Aminosäuren sind nicht nur die Bausteine des Lebens, sondern auch essenziell für die Funktion unseres Gehirns. Sie sind an der Produktion von Neurotransmittern beteiligt, die unsere Stimmung, unseren Schlaf und unsere kognitiven Fähigkeiten beeinflussen. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Wirkungen von Aminosäuren auf das Gehirn, insbesondere von L-Tryptophan, und zeigt, wie eine ausgewogene Ernährung oder gezielte Supplementierung die Gehirnfunktion unterstützen kann.
Was sind Aminosäuren?
Aminosäuren sind stickstoffhaltige organische Verbindungen, die als Bausteine für Proteine, Peptide, Hormone und Neurotransmitter dienen. Sie sind an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt, transportieren Nährstoffe und beeinflussen die Funktion von Organen, Drüsen, Sehnen und Arterien. Aminosäuren sind essenziell für den Erhalt von Muskeln und die Wundheilung. Sie lassen sich in essentielle und nicht-essentielle Aminosäuren einteilen. Essentielle Aminosäuren kann der Körper nicht selbst herstellen und müssen über die Nahrung aufgenommen werden, während nicht-essentielle Aminosäuren vom Körper selbst produziert werden können.
L-Tryptophan: Ein Schlüsselspieler für Serotonin und Melatonin
L-Tryptophan ist eine der neun essentiellen Aminosäuren, die der menschliche Körper nicht selbst synthetisieren kann und daher regelmäßig über die Nahrung aufgenommen werden muss. Als proteinogene Aminosäure dient es als grundlegender Baustein für Proteine und Peptide. Tryptophan besitzt eine Indolgruppe, eine bizyklische Struktur, die aus einem Benzolring besteht, der an einen Pyrrolring fusioniert ist. Die primäre Rolle von Tryptophan ist seine Funktion als Proteinbaustein. Darüber hinaus spielt es eine wichtige Rolle in zahlreichen Stoffwechselwegen.
Ein vergleichsweise kleinerer Anteil von Tryptophan fließt in die Synthese von Serotonin und anschließend Melatonin. Der erste und geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der Serotonin-Biosynthese beinhaltet das Enzym Tryptophan-Hydroxylase (TPH). TPH fügt Tryptophan eine Hydroxylgruppe hinzu und wandelt es in 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) um. Die Aktivität von TPH ist direkt von der Verfügbarkeit von Tryptophan abhängig und erfordert Tetrahydrobiopterin als essentielle Kofaktoren. Anschließend wird 5-HTP schnell durch das Enzym Aromatische Aminosäure-Decarboxylase (AAAD) zu 5-HT (Serotonin) decarboxyliert. Melatonin wird aus Serotonin durch das Enzym N-Acetyltransferase gebildet, wobei S-Adenosylmethionin (SAMe) als Kofaktor dient. Die Aktivität der Acetyltransferase wird durch das Dunkelheitssignal der Netzhaut reguliert.
Serotonin und seine Bedeutung für die Stimmung
Serotonin, oft als "Glückshormon" bezeichnet, beeinflusst maßgeblich unsere Stimmung. Es wird aus der Aminosäure L-Tryptophan gebildet und spielt eine wichtige Rolle für das allgemeine Wohlbefinden. Ein Mangel an L-Tryptophan kann die Serotonin-Ausschüttung stören.
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Melatonin und der Schlaf-Wach-Rhythmus
L-Tryptophan ist auch an der Produktion des Schlafhormons Melatonin beteiligt. Melatonin reguliert den Schlaf-Wach-Rhythmus und wird bei abnehmendem Lichteinfall am Abend vermehrt ausgeschüttet, was Müdigkeit verursacht.
Der Kynurenin-Weg: Ein zweischneidiges Schwert
Der Kynurenin-Weg stellt den vorherrschenden Weg des Tryptophan-Katabolismus dar und macht etwa 90-95 % seines Abbaus bei Säugetieren aus. Am Ende dieses Weges steht die Bildung von Niacin (Vitamin B3). Tryptophan wird durch die Enzyme Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO) oder Tryptophan-2,3-Dioxygenase (TDO) in N-Formyl-Kynurenin umgewandelt, welches dann zu Kynurenin weiterverarbeitet wird. Kynurenin selbst hat zwei Hauptstoffwechselwege: Kynurenin wird direkt über das Enzym Kynurenin-Aminotransferase (KAT) zu Kynureninsäure umgewandelt, die als Antagonist des neurotoxischen NMDA/Glutamatrezeptors und als Agonist des nikotinischen Acetylcholinrezeptors wirkt. Der andere Weg des Kynurenins führt zur Bildung von 3-Hydroxy-Kynurenin. Schließlich führt die Kynureninase über mehrstufige enzymatische Reaktionen zur Bildung von Chinolinsäure, die letztendlich Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD+) und andere aktive Moleküle produzieren.
