittenen Fällen können auch die Hände und Arme betroffen sein.
Symptome nach betroffenem Nerventyp:
- Motorische Nerven: Verantwortlich für die Muskelbewegung. Schädigung führt zu Muskelschwäche, Muskelkrämpfen, Muskelschwund und Lähmungen.
- Sensorische Nerven: Verantwortlich für die Weiterleitung von Berührungsreizen, Vibrationen, Schmerz, Druck und Temperatur. Schädigung führt zu Missempfindungen wie Brennen, Kribbeln, Taubheitsgefühlen oder stechenden Schmerzen.
- Autonome Nerven: Verantwortlich für die Steuerung der inneren Organe. Schädigung führt zu Funktionsstörungen der Organe wie Herzrhythmusstörungen, Verdauungsbeschwerden oder Impotenz.
Ein frühes Anzeichen kann eine Druckschmerzhaftigkeit der großen Nervenstämme, beispielsweise in der Kniekehle oder in der Wade, sein.
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Diagnose der alkoholbedingten Polyneuropathie
Die Diagnose einer Polyneuropathie erfolgt in mehreren Schritten:
- Anamnese (Arzt-Patient-Gespräch): Erhebung der Krankengeschichte, einschließlich Angaben zum Alkohol- und Drogenkonsum, Vorerkrankungen und bestehenden Beschwerden. Ehrliche Angaben zum Alkoholkonsum sind für eine zuverlässige Diagnose unerlässlich.
- Körperliche Untersuchung: Überprüfung der Muskelkraft, Reflexe, Sensibilität und Koordination.
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der Nervenfunktion und -leitgeschwindigkeit.
- Elektrophysiologische Untersuchungen:
- Elektroneurographie (ENG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit.
- Elektromyographie (EMG): Messung der Muskelaktivität.
- Laboruntersuchungen:
- Blutuntersuchungen: Überprüfung auf Vitamin-B12-Mangel, erhöhte Entzündungswerte, Leber- und Nierenwerte.
- Urinuntersuchungen
In einigen Fällen können weitere Untersuchungen wie eine Nervenbiopsie oder eine Liquoruntersuchung erforderlich sein, um die Ursache der Polyneuropathie zu ermitteln.
Behandlung der alkoholbedingten Polyneuropathie
Die Behandlung der alkoholbedingten Polyneuropathie zielt in erster Linie darauf ab, die Ursache der Erkrankung zu beseitigen und die Symptome zu lindern.
- Alkoholabstinenz: Der wichtigste Schritt ist der vollständige Verzicht auf Alkohol. Bei rechtzeitigem Verzicht können sich die Symptome der Erkrankung in vielen Fällen zurückbilden. Da es Suchtkranken oft schwerfällt, aus eigenem Willen auf Alkohol zu verzichten, ist professionelle Unterstützung im Rahmen eines stationären Entzugs ratsam.
- Ernährungsumstellung und Nahrungsergänzungsmittel: Ausgleich von Nährstoffmängeln, insbesondere von B-Vitaminen. Eine ausgewogene Ernährung ist ebenfalls wichtig.
- Schmerztherapie: Medikamentöse Behandlung von Schmerzen mit Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Opioiden (nur in Ausnahmefällen). Auch die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) kann zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
- Physikalische Therapie: Wärme- und Kälteanwendungen, Physiotherapie, Krankengymnastik und Reizstromtherapie zur Linderung der Beschwerden und Verbesserung der Beweglichkeit.
- Psychotherapie: Unterstützung bei der Bewältigung der Alkoholsucht und der psychischen Belastung durch die Erkrankung.
In schweren Fällen kann eine Behandlung in einer spezialisierten Klinik erforderlich sein.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf einer alkoholbedingten Polyneuropathie ist individuell unterschiedlich. Bei rechtzeitiger Diagnose und konsequenter Alkoholabstinenz können sich die Symptome in vielen Fällen bessern oder sogar vollständig zurückbilden. In fortgeschrittenen Fällen können jedoch irreversible Nervenschäden bestehen bleiben.
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Eine unbehandelte alkoholbedingte Polyneuropathie kann zu schweren Komplikationen führen, wie z.B. chronischen Schmerzen, Muskelschwund, Lähmungen und Funktionsstörungen der inneren Organe.
Die Lebenserwartung wird durch die Polyneuropathie selbst in der Regel nicht negativ beeinflusst, jedoch können die zugrundeliegenden Ursachen wie Alkoholmissbrauch zu einer verkürzten Lebensdauer beitragen.
Vorbeugung
Die beste Vorbeugung gegen eine alkoholbedingte Polyneuropathie ist ein maßvoller Umgang mit Alkohol oder der vollständige Verzicht auf Alkohol. Eine ausgewogene Ernährung und die Vermeidung von Mangelzuständen können ebenfalls dazu beitragen, das Risiko einer Polyneuropathie zu verringern.
Regelmäßige ärztliche Kontrollen, insbesondere bei Risikogruppen wie Alkoholikern und Diabetikern, können helfen, eine Polyneuropathie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
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