Vagusnerv: Anatomie, Funktion und klinische Bedeutung

Der Vagusnerv, auch bekannt als Nervus vagus oder "umherschweifender Nerv", ist der zehnte Hirnnerv (Nervus X) und der längste Nerv des autonomen Nervensystems. Er spielt eine zentrale Rolle bei der Verbindung von Gehirn und Körper und beeinflusst zahlreiche Körperfunktionen, von der Verdauung bis zur Herzfrequenz.

Anatomie des Vagusnervs

Der Vagusnerv entspringt in der Medulla oblongata, einem Teil des Hirnstamms. Von dort aus verläuft er durch den Hals, den Brustraum und den Bauchraum und verzweigt sich dabei in zahlreiche Äste.

Verlauf

Der Vagusnerv entspringt beidseitig im verlängerten Mark (Medulla oblongata). Sowohl der linke als auch der rechte Vagusnerv treten durch eine Öffnung an der Schädelbasis (Foramen jugulare) aus und ziehen dann seitlich entlang des Halses. Im Halsbereich verläuft der Nervus vagus mit der Arteria carotis interna und der Vena jugularis als Gefäßnervenstrang in der bindegewebigen Vagina carotica abwärts.

Nach dem gemeinsamen Durchtritt durch das Zwerchfell erreichen beide Vagusnerven den Oberbauch, wo sie sich weiter verästeln. Im Bauchraum verästeln sich die Nerven und versorgen die Eingeweide bis zur linken Dickdarmwindung. Hier endet das Vagusgebiet, die Nervenausläufer verflechten sich mit den sakralen Parasympathicusfasern, welche den absteigenden Dickdarm versorgen.

Äste und Verbindungen

Auf seinem Weg gibt der Vagusnerv verschiedene Äste ab, die unterschiedliche Bereiche des Körpers versorgen:

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  • Ramus meningeus: Zieht durch das Foramen jugulare zurück in die Schädelhöhle und versorgt die Hirnhäute der hinteren Schädelgrube.
  • Ramus auricularis: Verläuft unmittelbar entlang des äußeren Gehörgangs und kann bei Reizung Symptome verursachen.
  • Ramus pharyngeus: Bildet mit dem neunten Hirnnerven den Plexus pharyngeus.
  • Nervus laryngeus superior: Teilt sich in Ramus externus (steuert den Musculus cricothyroideus) und Ramus internus auf.
  • Nervus laryngeus recurrens (inferior): Schlingt sich links um den Aortenbogen, rechts um die Arteria subclavia und versorgt die Kehlkopfmuskeln motorisch und die Schleimhaut unter der Stimmritze sensorisch.
  • Rami cardiaci cervicales superiores und inferiores: Verbinden sich im Plexus cardiacus mit Fasern aus dem zervikalen Grenzstrang und justieren die Herzfrequenz.
  • Rami cardiaci thoracici: Versorgen das Herz im Brustkorb.
  • Rami oesophagei: Bilden an der Speiseröhre einen Plexus oesophageus und steuern die glatte Muskulatur und die Drüsenzellen.

Der Vagusnerv interagiert auch mit dem Sympathischen Grenzstrang und dem Sakralplexus.

Funktionen des Vagusnervs

Der Vagusnerv ist ein gemischter Nerv, der sowohl motorische als auch sensorische Funktionen vom Kopf bis in den Bauchraum übernimmt. Er ist der wichtigste parasympathische Nerv und beeinflusst die meisten inneren Organe.

Motorische Funktionen

  • Steuerung der Schlundmuskulatur (gemeinsam mit dem Nervus glossopharyngeus)
  • Aktivierung der Stimmbandspanner (Musculi cricothyroidei)
  • Motorische Aufgaben bei der Atmung und Sprachbildung
  • Regulierung der Tätigkeit der Drüsenzellen in den Bronchien und dem Verdauungsapparat
  • Anregung der Darmperistaltik

Sensorische Funktionen

  • Übermittlung von Informationen aus den Hirnhäuten und dem Ohr (Ramus meningeus und Ramus auricularis)
  • Verschaltung von Informationen aus Rachen und Eingeweiden (Ganglion inferius)
  • Versorgung des äußeren Gehörgangs, des Kehlkopfes, der Luftröhre, des unteren Rachens, der Speiseröhre, der Lunge, des Magens, des Herzens, der Leber, der Niere, der Milz und vieler Gefäße
  • Geschmacksempfindungen von den vorderen zwei Dritteln der Zunge (über den Nervus facialis)

Parasympathische Funktionen

Als Hauptbestandteil des Parasympathikus ist der Vagusnerv für Entspannung, Regeneration und Heilung zuständig. Er reguliert unbewusst ablaufende Funktionen im Körper, wie:

  • Herzfrequenz und Blutdruck
  • Verdauung
  • Atmung
  • Speichelbildung
  • Nierenfunktion

Der Vagusnerv hilft dem Körper, vom Alarmzustand (aktivierter Sympathikus) wieder in den Ruhemodus (aktivierter Parasympathikus) zu wechseln. Dies ist essenziell für die emotionale Stabilität.

Klinische Bedeutung des Vagusnervs

Störungen des Vagusnervs können vielfältige Symptome verursachen, da er so viele verschiedene Bereiche des Körpers versorgt.

