Die Alzheimer-Forschung hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere bei der Entwicklung von Medikamenten, die auf die Ursachen der Krankheit abzielen. Ein solches Medikament ist Lecanemab (Handelsname: Leqembi), ein Antikörper, der Amyloid-Ablagerungen im Gehirn reduziert und dadurch den Krankheitsverlauf verlangsamen soll. Lecanemab ist seit dem 1. September 2025 auch in Deutschland erhältlich. Dieses Medikament hat sowohl Hoffnungen geweckt als auch Kontroversen ausgelöst, und seine Wirksamkeit und Sicherheit werden weiterhin diskutiert.
Hintergrund: Alzheimer und die Suche nach ursächlichen Therapien
Alzheimer ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die durch den Verlust von kognitiven Fähigkeiten gekennzeichnet ist. Bisherige Therapien konzentrierten sich hauptsächlich auf die Linderung von Symptomen, anstatt die zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen zu beeinflussen. Die Forschung hat sich zunehmend auf die Rolle von Amyloid-Plaques im Gehirn konzentriert, die als ein Hauptmerkmal der Alzheimer-Krankheit gelten.
Nachdem lange Zeit die Versuche, Alzheimer ursächlich zu bekämpfen, ins Leere liefen, trotz enormen finanziellen Aufwands, keimte zuletzt vorsichtiger Optimismus auf. Seit Anfang 2023 ließ die US-Arzneimittelbehörde FDA gleich 2 Antikörper zu, die sich gegen Alzheimer-Plaques im Gehirn richten und die in einem frühen Stadium das Fortschreiten der Erkrankung etwas abbremsen.
Lecanemab: Ein Antikörper gegen Amyloid-Plaques
Lecanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der das Protein Amyloid-beta angreift und zu dessen Abbau führt. Amyloid-Plaques werden bei Alzheimer mit der Zerstörung von Nervenzellen in Verbindung gebracht. Der Wirkstoff Lecanemab, ein Antikörper gegen Amyloid, wurde von den Pharma-Unternehmen Eisai und Biogen entwickelt und hat bereits seit Januar 2023 eine Zulassung in den USA und mittlerweile auch in anderen Ländern. Es ist der erste Wirkstoff, mit dessen Hilfe nicht nur Symptome der Alzheimer-Krankheit behandelt, sondern der Krankheitsprozess im Gehirn verlangsamt werden kann.
Studienergebnisse und Wirksamkeit
Ausschlaggebend für die Zulassung waren die Ergebnisse der Phase-3-Studie CLARITY AD, die im November 2022 vorgestellt wurden. An der CLARITY AD-Studie hatten insgesamt 1.795 Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Alzheimer-Demenz teilgenommen. Während des 18-monatigen Untersuchungszeitraums wurde in regelmäßigen Abständen kognitive Fähigkeiten, wie das Gedächtnis, die Orientierung oder die Fähigkeit, Probleme zu lösen, von Fachleuten überprüft. Ergebnis der Studie war, dass die Krankheit bei denjenigen, die Lecanemab erhielten, um 27 Prozent langsamer voranschritt als bei der Kontrollgruppe. Hauptmaßstab für die Wirksamkeit war die Veränderung der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand einer Demenzbewertungsskala von 0 bis 18 gemessen wurde. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen nach 18 Monaten im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22 gegenüber 1,75). Das deute auf einen langsameren kognitiven Abbau hin, so die EMA.
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Trotz der messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Expertinnen und Experten eher als moderat eingeschätzt. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für an Alzheimer erkrankte Menschen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.
Es ist wichtig zu beachten, dass Lecanemab weder Alzheimer heilen noch den Krankheitsverlauf aufhalten kann. Ziel der Behandlung ist es, den geistigen Abbau bei Menschen im frühen Krankheitsstadium zu verlangsamen.
