Atropin: Wirkung, Mechanismus und Bedeutung an der Synapse

Atropin, ein in der Tollkirsche (Atropa belladonna) natürlich vorkommendes Tropan-Alkaloid, ist ein unselektiver Muskarinrezeptor-Antagonist mit vielfältigen medizinischen Anwendungen. Es beeinflusst die Signalübertragung an den Synapsen, den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen, und kann somit die Reizweiterleitung im Nervensystem modulieren.

Was sind Synapsengifte?

Synapsengifte, auch Nervengifte genannt, sind Substanzen, die die neuronale Signalübermittlung stören. Sie greifen in die komplexen Mechanismen der Reizweiterleitung ein, indem sie diese entweder blockieren oder verstärken. Ein zentraler Mechanismus vieler Synapsengifte ist die Verhinderung der Ausschüttung von Neurotransmittern. Dies kann beispielsweise durch die Behinderung der Signalkaskade an den Calcium-Kanälen im Endknöpfchen der Präsynapse geschehen.

Die Synapse als Angriffspunkt von Giften

Synapsengifte beeinflussen die neuronale Signalübertragung durch Blockade oder Verstärkung der Reizweiterleitung. Sie wirken an unterschiedlichen Orten innerhalb der Synapse. Drei Bereiche der Synapse, an denen Gifte wirken können, sind:

  • Präsynapse: Hier finden wichtige Schritte der Signalübertragung statt, wie die Öffnung von Calciumionenkanälen bei Aktionspotenzialen und die Vesikelfusion zur Freisetzung von Neurotransmittern.
  • Synaptischer Spalt: In diesem Bereich können Enzyme die Neurotransmitter abbauen und somit ihre Wirkungsdauer regulieren.
  • Postsynapse: Auf der postsynaptischen Membran befinden sich Rezeptoren, an die Neurotransmitter binden können, um Ionenkanäle zu öffnen oder zu schließen.

Wirkprinzipien von Synapsengiften

Präsynaptische Gifte

An der Präsynapse können Synapsengifte verschiedene Mechanismen nutzen, um die Signalübertragung zu beeinflussen.

  • α-Latrotoxin: Dieses Gift der schwarzen Witwe lässt zu viele Calciumionen einströmen, was zu einer Dauererregung führt und Muskelkrämpfe verursacht.
  • Botulinumtoxin (Botox): Es verhindert die Vesikelfusion und blockiert die Freisetzung von Acetylcholin, was zu einer Lähmung der Muskeln führt. Das Bakterium Clostridium Botulinum findet man in verdorbenem Essen oder in der Kosmetikindustrie als Anti-Falten-Mittel.

Postsynaptische Gifte

Auf der postsynaptischen Membran können Synapsengifte ebenfalls die Signalübertragung beeinflussen.

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  • Curare: Dieses Toxin kann an Acetylcholin-Rezeptoren binden und verhindern, dass Acetylcholin andockt. Dadurch bleibt der Ionenkanal geschlossen und die Kontraktion des Muskels unterbleibt. Tubocurarin ist ein Pfeilgift der Indianer und stammt aus der Rinde von Mondsamengewächsen. Dieser Mechanismus wird pharmakologisch für Muskelrelaxantien genutzt.
  • Batrachotoxin: Das Gift des Pfeilgiftfroschs verhindert das Schließen der Na+-Kanäle. Durch die dauerhaft geöffneten Ionenkanäle kommt es zur Überaktivierung der Muskeln und Verkrampfungen.

Atropin: Ein genauerer Blick

Herkunft und Eigenschaften

Atropin ist ein sehr giftiges Alkaloid, das als natürlicher Bestandteil von Nachtschattengewächsen (Belladonna) wie Tollkirschen, Stechapfel oder Engelstrompete vorkommt. In der Medizin wird Atropin schon seit Jahrhunderten verwendet.

