Es ist ein weit verbreiteter Glaube, dass Bewegungspausen helfen, Müdigkeit zu vertreiben und die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern. Aber wie lassen sich diese Effekte erklären, und welche Rolle spielt Sport und das Erlernen neuer Bewegungen für die Gedächtnisleistung? Dieser Artikel beleuchtet die Auswirkungen von Sport auf das Gehirn anhand wissenschaftlicher Studien und Erkenntnisse.
Sport als Entlastung für das Denkzentrum
Nach einem anstrengenden Tag sehnen sich viele Menschen danach, sich auf die Couch zu legen und zu entspannen. Wissenschaftlich gesehen ist dies jedoch nicht der richtige Ansatz, um Stress abzubauen. Wer tagsüber viel am Schreibtisch sitzt, beansprucht vor allem den präfrontalen Cortex, das Denkzentrum des Gehirns. Dieser Bereich, der sich im vorderen Teil des Gehirns befindet, unterstützt bei Aufgaben wie Präsentationen, Verwaltung oder Kundengesprächen.
Das Fassungsvermögen des präfrontalen Cortex ist jedoch begrenzt. Hier kann Sport helfen, denn Bewegung und Koordination fordern das Gehirn auf vielfältige Weise. Die Aktivität wird ins Bewegungszentrum verlagert, wodurch das Denkzentrum entlastet wird. Dies führt nicht nur zu Entspannung, sondern auch zu einer Steigerung der Fokussierung und Konzentration. Es ist jedoch wichtig, dass der Sport anstrengend genug ist und Spaß macht, um diese positiven Effekte zu erzielen.
Sport und die Verbesserung der Gehirnfunktion
Sport hat nicht nur eine stressabbauende Wirkung, sondern kurbelt auch die Durchblutung im Gehirn an. Dies führt zu einer Veränderung der Konzentration von Botenstoffen und zur Ausschüttung von Wachstumsfaktoren. Studien an Menschen und Mäusen haben gezeigt, dass Sport das Wachstum von Nervenzellen im Hippocampus fördert, dem Lernzentrum des Gehirns. Alles, was wir uns merken wollen, wird hier verarbeitet. Regelmäßige Bewegung kann insbesondere im Alter dazu beitragen, das Erinnerungs- und Lernvermögen zu verbessern.
Darüber hinaus stärkt Sport nicht nur die Gedächtnisleistung, sondern erhöht auch die Konzentration von Glücksbotenstoffen im Gehirn. Aktuelle Studien zeigen, dass bereits einmaliges Training einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden und die Gehirnaktivität haben kann. Sport ist somit eines der wirkungsvollsten und sichersten "Medikamente".
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Bewegung als Prävention: Empfehlungen und Fakten
Rund 2 Milliarden Menschen weltweit bewegen sich zu wenig. In Deutschland erreicht fast jeder Zweite nicht die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Annehmlichkeiten der modernen Welt tragen ihren Teil dazu bei, doch Bewegungsmangel ist ein Risikofaktor, der mit Rauchen, Bluthochdruck oder Diabetes vergleichbar ist.
Eine Studie im Journal of the American College of Cardiology zeigte, dass 5 Stunden körperliche Bewegung pro Woche erforderlich sind, um ein tägliches Sitzen von 8 und mehr Stunden auszugleichen. Mehr als 8 Stunden Sitzen ohne Sport erhöhen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um rund 80 %.
Regelmäßige körperliche Bewegung eignet sich hervorragend zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Krebserkrankungen, Osteoporose, Übergewicht, Stress und Burnout. Sport verlängert das Leben und wirkt als "Anti-Aging Medizin". Schon 15 Minuten Bewegung am Tag senken das Mortalitätsrisiko um 14 %, und jede weitere Viertelstunde reduziert das Risiko um weitere 4 %.
