Das Angelman-Syndrom (AS) ist eine seltene, genetisch bedingte neurologische Störung, die durch eine Veränderung auf dem 15. Chromosom verursacht wird und schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung hat. Es wurde erstmals 1965 von dem englischen Kinderarzt Dr. Harry Angelman beschrieben. Das Syndrom betrifft schätzungsweise 1 von 15.000 Geburten, weltweit sind etwa 500.000 Menschen betroffen, in Deutschland etwa 5.000. Jungen und Mädchen sind gleichermaßen betroffen, und es kommt in allen Nationalitäten und ethnischen Gruppen vor.
Genetische Grundlagen des Angelman-Syndroms
Die Ursache des Angelman-Syndroms ist eine genetische Veränderung im UBE3A-Gen auf dem Chromosom 15. Dieses Gen ist für die Produktion eines Enzyms verantwortlich, das in den Körperzellen an der Beseitigung überschüssiger Eiweiße (Proteine) beteiligt ist. Das UBE3A-Gen unterliegt dem genomischen Imprinting, was bedeutet, dass in bestimmten Gehirnbereichen nur die mütterliche Version des Gens aktiv ist, während die väterliche Version stillgelegt wird. Wenn das mütterliche Gen defekt ist oder fehlt, kann dies zu einem Funktionsverlust des UBE3A-Proteins führen, was die neurologischen Symptome des Angelman-Syndroms verursacht.
Es gibt verschiedene genetische Mechanismen, die zum Angelman-Syndrom führen können:
- Maternale Deletion: Bei etwa 70 % der AS-Patienten fehlt ein Abschnitt auf dem mütterlichen Chromosom 15, der das UBE3A-Gen enthält.
- Uniparentale Disomie (UPD): In etwa 2-5 % der Fälle erben die Betroffenen zwei Chromosomen 15 vom Vater und keines von der Mutter, wodurch das aktive UBE3A-Gen fehlt.
- Imprinting-Defekt: Bei etwa 4 % der AS-Patienten ist das mütterliche Chromosom 15 väterlich geprägt, wodurch das UBE3A-Gen auch auf diesem Chromosom ausgeschaltet ist.
- UBE3A-Mutation: In etwa 5-10 % der Fälle liegt eine Mutation im UBE3A-Gen selbst vor, die dessen Funktion beeinträchtigt.
- Andere Ursachen: Bei einem Teil der Menschen mit Verdacht auf ein Angelman-Syndrom kann keine der oben genannten genetischen Veränderungen nachgewiesen werden. In diesen Fällen sind die genetischen Ursachen bislang unklar.
Das Wiederholungsrisiko eines Angelman-Syndroms hängt von der zugrunde liegenden genetischen Ursache ab. Eltern, die bereits ein Kind mit Angelman-Syndrom haben, sollten eine genetische Beratung in Anspruch nehmen.
Klinische Merkmale des Angelman-Syndroms
Das Angelman-Syndrom manifestiert sich durch eine Vielzahl von Merkmalen, die von Person zu Person unterschiedlich sein können. Nicht alle Betroffenen zeigen alle Symptome. Die typischen Symptome umfassen:
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- Entwicklungsverzögerung: Kinder mit Angelman-Syndrom zeigen eine deutliche Entwicklungsverzögerung, insbesondere in den Bereichen Sprache und Motorik. Sie erreichen motorische Meilensteine wie Drehen, Sitzen und Laufen später als Gleichaltrige. Die Sprachentwicklung ist stark eingeschränkt, und viele Betroffene entwickeln keine oder nur wenige Wörter.
- Bewegungsstörungen: Viele Menschen mit Angelman-Syndrom haben Schwierigkeiten mit der Koordination und dem Gleichgewicht. Sie zeigen einen unsicheren, breitbeinigen Gang mit ruckartigen Bewegungen der Gliedmaßen.
- Epilepsie: Epilepsie tritt bei einem Großteil der Kinder mit Angelman-Syndrom auf, meist im Alter zwischen 1 und 3 Jahren. Die Anfälle können verschiedene Formen annehmen, darunter Zuckungen, Krämpfe, Ohnmachtsanfälle oder Abwesenheiten.
- Verhaltensauffälligkeiten: Menschen mit Angelman-Syndrom haben oft eine außergewöhnlich fröhliche Grundstimmung und lachen und lächeln häufig, oft auch ohne erkennbaren Grund. Sie sind sehr sozial und suchen Körperkontakt. Einige Betroffene zeigen auch Hyperaktivität und Schlafstörungen.
- Körperliche Merkmale: Einige körperliche Merkmale sind typisch für das Angelman-Syndrom, darunter ein kleiner Kopf (Mikrozephalie), ein flacher Hinterkopf, ein vorstehender Unterkiefer, ein großer Mund mit weit auseinanderstehenden Zähnen und eine helle Haut- und Augenfarbe aufgrund von Pigmentmangel (Hypopigmentierung).
Britt, die Mutter einer Tochter mit Angelman-Syndrom, beschreibt, dass sich das Syndrom bei ihrer Tochter vor allem durch die Entwicklungsstörung äußert. Mit vier Jahren ist ihre Tochter auf dem Stand eines zweijährigen Kindes. Sie ist nonverbal und wird voraussichtlich nicht sprechen lernen. Trotzdem ist sie ein sehr fröhliches Kind, was typisch für das Syndrom ist.
