Alpha-Liponsäure bei Polyneuropathie nach Chemotherapie: Ein umfassender Überblick

Chemotherapieinduzierte Polyneuropathie (CIPN) ist eine häufige und belastende Nebenwirkung vieler Krebsbehandlungen. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle von Alpha-Liponsäure (ALA) in der Prävention und Therapie von CIPN, unter Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse und Leitlinienempfehlungen.

Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie: Mechanismen und Symptome

Chemotherapie und moderne Krebsmedikamente können Nervenschäden verursachen, die als Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN) bekannt sind. Studien zufolge sind je nach Therapie bereits nach einem Monat bis zu 60 % der Patienten betroffen. Selbst sechs Monate nach Therapieabschluss berichten noch 30 % der Patienten, die eine potenziell neurotoxische Therapie erhalten haben, über CIPN.

Zu den Zytostatika, die am häufigsten CIPN verursachen, gehören Platinderivate (z. B. Oxaliplatin, Carboplatin, Cisplatin), Vinca-Alkaloide (z. B. Vincristin), Taxane (z. B. Docetaxel, Paclitaxel), Proteasominhibitoren (z. B. Bortezomib, Carfilzomib) und Immunmodulatoren (z. B. Thalidomid, Revlimid).

Obwohl der genaue Schädigungsmechanismus noch nicht vollständig verstanden ist, geht man davon aus, dass je nach Medikament unterschiedliche Mechanismen eine Rolle spielen. Dazu gehören die Beeinträchtigung intraepidermaler Nervenfasern, oxidativer Stress, anormale spontane Entladungen/Ionenkanalaktivierungen, entzündungsfördernde Botenstoffe und die Aktivierung des Neuro-Immunsystems.

Die Beschwerden bei CIPN können vielfältig sein und sich in unterschiedlichen Kombinationen äußern. Am häufigsten sind sensible Neuropathien, die sich durch Empfindungsstörungen wie Hypästhesie (abgeschwächtes Empfinden), Parästhesie (Kribbeln/Ameisenlaufen) und Hyperästhesie (schmerzhaftes Überempfinden von Reizen) äußern. Einige Patienten berichten auch über ein verändertes Vibrationsempfinden, eine Störung des Lagesinns oder eine veränderte Tiefensensibilität. Bei Beteiligung des motorischen Nervensystems kann es zu Paresen (Teilausfällen von Muskeln), Krämpfen oder einer Verschlechterung von Koordination, Gleichgewicht und Muskelkraft mit Gangunsicherheit und abgeschwächten Muskeleigenreflexen kommen.

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CIPN kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken und zu Behandlungsverzögerungen, Dosisreduktionen oder sogar zum Therapieabbruch führen.

Aktuelle Therapieempfehlungen und Leitlinien

Trotz zahlreicher Studien gibt es derzeit keine Hinweise auf eine wirksame medikamentöse Prophylaxe von CIPN. Einige Studien deuten darauf hin, dass eine ausreichende Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren in der Prämedikation von Vorteil sein könnte. Zur Therapie der CIPN werden neben medikamentösen Therapien verschiedene Möglichkeiten aus der Sport- und Bewegungstherapie, Physiotherapie und Ergotherapie untersucht. Es gibt erste Hinweise auf die Wirksamkeit von Akupunktur. Ergänzend können komplementärmedizinische Verfahren genutzt werden, wobei die Wirksamkeit nicht für alle Verfahren in Studien belegt ist.

Was kann man selbst tun?

Es ist ratsam, bereits zu Beginn einer potenziell nervenschädigenden Therapie Empfehlungen zur Bewegung und zum regelmäßigen Funktionstraining zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei zusätzlichen Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Alkoholkonsum, Niereninsuffizienz, Schilddrüsenunterfunktion, Kollagenosen/Vaskulitiden oder Mangelernährung. Auch bei Patienten über 75 Jahren geht man von einer erhöhten Empfindlichkeit des peripheren Nervensystems aus.

