Multiple Sklerose (MS) vs. Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Ein Vergleich

Multiple Sklerose (MS) und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sind beides neurologische Erkrankungen, die das zentrale Nervensystem (ZNS) betreffen. Obwohl sie einige ähnliche Symptome aufweisen können, sind sie doch grundverschiedene Krankheiten mit unterschiedlichen Ursachen, Verläufen und Behandlungsmöglichkeiten. Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Unterschiede zwischen MS und ALS, um eine klare Abgrenzung dieser beiden komplexen Erkrankungen zu ermöglichen.

Was sind Multiple Sklerose und Amyotrophe Lateralsklerose?

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Das bedeutet, dass das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinschicht angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umhüllt und schützt. Diese Schädigung der Myelinscheide (Demyelinisierung) führt zu einer gestörten Signalübertragung zwischen Gehirn und Körper, was zu einer Vielzahl neurologischer Symptome führen kann. Weltweit leiden Millionen von Menschen an MS.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist ebenfalls eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, jedoch werden hierbei die Motoneuronen, also die Nervenzellen, die für die Steuerung der Muskelbewegungen verantwortlich sind, zerstört. Diese Degeneration der Motoneuronen führt zu Muskelschwäche, Muskelschwund (Atrophie) und schließlich zur Lähmung.

Symptome: Wo liegen die Unterschiede?

Am Beginn des Krankheitsverlaufs können bei beiden Krankheiten ähnliche Beschwerden auftreten, wie Muskelschwäche und -steifheit, Schwierigkeiten beim Bewegen der Gliedmaßen und motorische Koordinationsstörungen. Doch im Detail unterscheiden sich die Symptome erheblich.

Multiple Sklerose: Vielfältige Symptomatik

Menschen mit Multipler Sklerose zeigen normalerweise während der ersten Ausbrüche Symptome wie Kribbeln, unsicherer Gang und Ataxie. Im Verlauf der Krankheit können emotionale und kognitive Beschwerden wie Angst, Depressionen und Gedächtnisstörungen auftreten. Es ist wichtig zu betonen, dass sich diese Symptome von Patient zu Patient stark unterscheiden können, da die MS sehr individuell verläuft. Häufige Erstsymptome sind auch Sehstörungen wie Verschwommensehen oder Nebelsehen, die auf eine Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis) zurückzuführen sind. Auch Gefühlsstörungen der Haut, wie Kribbeln, Missempfindungen oder Taubheitsgefühle, sind typisch. Weitere Symptome können Blasenstörungen, Unsicherheit beim Gehen oder Greifen, Doppelbilder und verwaschene Sprache sein. Im späteren Verlauf können Lähmungserscheinungen mit einem Steifigkeitsgefühl (Spastik), vor allem in den Beinen, auftreten.

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Amyotrophe Lateralsklerose: Fokus auf motorische Defizite

Bei ALS kommt es in der Regel nicht zu kognitiven Problemen. Stattdessen treten viele motorische Symptome auf, die die Kontrolle willkürlicher Bewegungen nach und nach verringern. In den Armen und Beinen geht die Kraft verloren, und am Ende der Krankheit treten Schwierigkeiten beim Sprechen, Schlucken und Atmen auf. Schon in den Frühstadien der ALS wird häufig über unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen) und schmerzhafte Muskelkrämpfe geklagt. Ein Teil der Erkrankten erlebt erste Symptome im Bereich der Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur (Bulbärparalyse).

Ursachen: Autoimmunreaktion vs. Motoneuron-Degeneration

Die Ursachen der beiden Krankheiten sind ebenfalls unterschiedlich.

Multiple Sklerose: Autoimmunprozesse im Vordergrund

Die genauen Gründe für Multiple Sklerose sind nicht vollständig erforscht. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheide angreift. Eine Hypothese besagt, dass ein unbekanntes Virus oder ein anderer Krankheitserreger diese Autoimmunreaktion auslösen könnte. Auch die Oligodendrozyten, die für die Bildung neuer Myelinscheiden zuständig sind, werden zerstört. Es wird vermutet, dass ein ganzes Bündel an Ursachen für die Entstehung der MS verantwortlich ist (multifaktorielle Entstehung). Neben genetischen Faktoren spielen vermutlich auch Umweltfaktoren wie Infektionen im Kindesalter, Vitamin-D-Mangel und die Ernährung eine Rolle.