Medizinische Anwendungen

Generell dient Atropin der Beschleunigung von stark verlangsamtem Herzschlag (Bradykardien). In der Chirurgie und Notfallmedizin kann Atropin bei der Einleitung und während der Narkose verwendet werden. In schwacher Dosierung und bei äußerlicher Anwendung am Auge bewirkt Atropin durch die kompetitive Hemmung der Acetylcholinrezeptor-Bindungsstellen an den muskarinergen Rezeptoren eine vorübergehende Lähmung der Muskeln um die Pupille. Dadurch erweitern sich die Pupillen (Mydriasis), die Akkomodationsfähigkeit setzt vorübergehend aus und der Druck im Auge steigt. Das erleichtert die Betrachtung des Augenhintergrundes (Netzhautuntersuchung) zu diagnostischen Zwecken. Zum Zweck der Netzhautuntersuchung werden atropinhaltige Augentropfen verwendet. Viele Augenärzte setzen inzwischen allerdings auf digitale Systeme zur Netzhautbetrachtung.

Wirkungsweise von Atropin

Atropin ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Parasympatholytika (auch Anticholinergika oder Muskarinrezeptor-Antagonisten genannt). Seine parasympatholytischen (den Parasympathikus hemmenden) Eigenschaften sorgen unter anderem dafür, dass die glatte Muskulatur im Magen-Darm-Trakt, in den Gallenwegen und den ableitenden Harnwegen erschlafft. Zudem hemmt Atropin die Sekretion von Speichel, Tränenflüssigkeit und Schweiß. Außerdem verringert es die Schleimbildung in der Lunge und erweitert die Pupillen des Auges. In höheren Dosierungen steigert Atropin den Herzschlag (positiv chronotrope Wirkung).

Der Einfluss auf das vegetative Nervensystem

Das vegetative (unwillkürliche) Nervensystem besteht aus zwei Teilen, die sich wie Gegenspieler zueinander verhalten: das sympathische und das parasympathische Nervensystem. Hat das parasympathische Nervensystem (Parasympathikus) die Oberhand, beruhigt sich der Herzschlag, die Verdauung wird angeregt, und die Muskeln entspannen sich. Man spricht hier auch von der "Feed-and-breed"- oder "Rest-and-digest"-Reaktion ("fressen und fortpflanzen" bzw. "ausruhen und verdauen"). Wird jedoch das sympathische Nervensystem (Sympathikus) aktiviert, ist der Körper auf Leistung ausgelegt - der Herzschlag wird schneller, die Pupillen weiten sich, und die Verdauungsleistung wird heruntergefahren. Diese Stressreaktion ist auch als "Fight-or-flight"-Reaktion ("kämpfen oder flüchten") bekannt. Der Wirkstoff Atropin hemmt im Körper den Parasympathikus, wodurch es abhängig von der Dosis zu indirekten sympathischen Wirkungen kommen kann. Dazu zählen wie oben erwähnt zum Beispiel geweitete Pupillen, eine Hemmung der Darmtätigkeit und der Speichelproduktion. Auch Vergiftungen mit Giften, welche die Wirkung des Parasympathikus stark anregen, können mit Atropin als Gegengift behandelt werden. Solche Gifte sind zum Beispiel die chemischen Kampfstoffe Sarin, Soman und Tabun (G-Kampfstoffe) sowie das Insektizid E 605 (Parathion).

Atropin Wirkung Synapse Mechanismus

In hohen Dosen ist die blockierende Wirkung von Atropin auf die muskarinergen Acetylcholinrezeptoren deutlich stärker ausgeprägt. Das führt zu einer Hemmung des parasympathischen Nervensystems. In Folge wird die Produktion von Tränen, Speichel, Schweiß, Atemwegssekreten oder Magensäure reduziert, die Magen-Darm-Motilität vermindert und die Harnentleerung erschwert. Ebenso können eine Tachykardie (erhöhter Herzschlag) ausgelöst, die AV-Überleitung verkürzt und Asystolen verhindert oder vermindert werden. In extrem hoher Dosis hemmt Atropin auch die nikotinergen Wirkungen des Acetylcholins an den Ganglien (parasympathisch, sympathisch) und der motorischen Endplatte der Skelettmuskulatur (kurarisierende Wirkung).

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Atropin hat eine ähnliche Struktur wie Acetylcholin und wirkt daher als kompetitiver Hemmstoff. Es besetzt die Rezeptor-Stellen der Natrium-Kanäle der postsynaptischen Membran und verhindert so deren Öffnung durch Acetylcholin. Atropin hemmt vor allem Acetylcholinrezeptoren des Parasympathikus. In höherer Dosierung wirkt Atropin allerdings ebenfalls wie Curare auf die motorischen Endplatten der Skelettmuskulatur. Auch ist die Wirkung auf bestimmte Organe dosisabhängig.