Weitere allgemeine Empfehlungen umfassen:

  • Geeignetes Schuhwerk tragen und Füße täglich auf Verletzungen und Druckstellen untersuchen.
  • Konsequente Hautpflege.
  • Bei Therapie mit Oxaliplatin: Kälteexpositionen vermeiden.
  • Bei Taxan-haltigen Therapien: Potenziell schützender Effekt durch das Tragen von Kühlelementen begleitend zur Chemotherapie (ggf. mit dem Onkologen besprechen).
  • Verschlechterungen und Symptome dem Onkologen berichten, um Dosisanpassungen zu ermöglichen.

Äußere Anwendungen bei CIPN

Erfahrungsheilkundlich haben sich einige Externa bewährt, darunter:

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  • Aconitöl bei schmerzender CIPN.
  • Kupfersalbe rot bei kalten Füßen.
  • Eukalyptus-Balsam bei heißen Füßen.

Die S3-Leitlinie Supportive Therapien bei onkologischen PatientInnen gibt für folgende äußerliche Anwendungen eine "kann"-Empfehlung:

  • Topische Therapie mit 8%igem Capsaicin-Pflaster (verschreibungspflichtig, Wiederholung nach 90 Tagen möglich) oder 5% Lidocain als Salvageoption.
  • Mentholsalbe zweimal täglich auf die betroffenen Stellen (1%ig).

Wahrnehmung und Gleichgewicht schulen

Entspannungsverfahren können bei Nebenwirkungen der onkologischen Therapie oder Begleiterscheinungen der Erkrankung unterstützend wirken. Tai-Chi kann im Training von Balance bei Älteren einen positiven Effekt haben. Alternative Formen der konzentrativen Bewegung wie Yoga oder achtsamkeitsbasierte Körperwahrnehmungsübungen können ebenfalls sinnvoll sein.

Der Stellenwert von Nahrungsergänzungsmitteln

Der Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln in der Prävention und Therapie einer CIPN ist weiterhin unklar.

B-Vitamine

Patienten nehmen häufig B-Vitamine zur Vorbeugung oder Behandlung einer Polyneuropathie ein. Obwohl es erste Hinweise und theoretisch schlüssige Überlegungen zum potenziellen Nutzen von B-Vitaminen bei CIPN gibt, ist die wissenschaftliche Datenlage hierzu nicht ausreichend gut. Die S3-Leitlinie Komplementärmedizin konnte daher keine Empfehlung für oder gegen die kombinierte Gabe von Vitamin B1 und B6 oder die isolierte Gabe von Vitamin B 12 aussprechen. Eine zeitlich begrenzte Anwendung wird jedoch als unbedenklich eingestuft.

Patienten, die Vitamin B 12 auf Grund einer anderen Indikation einnehmen müssen, sollten ebenso wie Patienten mit nachweislichen Mangelzuständen nach Beratung mit ihrem Arzt behandelt werden. Es wird empfohlen, den Serumspiegel von Vitamin B12, D und Selen zu bestimmen, sofern im Rahmen der Supplementation die empfohlene Dosis der DGE gezielt überschritten wird oder eine langfristige Einnahme vorgesehen ist.

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Es ist sinnvoll, auf eine ausgewogene Ernährung zu achten, um Mangelzuständen vorzubeugen. Die wasserlöslichen Vitamine der B 12 Gruppe (Cobalamine) kommen in tierischen Produkten vor und spielen eine wichtige Rolle bei verschiedenen Stoffwechselvorgängen oder auch der Blutbildung. Vitamin B6 ist in Vollkorngetreide, Haselnüssen oder Walnüssen enthalten. Vitamin B1 ist ebenfalls reichlich in Vollkornprodukten vorhanden.