Amyotrophe Lateralsklerose: Degeneration der Motoneuronen

Die Amyotrophe Lateralsklerose verläuft anders, da in diesem Fall die Motoneuronen angegriffen werden. Diese Nervenzellen kontrollieren die willkürlichen Bewegungen. Im Verlauf der Krankheit kommt es deshalb zu einer Muskelatrophie, da der Nervenimpuls nicht auf die Muskeln des Körpers übertragen werden kann. Die Ursache für die Degeneration der Motoneuronen ist in den meisten Fällen unbekannt. In etwa 10 % der Fälle ist ALS jedoch mit einer Mutation eines von den Eltern geerbten Gens verbunden.

Inzidenz, Alter und Geschlecht: Wer ist betroffen?

Multiple Sklerose: Häufiger bei jüngeren Frauen

Derzeit sind in Deutschland rund 220.000 bis 250.000 Menschen an Multipler Sklerose erkrankt. Die Inzidenz liegt in Europa durchschnittlich zwischen 8 und 10 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Weltweit sind etwa 2,5 Millionen Menschen an MS erkrankt. Multiple Sklerose tritt normalerweise viel früher auf als ALS, das Alter bei der Diagnose liegt meist zwischen 20 und 40 Jahren (das Durchschnittsalter beträgt 29 Jahre). In Bezug auf das Geschlecht ist Multiple Sklerose häufiger bei Frauen als bei Männern zu beobachten.

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Amyotrophe Lateralsklerose: Seltenere Erkrankung im höheren Alter

Die Amyotrophe Lateralsklerose hat eine jährliche Inzidenz von 1 bis 2 Patienten pro 100.000 Personen. In Deutschland beträgt die Prävalenz zwischen 6.000 und 8.000 Patienten, wobei jedoch die kurze Lebenserwartung der Patienten berücksichtigt werden muss. Die Amyotrophe Lateralsklerose tritt meist erst im Alter zwischen 40 und 70 Jahren auf. ALS tritt häufiger bei Männern als bei Frauen auf.

Erblichkeit: Genetische Veranlagung

Obwohl nicht nachgewiesen ist, dass Multiple Sklerose direkt erblich ist, wird die Erkrankung eines Familienmitglieds als Risikofaktor betrachtet, insbesondere bei Verwandten ersten Grades (Eltern oder Geschwister). Im Falle von ALS sind 10 % der Fälle mit einer Mutation eines von den Eltern geerbten Gens verbunden. Dies unterstreicht die Bedeutung genetischer Faktoren bei der Entstehung von ALS.

Diagnose: Unterschiedliche Ansätze

Die Diagnose von MS und ALS erfordert unterschiedliche Ansätze.

Multiple Sklerose: Ein Mosaik aus Befunden

Eine gesicherte MS-Diagnose beruht auf einer umfassenden Anamnese (Erfassung der Krankheitsgeschichte) und einer Reihe von Untersuchungen. Dazu gehören:

  • Neurologische, körperliche Untersuchung: Beurteilung der neurologischen Funktionen.
  • Evozierte Potentiale (Nervenleitfähigkeit und Geschwindigkeit): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit.
  • Lumbalpunktion (Nervenwassergewinnung): Untersuchung des Nervenwassers auf Entzündungszeichen.
  • Magnetresonanztomographie (MRT, Kernspinresonanz-Tomographie) des Gehirns und des Rückenmarks: Darstellung von Läsionen (Entzündungsherden) im Gehirn und Rückenmark.

Die verschiedenen Untersuchungsergebnisse ergeben zusammen ein Bild, das die Diagnose ermöglicht. Es gibt keinen einzelnen Befund, der alleine die MS sichert. Zur Orientierung gibt es international anerkannte Diagnosekriterien (die McDonald-Kriterien), die die Diagnosestellung unterstützen. Es kann jedoch Wochen, Monate oder sogar Jahre dauern, bis die Diagnose eindeutig feststeht.