Einschränkungen und Patientenauswahl
Wer mit Leqembi behandelt werden kann, muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden. Der Wirkstoff kommt nur für Menschen infrage, die sich im frühen Stadium der Erkrankung befinden und bislang nur geringe Einbußen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit haben. Dazu zählen vor allem Personen mit einer Alzheimer-Diagnose im Stadium eines Mild Cognitive Impairment (MCI, zu Deutsch „leichte kognitive Störung“) oder im frühen Stadium einer Alzheimer-Demenz. Die krankhaften Amyloid-beta-Ablagerungen müssen im Gehirn nachgewiesen werden - entweder durch eine Lumbalpunktion oder mittels Amyloid-PET. Auch genetische Voraussetzungen spielen eine Rolle: Erkrankte dürfen höchstens eine Kopie des sogenannten ApoE4-Gens tragen. Personen mit zwei Kopien sind wegen der erhöhten Gefahr für Hirnblutungen von der Behandlung ausgeschlossen. Leqembi eignet sich außerdem nicht für Menschen, die Gerinnungshemmer einnehmen. In Kombination mit dem Medikament steigt das Risiko für eine Hirnblutung deutlich.
Durch weitere einschränkende Voraussetzungen kommt Experten zufolge nur ein kleiner Bruchteil der Alzheimer-Erkrankten für eine Antikörpertherapie infrage. Nach einer Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) von Mai 2025 erfüllt etwa 1 von 100 Menschen mit einer Alzheimer-Demenz alle Voraussetzungen für eine Behandlung mit Leqembi, also in etwa 12.000 Erkrankte. Neuere Berechnungen von August 2025 - etwa des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) - sprechen von bis zu 73.000 Patientinnen und Patienten in Deutschland, was bei 1,2 Millionen Erkrankten etwa 6 Prozent entspricht. Diese Zahl gilt jedoch als optimistische Obergrenze. In der Praxis wird die Zahl deutlich niedriger sein, da die aufwendige Diagnostik, mögliche Ausschlusskriterien und begrenzte ärztliche Kapazitäten berücksichtigt werden müssen. Neben den medizinischen Voraussetzungen ist zusätzlich die Teilnahme an einem EU-weiten Register verpflichtend.
Risiken und Nebenwirkungen
Wie bei allen Medikamenten sind auch mit Lecanemab Risiken und Nebenwirkungen verbunden. In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Das Risiko für solche Nebenwirkungen hängt stark vom ApoE4-Gen ab: Menschen mit zwei Kopien dieses Gens sind besonders gefährdet und daher von der Behandlung ausgeschlossen. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). In der Studie wurden drei Todesfälle gemeldet, von denen zwei mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern in Verbindung gebracht wurden.
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Die EMA betont darum in ihrer Stellungnahme, dass es zwingend Maßnahmen zur Risikominimierung geben müsse; wie zum Beispiel MRT-Scans vor der Verabreichung weiterer Lecanemab-Dosen. Lecanemab wird als intravenöse Infusion alle zwei Wochen verabreicht. Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Diese Untersuchungen müssen vor der 5., 7. und 14. Dosis erfolgen. Werden die vorgeschriebenen MRTs nicht durchgeführt, muss die Behandlung beendet werden. Treten Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Übelkeit auf, entscheiden die behandelnden Ärztinnen und Ärzte über weitere Untersuchungen.
Anforderungen an die ärztliche Versorgung
Die Behandlung mit Leqembi stellt neue Anforderungen an die ärztliche Versorgung. Es braucht eine frühzeitige Diagnose sowie spezialisierte Einrichtungen mit ausreichender personeller und technischer Ausstattung. Nur Patientinnen und Patienten, die alle Voraussetzungen erfüllen, dürfen mit Leqembi behandelt werden. Vor Beginn der Therapie erhalten sie ebenso wie ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte ausführliche Informationen, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und richtig einzuordnen. Zusätzlich ist die Teilnahme an einem EU-weiten Kontrollprogramm verpflichtend (Controlled Access Program, CAP) Patientinnen und Patienten sowie ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte müssen in ein zentrales Register eingeschrieben werden. Zu Beginn der Therapie erhalten die Erkrankten eine Patientenkarte und ausführliche Aufklärungsunterlagen. Die Behandlung mit Leqembi wird beendet, wenn sich die Alzheimer-Erkrankung deutlich verschlechtert und in ein mittelschweres Stadium übergeht.