L-Carnitin

L-Carnitin dient als Energiespeicher in den Zellen und wichtiger Schutzfaktor gegen oxidativen Stress. Obwohl es während einer Chemotherapie zu Abnahmen des Carnitinspiegels kommen kann, ist die Studienlage nicht ausreichend, um im Hinblick auf die Anwendung bei Neuropathien eine Empfehlung auszusprechen. Eine Studie mit Brustkrebspatientinnen zeigte sogar, dass sich die L-Carnitin Gruppe schlechter nach Abschluss der Chemotherapie erholte. Die Leitlinie empfiehlt daher, Carnitin nicht zur Verbesserung der peripheren taxaninduzierten Neuropathie bei onkologischen Patienten zu empfehlen.

Vitamin E

Für Vitamin E wurde eine Negativempfehlung zur Vorbeugung und Therapie von CIPN ausgesprochen. Studien konnten keine statistisch signifikanten Unterschiede bei Anwendung von Vitamin E im Vergleich zur Kontrollgruppe dokumentieren. Da bei Einsatz hochdosierter Antioxidantien in anderen Studien auch negative Effekte beschrieben wurden, wird derzeit vom Einsatz abgeraten.

Alpha-Liponsäure (ALA) im Fokus

Viele Patienten fragen, ob Alpha-Liponsäure zur Linderung oder zum Schutz vor CIPN eingesetzt werden sollte. ALA kommt auch in natürlichen Quellen vor (z. B. in Innereien, Spinat oder Brokkoli), allerdings nur in geringen Mengen bei einer sehr eingeschränkten Bioverfügbarkeit. ALA ist ein Antioxidans mit entzündungshemmenden Eigenschaften.

Studienlage zu ALA und CIPN

In der aktuellen S-3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer PatientInnen wird ALA nicht besprochen. Es gibt erste Studienergebnisse, die nahelegen, dass ALA bei Polyneuropathie im Rahmen eines Diabetes mellitus hilfreich sein könnte. Langzeitdaten im Hinblick auf Wirksamkeit, Sicherheit und Unbedenklichkeit existieren nicht. Die häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Unterzucker.

Die Forschungslage zur CIPN ist noch dürftiger. Einige kleine Studien deuten darauf hin, dass Patienten unter einer Platin-haltigen Therapie profitieren könnten, während andere Studien keinen positiven Effekt zeigten. Da hohe Dosen an ALA aufgrund der antioxidativen Wirkung zu einer Abschwächung der Effektivität von Chemo- und Strahlentherapie führen könnten, sollte von einer therapiebegleitenden Einnahme abgesehen werden.

Aktuelle Leitlinienempfehlung

Aus diesen Gründen wurde in der aktuellen S3-Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen“ folgende Empfehlung formuliert: „Eine Prophylaxe der Chemotherapie induzierten Polyneuropathie mit Alpha-Liponsäure soll nicht erfolgen.“ Die Leitlinie der ASCO (2020) spricht sich ebenfalls gegen den Einsatz von ALA aus.

Bewegung und Funktionstraining

Gemäß der aktuellen Leitlinie „soll“ onkologischen Patienten körperliche Aktivität unter und nach Abschluss der Krebstherapie empfohlen werden. Körperliche Inaktivität soll vermieden und wenn möglich auf das Ziel „mindestens 150 Minuten moderate Aktivität pro Woche“ hingearbeitet werden.

Polyneuropathie: Ursachen und Therapieansätze

Polyneuropathie bezeichnet eine systemische Erkrankung, bei der es zu Schädigungen des peripheren Nervensystems kommt. Die Prävalenz in Deutschland beträgt 2-3 % in der Allgemeinbevölkerung, bei über 55-Jährigen sogar 8 %. Am häufigsten treten Beschwerden symmetrisch, im Bereich von Unterschenkel/Fuß bzw. Unterarm/Hand auf.

Weitere mögliche Ursachen sind:

  • Nierenschwäche
  • Lebererkrankung
  • Schilddrüsenunterfunktion
  • Medikamente (z. B. nach Chemotherapie)
  • Mangelernährung
  • Erregertoxikosen

Trotz umfassender Diagnostik bleibt nicht selten die Ursache unklar (idiopathische Polyneuropathie).

