Arno Geiger, ein bedeutender österreichischer Schriftsteller, hat sich in seinem Werk auf einfühlsame und tiefgründige Weise mit dem Thema Demenz auseinandergesetzt. Besonders hervorzuheben ist sein Buch "Der alte König in seinem Exil", in dem er die Alzheimer-Erkrankung seines Vaters thematisiert und eine bewegende Auseinandersetzung mit Verlust, Liebe und der veränderten Beziehung zwischen Vater und Sohn darstellt.
Die Demenz als einschneidendes Ereignis für die Familie
Geiger betont, dass eine Demenzerkrankung nicht nur den Betroffenen selbst betrifft, sondern die gesamte Familie in ein neues Zentrum reißt. Er beschreibt, wie er zunächst hilflos und voller Protest auf die Veränderungen reagierte, die die Krankheit seines Vaters mit sich brachte. Doch im Laufe der Zeit entwickelte er eine neue Perspektive, die von Solidarität und Akzeptanz geprägt war.
Schreiben als Weg der Auseinandersetzung
Das Schreiben wurde für Geiger zu einem wichtigen Instrument, um seine Erfahrungen zu verarbeiten und einen Zugang zu seinem Vater zu finden. Er führte Tagebuch, notierte Dialoge und Beobachtungen, die später in sein Buch einflossen. Dabei war es ihm wichtig, Distanz zu wahren und nicht in eine therapeutische Nabelschau zu verfallen. Vielmehr wollte er eine Geschichte erzählen, die von den existenziellen Fragen handelt, die die Demenz aufwirft.
Die Bedeutung der Sprache und der zwischenmenschlichen Beziehung
Geiger erkannte, dass die Sprache ein Schlüssel ist, um mit seinem Vater in Kontakt zu treten. Er bemerkte, dass sein Vater, obwohl er oft wirr redete, in klaren Momenten seine Intelligenz und seinen Witz bewahrte. Diese Momente der Klarheit waren für Geiger von großer Bedeutung und bestärkten ihn in seinem Bemühen, seinem Vater auf Augenhöhe zu begegnen.
Ein zentrales Element in Geigers Umgang mit seinem Vater war die Akzeptanz seinerRealität. Anstatt ihn ständig zu korrigieren oder ihm seine "Fehler" vorzuhalten, begann er, sich auf seine Welt einzulassen und mit ihm in seiner fiktiven Realität zu kommunizieren. Diese Solidarisierung schenkte seinem Vater ein Gefühl von Geborgenheit und nahm ihm die Angst. Als Geiger das erste Mal sagte: „Ich gehe mit“, bemerkte er den Unterschied sofort. Das ist Solidarisierung. Endlich sagt jemand nicht Nein, sondern Ja. Und wie wichtig ein Ja für uns alle ist: Wenn wir den ganzen Tag nur Nein, Nein, Nein hören, werden wir verrückt, und die Abwärtsspirale dreht sich, weil mein Vater sich ganz sicher war.
Lesen Sie auch: Psychiater Arno Kirsch
Die Demenz als Spiegel der Gesellschaft
Geiger sieht in der Demenz nicht nur eine individuelle Erkrankung, sondern auch ein Sinnbild für den Zustand der modernen Gesellschaft. Er argumentiert, dass die zunehmende Komplexität und Verwirrung in der Welt dazu führen, dass immer mehr Menschen den Überblick verlieren und sich nach einfachen Antworten sehnen. In diesem Zusammenhang kann die Demenz als eine Art "Übertreibung" dieser gesellschaftlichen Tendenzen verstanden werden. Für uns alle ist die Welt verwirrend“, heißt es an einer Stelle, „und wenn man es nüchtern betrachtet, besteht der Unterschied zwischen einem Gesunden und einem Kranken vor allem im Ausmaß der Fähigkeit, das Verwirrende an der Oberfläche zu kaschieren.
Kritische Stimmen und die Frage der "Verwertung" der Krankheit
Geigers Werk wurde nicht nur positiv aufgenommen. Einige Kritiker warfen ihm vor, er würde die Krankheit seines Vaters "vermarkten" oder sie gar romantisieren. Ulrich Stock empfand es als unangenehm, wie Geiger seinen demenzkranken Vater zu "Material" macht und versucht, in der Krankheit einen Sinn zu finden. Christopher Schmidt sah in Geigers Reflexionen kaum mehr als gefühlige Einlassungen und eine zweifelhafte Überhöhung der Krankheit zur heldenhaften Selbstverweigerung.
Die Bedeutung von "Der alte König in seinem Exil"
Trotz dieser kritischen Stimmen bleibt "Der alte König in seinem Exil" ein wichtiges und bewegendes Buch, das dazu beitragen kann, das Verständnis für Demenz zu fördern und Angehörigen Mut zu machen. Es zeigt, dass auch in schwierigen Situationen Momente der Nähe, der Liebe und des Humors möglich sind. Das Buch ist ein Geschenk, das ich mir selber gemacht habe. Weil der Papa ist mittlerweile tot und es hält so vieles fest.
Weitere Aspekte der Demenz im Werk von Arno Geiger
Neben "Der alte König in seinem Exil" thematisiert Geiger die Demenz auch in anderen Werken, wenn auch nicht so explizit. Immer wieder geht es um Fragen der Erinnerung, desVerlusts und der Identität. Auch in diesen Werken zeigt sich Geigers Fähigkeit, komplexe Themen auf einfühlsame und sprachlich brillante Weise zu behandeln.
Lesen Sie auch: Fortgeschrittene Demenz: Ein umfassender Überblick
Lesen Sie auch: Wechselwirkungen zwischen Schmerzmitteln und Demenz