Die lebensverlängernde Wirkung von Sport
Ein deutsches Forscherteam entdeckte kürzlich eine Erklärung für die lebensverlängernde Wirkung von Sport: Regelmäßiger Ausdauersport (3-mal 45 Minuten pro Woche) erhöhte die Aktivität des Enzyms Telomerase, das die Schutzkappen der Chromosomen, die Telomere, verlängert und die Körperzellen dadurch wieder "verjüngt".
Auch das Immunsystem profitiert von Sport. Ältere Menschen, die ihr ganzes Leben viel Ausdauersport getrieben hatten, wiesen in einer Studie deutlich aktivere B- und T-Zellen im Blut auf. Dadurch waren sie weniger anfällig für Infektionen, chronische Entzündungen und Autoimmunerkrankungen und wiesen einen besseren Impfschutz auf.
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Regelmäßiger Sport aktiviert die natürlichen Killerzellen, deren Aufgabe unter anderem die Bekämpfung von Krebszellen ist. Körperlich aktive Menschen können ihr Risiko für die Entwicklung von 13 Krebsarten um bis zu 42 % verringern. Auch nach einer Krebsdiagnose ist es nicht zu spät für Sport: Patienten, die an Brust- oder Darmkrebs erkrankt waren und erst dann begannen, sich zu bewegen, konnten ihr Sterberisiko mit einem Training nach WHO-Empfehlungen um circa 28 % senken.
Krafttraining gegen Diabetes
Sport spielt auch in der Diabetesprävention eine entscheidende Rolle und kann die Krankheit hinauszögern oder sogar verhindern. Körperliche Aktivität aktiviert einen insulinunabhängigen Mechanismus, mit dem die Körperzellen Glukose aus dem Blut besser aufnehmen können. Der Blutzuckerspiegel sinkt und die Insulinsensitivität steigt.
Schon 2,5 Stunden aktives Spazierengehen pro Woche verringerten bei Gesunden das Diabetesrisiko um 30 % und halfen Menschen, die bereits an Diabetes erkrankt waren, ihren HbA1c-Wert um 0,5-0,7 % zu senken. In 2 von 3 Fällen können Diabetiker sogar ihre Medikation reduzieren.
Insbesondere Muskelaufbautraining eignet sich im Kampf gegen Diabetes, da Muskeln wahre Zuckerfresser sind. Zusätzliches Muskelgewebe erhöht die Glukose-Speicherkapazität des Körpers und senkt den HbA1c-Wert noch effektiver ab. Die positiven Effekte auf den Glukosespiegel sind mitunter schon nach einer Woche Sport im Blut sichtbar.
Positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System
Auch das Herz-Kreislauf-System lässt sich nachweislich durch regelmäßige Bewegung positiv beeinflussen. Schon 5-10 Minuten langsames Joggen am Tag reduzieren das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, um fast zwei Drittel. Optimal für die Herzgesundheit sind aber rund 3,5 Stunden moderater Sport pro Woche.
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Regelmäßige Bewegung senkt den systolischen/diastolischen Blutdruck um bis zu 11/6 mmHg. Weiterhin verbessert körperliche Aktivität das Lipidprofil und kann das HDL-Cholesterin um bis zu 15 mg/dl ansteigen lassen, die Konzentration von Triglyceriden dagegen um bis zu 38 mg/dl senken. Sport fördert die Ausschüttung von vasodilatatorischen Botenstoffen und induziert die Bildung neuer Blutgefäße.
Aktives Muskelgewebe sezerniert zudem sogenannte Myokine, die chronische Inflammationen eindämmen und der Plaqueentstehung entgegenwirken. Sind bereits Plaques vorhanden, kann regelmäßiger Sport ihre Festigkeit erhöhen und eine Ruptur vermeiden. Weiterhin hilft körperliche Bewegung auch bei Arrhythmien, indem die parasympathische Regulation des Herzschlags verbessert und die Störanfälligkeit der Kardiomyozyten verringert wird.