Kritik an Anti-Alzheimer-Medikamenten
Gesundheitsexperten äußern im Fachjournal "The BMJ" Kritik an den Therapien: Die Medikamente zeigten nur eine unmerkliche Verlangsamung der Demenz, dagegen jedoch schwerwiegende unerwünschte Nebenwirkungen, den Tod eingeschlossen, heißt es. Fraglich sei auch, wie alltagsrelevant die messbare leichte Verzögerung des Krankheitsverlaufs überhaupt ist, ergänzt Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Studien zu den Wirkstoffen machen zudem die Beobachtung, dass Anti-Amyloid-Medikamente das Gehirn merklich schrumpfen lassen. Was es damit auf sich hat, ist bisher noch vollkommen unklar.
Weitere Entwicklungen in der Alzheimer-Forschung
Lecanemab ist nicht das einzige Medikament, das gegen Alzheimer ursächlich wirken soll. Der Antikörper Aducanumab, entwickelt vom US-Biotech-Unternehmen Biogen, wurde von der EMA Ende 2021 nicht zur Zulassung empfohlen. Der vermeintliche klinische Effekt des Medikaments sei fraglich. Ein weiterer Zulassungsantrag wurde vom US-Pharma-Konzern Eli Lilly für den Wirkstoff Donanemab gestellt. Dieses Verfahren läuft noch. Seit 25.09.2025 ist auch ein zweites Antikörper-basiertes Alzheimermedikament in der EU zugelassen. Es enthält den Antikörper Donanemab. Im Juli hatte es eine Zulassungsempfehlung der EMA erhalten - nach einer Überprüfung der zunächst negativen EMA-Entscheidung vom 28.03.2025. Auch dieses Medikament kann Studien zufolge bei einer Anwendung im Frühstadium der Erkrankung das Fortschreiten verlangsamen. Im Dezember 2024 wurde für ein drittes Alzheimermedikament das Zulassungsverfahren eröffnet.
Insgesamt sind rund 60 weitere Medikamente für die Alzheimer-Therapie im vorangehenden Erprobungsstadium (Phase II), der Erprobung mit wenigen Kranken nach erfolglichen Tests mit Gesunden (Phase I). Viele davon sind Neuentwicklungen, andere sind bereits zur Behandlung anderer Krankheiten zugelassen (z. B. bei Schlafstörungen oder Bauchspeichelsdrüsenkrebs).
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Bedeutung der Frühdiagnose
Viel deutet darauf hin, dass die Behandlung sehr frühzeitig begonnen werden muss, wenn sie noch wirksam ins Krankheitsgeschehen eingreifen soll, und nicht erst, wenn die Alzheimer-Symptome schon ausgeprägt sind. Das ist möglich geworden, weil sich Zeichen der Krankheit (d.h. Beta-Amyloid und Tau-Fibrillen im Gehirn) mittlerweile mit nicht-invasiven bildgebenden Verfahren nachweisen lassen. Das National Institute on Aging and Alzheimer's Association Research Framework empfiehlt deshalb, bei klinischen Studien nur noch mit Patient:innen zu arbeiten, die die für Alzheimer charakteristischen Gehirnveränderungen aufweisen; die dafür anzuwendende biologische (statt Symptom-bezogene) Alzheimer-Definition hat das Research Framework 2018 in der Zeitschrift Alzheimer's & Dementia veröffentlicht.
Andere Therapieansätze
Noch etliche andere Ansatzpunkte für eine Alzheimer-Therapie werden derzeit in klinischen Studien oder bei Tieren erprobt. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die bei Alzheimer auftretenden Plaques zwischen den Nervenzellen wesentlich zum Absterben von Nervenzellen beitragen. Deshalb setzen viele Arzneimittel-Kandidaten an der Substanz an, aus der sie bestehen: dem Beta-Amyloid-Protein. Ein Typ dieser Medikamente enthält gentechnisch hergestellte Antikörper, die sich an das Beta-Amyloid-Protein oder Vorstufen davon heften. Das Immunsystem baut dann das so markierte Protein ab, wodurch der Raum zwischen den Nervenzellen gereinigt wird. Dieser Ansatz wird auch „passive Immunisierung gegen Alzheimer“ genannt. Die Studienergebnisse mit mehreren gegen Beta-Amyloid gerichteten Medikamente belegen, dass Beta-Amyloid-Plaques in der Tat eine relevante Rolle im Krankheitsgeschehen spielen. Wie zentral diese ist, ist damit aber noch immer nicht geklärt.
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