Pharmakokinetik

Atropin wird in Form von Augentropfen, als intramuskuläre Injektion oder nach oraler Gabe gut und schnell resorbiert, am Auge vermutlich über den Tränenfluss, konjunktivale Gefäße und den Kammerwasserabfluss des Auges. Ein kleiner Teil wird möglicherweise auch über die Schleimhäute und die Bindehaut aufgenommen. Der maximale Effekt am Auge, gemessen an der Mydriasis, setzt innerhalb von 30 bis 40 Minuten ein, der maximale Plasmaspiegel ist hingegen bereits nach wenigen Minuten erreicht. Die Plasmahalbwertszeit beträgt etwa drei Stunden. Ungefähr die Hälfte des Atropins wird renal unverändert ausgeschieden.

Nebenwirkungen und Kontraindikationen

Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch haben Augentropfen mit Atropin in der Regel keine nennenswerten Nebenwirkungen. Lokale Reizungen und Rötungen gehen in der Regel schnell vorüber. Die volle Sehschärfe setzt meistens innerhalb von spätestens 60 Minuten wieder ein. Dennoch kann es nach Anwendung von Atropin für längere Zeit zu Störungen der Akkommodation kommen. Wegen der Mydriasis muss mit verstärkter Blendempfindlichkeit gerechnet werden. Netzhautuntersuchungen mit Augentropfen zur Pupillenerweiterung sollten deshalb so geplant werden, dass danach keine Autofahrten oder Arbeiten am Bildschirm notwendig sind.

Atropin darf nicht verwendet werden bei:

  • Engwinkelglaukom (eine Form von Grünem Star)
  • krankhafter Verengung der koronaren Gefäße (Koronarstenose)
  • Herzrhythmusstörungen mit beschleunigtem Herzschlag (tachykarde Herzrhythmusstörungen)
  • Blasenentleerungsstörung mit Restharnbildung
  • gutartiger Prostatavergrößerung
  • Myasthenia gravis (Autoimmunerkrankung der Nerven und Muskeln)

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Sympathomimetika können die Effekte von Atropin verstärken. Pilocarpin- und physostigminhaltige Arzneimittel schwächen die Wirkung von Atropin ab oder heben sie auf. Umgekehrt hemmt Atropin die Wirkung dieser Medikamente.

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Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit

Atropinsulfat ist plazentagängig. Atropinsulfat findet sich in geringen Mengen in der Muttermilch wieder. Da der Wirkstoff die Sehleistung und das Reaktionsvermögen beeinflusst, ist eine Verkehrstüchtigkeit bereits bei geringen Dosen nicht mehr gewährleistet. Kinder über drei Monate bis zu 1,5 Jahren sollten Atropin nur in sehr geringen Konzentrationen erhalten.

Synapsengifte im Überblick

Synapsengifte kommen im Tier- und Pflanzenreich vor und dienen verschiedenen Zwecken:

  • Abtöten von Beutetieren: Pfeilgiftfrösche, Giftschlangen, Giftspinnen, Quallen
  • Schutz vor Fressfeinden: Giftige Pilze wie der Knollenblätterpilz, Tollkirsche
  • Verteidigung: Wespen und Bienen

Beispiele für weitere Synapsengifte

  • Botulinumtoxin: Verhindert die Freisetzung von Acetylcholin und führt zu Lähmungen.
  • Curare: Blockiert Acetylcholin-Rezeptoren und verursacht Muskellähmung.
  • Alpha-Latrotoxin: Führt zu einer übermäßigen Freisetzung von Neurotransmittern und Muskelkrämpfen.
  • Parathion (E605): Hemmt die Acetylcholinesterase und führt zu einer Überstimulation der Muskeln.

Bedeutung der Forschung zu Synapsengiften

Die Erforschung von Synapsengiften ist nicht nur für das Verständnis von Neurotransmitter-Störungen wichtig, sondern auch für die Entwicklung von Gegenmitteln und therapeutischen Ansätzen. Das Wissen über die Wirkungsweise dieser Gifte trägt dazu bei, die komplexen Mechanismen der exzitatorischen und inhibitorischen Neurotransmitter besser zu verstehen und möglicherweise neue Behandlungsmethoden für neurologische Erkrankungen zu entwickeln.

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