Der Kynureninweg ist ein „zweischneidiges Schwert“, da er sowohl nützliche (z.B. neuroprotektive Kynureninsäure) als auch schädliche (z.B. neurotoxische Chinolinsäure) Verbindungen produzieren kann. Das Gleichgewicht zwischen diesen Metaboliten ist entscheidend. Die Enzyme IDO und TDO spielen eine zentrale Rolle bei der Verbindung des Kynureninwegs mit Entzündungsprozessen und Stressreaktionen. IDO wird durch proentzündliche Zytokine aktiviert, am stärksten durch IFN-γ, IL1 und TNFα. Die Aktivität der TDO wird durch Cortisol gesteigert. Das Kynurenin-zu-Tryptophan-Verhältnis dient als wichtiger Indikator für die IDO-Aktivität und spiegelt die endogene Anpassung des Körpers an Stress und Entzündungen wider.
Einfluss der Darmmikrobiota auf den Tryptophan-Stoffwechsel
Der Katabolismus von L-Tryptophan durch die Darmmikrobiota erweist sich als ein Schlüsselmodulator der Darmfunktion und der gesamten Darmgesundheit. Ein signifikanter Anteil, geschätzt über 80 % des gesamten Serotonins des Körpers, wird im Darm von spezialisierten enterochromaffinen Zellen produziert, ein Prozess, der maßgeblich von der Aktivität und Zusammensetzung der Darmmikrobiota beeinflusst wird. Spezifische Bakterien innerhalb der Darmmikrobiota besitzen die enzymatischen Voraussetzungen, um Tryptophan in verschiedene Indol-Derivate umzuwandeln. Diese Derivate umfassen Indolpropionsäure und Indolacetaldehyd, das weiter zu Indolessigsäure (IAA) und Indolaldehyd (IAld) metabolisiert werden kann. Darüber hinaus können Mikroben Tryptophan über alternative Stoffwechselwege nutzen, was zur Bildung anderer Metaboliten wie Tryptamin führt. Diese Indol-Derivate spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Integrität der Darmbarriere und der Förderung der Homöostase der Immunzellen. Dies wird hauptsächlich durch ihre Fähigkeit erreicht, den Arylhydrocarbon-Rezeptor (AhR) zu aktivieren, einen Liganden-aktivierten Transkriptionsfaktor, der auf Immunzellen und Epithelzellen im Darm vorhanden ist. Die Aktivierung des AhR durch Indol-Metaboliten fördert die Produktion von Interleukin-22 (IL-22). IL-22 ist ein Zytokin, das für seine entzündungshemmenden Wirkungen und seine schützende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Schleimhautintegrität von entscheidender Bedeutung ist. Es kontrolliert die Epithelzellproliferation und die Stimulierung der Produktion antimikrobieller Peptide (AMPs), die dazu beitragen, Entzündungen durch kommensale Bakterien zu begrenzen.
Beeinflussung der Tryptophan-Aufnahme ins Gehirn
L-Tryptophan gehört neben weiteren Aminosäuren zu den großen neutralen Aminosäuren, die auf aktiven Transport über die Carrier angewiesen sind. Die Verfügbarkeit von Tryptophan aus der Nahrung und seine Blutkonzentration haben unmittelbaren Einfluss auf die Konzentrationen im Gehirn. Proteinreiche Nahrung erhöht zwar das Angebot an Tryptophan - gleichzeitig konkurrieren allerdings die anderen Aminosäuren am gemeinsamen Transporter mit Tryptophan, wodurch die Aufnahme über die Blut-Hirn-Schranke gebremst wird. Durch einen hohen Kohlenhydratanteil in der Ernährung wird die Aufnahme von Tryptophan verbessert - denn durch die Insulinausschüttung werden die anderen Aminosäuren aus dem Blut in die Muskulatur aufgenommen und stehen nicht mehr in Konkurrenz an der Blut-Hirn-Schranke. Tryptophan dagegen wird in der Muskulatur in hohem Umfang nicht benötigt und kann so leichter ins Gehirn gelangen. Bei einer Supplementation mit L-Tryptophan empfiehlt es sich deshalb auch, einen zeitlichen Abstand zu einer proteinreichen Mahlzeit einzuhalten.