Sport als wirksame Demenzprävention
Beeindruckend sind auch die Effekte auf das Gehirn. Schon 10 Minuten einfaches Spazierengehen reichen aus, um unsere Neuronen besser zu vernetzen und die Gedächtnisleistung zu erhöhen. Körperliche Bewegung lässt neue Gehirnzellen im Hippocampus und frontalen Kortex sprießen und verbessert so die Lern- und Merkfähigkeit. Dadurch lässt sich der Entwicklung einer Demenz entgegenwirken.
Eine Studie mit einem Follow-up von 44 Jahren zeigt dies eindrücklich: Menschen mit einem hohen Fitnesslevel hatten ein bis zu 88 % geringeres Demenzrisiko. Vermittelt werden die positiven Effekte wahrscheinlich über das Hormon "brain-derived neurotrophic factor" (BDNF). 20-40 Minuten Ausdauersport erhöhen die BDNF-Konzentration bereits um 32 %.
Sport als Stimmungsaufheller
Sport erhöht auch die Konzentrationen von Dopamin, Serotonin und Noradrenalin im Blut, die über die Aktivierung unseres Belohnungssystems die Stimmung verbessern und Stressgefühle vermindern. Körperliche Aktivität taugt so auch als äußerst effektives Mittel gegen Depressionen: Eine Studie zeigt, dass 30 Minuten Joggen pro Woche ähnlich effektiv wirken wie ein Antidepressivum.
Die Rolle von Wachstumsfaktoren
Eine Fülle von Studien beschreibt den Einfluss akuter körperlicher Belastung auf ZNS-relevante Wachstumsfaktoren. Neben BDNF spielen auch der vascular endothelial growth factor (VEGF) und der insulin-like growth factor 1 (IGF-1) eine wichtige Rolle. Für alle drei Faktoren ist bekannt, dass sie die Neurogenese stimulieren können, die zumindest partiell zu einer Volumenzunahme der Hirnmasse, z.B. im Hippocampus beitragen kann und direkt in Verbindung mit kognitiven Fähigkeiten steht.
Bei Mäusen konnte infolge akuter körperlicher Belastungen ein drei bis vierfacher Anstieg der BDNF mRNA Expression in verschiedenen Hirnarealen festgestellt werden. Gut belegt sind vorübergehende Steigerungen der peripheren BDNF Konzentration durch akute Ausdauerbelastungen von mindestens 30 minütiger Dauer. Das Ausmaß der akut ausdauerbelastungsinduzierten Steigerung der peripheren BDNF Konzentration zeigt sich dabei abhängig von der Intensität der Belastung.
Praktische Tipps für mehr Bewegung im Alltag
Selbst bescheidene körperliche Aktivität kann helfen. Neben gezieltem Sport hält auch Bewegung im Alltag Körper und Geist fit. Ein Spaziergang, Treppensteigen oder Gartenarbeit - jede Bewegung bringt den Kreislauf in Schwung, versorgt das Gehirn mit Sauerstoff und stärkt die geistige Fitness.
Hier sind einige Tipps, wie Sie mehr Aktivität in Ihren Alltag integrieren können:
- Öfter zu Fuß gehen oder das Rad nehmen
- Die Treppe nehmen statt den Aufzug
- Freizeit aktiv gestalten
- Kleine Schritte machen
Sport auf Rezept
Bewegung ist ein - meist kostenloses - Allzweckmittel gegen zahlreiche Krankheiten, die hinsichtlich Wirksamkeit den Vergleich mit Medikamenten nicht scheuen muss. Auch betagte Personen und Patienten mit Vorerkrankungen sollten nach einem medizinischen Check-up zu körperlicher Bewegung animiert werden. Am Ende des Gesprächs könnte die Ausstellung eines "Sportrezepts" stehen, das über Art, Dauer, Häufigkeit und Intensität der empfohlenen Bewegung informiert.