Auswirkungen von Cannabis auf das Gehirn: Wissenschaftliche Studien im Überblick

Cannabis, lange Zeit stigmatisiert, hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Wandlung erlebt. Die Legalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken im Jahr 2017 in Deutschland markierte einen Wendepunkt. Doch welche Auswirkungen hat der Konsum von Cannabis tatsächlich auf unser Gehirn? Dieser Artikel fasst die aktuelle Studienlage zusammen und beleuchtet die langfristigen Folgen des Cannabiskonsums, insbesondere im Hinblick auf die Gehirnentwicklung und die kognitive Leistungsfähigkeit.

Das Endocannabinoid-System und seine Rolle

Cannabinoide, wie THC und CBD, wirken im Körper über das Endocannabinoid-System. Dieses System besteht aus Cannabinoidrezeptoren, von denen CB1-Rezeptoren hauptsächlich im Gehirn und CB2-Rezeptoren im zentralen und peripheren Nervensystem sowie im Immunsystem vorkommen. Der Körper produziert selbst Endocannabinoide, die an diese Rezeptoren binden und das physiologische Gleichgewicht beeinflussen. THC ahmt die Wirkung dieser körpereigenen Cannabinoide nach und beeinflusst so verschiedene Gehirnfunktionen.

Auswirkungen auf Hirnregionen

Starker Cannabiskonsum, definiert als täglicher oder fast täglicher Konsum über Monate oder Jahre, kann insbesondere Hirnregionen mit einer hohen Dichte an Cannabinoidrezeptoren beeinträchtigen.

  • Hippocampus: Diese Hirnregion spielt eine entscheidende Rolle bei der Gedächtnisbildung. Studien mit bildgebenden Verfahren haben gezeigt, dass der Hippocampus bei starkem Cannabiskonsum schrumpfen kann, was zu Einbußen in der Merkfähigkeit führt.
  • Präfrontaler Cortex: Dieser Bereich hinter der Stirn ist für höhere geistige Leistungen wie Denken und Entscheiden zuständig. Studien legen nahe, dass die Dicke des präfrontalen Cortex bei starkem Cannabiskonsum, insbesondere im Jugendalter, stärker abnimmt als üblich. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2023 zeigt, dass der präfrontale Kortex bei starken Cannabiskonsumenten sowohl kleiner als auch weniger aktiv ist. Dies deutet darauf hin, dass Cannabis die Kommunikation zwischen Nervenzellen stören und so zu Konzentrationsstörungen und Erinnerungslücken führen kann.

Alter und Gehirnentwicklung

Das Alter spielt eine entscheidende Rolle bei den Auswirkungen von Cannabiskonsum. Je jünger eine Person beim ersten Konsum ist und je früher sie zum regelmäßigen Konsum übergeht, desto wahrscheinlicher sind strukturelle Hirnveränderungen und Einbußen in der geistigen Leistungsfähigkeit. Die Gehirnentwicklung ist erst mit etwa 25 Jahren weitestgehend abgeschlossen, und das Endocannabinoid-System spielt dabei eine wichtige Rolle. Langzeitstudien deuten darauf hin, dass auch die allgemeine Intelligenz gemindert sein kann, wenn Jugendliche bereits intensiv Cannabis konsumieren und den Konsum bis ins Erwachsenenalter aufrechterhalten.

Eine internationale Studie hat gezeigt, dass regelmäßige Cannabiskonsumenten im Vergleich zur Kontrollgruppe Veränderungen in einem besonders wichtigen Bereich des präfrontalen Kortex aufweisen, der für die Impulskontrolle, Problemlösung und Handlungsplanung zuständig ist.

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THC-Gehalt und synthetische Cannabinoide

Die Intensität des Cannabiskonsums hängt auch von der Konzentration des Hauptwirkstoffs THC ab. Es gibt Hinweise aus der Forschung, dass hochpotenter Cannabis mit hohem THC-Gehalt das Gehirn stärker schädigt als niedrigpotenter Cannabis. Dies gilt insbesondere für synthetische Cannabinoide, die noch stärker wirken als THC. Niedrigpotenter Cannabis enthält hingegen das Cannabinoid CBD, dem eine eher nervenschützende Funktion zugesprochen wird.