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Ursachen von Vagusnerv-Störungen

  • Läsionen: Schädigungen des Nervus laryngeus recurrens, z.B. durch Aortenaneurysma, vergrößerte Lymphknoten oder Knoten an der Schilddrüse, können zu Heiserkeit führen.
  • Mechanische Reizung: Eine Überreizung des Vagusnervs, z.B. durch Muskelverspannungen im Halsbereich oder Fehlhaltungen, kann schwer zu deutende Symptome erzeugen.
  • Psychischer Stress: Anhaltender Stress, ungelöste Konflikte oder emotionale Überlastung können die Aktivität des Vagusnervs spürbar herunterfahren.
  • Entzündungen: Chronische Entzündungen im Körper, insbesondere im Darm, können die Funktion des Vagusnervs hemmen.
  • Hormonelle Dysbalancen: Können ebenfalls die Funktion des Vagusnervs beeinträchtigen.

Symptome von Vagusnerv-Störungen

Die Symptome können vielfältig sein und oft nicht eindeutig zugeordnet werden:

  • Häufiges Verschlucken und sonstige Schluckstörungen
  • Schlaff herabhängendes Gaumensegel
  • Heiserkeit
  • Reizhusten
  • Sodbrennen
  • Übelkeit
  • Atemnot
  • Tachykardie (beschleunigter Herzschlag)
  • Herzrhythmusstörungen
  • Verdauungsbeschwerden (bis hin zu Durchfall oder Verstopfung)
  • Kopfschmerzen
  • Schwindel
  • Chronische Müdigkeit
  • Nackenschmerzen
  • Herzstolpern
  • Kloßgefühl im Hals

Diagnostik

Die Diagnose von Vagusnerv-Störungen kann schwierig sein, da die Symptome oft unspezifisch sind. Der Arzt wird zunächst eine ausführliche Anamnese erheben und eine körperliche Untersuchung durchführen. Bei Verdacht auf eine Vagusnerv-Störung kann eine Überweisung an einen Neurologen erfolgen.

Therapie

Die Therapie von Vagusnerv-Störungen richtet sich nach der Ursache. In den meisten Fällen legen sich die Beschwerden, wenn die Ursache für die Reizung behandelt werden kann.

  • Behandlung der Grunderkrankung: Wenn eine Grunderkrankung (z.B. Schilddrüsenerkrankung, Entzündung) oder verschobene Wirbel die Ursache für die Beschwerden sind, liegt der Fokus zunächst auf deren Behandlung.
  • Vagotomie: In seltenen Fällen, z.B. bei Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren, kann eine Vagotomie erwogen werden, bei der der Vagusnerv für die Versorgung des Magens operativ durchtrennt wird.
  • Vagusnerv-Stimulation (VNS): Bei bestimmten Erkrankungen, wie Depressionen, Epilepsie oder chronischen Schmerzen, kann eine VNS eingesetzt werden. Dabei werden Impulsgeber im Hals implantiert, die elektrische Impulse abgeben und den Vagusnerv anregen. Auch die transkutane Vagusnerv-Stimulation (tVNS), bei der eine kleine Elektrode am Ohr angebracht wird, ist eine Möglichkeit, den Vagusnerv gezielt zu stimulieren.

Selbsthilfe bei Vagusnerv-Störungen

Es gibt verschiedene Übungen und Techniken, mit denen man den Vagusnerv selbst stimulieren und seine beruhigende Wirkung nutzen kann:

  • Tiefe Atmung: Tiefes, langsames Atmen in den Bauchraum (Bauchatmung) mit einer verlängerten Ausatmung aktiviert den Parasympathikus und kann Blutdruck und Herzfrequenz senken.
  • Meditation: Regelmäßige Meditation, am besten unter Anleitung in einer Gruppe oder per App, kann helfen, Stress abzubauen und den Vagusnerv zu beruhigen.
  • Kehlkopfvibrationen: Stimmhafte S-Laute oder das Summen von A, O oder U können die Ausatmung ausdehnen und den Vagusnerv stimulieren.
  • Gurgeln: Gurgeln mit Wasser oder lauwarmem Kamillentee kann ebenfalls den Vagusnerv anregen.
  • Singen: Singen von Lieblingsliedern, insbesondere solchen mit vielen Vokalen wie A, O und U, kann den Vagusnerv stimulieren.
  • Kältereize: Eine kurze kalte Dusche am Morgen, insbesondere über Arme, Beine und den Hals, kann den Sympathikus dämpfen und den Parasympathikus aktivieren.
  • Akkommodation: Das Trainieren der Augenmuskeln durch abwechselndes Scharfstellen von Gegenständen in unterschiedlichen Entfernungen kann den Vagusnerv anregen.
  • Box-Breathing: Eine Atemübung, bei der man 4 Sekunden einatmet, 4 Sekunden die Luft anhält, 4 Sekunden ausatmet und 4 Sekunden die Luft anhält, kann helfen, Stress abzubauen.
  • Akupressur: Das Drücken eines bestimmten Punktes in der Ohrmuschel, der mit dem Vagusnerv in Verbindung steht, kann Blockaden lösen und den Energiefluss im Körper verbessern.
  • Lavendelöl: Ätherisches Lavendelöl kann in stressigen Zeiten helfen, abzuschalten.

Der Vagusnerv und das Hungergefühl

Der Vagusnerv spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Hungergefühls. Er verbindet den Magen mit dem Gehirn und übermittelt Informationen über den Füllstand des Magens und den Nährstoffgehalt der Nahrung. Bei Hunger kommuniziert der Vagusnerv das Bedürfnis des Magens nach Nahrung an das Gehirn und übersetzt das Hungergefühl.

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Forschungen haben gezeigt, dass eine Stimulation des Vagusnervs am Ohr die Kommunikation zwischen Magen und Gehirn innerhalb von Minuten verstärken kann. Dies könnte in Zukunft bei der Behandlung von Adipositas und Essstörungen helfen, indem die Wahrnehmung der Körpersignale wiederhergestellt wird.

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