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Amyotrophe Lateralsklerose: Fokus auf Motoneuronen

Zuständig für die Diagnosestellung der ALS ist der Neurologe. Die Diagnose umfasst:

  • Klinische Untersuchung: Beurteilung der Muskulatur (Muskelschwund, Kraft, Faszikulationen), Sprache, Schluckakt und Atemfunktion.
  • Elektromyographie (EMG): Nachweis des Befalls des unteren Motoneurons auch in klinisch noch normal erscheinenden Muskeln.
  • Untersuchungen der motorischen und sensiblen Nervenleitung: Abgrenzung zu Erkrankungen der peripheren Nerven.
  • Neuromuskulärer Ultraschall: Erfassung von Faszikulationen und Muskelatrophien.
  • Blut- und Urinuntersuchungen: Ausschluss anderer Erkrankungen (immunologische, entzündliche, Stoffwechselstörungen, hormonelle Störungen).
  • Liquoruntersuchung: Untersuchung des Nervenwassers.
  • Bildgebende Untersuchungen (MRT): Darstellung des Gehirns und der Wirbelsäule.
  • Genetische Untersuchung: Bei frühem Krankheitsbeginn oder familiärer Vorbelastung.

Behandlung: Linderung der Symptome und Verlangsamung des Fortschreitens

In beiden Fällen handelt es sich um Erkrankungen, die nicht geheilt werden können. Die Behandlungsmethoden zielen darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

Multiple Sklerose: Schubtherapie und verlaufsmodifizierende Therapien

Bei Multipler Sklerose sind wirksame Behandlungen bisher vor allem bei der schubförmig-remittierenden Variante möglich. Die Behandlung umfasst:

  • Schubtherapie: Hemmung der akuten Entzündungsreaktion eines Schubes (z.B. mit Kortikosteroiden).
  • Verlaufsmodifizierende Therapie: Aufhalten des Fortschreitens der Erkrankung und Verlängerung der beschwerdefreien Zeit (z.B. mit Interferonen, Glatirameracetat, monoklonalen Antikörpern).
  • Symptomatische Therapie: Linderung der MS-Symptome und Vorbeugung von Komplikationen.

Amyotrophe Lateralsklerose: Fokus auf die Unterstützung der Funktionen

Zur Behandlung von ALS wird hauptsächlich Riluzol eingesetzt, ein Medikament, das den Krankheitsverlauf verlangsamen kann. Die Behandlung konzentriert sich auf die Unterstützung der Funktionen und die Linderung der Symptome, beispielsweise durch Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Da die Atemmuskulatur im Verlauf der Erkrankung betroffen sein kann, ist eine Atemtherapie und gegebenenfalls eine Beatmung erforderlich.

Verlauf und Prognose: Deutliche Unterschiede

Multiple Sklerose: Variabler Verlauf

Der Verlauf einer MS kann von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. Es gibt verschiedene Verlaufsformen:

  • Schubförmig-remittierende MS (RRMS): Schübe mit anschließender teilweiser oder vollständiger Erholung.
  • Sekundär progrediente MS (SPMS): Allmähliche Verschlechterung nach einem initial schubförmigen Verlauf.
  • Primär progrediente MS (PPMS): Von Beginn an langsame Verschlechterung ohne klare Schübe.

Die MS muss nicht zwangsläufig schwer verlaufen. Gerade zu Beginn der Erkrankung kann es zu einer weitgehenden Abheilung der Entzündungsherde und damit zur Rückbildung der auftretenden Krankheitszeichen kommen. Die Lebenserwartung ist in der Regel nicht wesentlich verkürzt.

Amyotrophe Lateralsklerose: Progressiver Verlauf mit begrenzter Lebenserwartung

Die Amyotrophe Lateralsklerose ist immer progressiv und verläuft nicht schubweise. Die Lebenserwartung nach der Diagnose beträgt im Durchschnitt drei bis fünf Jahre, es kann jedoch auch Ausnahmen geben. Die ALS ist deutlich schwerwiegender als Multiple Sklerose.

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