Der durchschnittliche Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) bei illegalem Cannabis ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Problematisch ist der dramatisch angestiegene THC-Gehalt, weil Konsumenten häufig eine ähnliche Menge Cannabis wie zuvor rauchen, dabei aber weitaus mehr THC aufnehmen als ein Nutzer einst.

Psychische Auswirkungen

Regelmäßiger Cannabiskonsum in der Pubertät kann zu einem höheren Risiko für Psychosen führen und den IQ-Wert sinken lassen. Auch Auffassungsgabe und Konzentrationsfähigkeiten können leiden. Im Gehirn könnten bei Cannabiskonsum in der Pubertät bis zu gut ein Drittel der funktionsfähigen Verbände im Frontalhirn verloren gehen, das zuständig für Funktionen wie Denken, Vernunft und Emotionsregulation ist. Auch das Risiko für Angststörungen und Depressionen ist höher.

Eine Studie aus Kanada ergab, dass fünf von sechs Jugendlichen, die im Studienverlauf wegen einer psychotischen Störung in ein Krankenhaus eingeliefert wurden oder eine Notaufnahme aufsuchten, über Cannabiskonsum berichteten. Jugendliche, die Cannabis konsumieren, hätten ein 11-fach höheres Risiko für eine psychotische Störung als Jugendliche, die keines nutzen.

Erholung des Gehirns

Es gibt jedoch auch positive Nachrichten: Die geistige Leistungsfähigkeit kann sich nach Beendigung des Cannabiskonsums wieder erholen. Je länger die Abstinenz, desto stärker erholt sich das Gehirn. Dies gilt auch, wenn der Einstieg schon im Jugendalter erfolgt ist. Dennoch zeigt die aktuelle Studienlage fast einstimmig, dass sich das Gedächtnis nach einem Entzug des Konsums von Cannabis für 72 Stunden oder einen Monat erholen kann und sich die genannten Defizite verringern. Ohne Cannabiskonsum konnten jugendliche Studienteilnehmer neue Informationen leichter erlernen und sich einprägen.

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Medizinischer vs. Freizeitlicher Konsum

Es ist wichtig, zwischen medizinischer und freizeitlicher Nutzung von Cannabis zu unterscheiden. Beim therapeutischen Einsatz von Cannabis - etwa zur Behandlung chronischer Schmerzen oder Multipler Sklerose - zeigt sich ein anderes Bild. Eine umfassende Metaanalyse ergab, dass psychoseähnliche Nebenwirkungen bei medizinischem Gebrauch deutlich seltener auftreten als beim Konsum aus rein freizeitlichen Gründen.

Risikominderung

Völlig risikofreien Cannabiskonsum gibt es nicht. Aber: Laut den aktuellen Lower-Risk Cannabis Use Guidelines (LRCUG) lässt sich das Gesundheitsrisiko deutlich senken, wenn man bestimmte Regeln beachtet. Besonders anfällig für gesundheitliche Risiken sind Jugendliche, Schwangere, ältere Menschen und Personen mit psychischen Vorerkrankungen. Für diese Gruppen gilt besondere Vorsicht. Generell empfehlen Expert:innen, nur geprüfte und regulierte Cannabisprodukte aus legalen Quellen zu verwenden - denn sie enthalten weniger Schadstoffe und bieten bessere Kontrolle über Wirkstoffgehalte.

Cannabis im Alter

Noch ist wenig erforscht, wie der Cannabiskonsum die kognitive Leistungsfähigkeit älterer Personen beeinflussen kann. Studien an älteren Menschen ergaben größtenteils widersprüchliche Ergebnisse. Studien an Nagetieren hingegen deuten darauf hin, dass extrem niedrige THC-Dosen die kognitiven Fähigkeiten von Senioren verbessern könnten.

Anti-Aging-Effekt?

Eine niedrigdosierte Langzeitgabe von Cannabis kann nicht nur Alterungsprozesse im Gehirn umkehren, sondern hat auch eine Anti-Aging-Wirkung. Dies konnten Forschende des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn mit einem Team der Hebrew University (Israel) bei Mäusen zeigen. Den Schlüssel dafür fanden sie in dem Proteinschalter mTOR, dessen Signalstärke Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit und Stoffwechselprozesse im gesamten Organismus hat.

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