Die Diagnostik umfasst:

  • Anamnese
  • Körperliche Untersuchung (inklusive Reflexe, Vibrationsempfindung)
  • Laboranalysen (Blutzucker, Leberwerte, Nierenfunktion usw.)
  • Diverse Zusatzuntersuchungen - je nach verdächtigem Auslöser

Therapieoptionen

  • Synthetische Therapieoptionen: Pregabalin (Gamma-Aminobuttersäure-Analogon)
  • Naturheilkundliche Therapieoptionen:
    • Alpha-Liponsäure (Thioctsäure)
    • Neurotrope Nährstoffe (Benfotiamin, Uridinmonophosphat, Calcium-EAP)
    • B-Vitamine (Vitamin B12, Folsäure)
    • Biochemie (Schüssler Salze)
  • Weitere:
    • Physikalische Therapien
    • Physiotherapie
    • Entgiftungs- und Ausleitungstherapien
    • Säure-Basen-Haushalt

In der Naturheilkunde existieren gute und nebenwirkungsarme Therapiemöglichkeiten, um eine Polyneuropathie erfolgreich ganzheitlich zu behandeln. Dazu gehören insbesondere die Zufuhr von Alpha-Liponsäure, neurotrope Nährstoffe, B-Vitamine und Folsäure.

ALA bei Polyneuropathie: Was die Forschung sagt

ALA kann bei Polyneuropathie durch Diabetes helfen. Bei anderen Ursachen der Polyneuropathie ist die Datenlage etwas unklar. Infusionen mit ALA haben bessere Erfolgsaussichten als Kapseln. Es gibt jedoch nur Forschungsergebnisse zur kurzzeitigen Anwendung.

Eine Studie zeigte, dass die intravenöse Gabe von ALA bei diabetischer Polyneuropathie die Symptome nach drei Wochen etwas verbesserte. Die Kapselform zeigte eine schwächere Wirkung.

ALA bei CIPN: Vorsicht geboten

Zur Frage, ob ALA bei Polyneuropathie durch Chemotherapie hilft, gibt es bisher nur sehr wenig Forschung. Krebspatienten sollten nicht auf eigene Faust mit ALA experimentieren.

ALA: Dosierung und Nebenwirkungen

Die übliche Dosierung liegt bei 600 mg. Zu viel ALA kann zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen führen.

ALA: Biochemische Grundlagen

ALA fungiert in den Mitochondrien als Coenzym des Citrat-Zyklus. Daneben besitzt ALA eine hohe antioxidative Kapazität und kann andere antioxidative Stoffe, wie bspw. Glutathion regenerieren.

ALA: Studien zur Wirksamkeit

  • Prophylaxe der CIPN unter Oxaliplatin-Therapie: Eine Studie zeigte keine signifikanten Unterschiede in den Symptomen und Auswirkungen der CIPN zwischen Patienten, die ALA erhielten, und Patienten, die ein Placebo erhielten.
  • Therapie der CIPN: Zwei nicht-randomisierte Studien deuten darauf hin, dass ALA die CIPN hervorgerufen durch Platin-Derivate und Taxane bessern könnte.

Weitere Forschung und Therapieansätze

Eine kleine Cross-over Studie bei Patienten mit chronisch neuropathischen Schmerzen im Rahmen einer Polyneuropathie zeigte eine Überlegenheit von Pregabalin gegenüber ALA. Die Kombination aus ALA und Pregabalin war nicht wirksamer als die Pregabalin-Monotherapie.

Einige Studien deuten auf positive Effekte von Vitamin E, Selen und Omega-3-Fettsäuren hin. B-Vitamine und ALA werden nicht nur bei diabetischer Neuropathie, sondern auch während Chemotherapie eingesetzt. Krankengymnastische Maßnahmen, Bioresonanztherapie und Akupunktur können ebenfalls helfen. Kryotherapie (Tragen von Eishandschuhen und Eissocken während einer Paclitaxel-Infusion) kann das Risiko für eine Polyneuropathie senken.

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