Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen im Erwachsenenalter in Deutschland. Um die Versorgung von Betroffenen und ihren Angehörigen zu verbessern, hat sich das Konzept der "Schlaganfall-Lotsen" etabliert. Diese Lotsen fungieren als Case Manager und bieten eine umfassende Unterstützung und Koordination nach der Akutbehandlung. Dieser Artikel beleuchtet die Ausbildung zum Schlaganfall-Lotsen, die Aufgaben, Ziele und die Bedeutung dieser Rolle im Gesundheitssystem.
Hintergrund und Notwendigkeit von Schlaganfall-Lotsen
Jährlich erleiden in Deutschland etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Fast zwei Drittel der Überlebenden sind dauerhaft auf Unterstützung, Therapie, Hilfsmittel oder Pflege angewiesen. Die Einführung von Schlaganfall-Lotsen zielt darauf ab, spürbare Verbesserungen in der Versorgung dieser Patienten zu erzielen. Viele Patienten und Angehörige fühlen sich nach der Entlassung aus der Rehaklinik überfordert und mit ihren Fragen allein gelassen. Hier setzen die Schlaganfall-Lotsen an, um eine optimale Unterstützung und Ergänzung der hausärztlichen Versorgung zu bieten.
Aufgaben und Ziele eines Schlaganfall-Lotsen
Schlaganfall-Lotsen sind professionelle "Kümmerer", die als Case Manager auf Augenhöhe mit den Betroffenen arbeiten. Sie begleiten die Patienten in der Regel über einen Zeitraum von einem Jahr und bieten eine individuelle, empathische und professionelle Betreuung. Zu den zentralen Aufgaben gehören:
- Information und Beratung: Der Lotse informiert den Betroffenen und seine Angehörigen über alle relevanten Aspekte der Erkrankung, Behandlungsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote.
- Koordination: Der Lotse dokumentiert die Behandlungen in einem individuellen Behandlungsplan und koordiniert die notwendigen Maßnahmen, um eine lückenlose Versorgung sicherzustellen.
- Unterstützung bei Anträgen: Der Lotse unterstützt bei der Beantragung von Sozialleistungen, Hilfsmitteln und anderen notwendigen Ressourcen.
- Vermittlung: Der Lotse vermittelt Kontakte zu Therapeuten, Haus- und Fachärzten, Pflegediensten und anderen relevanten Anlaufstellen in der Region.
- Unterstützung bei Wohnraumanpassung: Bei Bedarf unterstützt der Lotse bei notwendigen Umbaumaßnahmen der Wohnung, um die Selbstständigkeit des Patienten zu fördern.
- Förderung der Therapietreue: Der Lotse steht dem Hausarzt zur Seite, um die Compliance des Patienten bei der medikamentösen Sekundärprävention des Schlaganfalls zu verbessern.
- Motivation zu Lebensstiländerungen: Der Lotse berät die Patienten bei der Kontrolle der Risikofaktoren und motiviert bei Bedarf zu Lebensstiländerungen, wie z.B. Nicht-Rauchen, ausgewogene Ernährung und Bewegung.
Die Hauptziele der Schlaganfall-Lotsen sind die Verhinderung von Pflegebedürftigkeit, die Erhöhung der Therapietreue und die Verhinderung eines wiederholten Schlaganfalls durch Unterstützung in der Sekundärprävention.
Die Ausbildung zum Schlaganfall-Lotsen
Die Ausbildung zum Schlaganfall-Lotsen ist eine intensive und umfassende Qualifizierung, die in der Regel mehrere Module umfasst. Sie richtet sich an Personen mit einem pflegerischen, therapeutischen oder sozialarbeiterischen Hintergrund, die bereits über einschlägige Berufserfahrung in der Arbeit mit Schlaganfall-Betroffenen oder der Neurologie verfügen. Die Ausbildungsinhalte umfassen in der Regel:
Lesen Sie auch: Demenzpflege mit Klangschalen: Anwendung und Vorteile
- Medizinisches Fachwissen: Umfassende Kenntnisse über den Schlaganfall, seine Ursachen, Symptome, Behandlungsmöglichkeiten und Folgen.
- Case Management: Erlernen von Methoden und Instrumenten des Case Managements, um die Versorgung der Patienten effektiv zu koordinieren und zu steuern.
- Kommunikation und Gesprächsführung: Entwicklung von Kommunikationsfähigkeiten, um eine empathische und zielgerichtete Beratung der Patienten und Angehörigen zu gewährleisten.
- Sozialrechtliche Kenntnisse: Erwerb von Kenntnissen über relevante Sozialleistungen, Antragsverfahren und rechtliche Rahmenbedingungen.
- Netzwerkmanagement: Aufbau und Pflege von Kontakten zu relevanten Akteuren im Gesundheits- und Sozialwesen, um eine optimale Versorgung der Patienten sicherzustellen.
Viele Lotsen absolvieren eine intensive Care und Case Management Weiterbildung nach Standards der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) und ein Schulungsangebot der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zum Schlaganfall. Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe unterstützt und berät die Anbieter der Schulungen.
Module zur Infrastruktur der ambulanten Nachsorge, psycho-sozialen Kompetenz und kommunikativ-pragmatischem Handeln
Zur Schulung der Schlaganfall-Helfer ist ein Curriculum mit zehn Modulen zur Infrastruktur der ambulanten Nachsorge, psycho-sozialen Kompetenz und kommunikativ-pragmatischem Handeln entwickelt worden. Die geschulten Schlaganfall-Helfer werden anschließend aktiv die quartiersnahe ambulante Versorgung von Schlaganfall-Patienten unterstützen.