Epilepsie beim Angelman-Syndrom
Epilepsie ist ein häufiges und oft schwerwiegendes Problem bei Menschen mit Angelman-Syndrom. Die Anfälle beginnen meist im frühen Kindesalter und können verschiedene Formen annehmen. Das EEG (Elektroenzephalogramm) von AS-Betroffenen ist oft auffällig, auch ohne epileptische Anfälle.
Die Behandlung der Epilepsie beim Angelman-Syndrom kann eine Herausforderung sein. Es gibt keine wissenschaftliche Übereinstimmung über die optimale Medikation. Oft ist eine Kombination mehrerer Antiepileptika erforderlich, um die Anfälle unter Kontrolle zu bringen. Eine neurologische Behandlung durch einen erfahrenen Facharzt ist in jedem Fall zu empfehlen.
Schlafmangel kann ein Auslöser für epileptische Anfälle sein, daher ist ein fester Schlafrhythmus und ausreichend Ruhe vor dem Schlafengehen wichtig. In einigen Fällen kann es notwendig sein, das Schlafverhalten mit Medikamenten zu regulieren.
Zahn- und Mundgesundheit beim Angelman-Syndrom
Menschen mit Angelman-Syndrom weisen häufig spezifische orale und zahnmedizinische Merkmale auf, die besondere Aufmerksamkeit erfordern. Dazu gehören:
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- Makrostomie: Ein breiter Mund, der oft mit lückig und weit auseinanderstehenden Zähnen einhergeht.
- Prognathie: Ein vorstehender Unterkiefer.
- Herausgestreckte Zunge: Bei einem Teil der Betroffenen ist die Zunge anhaltend herausgestreckt.
- Vermehrter Speichelfluss: Aufgrund eines reduzierten Schluckreflexes kommt es häufig zu vermehrtem Sabbern.
- Orale Verhaltensweisen: Viele Menschen mit Angelman-Syndrom nehmen Gegenstände in den Mund und kauen darauf herum, oft bis ins Jugendalter.
Diese Merkmale können zu verschiedenen Problemen führen, darunter:
- Kieferorthopädischer Behandlungsbedarf: Aufgrund der Zahnfehlstellungen und des vorstehenden Unterkiefers kann eine kieferorthopädische Behandlung erforderlich sein.
- Erhöhtes Kariesrisiko: Obwohl die Datenlage begrenzt ist, besteht möglicherweise ein erhöhtes Kariesrisiko aufgrund von Schwierigkeiten bei der Mundhygiene und der oralen Verhaltensweisen.
- Erosionen: Das ständige Kauen auf Gegenständen und der vermehrte Speichelfluss können zu Erosionen des Zahnschmelzes führen.
Regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen und Prophylaxesitzungen sind für Menschen mit Angelman-Syndrom unerlässlich. Die Zahnärztin oder der Zahnarzt sollte Erfahrung im Umgang mit Patienten mit geistiger Behinderung haben und die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Angelman-Syndrom berücksichtigen. Eine gute Mundhygiene ist entscheidend, und die Eltern oder Betreuer sollten bei der täglichen Zahn- und Mundpflege unterstützen.
Unterstützung und Therapie
Obwohl es keine Heilung für das Angelman-Syndrom gibt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Dazu gehören:
- Frühförderung: Frühförderung ist für Angelman-Kinder von großer Bedeutung. Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie können die motorischen und kommunikativen Fähigkeiten verbessern.
- Medikamentöse Behandlung: Medikamente können zur Behandlung von Epilepsie, Schlafstörungen und anderen Begleiterkrankungen eingesetzt werden.
- Verhaltenstherapie: Verhaltenstherapie kann helfen, Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität und Schlafstörungen zu reduzieren.
- Kommunikationshilfen: Da die Sprachentwicklung stark eingeschränkt ist, können Kommunikationshilfen wie Gebärdensprache, laminierte Kärtchen oder Sprachcomputer die Kommunikation erleichtern.
- Unterstützung für Familien: Familien mit einem Kind mit Angelman-Syndrom benötigen viel Unterstützung. Selbsthilfegruppen und Fachzentren können Informationen, Beratung und Austauschmöglichkeiten bieten.
Britt betont, wie wichtig es ist, sich zu vernetzen und Gleichgesinnte zu suchen. Der deutsche Angelman e.V. bietet einen tollen Austausch. Auch über Instagram hat sie einen tollen Austausch mit Eltern von Kindern mit verschiedensten Behinderungen. Dies ist wichtig, um Informationen zu erhalten, auf was man Anrecht hat, um was man sich kümmern sollte oder was es für Möglichkeiten gibt.
Zukunftsperspektiven
Die Forschung zum Angelman-Syndrom schreitet voran. Es gibt vielversprechende Ansätze für Gentherapien, die darauf abzielen, die stillgelegte Kopie des UBE3A-Gens auf dem väterlichen Chromosom 15 zu reaktivieren oder ein funktionierendes UBE3A-Gen in das mütterliche Chromosom einzuschleusen. Diese Therapien könnten in Zukunft eine ursächliche Behandlung des Angelman-Syndroms ermöglichen.
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Britt wünscht sich für die Zukunft, dass Inklusion funktioniert und dass behinderte Kinder und Erwachsene ganz selbstverständlich in der Gesellschaft mitbedacht und einbezogen werden. Sie wünscht sich auch eine Überarbeitung des Gesundheitssystems, damit es bessere Möglichkeiten für die Versorgung von Menschen mit Behinderungen gibt.