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Auch sportliche Betätigung kann helfen, die L-Tryptophan-Aufnahme zu erleichtern. Es wurde beobachtet, dass unter einer intensiven Ausdauerbelastung, wie sie beispielsweise beim Sport vorkommt, vermehrt verzweigtkettige Aminosäuren unter dem Einfluss von Insulin in Muskelzellen aufgenommen werden. Dadurch wird das Aminosäure-Verhältnis im Blut zugunsten von L-Tryptophan verschoben. Auch ein kurzes, intensives Krafttraining fördert einen vermehrten Aminosäure-Abtransport in die Muskulatur.
Weitere wichtige Aminosäuren für das Gehirn
Neben L-Tryptophan gibt es noch weitere Aminosäuren, die eine wichtige Rolle für die Gehirnfunktion spielen:
- Tyrosin: Tyrosin ist Vorstufe der Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin sowie der Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4). Phenylalanin-/ Tyrosin-Supplemente können bei Depressionen hilfreich sein und sie können die Stresstoleranz und die kognitiven Funktionen verbessern.
- Glutaminsäure: Glutaminsäure ist der dominierende excitatorische Neurotransmitter im ZNS. Glutaminerge Neuronen sind besonders häufig in der Großhirnrinde. Glutaminsäure ist als Neurotransmitter an der schnellen synaptischen Übertragung beteiligt, es reguliert die Sekretion der Hypophysenhormone und ist der wichtigste Botenstoff für die Motorik. Glutaminsäure kann therapeutisch zur Verbesserung der Hirnleistung und des Konzentrationsvermögens eingesetzt werden, außerdem bessert es Lernschwierigkeiten bei Schulkindern.
- GABA: GABA ist der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter im ZNS. Es wird von ca. 30 % aller Synapsen gebildet. Glutaminsäure und Glutamin sind die Ausgangssubstanz für die GABA-Synthese. Da Glutamin wesentlich leichter durch die Blut-Hirn-Schranke kommt, empfiehlt sich eine Supplementierung von Glutamin zur Erhöhung der GABA-Synthese. Die GABA-a-Rezeptoren kommen im gesamten Nervensystem vor und haben eine Bindungsstelle für Benzodiazepine.
- Glycin: Glycin wirkt als inhibitorischer Neurotransmitter an den glycinergen Rezeptoren im Rückenmark; es ist beteiligt an der Steuerung der Willkürmotorik. Glycin-Supplemente können Spasmen reduzieren, z.B. bei Multipler Skleroser oder Amyotropher Lateralsklerose. In einigen Untersuchungen besserten Glycin-Supplemente die Symptome schizophrener Patienten.
- Taurin: Taurin wirkt stabilisierend auf die Membranen der Nervenzellen durch eine Interaktion mit Calcium-/ Magnesiumionen. Taurin verlangsamt den Einstrom von Calciumionen in die Neuronen und schützt so vor der Excitotoxizität der Glutaminsäure. Es wirkt als Agonist am GABA-Rezeptor und verstärkt die GABA-Effekte im ZNS.
- Arginin: Arginin ist die Ausgangssubstanz für die Synthese von Stickoxid (NO), das eine zentrale Bedeutung für die Regulierung des Gefäßtonus hat. NO hat Neurotransmittereigenschaften und ist im ZNS an der Gedächtnisbildung sowie an der Regulation der Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde-Achse beteiligt.
Aminosäuren und Hirntumore
Tumoren, insbesondere die sehr schnell wachsenden, aggressiven, haben einen erhöhten Bedarf an Energie und an Bausteinen für neue Zellbestandteile. Krebszellen verbrauchen daher viel Zucker (Glukose). Einige Tumoren sind außerdem in der Lage, die Aminosäure Glutamin, einen wichtigen Baustein der Proteine, zu verwerten. Eine zentrale Rolle beim Aminosäureabbau spielt das Enzym Isocitrat-Dehydrogenase (IDH). Bei zahlreichen Hirntumoren wurden vor einigen Jahren Mutationen im Gen für die IDH entdeckt. Die sehr bösartigen Hirntumoren - die sogenannten primären Glioblastome - sind mit einem intakten IDH-Gen ausgestattet.
Supplementierung von Aminosäuren
In stressigen Situationen oder bei erhöhter körperlicher Belastung kann eine Supplementierung mit Aminosäuren sinnvoll sein. Es gibt Supplemente, die nur eine Aminosäure abdecken oder einen Aminosäuren-Komplex enthalten. Bei der Einnahme von Aminosäuren sind Nebenwirkungen sehr selten.
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