Der "Lotsenpfad" zur Qualitätssicherung
Um sicherzustellen, dass Schlaganfall-Lotsen nach einheitlichen Standards arbeiten, hat die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe einen "Lotsenpfad" zur Qualitätssicherung entwickelt. Dieser umfasst unter anderem folgende Aspekte:
- Qualifikation der Lotsen: Bevorzugt sollten die Lotsen eine pflegerische oder therapeutische Ausbildung abgeschlossen haben oder eine ähnliche humandienstliche Qualifikation mitbringen.
- Kontaktaufnahme zu den Patienten: Die Kontaktaufnahme zu den Schlaganfall-Patienten erfolgt bestenfalls bereits im Krankenhaus, danach besuchen die Lotsen die Betroffenen in der Rehaklinik und/ oder zu Hause und halten telefonisch Kontakt.
- Hintergrundwissen: Die Lotsen benötigen viel Hintergrundwissen - sowohl im medizinischen Bereich als auch, wenn es um Anträge und Finanzierungen geht, den Führerschein oder die Widereingliederung ins Berufsleben.
Die Rolle der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe spielt eine zentrale Rolle bei der Etablierung und Weiterentwicklung des Konzepts der Schlaganfall-Lotsen. Sie unterstützt interessierte Kooperationspartner bei der Organisation und den Inhalten der Schulungen und stellt das "Manual für Schlaganfall-Helfer" zur Verfügung. Mit Hilfe des Manuals ist es möglich, den weiteren Roll-Out des Projektes in der jeweiligen Region des Projektpartners umzusetzen. Die Stiftung fordert die Umsetzung einheitlicher Schulungsstandards ein, um eine gleiche Qualität der Schlaganfall-Helfer-Tätigkeit in allen regionalen Projekten sicherzustellen.
Modellprojekte und regionale Initiativen
Inzwischen gibt es Schlaganfall-Lotsen in immer mehr Regionen Deutschlands. Angefangen hat alles mit dem Modellprojekt „STROKE OWL“ der Stiftung in Ostwestfalen-Lippe. Die Kurse werden an jedem Standort von unterschiedlichen Trägern organisiert. Dies sind häufig soziale Einrichtungen (Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz etc.) in Kooperation mit Krankenhäusern und Vereinen. Einige Beispiele für regionale Projekte sind:
Lesen Sie auch: Demenz Coach Ausbildung: Ein Überblick
- Knappschaft Kliniken Vest GmbH: In Kooperation mit der KNAPPSCHAFT wurden zehn erfahrene Pflegeberater und Case-Manager zu Schlaganfall-Lotsen ausgebildet.
- LEX LOTSEN OWL: Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe erprobt gemeinsam mit mehreren Krankenkassen und zahlreichen Einrichtungen und Institutionen des Gesundheitswesens den Einsatz von Patientenlots*innen.
- Schlaganfall-Ring Schleswig-Holstein e.V.: Bietet die Ausbildung zum Schlaganfall-Helfer bzw. Schlaganfall-Mentor in Kooperation mit der Ärztekammer Schleswig-Holstein an.
- Rems-Murr-Kreis: Karin Gericke vom Deutschen Roten Kreuz Kreisverband Rems-Murr e. V. ist Ansprechpartnerin für das Projekt in dieser Region.
Finanzierung und Nachhaltigkeit
Die Finanzierung des Projektes erfolgt in der Regel durch den Partner vor Ort. Es bestehen jedoch mehrere Möglichkeiten, das Projekt durch externe Mittel zu refinanzieren. Für die Durchführung der Schulungen können beispielsweise Finanzierungsanträge bei lokalen Geldgebern (Sponsoren, Stiftungen etc.) gestellt werden. Zur Sicherung der Nachhaltigkeit ist eine begleitende Evaluation des Projektes vorgesehen.
Die Zukunft der Schlaganfall-Lotsen
Aktuell werden Schlaganfall-Lotsen noch nicht von den Krankenkassen als Regelversorgung finanziert. Es besteht jedoch die Hoffnung, dass sich dies in Zukunft ändern wird, da Studien gezeigt haben, dass durch den Einsatz von Lotsen mehr Patienten ihre Therapien abschließen und die Gefahr eines Folgeschlags sinkt. Das Projekt LEX LOTSEN OWL zielt beispielsweise darauf ab, praktikable Eckpunkte für die Einführung dieser neuen Versorgungsform eines Patientenlotsen zu entwickeln, die übergreifend auch auf andere Patientengruppen und Regionen übertragbar sind.
Persönliche Einblicke einer Schlaganfall-Lotsin
Eine Schlaganfall-Lotsin bei der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe beschreibt ihre Arbeit als eine Art Fallmanagerin, eine Regisseurin, die bei einem Schlaganfallpatienten einen Blick auf die gesamte Versorgung hat. Sie begleitet die Betroffenen ein Jahr lang und koordiniert die Dinge des Gesundheitssystems. Sie motiviert sie, sich an ihren Therapieplan zu halten und hilft ihnen, ihre Lebensgewohnheiten umzustellen.
Lesen Sie auch: Karriere als Assistenzarzt in der Neurologie
tags: #Schlaganfall #Lotse #Ausbildung